Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 15.11.2005, Az.: VgK - 48/05

Ausschreibung eines Rahmenvertrags über die Vergabe von Postdienstleistungen; Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags im Rahmen eines Vergabeverfahrens; Anforderungen an die Rügepflicht des Bieters; Überprüfung der im Rahmen des Vergabeverfahrens getroffenen Feststellungen und Entscheidungen; Ausschluss des Angebots der Beigeladenen wegen vermeintlicher Abweichungen von Festlegungen der Verdingungsunterlagen

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
15.11.2005
Aktenzeichen
VgK - 48/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 24218
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOL-Vergabeverfahren Rahmenvertrag über die Vergabe von förmlichen Zustellungen

Die Vergabekammer hat
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Dierks
auf die mündliche Verhandlung vom 08.11.2005
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Auftraggeberin wird verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten, diese unter Beachtung der aus den Entscheidungsgründen ersichtlichen Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen und Wertung und Ergebnis in einem den Anforderungen des § 30 VOL/A genügenden Vergabevermerk in der Vergabeakte zu dokumentieren.

    Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 1/3 und die Auftraggeberin zu 2/3.

    Die Auftraggeberin ist jedoch von der Entrichtung des auf sie entfallenden Kostenanteils befreit.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 2.676 EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Auftraggeberin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu 2/3 zu erstatten. Die Antragstellerin hat ihrerseits der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu 1/3 zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war sowohl für die Antragstellerin als auch für die Beigeladene notwendig.

Begründung

1

I.

Die Auftraggeberin hat den Rahmenvertrag über die Vergabe von förmlichen Zustellungen am 04.02.05 europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Der Rahmenvertrag beinhaltet die bundesweite förmliche Zustellung von 600 bis 650 Sendungen pro Tag zu einem bundeseinheitlichen Zustelltarif. Es ist vorgesehen, zunächst eine Probezeit zu vereinbaren. Gemäß der Bekanntmachung ist eine Vergabe in Losen nicht vorgesehen, Nebenangebote / Alternativvorschläge werden nicht berücksichtigt. Die mit dem Rahmenvertrag zu vereinbarende Leistung soll vom 01.07.05 bis zum 30.06.06 erbracht werden. Zur Teilnahme aufgefordert waren Bieter mit außergewöhnlicher Zuverlässigkeit und Fachkunde und einer der Aufgabe entsprechenden Leistungsfähigkeit. Bei Bedarf sollen sie fachkundiges Personal im Raum xxxxxxx bereitstellen können. Als Bedingungen für die Teilnahme angekündigt wurde unter Ziff.III.2 der Bekanntmachung die Forderung nach Vorlage verschiedener Eignungsnachweise gem. § 7a Nr. 2 VOL/A, darunter eine Lizenz zur gewerbsmäßigen Beförderung von Briefsendungen und Referenzen bezüglich erbrachter vergleichbarer Leistungen in den vergangenen 3 Geschäftsjahren. Der Zuschlag soll auf das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich der Kriterien Preis, Zuverlässigkeit und Fachkunde ohne Festlegung der Priorität erteilt werden.

2

Mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe legte die Auftraggeberin den Angeboten die Verdingungsunterlagen und die übrigen Bedingungen zu Grunde. Die Unterschriften auf dem mit dem Angebot vorzulegenden Vorblatt zur Leistungsbeschreibung und auf der Leistungsbeschreibung gelten danach als Anerkennung der Wettbewerbsbedingungen. Zum Nachweis der Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Fachkunde wurden die Bieter gebeten, ihren Angeboten folgende Nachweise beizufügen:

3

  • eine Lizenz gem. § 5 Postgesetz,
  • einen Nachweis über den Einsatz qualifizierten, fachkundigen und auf den Datenschutz gem. § 5 Bundesdatenschutzgesetz verpflichteten Personals. Hierbei sind die für die Aufgabe zur Verfügung stehenden Kapazitäten sowie die Ausbildungsmaßnahmen und deren qualitative Inhalte darzulegen,
  • Referenzen über vergleichbare Leistungen für die letzten 3 Geschäftsjahre,
  • eine Beschreibung der technischen Ausrüstung,
  • ggf. ein Versicherungsnachweis für Vermögensschäden sowie
  • Nachweise über die ordnungsgemäße Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung und von Steuern.

4

Als Bindefrist wurde der 30.06.05 bekannt gegeben, als Angebotsfrist der 25.03.05, 13:00 Uhr festgelegt. Für verspätet eingegangene Angebote wurde der Ausschluss angekündigt.

5

Die Leistungsbeschreibung informiert über den voraussichtlichen Umfang der zu erbringenden Leistungen und legt die Modalitäten für ihre Erbringung fest. Hiernach ist der Auftragnehmer verpflichtet, die Briefsendungen werktäglich bei der Auftraggeberin abzuholen und unter Beachtung der Vorschriften der Prozessordnungen und der Gesetze, die die Verwaltungszustellung regeln, bundesweit innerhalb von regelmäßig weniger als 3 Werktagen förmlich zuzustellen. Eine angemessene Überschreitung dieser Frist wird in besonderen Fällen zugestanden. Die Zustellung hat durch qualifiziertes Personal zu erfolgen, das auf die Einhaltung der Bestimmungen des Postgeheimnisses und des Datenschutzes verpflichtet wurde. Eine Rückführung der Urkunden an die Auftraggeberin hat nach der Zustellung zu erfolgen. Verlangt wird die Angabe eines einheitlichen Tarifs für die förmliche Zustellung im Bundesgebiet je Sendung.

6

Nach Maßgabe der Regelungen der Allgemeinen Auftrags- und Zahlungsbedingungen (Ausgabe 2001) und der Besonderen Bedingungen für die Ausführung von Lieferungen und Leistungen gemäß VOL hat der Auftragnehmer die vertraglich vereinbarte Leistung wie angeboten nach den gesetzlichen Vorschriften und behördlichen Bestimmungen in eigener Verantwortung auszuführen. DieÜbertragung des Auftrages, auch von Teilleistungen, an Dritte ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Auftraggeberin zulässig. Mit Zustimmung der Auftraggeberin darf sich der Auftragnehmer der Hilfe von gleichermaßen fachkundigen, leistungsfähigen und zuverlässigen Nachunternehmern bedienen. Auf Verlangen hat der Auftragnehmer die Auftraggeberin vor der beabsichtigten Übertragung über Art und Umfang der Leistungen sowie Namen und Anschrift des vorgesehenen Unterauftragnehmers zu informieren.

7

Die Vergabeunterlagen selbst enthalten keine Angaben zu den Zuschlagskriterien.

8

Insgesamt forderten 9 Bieter die Vergabeunterlagen an. Nachdem die Auftraggeberin festgestellt hatte, dass die von ihr festgelegte Angebotsfrist auf einen Feiertag (Karfreitag) fiel, an dem der fristgemäße Eingang der Angebote nicht überwacht werden konnte, informierte sie die Bieter am 23.03.05 über die Verlängerung der Angebotsfrist bis zum 29.03.05 um 13:00 Uhr.

9

Nach Maßgabe der Vergabeakte gab es innerhalb der Angebotsfrist weder Anfragen noch Rügen der Vergabeunterlagen. Insgesamt haben 6 Bieter ein Angebot abgegeben, hierunter die Antragstellerin und die beigeladene Bietergemeinschaft xxxxxxx GmbH, xxxxxxx, und xxxxxxx GmbH, xxxxxxx. 5 Angebote waren vor Ablauf der ursprünglich festgesetzten Angebotsfrist eingegangen, das von der Bietergemeinschaft der Beigeladenen erarbeitete Angebot vom 22.03.05 ging am 29.03.05 um 12:15 Uhr bei der Auftraggeberin ein.

10

Nach Maßgabe der Niederschrift über die Angebotseröffnung haben weder die Beigeladene noch die Antragstellerin das preislich günstigste Angebot abgegeben. Das Angebot der Beigeladenen liegt diesbezüglich auf Rang 2, das Angebot der Antragstellerin folgt auf Rang 3.

11

Die Prüfung und Wertung der Angebote begann im April 2005. Das Ergebnis ist auf den Seiten 89 - 92 der Vergabeakte festgehalten. Hiernach führte die formelle Prüfung zum Ausschluss des preislich niedrigsten Angebotes, weil diesem die geforderte Lizenz der Regulierungsbehörde fehlte und die geforderten Nachweiseüber den Umsatz der letzten 3 Geschäftsjahre bei vergleichbaren Leistungen sowie über die Verfügbarkeit qualifizierten, fachkundigen und auf den Datenschutz verpflichteten Personals nicht erbracht worden waren. Ein weiteres Angebot wurde ausgeschlossen, weil es als Nebenangebot deklariert war und die eingetragenen Preise mit Tipp-Ex behandelt worden waren.

12

Drei weitere Angebote waren zwar ebenfalls unvollständig, aus Sicht der Auftraggeberin mussten diese Mängel jedoch nicht zwangsläufig zum Ausschluss dieser Angebote führen. Hierzu gehört das Angebot der Antragstellerin, dem nach der formellen Prüfung (S. 91 der Vergabeakte) der Nachweis über den Umsatz der letzten 3 Jahre und eine Bescheinigung der IHK fehlen. In der Wertung auf S. 90 der Vergabeakte wird festgestellt, dass die Beigeladene als Einzige sämtliche geforderten Unterlagen und Nachweise und - nach Ausschluss des preislich niedrigsten Angebotes - auch das wirtschaftlichste Angebot vorgelegt hat. Aus den von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen schließt die Auftraggeberin auch auf die erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit der Beigeladenen.

13

Der Vergabevermerk endet auf S. 92 mit dem Vorschlag, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Der Vorschlag ist datiert mit dem 14.04.05.

14

Eine Wertung der Angebote nach Maßgabe der bekannt gemachten Zuschlagskriterien "Zuverlässigkeit" und "Fachkunde" wurde ausweislich der Vergabeakte nicht vorgenommen.

15

Nach Angebotsabgabe informierte die Beigeladene in einem am 09.06.05 eingegangenen Schreiben vom 02.06.05 die Auftraggeberin über ein Urteil des Landgerichts xxxxxxx vom 19.04.05 in einem Rechtsstreit, den sie mit der Antragstellerin geführt hat. Unter Bezugnahme auf das Urteil erklärt sie, dass sie "auch weiterhin" Zustellungen ausschließlich durch eigene fest angestellte Mitarbeiter der Gesellschaften des xxxxxxx Konzerns oder durch Einschaltung der lizenzierten Deutschen Post AG bewirken werde.

16

Die Auftraggeberin hat das Schreiben zur Kenntnis genommen, es hat keinen erkennbaren Einfluss auf die Prüfung und Wertung der Angebote gehabt.

17

Mit Schreiben vom 30.09.05 informierte die Auftraggeberin die Bieter gemäß § 13 VgV über den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen. Die Information ist am gleichen Tage bei der Antragstellerin eingegangen. Als Grund für die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes wurde auf den Preis verwiesen.

18

Mit Schriftsatz vom 06.10.2005 rügte die inzwischen anwaltlich vertretene Antragstellerin die beabsichtigte Vergabeentscheidung als vergaberechtswidrig. Nach ihr vorliegenden Informationen habe die Beigeladene ein Angebot unter Abänderung der Verdingungsunterlagen abgegeben, da sie die ausgeschriebene bundesweite Zustellung entsprechend der Ausschreibung nicht vollständig selbst, sondern durch Übergabe eines Teiles der Sendungen an die Deutsche Post AG erbringen werde. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung beanstandet die Antragstellerin außerdem die aus ihrer Sicht unzulässige Verwendung der Eignungskriterien "Zuverlässigkeit" und "Fachkunde" als Zuschlagskriterien. Unter Fristsetzung forderte sie die Auftraggeber auf, den Vergaberechtsverstößen abzuhelfen.

19

Die Auftraggeberin wies die Rügen mit Schreiben vom 11.10.05 zurück.

20

Mit Anwaltsschriftsatz vom 12.10.05, eingegangen bei der Vergabekammer am gleichen Tage, hat die Antragstellerin die Vergabekammer angerufen. Zur Begründung ihres Nachprüfungsantrags bezieht sie sich auf die mit Schreiben vom 06.10.2005 gerügten Vergaberechtsverstöße und führt nach Akteneinsicht hierzu aus, die Vergaberechtsmängel seien unverzüglich gerügt worden, nämlich unmittelbar nach erteiltem Rechtsrat zu der für vergaberechtliche Laien nicht einfach und eindeutig zu beurteilenden Rechtslage durch den nach Erhalt der Information nach § 13 VgV eingeschalteten Anwalt.

21

Die Beigeladene hätte hinsichtlich der angebotenen Zustellung im gesamten Bundesgebiet eine unzutreffende Erklärung oder aber ein unklares Angebot abgegeben. Dies werde durch die Stellungnahme der Auftraggeberin vom 18.10.05 und die hierzu im Widerspruch stehende eidesstattliche Erklärung der Beigeladenen vom 11.03.05, das Informationsschreiben der Beigeladenen vom 02.06.05 an die Auftraggeberin sowie ihre im August 2005 in der Presse zitierten Aussagen belegt. Eine nicht korrekte oder vorsätzlich unzutreffende Erklärung der Beigeladenen begründe einen fakultativen Ausschluss ihres Angebots gem. § 25 Nr.1 Abs. 2 lit. b VOL/A. Die Auftraggeberin habe in ihrer Prüfung und Wertung der Angebote diese Sachverhalte nicht hinreichend ermittelt und infolge hiervon den Ausschluss des Angebotes der Beigeladenen nicht einmal in Erwägung gezogen.

22

Bezüglich des Anteils der an die Deutsche Post AG zur Zustellung abgegebenen Sendungen könne zwischen der Beigeladenen und der Auftraggeberin kein ausschreibungskonformer Vertrag über eine Zustellung zu Stande kommen. Auch könne die Beigeladene nicht ohne Verstoß gegen Vergaberecht nachträglich zur Beauftragung der Deutschen Post AG bevollmächtigt werden. Mit einer Teilbeauftragung der Deutschen Post AG würden deren Allgemeine Vertragsbedingungen in das Vertragsverhältnis zwischen der Auftraggeberin und der Beigeladenen einbezogen werden, was eine unzulässige Ergänzung der Verdingungsunterlagen darstelle. Da die Beigeladene selbst bei Abgabe der Sendungen in keinem Vertragsverhältnis zur Deutschen Post AG stünde, hätte sie keinen Einfluss auf deren Vertragserfüllung und auch keine Gewährleistungsansprüche an diese. Damit verstieße die Beigeladene gegen die Besonderen Vertragsbedingungen der Auftraggeberin, nach denen der Auftragnehmer die Leistung in eigener Verantwortung auszuführen hat.

23

Zumindest für den an die Deutsche Post AGübergebenen Teil der ausgeschriebenen Leistungen habe die Beigeladene nicht die ausgeschriebene lizenzpflichtige Leistung angeboten.

24

Die in der Rügeantwort der Auftraggeberin vom 11.10.05 hinsichtlich einer ausnahmsweisen Zulässigkeit einer Vermischung der Eignungs- und Zuschlagskriterien erwähnte Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 25.02.04 sei im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht nicht haltbar. Zur Sicherung einer besonderen Fachkunde zur Erfüllung der ausgeschriebenen Leistung sei eine nochmalige Eignungsprüfung in Rahmen der Wertung auch nicht erforderlich.

25

Schließlich sei die formelle Prüfung der Auftraggeberin bezüglich ihres eigenen Angebotes fehlerhaft, denn sie habe ihrem Angebot eine Präsentationsmappe beigefügt, in der die von der Auftraggeberin in ihrem Angebot vermissten Referenzen enthalten sind. Die in der formellen Prüfung ebenfalls vermisste Vorlage einer Bescheinigung der IHK sei in der Vergabebekanntmachung gar nicht gefordert worden.

26

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    die Auftraggeberin zu verpflichten, unter Ausschluss des Angebotes der Beigeladenen die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen;

    hilfsweise

  2. 2.

    die Auftraggeberin zu verpflichten, die Ausschreibung aufzuheben;

  3. 3.

    die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin gemäß §§ 128 Abs. 4 GWB, 1 Abs. 1 NVwVfG, 80 VwVfG für notwendig zu erklären;

  4. 4.

    den Antragsgegnern die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.

27

Die Auftraggeberin beantragt,

  1. 1.

    den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen;

  2. 2.

    der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen.

28

Sie hält den Antrag für unzulässig, weil die Antragstellerin die vorgetragenen Mängel im Angebot der Beigeladenen nicht unverzüglich i. S. des § 107 Abs. 3 GWB gerügt habe. Aufgrund ihrer offensichtlichen Vorbefassung mit dem vermeintlichen Mangel im Angebot der Beigeladenen hätte sie die beabsichtigte Zuschlagserteilung auf das Angebot der Beigeladenen umgehend und nicht erst nach 1 Woche rügen können und müssen. Die aus Sicht der Antragstellerin unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien sei bereits in der Bekanntmachung vom 04.02.05 erkennbar gewesen und hätte gem. § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB vor Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden müssen. Diesbezüglich liege auch kein Vergaberechtsverstoß vor, denn nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 25.02.04 (AZ.: - Verg 77/03 -) sei die Aufnahme dieser Kriterien als leistungsbezogene Zuschlagkriterien ausnahmsweise dann zulässig, wenn Zuverlässigkeit und Fachkunde eines Bieters eine Gewähr für eine bessere Leistung bieten. Dies sei vorliegend der Fall, denn die Durchführung von Zustellungen lasse sich qualitativ nicht losgelöst von der fachlichen Eignung des Bieters bewerten. Für die beabsichtigte Vergabeentscheidung sei letztlich ohnehin das vorrangige Kriterium Preis ausschlaggebend gewesen, da aufgrund mangelnder Unterschiede der Angebote die Kriterien Zuverlässigkeit und Fachkunde keinen Anlass gegeben hätten, von der durch den Preis vorgegebenen Rangfolge der Angebote abzuweichen.

29

Das Angebot der Beigeladenen enthalte keinen Hinweis darauf, dass die Beigeladene die Absicht hätte, die ausgeschriebene Leistung nicht vollständig selbst zu erbringen. Da die Beigeladene über eine Zustellberechtigung für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verfüge, teile sie die rechtlichen Bedenken der Antragstellerin bezüglich einer ausschreibungskonformen Leistungserbringung durch die Beigeladene nicht.

30

Schließlich würde sie im vorliegenden Fall auch kein Angebot ausschließen, welches eine Inanspruchnahme der Deutschen Post AG vorsehe, da hierin nach der aktuellen Rechtsprechung keine Änderung der Verdingungsunterlagen zu sehen sei.

31

Die Beigeladene beantragt,

  1. 1.

    den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen;

  2. 2.

    der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen und

  3. 3.

    die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 128 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären.

32

Sie hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, da die Antragstellerin die vorgetragenen Verstöße nicht unverzüglich gerügt habe. Für ihre verzögerte Rüge könne sie aufgrund umfangreicher Vorbefassung keinesfalls mangelnde Rechtskenntnis geltend machen. Im Übrigen sei die Antragstellerin gar nicht antragsbefugt, da ihr eigenes Angebot gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A zwingend auszuschließen sei, denn die Antragstellerin habe die geforderten Eignungsnachweise nicht, wie gefordert, vollständig mit dem Angebot vorgelegt. Nach Maßgabe der aktuellen Rechtsprechung könnten diese Nachweise auch nicht nachgefordert werden, denn ihre Vorlage war gemäß III.2 der Bekanntmachung Bedingung für die Teilnahme am Wettbewerb. Nach der Beigeladenen vorliegenden Unterlagen fehle der Antragstellerin in personeller Hinsicht zudem die erforderliche Leistungsfähigkeit.

33

Sofern die Antragstellerin die Auffassung vertritt, dass ein Teil der zuzustellenden Sendungen nicht ausschreibungskonform an die Deutsche Post AG weitergegeben werden könne und daher das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei, sei darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin selbst bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in beachtlichem Umfang die Leistungen der Deutschen Post AG in Anspruch nehme. Sie selbst beabsichtigte dagegen, die Sendungen der Auftraggeberin bundesweit selbst zuzustellen und sei hierzu auch in der Lage. Aus ihrer Sicht sei aber auch eine Übergabe von Sendungen an die Deutsche Post AG nach den Ausschreibungsunterlagen nicht von vornherein ausgeschlossen, sondern mit Zustimmung der Auftraggeberin möglich. Bezüglich der Kritik an den Zuschlagskriterien unterstützt sie die Rechtsauffassung der Auftraggeberin.

34

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 08.11.2005 Bezug genommen.

35

II.

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig. Er ist unzulässig, soweit sich die Antragstellerin dagegen wendet, dass die Auftraggeberin neben dem Kriterium des niedrigsten Preises auch die bekannt gemachten Kriterien Zuverlässigkeit und Fachkunde als Zuschlagskriterien bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes berücksichtigen wollte. Ungeachtet der materiellen Rechtmäßigkeit dieser Kriterien war die damit verbundene, von der Antragstellerin geltend gemachte vermeintliche Vergaberechtsverletzung jedenfalls bereits aus der Vergabebekanntmachung für die Antragstellerin erkennbar. Die Antragstellerin hätte die vermeintliche Vergaberechtsverletzung daher gem. § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB spätestens bis zum Ablauf der Angebotsfrist rügen müssen. Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Auftraggeberin hat gegen das Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes gem. § 25 Nr. 3 VOL/A nicht alle gem. § 9 a VOL/A bekannt gemachten Zuschlagskriterien, sondern lediglich das Kriterium des niedrigsten Preises zu Grunde gelegt hat. Diesbezüglich ist auch die Antragstellerin im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Dagegen ist die Auftraggeberin entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht gehalten, das Angebot der Beigeladenen wegen Abweichens von Festlegungen der Verdingungsunterlagen von der Angebotswertung auszuschließen. Die Voraussetzungen des § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A i.V.m. § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A liegen nicht vor.

36

1.

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig. Bei der Auftraggeberin handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um förmliche Postzustellungen und damit um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 und Abs. 4 GWB, für den gem. § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) ein Schwellenwert von 200.000 EUR gilt. Bereits unter Zugrundelegung des von der Auftraggeberin ermittelten niedrigsten, zuschlagsfähigen Angebotes der Beigeladenen von 3,93 EUR/brutto je Zustellung und der von der Auftraggeberin bekannt gemachten, geschätzten Anzahl von 600 bis 650 förmlichen Zustellungen pro Tag wird der Schwellenwert von 200.000 EUR über die einjährige Vertragslaufzeit vom 01.07.2005 bis 30.06.2006 bei weitem überschritten. Unter Zugrundelegung von 5 Zustellungstagen pro Woche beträgt der Gesamtauftragswert mindestens 47.160 EUR inkl. Mehrwertsteuer monatlich und damit 565.920 EUR inkl. Mehrwertsteuer über den gesamten ausgeschriebenen einjährigen Vertragszeitraum.

37

Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie vorträgt, die Beigeladene müsse wegen Abweichungen von Festlegungen der Verdingungsunterlagen von der Angebotswertung ausgeschlossen werden, weil diese nicht, wie gefordert, beabsichtige, die Zustellungen in eigener Verantwortung und im eigenen Betrieb durchzuführen. Sie, die Antragstellerin, wisse aufgrund einer von der Beigeladenen in einem anderen Verfahren abgegebenen eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers der zur Beigeladenen gehörenden Firma xxxxxxx GmbH vom 11.03.2005, dass die Beigeladene teilweise Briefe zur Auslieferung an die Deutsche Post AG übergebe. Eine derartige Einschaltung der Deutschen Post AG als Nachunternehmer sei bei der Beigeladenen aber nicht möglich, weil diese im Gegensatz zur Antragstellerin keinen entsprechenden Rahmenvertrag mit der Deutschen Post AG abgeschlossen habe. Die Antragstellerin hat damit ein Rechtsschutzbedürfnis im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB dargelegt. Diesbezügliche Anforderungen an die Darlegungslast dürfen nichtüberspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, VergabeR, 2. Auflage, § 107, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat zumindest schlüssig vorgetragen, dass sie bei aus ihrer Sicht vergaberechtskonformer Angebotswertung und bei Ausschluss des Angebots der Beigeladenen, wie von der Antragstellerin gefordert, zumindest eine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte. Es ist im Übrigen nicht erforderlich, dass die Antragstellerin auch schlüssig darlegt, dass sie bei vergabekonformem Verhalten der Auftraggeberin den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, S. 24).

38

Die Antragstellerin ist aber nur teilweise ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB muss der Bieter im Vergabeverfahren positiv erkannte Vergaberechtsverstöße unverzüglich gegenüber dem Auftraggeber rügen. Diese Rügepflicht entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für diese positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2002, Az.: Verg 9/02). Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs erfolgte die mit Anwaltsschriftsatz vom 06.10.2005 abgesetzte Rüge nur insoweit unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB, als sie sich gegen die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen wendete. Von dieser Absicht hat die Antragstellerin erstmals aufgrund der Informationen der Auftraggeberin vom 30.09.2005 gem. § 13 VgV erfahren. Die Frage, ob eine Rüge noch unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. Nach der Rechtsprechung muss die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich binnen 1 bis 3 Tagen erfolgen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/00; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Eine Rügefrist von 2 Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 45 ff.) kann einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin das Informationsschreiben gem. § 13 VgV vom 30.09.2005 zwar nach eigenen Angaben noch am gleichen Tage erhalten. Unter Berücksichtigung des zwischen Erhalt der Information und Absetzung des Rügeschreibens liegenden verlängerten Wochenendes (aufgrund des auf Montag, den 03.10.2005 fallenden Feiertages) erfolgte die mit Anwaltsschriftsatz vom 06.10.2005 und damit innerhalb von 3 Werktagen ausgesprochene Rüge aber noch rechtzeitig. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragstellerin auf der Grundlage des Informationsschreibens gem. § 13 VgV einen Rechtsanwalt mit der Prüfung der Rechtslage und Absetzung der Rüge beauftragt hat.

39

Diese Rüge vom 06.10.2005 erfolgte jedoch nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 1 Satz 3 GWB, soweit sich die Antragstellerin damit erstmalig gegen die Vermengung von Wirtschaftlichkeits- und Eignungskriterien wendete. Bereits mit Bekanntmachung vom 04.02.2005 hatte die Auftraggeberin die Bieter darauf hingewiesen, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich der Kriterien Preis, Zuverlässigkeit und Fachkunde - ohne Festlegung der Priorität - erteilt werden solle. Von dieser Tatsache hatte die Antragstellerin spätestens im Zeitpunkt der Angebotslegung positive Kenntnis, da sie diese Kriterien bei der Kalkulation ihres Angebotes notwendigerweise berücksichtigen musste. Selbst wenn die Antragstellerin in diesem Zusammenhang bis zur Konsultation ihres Rechtsanwaltes diesbezüglich aber keine positive Kenntnis von einem vermeintlichen Vergaberechtsverstoß gehabt haben sollte, greift im vorliegenden Fall die Präklusionsvorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB. Danach ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Die Erkennbarkeit der nunmehr beanstandeten Vermengung von Wirtschaftlichkeits- und Eignungskriterien für die Erteilung des Zuschlages war für einen fachkundigen Bieter aus der Vergabebekanntmachung vom 04.02.2005 ohne weiteres gegeben. Diesbezüglich ist der Nachprüfungsantrag daher gem. § 107 Abs. 3 GWB unzulässig.

40

2.

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise begründet. Die Auftraggeberin hat gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie versäumt hat, alle Stufen der Angebotswertung in einem den Anforderungen des § 30 Nr. 1 VOL/A genügenden Vergabevermerk zu dokumentieren. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes gem.§ 25 Nr. 3 VOL/A außer dem Kriterium des niedrigsten Angebotspreises auch die übrigen gem. § 9 a VOL/A bekannt gemachten Zuschlagskriterien berücksichtigt wurden (im Folgenden a). Nur in dieser Hinsicht ist die Antragstellerin im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Dagegen ist die Auftraggeberin entgegen der Auffassung der Antragstellerin weder gehalten noch berechtigt, das Angebot der Beigeladenen wegen vermeintlichen Abweichens von Festlegungen der Verdingungsunterlagen von der Angebotswertung auszuschließen. Die Voraussetzungen des§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A i.V.m. § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A liegen nicht vor. Vielmehr hat auch die Beigeladene entsprechend der Vorgabe gem. Ziffer 4.1 der Besonderen Vertragsbedingungen der Auftraggeberin uneingeschränkt angeboten, die Zustellung in eigener Verantwortung auszuführen (im Folgenden b).

41

a)

Die Auftraggeberin hat entgegen § 30 VOL/A versäumt, wichtige Verfahrensschritte zu dokumentieren, so dass die Angebotswertung in der 4. Stufe - gemessen an den Vorgaben des Transparenzgebotes gem. § 97 Abs. 1 GWB - nicht hinreichend nachvollziehbar ist. Es ist nicht dokumentiert, ob und ggf. mit welchem Ergebnis bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes außer dem Kriterium des "niedrigsten Angebotspreises" auch die übrigen von der Auftraggeberin in der Vergabebekanntmachung ausdrücklich als Zuschlagskriterien genannten Kriterien "Zuverlässigkeit" und "Fachkunde" berücksichtigt wurden. Die an einem Vergabeverfahren beteiligten Bieter haben gem. § 97 Abs. 7 GWB ein subjektives Recht auf ausreichende Dokumentation des Vergabeverfahrens und insbesondere der wesentlichen Entscheidungen im Vergabeverfahren (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss v. 03.08.1999, NZBau 2000, S. 44 ff.).

42

Gemäß § 30 VOL/A ist über die Vergabe ein Vermerk zu fertigen, der die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellungen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthält. Sinn dieser Bestimmung ist es, die Überprüfbarkeit der im Rahmen des Vergabeverfahrens getroffenen Feststellungen und Entscheidungen herbeizuführen (vgl. Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 30, Rdnr. 1 ff., Rdnr. 11; für die wortgleiche Regelung in der VOB/A vgl. Franke/Grünhagen, VOB, A § 30, Rdnr. 1, m.w.N.). Der Anwendungsbereich des§ 30 Nr. 1 VOL/A erstreckt sich ebenso wie im Falle des§ 30 Nr. 1 VOB/A dabei sowohl auf den formalen Verfahrensablauf als auch materiell auf die Maßnahmen, Feststellungen und die Begründung der einzelnen Entscheidungen. Der Vergabevermerk ist chronologisch zu fassen und muss sich dabei an der in der VOL/A bzw. VOB/A vorgeschriebenen Reihenfolge orientieren (vgl. Beck'scher VOB-Kommentar, A § 30, Rdnr. 12). Zu den materiellen Entscheidungen zählen insbesondere die Entscheidungen, bei denen die Vergabestelle eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, die Prüfung der Angebote, Angaben über Verhandlungen mit Bietern und deren Ergebnis sowie das Ergebnis der Wertung der Angebote (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 30.04.2001, Az.: 1/SVK/23-01). Ebenso sind im Vergabevermerk die Gründe für die Erteilung des Zuschlags auf das betreffende Angebot anzugeben. Es ist eine nach § 30 Nr. 1 VOL/A zwingende Pflicht des Auftraggebers, die Auswahlentscheidung als wesentliche Entscheidung in nachvollziehbarer Weise zu dokumentieren, um für den Bewerber die erforderliche Überprüfbarkeit zu Gewähr leisten (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss v. 08.03.1999, a.a.O.). Eine fehlende Dokumentation wesentlicher Schritte bis zur Vergabeentscheidung ist daher rechtsfehlerhaft und führt zur Nichtnachvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidung. Daraus folgt, dass im Vermerk die Gründe so dezidiert festzuhalten sind, dass auch einem Außenstehenden bei Kenntnis der Angebotsinhalte deutlich erkennbar und nachvollziehbar wird, warum gerade auf das betreffende Angebot der Zuschlag erteilt werden soll. Mängel in der Erkennbarkeit und der Nachvollziehbarkeit in diesem Bereich gehen daher zu Lasten der Vergabestelle.

43

Zwar hat die Verwaltung der Auftraggeberin ausweislich der Vergabeakte die Angebote geprüft und einen kurzen Vergabevermerk in die Vergabeakte aufgenommen, der mit der Empfehlung schließt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Dieser Vergabevermerk beschränkt sich jedoch im Wesentlichen auf eine tabellarische Vollständigkeitsprüfung und eine Preisgegenüberstellung der einzelnen Angebote (Blatt 91 der Vergabeakte). Darüber hinaus setzt sich der dieser Liste beigefügte schriftliche Vermerk (Blatt 90 der Vergabeakte) lediglich in ausreichender Weise mit dem Ausschluss zweier Angebote auseinander. In einem Fall erfolgte der Ausschluss, weil das Angebot ausdrücklich als Nebenangebot deklariert wurde, obwohl Nebenangebote nach den Verdingungsunterlagen ausdrücklich nicht zugelassen worden waren. Im anderen Fall erfolgte der Ausschluss gem. § 25 Nr. 1 Abs. 2 lit. a VOL/A, weil der Bieter nicht die geforderte Lizenz zur gewerbsmäßigen Beförderung von Briefsendungen der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post beigefügt hatte. ImÜbrigen beschränkt sich die Dokumentation dagegen auf folgende Feststellung:

"Die verbleibenden vier Angebote waren bis auf das Angebot der Firma xxxxxx (Beigeladene) ebenfalls nicht vollständig, wobei die bei diesen Angeboten fehlenden Unterlagen nicht zwangsläufig zum Ausschluss führen. Da die Firma xxxxxx als Einziger Anbieter sämtliche geforderten Unterlagen vorgelegt hat und auch das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat, wird beabsichtigt, den Auftrag an die Firma xxxxxx zu vergeben. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen der Firma xxxxxx wird sowohl von Fachkunde als auch Zuverlässigkeit der Firma xxxxxx ausgegangen."

44

Hinsichtlich der 4. Wertungsstufe, der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes, ist der Vermerk damit nur ausreichend, um die Wertung anhand des Zuschlagskriteriums "Preis" zu dokumentieren. In keiner Weise dokumentiert ist dagegen, ob, in welcher Weise und ggf. mit welchem Ergebnis die übrigen gem. § 9a VOL/A bekannt gemachten Zuschlagskriterien bei der Angebotswertung berücksichtigt wurden. In der Vergabebekanntmachung vom 04.02.2005 hatte sich die Auftraggeberin unter Ziffer IV.2 (Zuschlagskriterien) wie folgt festgelegt:

"Das wirtschaftlich günstigste Angebot. Bezüglich der nachstehenden Kriterien: 1. Preis, 2. Zuverlässigkeit, 3. Fachkunde."

45

Dabei wurde darauf hingewiesen, dass diese Kriterien nicht in der Reihenfolge ihrer Priorität aufgeführt wurden. Gemäß § 25 Nr. 3 VOL/A ist der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend. Die einschlägigen Auftragsvergaberichtlinien der EU legen übereinstimmend fest, dass für die Auftragsvergabe grundsätzlich zwei Kriterien maßgebend sein dürfen. Der öffentliche Auftraggeber darf entweder den Anbieter auswählen, der den niedrigsten Preis anbietet, oder denjenigen Anbieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot abgegeben hat (vgl. Artikel 36 der Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie RL 92/50/EWG, ABl. EG Nr. 1 209/1; Artikel 34 der Baukoordinierungsrichtlinie RL 93/37/EWG, ABl. EG Nr. 1 199/54; Artikel 26 der Lieferkoordinierungsrichtlinie RL 93/36/EWG, ABl. EG Nr. 1 199/1).

46

Der deutsche Gesetzgeber hat sich in § 97 Abs. 5 GWB jedoch zulässigerweise ausdrücklich dafür entschieden, dem Kriterium "wirtschaftlichstes Angebot", den Vorzug vor dem ebenfalls zulässigen Kriterium "niedrigster Preis" zu geben. Das deutsche Recht schließt damit nicht aus, dass die preisliche Beurteilung des Angebotes im Rahmen der Prüfung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes eine maßgebliche Rolle spielt. Der Preis ist nach dem deutschen Vergaberecht vielmehr regelmäßig das wichtigste, aber eben nicht das allein entscheidende Kriterium (vgl. Boesen, VergabeR, § 97, Rdnr. 144). Der Auftraggeber ist in der Angebotswertung an die von ihm bekannt gemachten Zuschlagskriterien gem. §§ 97 Abs. 5 GWB, 25 Nr. 3 VOL/A und § 9a VOL/A gebunden. Nur in den Fällen, in denen der öffentliche Auftraggeber die Zuschlagskriterien gar nicht bekannt gemacht hat oder ausdrücklich nur das Kriterium "Preis" benannt hat, kann und darf ausschließlich der niedrigste Preis als Zuschlagskriterium bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zu Grunde gelegt werden (vgl. OLG Schleswig, VergabeR 2001, S. 214 ff.; Kulartz in: Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz, Vergaberecht, § 97 GWB, Rdnr. 209; Noch in: Müller-Wrede, VOL/A, § 25, Rdnr. 139; Kulartz in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 25, Rdnr. 43, m.w.N.; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Auflage, § 25a, VOB/A, Rdnr. 3).

47

Da sich der in der Vergabeakte enthaltene Vergabevermerk über die Begründung des Ausschlusses zweier Angebote hinaus lediglich auf die Dokumentation der Vollständigkeit der Angebote sowie eine Preisgegenüberstellung beschränkt, ist die Überprüfung der Angebote anhand der übrigen Zuschlagskriterien bislang überhaupt nicht dokumentiert. Es ist vielmehr im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass diese Kriterien bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes bislang ausdrücklich nicht berücksichtigt wurden. Nach Bekanntgabe der Zuschlagskriterien darf der Auftraggeber Kriterien aber nicht mehr aufheben, ändern oder ergänzen und bei der Wertung der Angebote auch nicht mehr von ihnen abweichen, da er sonst gegen tragende Grundsätze des Vergabeverfahrens - die Selbstbindung des Auftraggebers und den Vertrauensschutz für die Teilnehmer am Wettbewerb sowie das Gleichbehandlungs- und das Transparenzgebot - eklatant verstoßen würde (vgl. Zdzieblo in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 9a, Rdnr. 11, m.w.N.).

48

Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass es sich bei den von der Auftraggeberin als Wirtschaftlichkeitskriterien genannten Kriterien Zuverlässigkeit und Fachkunde eigentlich um Kriterien handelt, die im Vergabeverfahren nur auf der Stufe der Eignungsprüfung gem. § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A zu prüfen sind. Nach § 97 Abs. 4 GWB sind Aufträge an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu vergeben. In einem gesonderten Prüfungsschritt hat der Auftraggeber somit festzustellen, ob die Unternehmen, die sich durch Angebotsabgabe an seinem Vergabeverfahren beteiligt haben, diese Eigenschaften erfüllen. Nur die Angebote derjenigen Unternehmen, die diese Voraussetzungen erfüllen, sind dann in einem weiteren Wertungsschritt miteinander zu vergleichen. Bei diesem Angebotsvergleich wiederum wendet der Auftraggeber die von ihm anfänglich festgelegten Zuschlagskriterien an. Er darf grundsätzlich nicht, wie der systematische Aufbau der Vorschriften aus § 97 Abs. 4 und 5 GWB und § 25 Nr. 2 und Nr. 3 VOL/A zeigt, bei der Angebotswertung nochmals einfließen lassen, von welchem der Unternehmen ein Angebot stammt, ob es also von einem aus seiner Sicht besonders leistungsfähigen oder besonders erfahrenen Unternehmen abgegeben wurde (vgl. Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB, Rdnr. 257, m.w.N.). Ausnahmsweise können derartige Zuschlagskriterien - namentlich besondere Erfahrungen eines Bieters - jedoch dann in die letzte Wertungsstufe eingestellt werden, wenn sie sich leistungsbezogen auswirken und damit die Gewähr für eine bessere Leistung bieten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 05.02.2003, Az.: Verg 58/02; Beschluss vom 25.02.2004, Az.: Verg 77/03). In diesem Ausnahmefall kann es gerechtfertigt sein, einen Bieter den anderen, nach Prüfung und Feststellung des Auftraggebers weniger leistungsfähigen, zuverlässigen und fachkundigen Bietern vorzuziehen. Die Auftraggeberin hat im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens die Berücksichtigung der Kriterien "Zuverlässigkeit" und "Fachkunde" in vergaberechtlich nicht zu beanstandender Weise damit begründet, dass sich die in diesem Rahmen verlangte Zuverlässigkeit nicht auf das Unternehmen, sondern auf die Zuverlässigkeit der Zustelltätigkeit selbst bezieht. Hierzu zählen Merkmale wie Dauer der Zustellung, Umgang mit unzustellbaren Sendungen etc. Es handelt sich mithin um Kriterien, die unmittelbar die Qualität des Produktes "Förmliche Zustellungen" beschreiben. Gleiches gilt auch für das Kriterium der Fachkunde. Fachkunde und Erfahrung können bei der Beurteilung des Preis-Leistungs-Verhältnisses für die hier konkret ausgeschriebenen förmlichen Zustellungen eine erhebliche Bedeutung erlangen. Auf der Grundlage der zitierten Rechtsprechung des OLG Düsseldorf wie auch der gleich lautenden Rechtsprechung der VK Brandenburg (vgl. Beschluss v. 20.10.2003, Az.: VK 56/04), der sich die VK Lüneburg anschließt, ist die von der Auftraggeberin in der Bekanntmachung angekündigte zusätzliche Berücksichtigung der Kriterien Zuverlässigkeit und Fachkunde im Rahmen der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes daher nicht zu beanstanden.

49

Da die Auftraggeberin jedoch versäumt hat, die Prüfung der Angebote und das Ergebnis auch anhand dieser Kriterien in der Vergabeakte festzuhalten, ist sie gehalten, die Auseinandersetzung mit den übrigen Zuschlagskriterien im Rahmen einer erneuten Wertung nachzuholen und Wertung und Ergebnis in einem den Anforderungen des § 30 VOL/A genügenden Vergabevermerk in der Vergabeakte zu dokumentieren. Dabei ist die Auftraggeberin zur Wahrung des Transparenz- und Gleichbehandlungsgebots gehalten, alle drei Kriterien mit gleicher Gewichtung zu berücksichtigen. Dies folgt daraus, dass die Auftraggeberin weder in der Vergabebekanntmachung noch in den Verdingungsunterlagen eine Gewichtung festgelegt hat. Dazu ist ein öffentlicher Auftraggeber zwar nicht ausdrücklich verpflichtet. Dies folgt aus § 9a VOL/A. Danach geben die Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung alle Zuschlagskriterien an, deren Verwendung sie vorsehen, möglichst in der Reihenfolge der zuerkannten Bedeutung. Der öffentliche Auftraggeber ist daher nach dem Wortlaut des § 9a VOL/A nicht zwingend verpflichtet, eine Bewertungsmatrix vorab zu veröffentlichen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf Unterkriterien und deren Gewichtung (vgl. Kulartz, in: Daub/Eberstein, 5. Auflage, § 25, Rdnr. 44). Hat eine Vergabestelle jedoch - wie im vorliegenden Fall - in der Vergabebekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen ausdrücklich betont, dass die Reihenfolge, in der die Zuschlagskriterien genannt sind, bei der Wertung keine Reihenfolge ist, muss davon ausgegangen werden, dass die aufgeführten Kriterien für die Zuschlagserteilung alle gleich zu gewichten sind (vgl. VK Thüringen, Beschluss v. 15.11.2002, Az.: 216-403.20-032/02-G-S; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB, Rdnr. 375). Andernfalls hätte es der Auftraggeber noch nach Öffnung der Angebote in der Hand, über eine nachgeholte Gewichtung Einfluss auf die Rangfolge der Angebote zu nehmen. Dies würde aber sowohl dem Transparenzgebot als auch dem Gleichbehandlungsgebot zuwiderlaufen.

50

b)

Dagegen war und ist die Auftraggeberin entgegen der Auffassung der Antragstellerin weder gehalten noch berechtigt, das Angebot der Beigeladenen wegen vermeintlicher Abweichungen von Festlegungen der Verdingungsunterlagen von der Angebotswertung auszuschließen. Die entsprechenden Voraussetzungen gem.§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A i.V.m. § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A liegen nicht vor. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass die Beigeladene nicht in der Lage sei, die ausgeschriebene bundesweite Zustellung entsprechend der Ausschreibung vollständig selbst, durch Erfüllungsgehilfen oder Nachunternehmer zu vollbringen. Zum Beweis dieser Behauptung stützt sich die Antragstellerin auf eine in einem anderen Verfahren erlangte eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Beigeladenen vom 11.03.2005, in welcher dieser unter anderem erklärt, dass die Beigeladene teilweise Briefe zur Auslieferung an die Deutsche Post AG übergibt. Dort heißt es:

51

"Ein geringer Anteil der uns übergebenen Briefe ist für Empfänger bestimmt, die in Gebieten wohnen, die von uns zurzeit noch nicht bedient werden. Gemäß den vertraglichen Vereinbarungen mit unserem Auftraggeber übergeben wir diese Briefe zur Auslieferung an die Deutsche Post AG. In solchen Fällen agieren wir als Erfüllungsgehilfe unseres Auftraggebers. Das der Auslieferung durch die Deutsche Post AG zu Grunde liegende Vertragsverhältnis besteht gemäß den AGB der Deutschen Post AG zwischen unserem Auftraggeber und der Deutschen Post AG. Eine Beauftragung der Deutschen Post AG durch uns und damit die Einschaltung der Deutschen Post AG als Subunternehmer findet in dieser Konstellation nicht statt."

52

Die Beigeladene teilt daher zumindest ausweislich dieser eidesstattlichen Versicherung entgegen ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung die Auffassung der Antragstellerin, dass sich die Deutsche Post AG im Falle einer Aufgabe von förmlichen Zustellungen durch ein privates Zustellungsunternehmen nicht als Subunternehmer dieses privaten Zustellungsunternehmens, sondern als unmittelbarer Vertragspartner des Absenders und damit des öffentlichen Auftraggebers sieht. Für einen Nachunternehmer dagegen ist jedoch gerade kennzeichnend, dass er sich zwar an der Erbringung von Teilen der vom Auftraggeber gewünschten Leistung beteiligt, vertraglich aber nur an den Hauptunternehmer, nicht hingegen an den Auftraggeber gebunden ist. Zwischen Auftraggeber und Nachunternehmer bestehen daher keine unmittelbaren vertraglichen Rechte und Pflichten. Für die frist- und fachgerechte Ausführung der Nachunternehmerleistung und die Erfüllung etwaiger Mängelansprüche haftet der Hauptunternehmer dem Auftraggeber gegenüber unmittelbar (vgl. Rusam in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Auflage, Einführung zu A§ 8, Rdnr. 8, m.w.N.). Führt ein von einem öffentlichen Auftraggeber beauftragtes privates Zustellungsunternehmen einzelne Zustellungen dergestalt durch, dass sie das mit dem Absender des öffentlichen Auftraggebers versehene Dokument bei der Deutschen Post AG zur Zustellung aufgibt, wird die Deutsche Post AG unmittelbar gegenüber dem Auftraggeber zur Zustellung verpflichtet. Sie wird nicht Subunternehmer des privaten Postbeförderungsunternehmens.

53

Diese von der Antragstellerin aufgeworfene Frage kann jedoch dahinstehen. Die Beigeladene hat in ihrem Angebot vom 30.03.2005 die ausgeschriebene Leistung, wie in den Verdingungsunterlagen gefordert, angeboten. Da das Angebot, wie die Auftraggeberin in der Vergabeakte zu Recht festgestellt hat, zudem vollständig war und insbesondere auch die geforderte Lizenz gemäß § 5 Postgesetz zur gewerbsmäßigen Beförderung von Briefsendungen und die geforderten Referenzen für die Letzten drei Geschäftsjahre enthielt, hat die Auftraggeberin keine Veranlassung, das Angebot der Beigeladenen von der Angebotswertung auszuschließen.

54

Das Angebot der Beigeladenen enthält auch keinen Hinweis auf eine etwaige Einschaltung Dritter, namentlich der Deutschen Post AG. Nur die Antragstellerin selbst hat in Ihrem Angebotsschreiben vom 22.03.2005 auf eine partielle Einschaltung der DP AG hingewiesen. Dort heißt es:

"Für Inselzustellungen, und andere schwierige Zustellungen wurde mit der Deutschen Post AG eine entsprechende Vereinbarung geschlossen. Die Deutsche Post AG hat im Bereich von Postzustellungsaufträgen somit keinem weiteren Wettbewerber den direkten Zugang zum Postsystem gestattet."

55

Die Antragstellerin hatte auf Nachfrage der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie werde den entsprechenden Vertrag mit der DP AG noch zu den Akten reichen. Dies ist nicht erfolgt. Ob ein solcher Vertrag existiert, kann aber auch dahinstehen. Der von der Antragstellerin behauptete "Exklusivvertrag" oder ein sog. Teilleistungsvertrag, in dem einem Großkunden ein Portonachlass dafür eingeräumt wird, dass dieser selbst einige Arbeitsschritte wie etwa Sortierarbeiten pp. erledigt, spielt allenfalls für die Kalkulation der Antragstellerin eine Rolle. Er hat aber für die Auftraggeberin und die streitbefangenen Zustellungsdienstleistungen selbst keine Bedeutung, da in der Ausschreibung von den Bietern ein einheitlicher Preis für die bundesweite Zustellung verlangt wurde. Zudem bleibt die DP AG aufgrund der Nichtdiskriminierungsregelung des § 2 Postdienstleistungsverordnung (PDLV) vom 21.08.2001 (BGBl. I. S. 2178) als marktbeherrschender Anbieter von Postdienstleistungen ohnehin verpflichtet, die Leistungen auf diesem Markt jedermann zur Verfügung zu stellen. Sie müsste also ggf. auch eine von der Beigeladenen aufgegebene, mit dem Absender der Auftraggeberin versehene Sendung förmlich zustellen.

56

Im Übrigen vertritt die Vergabekammer die Auffassung, dass eine partielle Einschaltung der Deutschen Post AG durch das private Postbeförderungsunternehmen für einzelne deutschlandweite Zustellungen ungeachtet einer ausdrücklichen Erwähnung in den Verdingungsunterlagen vergaberechtlich zulässig und nicht als Abweichung von den Festlegungen der Verdingungsunterlagen zu werten ist (ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.07.2005, Az.: VII - Verg 19/05). Gemäß Ziffer 4.1 der Besonderen Vertragsbedingungen der Stadt xxxxxxx für die Ausführung von Lieferungen und Leistungen gemäß VOL, die der streitbefangenen Ausschreibung zu Grunde gelegt wurde, hat die Auftragnehmerin bzw. der Auftragnehmer die vertraglich vereinbarte Leistung in eigener Verantwortung zu erstellen bzw. auszuführen. Dem steht nicht entgegen, wenn ein beauftragtes privates Zustellungsunternehmen einzelne Zustellungsaufträge an entlegene Orte innerhalb des Bundesgebietes nicht mit eigenen Mitarbeitern und Fahrzeugen zum Adressaten bringt, sondern den Weg über eine portopflichtige Aufgabe des Dokuments bei der Deutschen Post AG wählt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die DP AG alle Eignungsanforderungen der streitbefangenen Ausschreibung erfüllt und darüber hinaus bundesweit flächendeckend tätig ist. Die Auftraggeberin wird daher nicht schlechter gestellt als in dem Fall, in dem sich der Vertragspartner eines zugelassenen Nachunternehmers oder eigenen Personals bedient. Entscheidend ist für die Auftraggeberin in diesem Fall allein, dass auch die über die Deutsche Post AG durchgeführten Zustellungen lediglich zu dem vom Bieter angebotenen bundesweiten Einheitspreis abgerechnet werden. Diese Vorgabe aber wird von sämtlichen Angeboten im streitbefangenen Vergabeverfahren Gewähr leistet.

57

c)

Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist die Auftraggeberin aber auch nicht gehalten, das Angebot der Antragstellerin wegen fehlender Eignungsnachweise von der Angebotswertung auszuschließen. Richtig ist, dass die Antragstellerin ihrem Angebot nur Referenzen für das Geschäftsjahr 2004 beigefügt hat. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Antragstellerin erst mit Handelsregistereintrag vom 23.06.2003 als Gesellschaft gegründet wurde. Die Auftraggeberin hatte die Bieter mit ihrem Schreiben zur Angebotsaufforderung vom 15.02.2005 u.a. gebeten, dem Angebot eine Liste der wesentlichen in den letzten 3 Jahren erbrachten vergleichbaren Leistungen beizufügen. Dadurch ist die Auftraggeberin aber entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht gehindert, auch die Angebote von "Newcomern" zu berücksichtigen, die wie die Antragstellerin noch keine 3 Jahre am Markt sind. Die Auftraggeberin hat sich vielmehr im Rahmen des ihr gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A eingeräumten Ermessens gehalten, als sie die Antragstellerin als geeignet einstufte, zumal auch die Antragstellerin ihrem Angebot die für die streitbefangene Leistung gesetzlich zwingend erforderliche Lizenz zur gewerbsmäßigen Beförderung von Briefsendungen gemäß § 5 Postgesetz (PostG) beigefügt hatte. Im Übrigen ist zu beachten, dass die Regelung des§ 25 Nr. 1 Abs. 2 lit. a VOL/A zum Angebotsausschluss wegen fehlender Angaben und Erklärungen im Gegensatz zur zwingenden Regelung des § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b VOB/A ausdrücklich nur fakultativ ausgestaltet ist und dem Auftraggeber ein Ermessen im Falle der Nichtbeibringung einräumt. Dieses ist nur dann auf Null reduziert, wenn der Auftraggeber sich in den Verdingungsunterlagen ausdrücklich selbst hinsichtlich eines zwingenden Ausschlusses gebunden hat. Dies setzt jedoch wiederum voraus, dass der Auftraggeber die mit Angebotsabgabe geforderte Erklärung oder Angabe ausdrücklich zur Mindestbedingung erhebt und die Bieter außerdem deutlich auf den automatischen Ausschluss im Falle der Nichtvorlage hinweist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24.02.2004, Az.: 13 Verg 3/04). Eine entsprechende Selbstbindung ist die Auftraggeberin aber im vorliegenden Fall nicht eingegangen.

58

Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Wegen der oben unter 2 a festgestellten Verstöße gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot ist es erforderlich, die Auftraggeberin zu verpflichten, die Angebotswertung erneut durchzuführen, dabei sämtliche von ihr mit den Verdingungsunterlagen bekannt gemachten Zuschlagskriterien zu berücksichtigen und Prüfung und Ergebnis der Bewertung in einem den Anforderungen des § 30 VOL/A genügenden Vergabevermerk zu dokumentieren. Die Vergabekammer weist darauf hin, dass die Auftraggeberin nach erneuter Wertung sämtliche Bieter gem. § 13 VgV mindestens 14 Tage vor der Zuschlagserteilung ordnungsgemäß zu informieren hat. Im Übrigen war der Nachprüfungsantrag dagegen aus den unter 2 b dargelegten Gründen zurückzuweisen. Die Auftraggeberin ist weder gehalten noch berechtigt, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen.

59

III.

Kosten

60

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art.7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 EUR, die Höchstgebühr 25.000 EUR bzw. in Ausnahmefällen 50.000 EUR beträgt.

61

Es wird eine Gebühr in Höhe von 2.676 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

62

Der zu Grunde zu legende Auftragswert für den streitbefangenen Gesamtauftrag beträgt nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung 630.240 EUR. Dieser Betrag entspricht dem Angebot der Antragstellerin (4,04 EUR inkl. MwSt. pro förmliche Zustellung), unter Berücksichtigung der von der Auftraggeberin unter Ziffer II. 1.6 der Vergabebekanntmachung vom 04.02.2005 genannten voraussichtlichen Zahl der Zustellungen pro Tag von 600 bis 650 und unter Zugrundlegung von 5 Behördentagen in der Woche über die gesamte ausgeschriebene einjährige Vertragslaufzeit (= mind. 12.120 EUR/Woche x 52). Der Wert entspricht damit dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

63

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 630.240 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 2.676 EUR.

64

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

65

Die in Ziffer 2 des Tenors verfügte Aufteilung der Kosten auf die Antragstellerin und die Auftraggeberin folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nur teilweise begründet war. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Berücksichtigung des Angebotes der Beigeladenen wendet, war der Nachprüfungsantrag dagegen erfolglos. Die anteilige Kostentragungspflicht entspricht daher dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens im Nachprüfungsverfahren (vgl. Beschluss des OLG Celle vom 06.06.2003, Az.: 13 Verg 5/03).

66

Die Auftraggeberin ist jedoch von der Entrichtung ihres Kostenanteils gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG von der Kostentragungspflicht befreit(vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04).

67

Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.

68

Der Kostenanspruch ist wegen des teilweise Unterliegens der Antragstellerin jedoch auf 2/3 zu begrenzen. Die Auftraggeberin selbst war nicht anwaltlich vertreten.

69

Kosten der Beigeladenen:

70

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen folgt aus analoger Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO. Dort ist für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geregelt, dass die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig sind, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Die analoge Anwendung dieser Vorschrift zu Gunsten eines obsiegenden Beigeladenen ist im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer geboten (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 155, 158; sowie OLG Düsseldorf, Beschluss v. 15.06.2000, Az.: Verg 6/00). Die für eine analoge Anwendung von Vorschriften erforderliche Regelungslücke ergibt sich daraus, dass gem. § 128 Abs. 4 Satz 2 lediglich geregelt wird: "Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen des Antragsgegners zu tragen. § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder gelten entsprechend." Eine daraus folgende Ungleichbehandlung eines Beigeladenen gegenüber den anderen Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens wäre jedoch nicht sachgerecht, zumal der Beigeladene schließlich gem. § 109 GWB deshalb den Beteiligten-Status erhält, weil "dessen Interessen durch die Entscheidung schwer wiegend berührt werden".

71

Einerseits darf daher zwar für den Antragsteller durch (mögliche) Beiladungen kein unkalkulierbares und damit abschreckendes Kostenrisiko entstehen. Andererseits dürfen aber auch Kosten des Beigeladenen nicht zu einer Waffenungleichheit zu seinen Lasten führen (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 128, Rdnr. 1034).

72

Unter Berücksichtigung dieser sachgerechten Grundsätze entspricht es im vorliegenden Fall der Billigkeit i.S.d. hier analog anzuwendenden § 162 Abs. 3 VwGO, dass die unterlegene Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nachprüfungsverfahren erforderlichen Aufwendungen der Beigeladenen, zu denen auch die Kosten einer in einem derartig komplexen, nicht nur materielles Vergaberecht, sondern auch prozessuale Rechtsfragen berührenden Verfahren ohne weiteres erforderlichen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gehören, zu tragen hat.

73

Der Kostenanspruch der Beigeladenen ist wegen des überwiegenden Obsiegens der Antragstellerin jedoch auf 1/3 zu begrenzen.

74

Die Antragstellerin wird aufgefordert, den anteiligen Betrag von 892 EUR unter Angabe des Kassenzeichens xxxxxxxxxxxxxxxx innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses auf folgendes Konto zu überweisen: xxx.

Gause
Rohn
Dierks