Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 17.05.2005, Az.: VgK-16/2005
Abschluss von Verträgen zur Teilprivatisierung der Stadtreinigung im Rahmen eines Vergabeverfahrens; Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags trotz erteilten Zuschlags durch die Vergabekammer; Einkapselung der Veräußerung von Geschäftsanteilen in öffentliche Dienstleistungsaufträge ; Klarstellung und Ergänzung von bestehenden Dienstleistungsverträgen nach Auftragszuschlag; Voraussetzungen für die Ausschöpfung der von der Rechtsprechung maximal zugestandenen Rügefrist des Vergabeverfahrens; Vertstreichen der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts auf Durchsetzung eventueller vergaberechtlicher Ansprüche
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 17.05.2005
- Aktenzeichen
- VgK-16/2005
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 21771
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 98 Nr. 1 GWB
- § 99 Abs. 2 GWB
- § 100 Abs. 1 GWB
- § 107 Abs. 2 S. 1 GWB
- §127 GWB
Verfahrensgegenstand
Privatisierung der Stadtreinigung xxx
Die Vergabekammer hat
durch
die Vorsitzende ORR'in Dr. Raab,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ökonom Brinkmann
ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
- 3.
Die Kosten werden auf 2.500EUR festgesetzt.
- 4.
Die Antragstellerin hat der Auftraggeberin und der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war sowohl für die Auftraggeberin als auch für die Beigeladene notwendig.
Begründung
I.
Die Auftraggeberin hat im Jahre 2000 Interessenten für die geplante Teilprivatisierung ihrer Stadtreinigung europaweit gesucht. Sie hatte erklärt, dass sie 10 Bewerber zur Angebotsabgabe auffordern werde. Einer der Bieter, die sich um die Minderheitsbeteiligung von 49% und die zu beauftragenden Dienstleistungen - Straßenreinigung und Winterdienst, Abfallsammlung und Abfallentsorgung - bemühten, war die Firma xxx, die jetzt unter dem Namen der Antragstellerin firmiert.
Nach Angaben des Auftraggebers musste das Angebot ausgeschlossen werden, da die Fa. xxx nachhaltig gegen Verfahrens- und Vertraulichkeitsbestimmungen verstoßen hatte. Diesen Ausschluss hat die Fa. xxx seinerzeit nicht angefochten. Seinerzeit wurde das Angebot der jetzigen Beigeladenen angenommen.
Im Zuge der Teilprivatisierung wurden am 21. Dezember 2000 verschiedene Verträge beurkundet:
- 1.
Unter der Urkundenrolle-Nr. xxx wurde eine außerordentliche Gesellschafterversammlung beurkundet. In ihr wurde festgehalten, dass die Auftraggeberin als alleinige Gesellschafterin der Fa. xxx ihren Gesellschaftsvertrag vollständig neu fasst.
- 2.
In dem beigefügten Gesellschaftsvertrag wurde festgelegt, dass Gegenstand des Unternehmens die Aufgaben der Straßenreinigung und des Winterdienstes, der Abfallsammlung, Abfallbeseitigung, Abfallverwertung und Abfallentsorgung sowie der Betrieb einer Werkstatt einschließlich Waschanlage und Tankstelle seien. Es wurde auch die Höhe des Stammkapitals festgelegt.
Ferner wurde unter § 6 bei Veräußerung von Geschäftsanteilen durch einen Gesellschafter den Mitgesellschaftern ein Vorkaufsrecht eingeräumt.
- 3.
Unter der Urkundenrollen-Nr. xxx wurde ein Einbringungsvertrag der Auftraggeberin mit der Fa. xxx beurkundet. In ihr wurde festgehalten, dass sie beabsichtige, die bisher von ihr wahrgenommenen Aufgaben nebst dem dafür notwendigen Grundbesitz und den notwendigen Betriebsmitteln in die Fa. xxx einzubringen.
- 4.
Unter der Urkundenrollen-Nr. xxx wurde ein Vertrag über die Durchführung von Aufgaben der Straßenreinigung und des Winterdienstes (Leistungsvertrag I) der Auftraggeberin mit der Fa. xxx beurkundet. Darin wurde festgehalten, dass die bisher von dem Amt 70 als Regiebetrieb nach § 52 Nds. Straßengesetz sowie den Bestimmungen der Straßenreinigungssatzung und der Straßenreinigungsverordnung zu erfüllenden Aufgaben jetzt durch die Fa. xxx erledigt werden.
- 5.
Unter der Urkundenrollen-Nr. xxx wurde ein Vertrag über die Durchführung von Aufgaben der Abfallsammlung und Abfallentsorgung (Leistungsvertrag II) der Auftraggeberin mit der Firma xxx beurkundet. Darin wurde festgehalten, dass die bisher nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz und der Satzung der Stadt xxx über die Abfallentsorgung im Stadtgebiet zu erfüllenden Aufgaben jetzt durch die Fa. xxx erledigt werden.
- 6.
Unter der Urkundenrollen-Nr. xxx wurde ein Rahmenvertrag Betriebshof der Auftraggeberin mit der Fa. xxx beurkundet. Darin wurde festgehalten, dass im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Fa. xxx die zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendigen Betriebsmittel inkl. Fuhrpark und Personal übertragen werden. Es wurden ihr auch die Werkstatt sowie die mit dieser verbundenen Einrichtungen übertragen.
- 7.
Unter der Urkundenrollen-Nr. xxx wurde ein Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag der Auftraggeberin mit der Fa. xxx und der Beigeladenen beurkundet. Dieser Vertrag war das Ergebnis des Teilnahmewettbewerbs der Auftraggeberin. Auf die zuvor beurkundeten Verträge mit Anlagen wurde Bezug genommen.
Mit diesen Verträgen war die Teilprivatisierung der Stadtreinigung abgeschlossen.
Da offenbar zwischen der Auftraggeberin und der Fa. xxx Auslegungsschwierigkeiten hinsichtlich der geschlossenen Verträge bestanden, schlossen die beiden Parteien am 19.05.2004 zu den Leistungsverträgen I + II jeweils eine Klarstellungs- und Ergänzungsvereinbarung und zum Rahmenvertrag Betriebshof eine Klarstellungsvereinbarung.
In der Klarstellungsvereinbarung zum Leistungsvertrag I (Straßenreinigung und Winterdienst) wurde zunächst klargestellt, dass zusätzliche Leistungen, die vom konkreten Leistungsumfang nicht umfasst und auch nach der Ergänzungsvereinbarung mit dem Entgelt nach § 10 Leistungsvertrag I nicht abgegolten sind, gegen Nachweis zum Selbstkostenpreis ohne Berücksichtigung des kalkulatorischen Gewinnaufschlages vergütet werden, sofern die Kosten die jährliche Bagatellgrenze überschreiten. Ferner ging es um die Entgeltreduzierung, falls Leistungen dauerhaft entfallen. Konkret ging es dabei um die Vergütung der manuellen Reinigung der Pflasterung in der Innenstadt rückwirkend zum 01.01.2003. Ferner wurde der Stichtag für das Verfahren zur indexgestützten Anpassung der Leistungsentgelte klargestellt.
In der Ergänzungsvereinbarung zum Leistungsvertrag I ging es um die Anpassung der Entgelte mit Wirkung für die Zukunft und Ermittlung der Entgelte. Dabei waren sich die Parteien einig, dass eine Entgeltanpassung erstmals mit Wirkung zum 01. Januar 2006 bzw. 01. Januar 2011 möglich ist.
In der Klarstellungsvereinbarung zum Leistungsvertrag II (Abfallsammlung und -entsorgung) wurde klargestellt, welchen Umfang die zu erbringenden Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit betreffen (Leistungsspektrum Öffentlichkeitsarbeit und Tätigkeitsbericht der Fa. xxx).
Ferner ging es um die Umsetzung der in § 3 Abs. 1 des LV II geregelten Entsorgung der kompostierbaren Abfälle. Auch wurde die Umsetzung der in § 2 Abs. 1 und 2 des LV II geregelten Entsorgung der Altkleider, PPK-Fraktion und anderer Leistungen (Wertstoffe) vereinbart, die bislang von Dritten für die Auftraggeberin erbracht wurden. Es wurde die Erstattung der nachgewiesenen Mehrkosten für die Erbringung von Leistungen vereinbart, die durch freiwillige Satzungsänderungen des Rates oder eine nach Vertragsabschluss erfolgte Beauftragung verursacht sind.
In der Ergänzungsvereinbarung zum Leistungsvertrag II ging es u.a. um die Ausgangsbasis der Leistungsentgelte und die Anpassung der Struktur und der Höhe der vertraglich vereinbarten Leistungsentgelte.
In der Klarstellungsvereinbarung zum Rahmenvertrag Betriebshof ging es u.a. um die zentrale Fahrzeugbeschaffung für die Stadt und den Einfluss auf die zu zahlenden Servicepauschalen.
Am 18.05.2004 beschloss der Stadtrat der Auftraggeberin die Klarstellungs- und Ergänzungsvereinbarungen zu den Verträgen. Er stimmte dem zwischen der Fa. xxx und der Fa. xxx noch abzuschließenden Kompostvertrag entsprechend § 3 des Leistungsvertrages II zu. Ferner beschloss er die Veräußerung der Geschäftsanteile an die Beigeladene.
Unter der Urkundenrollen-Nr. xxx wurde der Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag der Auftraggeberin mit der Beigeladenen über die 51% der Geschäftsanteile beurkundet.
Das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle genehmigte am 26.07.2004 bzw. erteilte die erforderlichen Negativatteste gemäß § 2 Preisangaben- und Preisklauselgesetz/Preisklauselverordnung.
Mit Datum vom 06.10.2004 genehmigte die zuständige Aufsichtsbehörde die Einredeverzichtserklärung im Rahmen der Forfaitierung bei der Veräußerung der Geschäftsanteile der Fa. xxx an die Beigeladene nach § 93 Abs. 3 NGO.
Bereits mit Schreiben vom 08.04.2004 wandte sich der bevollmächtigte Rechtsanwalt der Antragstellerin an die Auftraggeberin und erklärte, dass er die Interessen eines privaten Unternehmens vertrete. Er bezog sich auf einen Zeitungsartikel vom 27.03.2004 und bat um Mitteilung, warum sie die Veräußerung der 51% Geschäftsanteile nicht dem Wettbewerb unterstelle. Gleichzeitig kündigte er an, sich vergaberechtliche Schritte vorzubehalten.
Nachdem die Auftraggeberin sich mit Schreiben vom 14.04.2004 weigerte, die erbetenen Informationen ohne Namensnennung der Mandantin zu liefern, erklärte der bevollmächtigte Rechtsanwalt der Antragstellerin, dass seine Mandantin als langjährige Akteurin in dieser Branche an den in Rede stehenden Gesellschaftsanteilen Interesse habe und drohte damit, die Europäische Kommission über den Anteilsverkauf zu unterrichten. Die Auftraggeberin teilte dem bevollmächtigten Rechtsanwalt der Antragstellerin am 04.05.2004 erneut mit, dass sie ohne Benennung der Mandantin keine Auskünfte geben werde.
Mit Schreiben vom 11.04.2005, eingegangen in der Vergabekammer am selben Tage, beantragte der bevollmächtigte Rechtsanwalt der Antragstellerin in ihrem Namen die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens. Zur Begründung ihrer Auffassung vertieft er seine Ausführungen hinsichtlich der Veräußerung der 51% Gesellschaftsanteile aus den beiden anonymen Anfragen an die Auftraggeberin. Ferner führt er aus, dass nach ihrem Wissensstand im Zuge der Veräußerung zusätzlich neue Entsorgungsaufträge im Bereich der PPK-Fraktion und Altkleider an die Beigeladene vergeben werden sollen.
Nach Durchführung der Akteneinsicht und dem verfahrensbegleitenden Schreiben der Vergabekammer vom 02.05.2005 vertritt die Antragstellerin weiterhin die Auffassung, dass ihr Nachprüfungsantrag zulässig sei. Die Anteilsveräußerung hätte sehr wohl ausgeschrieben werden müssen.
a)
Durch die erneute Anteilsveräußerung erfolge mittelbar eine umfangreiche Auftragserweiterung zu Gunsten der Beigeladenen.Die Rechtsfrage, ob die Veräußerung von Geschäftsanteilen, in die öffentlichen Dienstleistungsaufträge "eingekapselt" sind, die Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung auslöst, sei im Wege der Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zu beantworten.
b)
Im Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung über 51% der Gesellschaftsanteile seien erhebliche Änderungen in den bestehenden Leistungsverträgen I und II vereinbart worden.
c)
Im Zuge der Vollprivatisierung der Fa. xxx seien substanzielle Neuaufträge zu Gunsten der Beigeladenen bewirkt worden.
Hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages trotz des erteilten "Zuschlags" vertritt die Antragstellerin die Auffassung, dass die Zuschlagserteilung unwirksam sei und damit die abgeschlossenen Verträge nichtig. Ferner sei der verfahrensgegenständliche Vertrag überdies wegen § 138 BGB nichtig. Ferner sei sie auch i.S.d. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da es Sinn und Zweck der Antragsbefugnis sei, Popularklagen auszuschließen. Im Übrigen entstehe in der streitgegenständigen Situation von vornherein keine Rügepflicht gemäß § 107 Abs. 3 GWB, da der BGH ausdrücklich festgestellt habe, dass dieser Vorschrift ein formelles Verfahrensverständnis zu Grunde liegt und sie dementsprechend lediglich "im" (förmlichen) Vergabeverfahren zur Anwendung gelange. Sie habe auch nicht ihre Rechte nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwirkt, da maßgeblich für den Beginn einer Frist immer eine sichere Kenntnis von den konkreten Umständen erforderlich sei. Sie habe jedoch entgegen der Annahme der Auftraggeberin und der Beigeladenen im Jahre 2004 keine gesicherten Erkenntnisse von einer Zuschlagserteilung gehabt.
Die Antragstellerin beantragt:
- 1.
die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Veräußerung von 51 % der Geschäftsanteile an der Fa. (xxx) im Wettbewerb im Wege eines transparenten Verfahrens durchzuführen,
- 2.
die Antragsgegnerin darüber hinaus zu verpflichten, die (Entsorgungs-) Dienstleistungen, die mit der in Ziffer 1 näher bezeichneten Anteilsveräußerung zusammenhängen, insbesondere die Entsorgung der auf dem Gebiet der Antragsgegnerin anfallenden Altkleiderabfälle der PPK-Fraktion und kompostierbaren Abfälle sowie sonstige bislang von Dritten gegenüber der Antragsgegnerin erbrachten (Entsorgungs-) Dienstleistungen im Wettbewerb im Wege eines transparenten Verfahrens zu vergeben,
- 3.
hilfsweise festzustellen, dass der zwischen der Antragsgegnerin und der Fa. xxx abgeschlossene Vertrag zur Veräußerung von 51 % der Geschäftsanteile an der Fa. xxx (xxx) nichtig ist,
- 4.
des Weiteren hilfsweise festzustellen, dass die mit der Fa. xxx geschlossenen Verträge der Antragsgegnerin über die mit der in Ziffer 1 näher bezeichneten Anteilsveräußerung zusammenhängenden (Entsorgungs-)Dienstleistungen insbesondere zur Entsorgung der auf dem Gebiet der Antragsgegnerin anfallenden Altkleider, Abfälle der PPK-Fraktion und kompostierbarer Abfälle sowie sonstigen bislang von Dritten gegenüber der Antragsgegnerin erbrachten (Entsorgungs-) Dienstleistungen nichtig sind,
- 5.
der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen,
- 6.
festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten seitens der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.
Weiterhin wird beantragt, die dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren zu Grunde liegenden Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin beizuziehen und Akteneinsicht gem. § 111 GWB zu gewähren.
Die Auftraggeberin beantragt:
- 1.
die Anträge der Antragstellerin abzuwarten,
- 2.
der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin entstandenen notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen,
- 3.
festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten seitens der Antragsgegnerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.
Weiterhin beantragt sie, der Antragstellerin die beantragte Akteneinsicht zu verwehren, hilfsweise eine Akteneinsicht nur insoweit zu gewähren, als dies zur Beurteilung der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages erforderlich ist.
Die Auftraggeberin tritt den Behauptungen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen.
Sie hält den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig, da die Antragstellerin kein Rechtsschutzbedürfnis nachweisen könne. Weder der Abschluss des Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrags noch der Abschluss der Klarstellungs- und Ergänzungsvereinbarungen würden einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 GWB enthalten. Die abgeschlossenen Klarstellungs- und Ergänzungsvereinbarungen würden Verträge betreffen, die am 21.12.2000 zwischen ihr und der Fa. xxx abgeschlossen wurden.
Besonders im Hinblick auf die Klarstellungsvereinbarungen sei hervorzuheben, dass die Fa. xxx durch den Abschluss des Leistungsvertrages II (Abfallsammlung und -entsorgung) vom 21.12.2000 mit der Erfüllung aller Aufgaben beauftragt wurde, "die der Stadt als Träger der Aufgabe der Abfallsammlung und Abfallentsorgung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz(KrW/AbfG), dem Nds. Abfallgesetz (Nds. AbfG) und der Satzung der Stadt xxx in der jeweils geltenden Fassung obliegen, soweit die Pflicht zur Wahrnehmung dieser Aufgaben nicht durch diese bzw. auf Grund eines Gesetzes anderen obliegt oder übertragen wurde und soweit die Übertragung der Aufgabenerfüllung durch die Stadt auf einen Dritten zulässig ist." (§ 2 Abs. 1 Leistungsvertrag II).
Auch die Vereinbarung des Abschlusses eines Kompostierungsvertrages zwischen der Fa. xxx und der Fa. xxx beinhalte nicht die Vergabe eines neuen Auftrages oder eine einem neuen Auftrag gleichkommende Vertragsänderung. Bereits im Leistungsvertrag II vom 21.12.2000 hatten sich die Parteien darauf geeinigt, das die Entsorgung kompostierbarer Abfälle künftig weiterhin durch die Fa. xxx erfolgen soll. Für die Regelung der Leistungsbeziehung zwischen der Fa. xxx und der Fa. xxx war der Abschluss eines Kompostierungsvertrages vorgesehen.
Ihrer Auffassung nach enthalten weder die Klarstellungs- noch die Ergänzungsvereinbarungen eine so wesentliche Vertragsänderung, dass sie einer Neuvergabe gleichkomme.
Auch die Veräußerung von 51% der Geschäftsanteile an die Beigeladene beinhalte keinen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag, da sie nicht dem Vergaberecht unterliege. Sie weist dabei darauf hin, dass bereits die Teilprivatisierung dem Wettbewerb unterlag.
Ferner sei der Nachprüfungsantrag unzulässig, da der Zuschlag bereits wirksam erteilt sei. Es liege hier auch keine Nichtigkeit gemäß § 13 VgV vor, da die Veräußerung der 51% der Geschäftsanteile nicht dem Vergaberecht unterliegt. Insoweit würde hier auch keine Nichtigkeit des abgeschlossenen Vertrages gemäß § 13 Satz 6 VgV vorliegen.
Auch sei der Antrag unzulässig, da die Antragstellerin die von ihr behaupteten Vergabeverstöße nicht gegenüber der Auftraggeberin gerügt habe. Sie sei weder ihrer Rügepflicht nachgekommen, noch habe sie eine wirksame Rüge ausgesprochen. Selbst wenn man unterstellen würde, dass eine anonyme Rüge wirksam sei, wäre der Antrag unzulässig, da die Rüge verspätet erfolgte. Die Antragstellerin trage selbst vor, sie habe am 27.03.2004 aus der Presse von der geplanten Veräußerung erfahren; sie habe jedoch erst am 08.04.2004 über ihre Bevollmächtigten anonym den geplanten Verkauf gerügt; also erst 12 Tage nach Kenntnisnahme. Dies sei jedoch nicht mehr unverzüglich, das Vorbringen der Antragstellerin sei präkludiert und der Nachprüfungsantrag unzulässig.
Des Weiteren fehle der Antragstellerin das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, da sie ihr Antragsrecht verwirkt habe, indem sie viel Zeit bis zur Beantragung der Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens verstreichen ließ.
Die Beigeladene beantragt:
- 1.
den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 11.04.2005 zurückzuweisen,
- 2.
auszusprechen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Beigeladene notwendig gewesen ist.
Sie vertritt die Auffassung, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, da keine Eröffnung des Rechtswegs vor der Vergabekammer gegeben sei. Bei der Veräußerung der 51% der Gesellschaftsanteile an die Fa. xxx liege kein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB vor. Weder der Abschluss eines Gesellschaftsvertrages noch die Veräußerung von dem öffentlichen Auftraggeber gehörenden Vermögensgegenständen würden als Geschäfts- und Vertragstypen für sich betrachtet unter den Begriff des öffentlichen Auftrags i.S.d. § 99 GWB fallen, da kein beschaffungsrechtlicher Bezug vorliege. Die Auftraggeberin sei ihrer obliegenden Vergabepflicht dadurch nachgekommen, dass sie den Erwerb von 49 % der Gesellschaftsanteile an die Fa. xxx im Jahre 2000 europaweit ausgeschrieben habe. Seinerzeit sei mit dem Verkauf der Gesellschaftsanteile und der Aufnahme des neuen Gesellschafters die gleichzeitige Beauftragung der Fa. xxx durch die Leistungsverträge I und II verbunden worden.
Im Übrigen sei die Auftraggeberin nur noch über die mit ihr abgeschlossenen Leistungsverträge I und II mit der Gesellschaft verbunden. Diese stünden jedoch in keinem inneren Zusammenhang mit der späteren Anteilsveräußerung.
Ferner weist sie darauf hin, dass die Auftraggeberin bereits im August alle Teilnehmer des Verhandlungsverfahrens informiert habe, dem erfolgreichen Teilnehmer ein Vorerwerbsrecht einzuräumen. Dies habe in § 6 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages seinen Eingang gefunden. Da diese Verfahrensweise nach der Rechtsprechung des OLG Celle nicht zu beanstanden sei, müsse das auch für den Inhalt der späteren Verhandlungen mit den Bietern über die gesellschaftsvertragliche Ausgestaltung des Vorerwerbsrechts gelten.
Des Weiteren weist die Beigeladene hinsichtlich der abgeschlossenen Klarstellungs- und Ergänzungsvereinbarungen darauf hin, dass kein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 99 Abs. 1 GWB vorliege, da ein Beschaffungsbezug fehle. Ihrer Meinung nach seien Ergänzungen bestehender Verträge vergaberechtlich neutral, wenn es dabei allein zu einer unselbstständigen Fortschreibung bereits im Ursprungsvertrag angelegter Vereinbarungen komme. Die Vertragsparteien hätten lediglich nachträglich geringfügige Änderungen in der Beschaffung des Leistungsgegenstandes vereinbart.
Hinsichtlich der fehlenden Bieterstellung der Antragstellerin unterstützt sie den Vortrag der Auftraggeberin sowohl zum "anonymen" Auftreten als auch zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des § 13 VgV.
Auch unterstellt die Beigeladene der Antragstellerin, dass sie sich rechtsmissbräuchlich verhalte, da das behauptete Fehlverhalten der Auftraggeberin zwischen "anonymer" Nachfrage und Nachprüfungsantrag mehr als 10 Monate betrage. Zwar sehe der 4. Teil des GWB für die Einleitung eines Nachprüfungsantrages keine gesetzlichen Fristen vor, jedoch können vergaberechtliche Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung bereits längere Zeit verstrichen ist und zum anderen besondere Umstände hinzugetreten sind, die eine spätere Geltendmachung des Vergaberechtsschutzes als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lassen. Zur Begründung dieser Auffassung verweist sie u.a. auf den Beschluss des OLG Dresden vom 11.09.2003, Az. WVerg 0007/03.
Wegen des übrigen Sachverhalt wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Nachprüfung des Vergabeverfahrens ist unzulässig.
Die Vergabekammer Lüneburg ist zwar zuständig. Es handelt sich bei dem Auftraggeber um eine Gebietskörperschaft und somit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei der Veräußerung von 51% der Geschäftsanteile an der Fa. xxx um einen vergabepflichtigen öffentlichen Auftrag gem. § 99 Abs. 2 GWB handelt.
Die Auftraggeberin hatte im Jahre 2000 die Aufgaben ihrer Stadtreinigung zunächst vollumfänglich auf ihre Tochtergesellschaft xxx (xxx) ausgegliedert, sodann im Zuge einer Teilprivatisierung in einem ersten Schritt 49% der Anteile an die jetzige Beigeladene veräußert, verbunden mit den entsprechenden Dienstleistungsverträgen, die inhaltlich das gesamte Spektrum der Stadtreinigung abdeckten. Diesen Vorgang hatte die Auftraggeberin in einem europaweiten Vergabeverfahren dem Wettbewerb unterworfen. Einer der Bieter, die sich um die Minderheitsbeteiligung von 49% und die zu beauftragenden Dienstleistungen - Straßenreinigung und Winterdienst, Abfallsammlung und Abfallentsorgung - bemühten, war die Fa. xxx, die jetzt unter dem Namen der Antragstellerin firmiert. Nach Angaben des Auftraggebers musste das Angebot ausgeschlossen werden, da die Fa. xxx nachhaltig gegen Verfahrens- und Vertraulichkeitsbestimmungen verstoßen hatte. Diesen Ausschluss hat die Fa. xxx seinerzeit nicht angefochten, das Angebot der jetzigen Beigeladenen wurde angenommen.
Zwischen der Auftraggeberin und der Fa. xxx wurden verschiedene Verträge geschlossen, unter anderem ein Vertrag über die Durchführung von Aufgaben der Straßenreinigung und des Winterdienstes (Leistungsvertrag I), in dem festgehalten wurde, dass die bisher von dem Amt 70 als Regiebetrieb nach § 52 Nds. Straßengesetz sowie den Bestimmungen der Straßenreinigungssatzung und der Straßenreinigungsverordnung zu erfüllenden Aufgaben jetzt durch die Fa. xxx erledigt werden und ein Vertrag über die Durchführung von Aufgaben der Abfallsammlung und Abfallentsorgung (Leistungsvertrag II), in dem niedergelegt wurde, dass die bisher nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz und der Satzung der Stadt xxx über die Abfallentsorgung im Stadtgebiet zu erfüllenden Aufgaben durch die Fa. xxx erledigt werden. Weiterhin wurden der notwendige Grundbesitz, die notwendigen Betriebsmittel incl. Fuhrpark und Personal, auch die Werkstatt mit den verbundenen Einrichtungen der GmbH übertragen. In dem Gesellschaftsvertrag wurde festgelegt, dass Gegenstand des Unternehmens die Aufgaben der Straßenreinigung und des Winterdienstes, der Abfallsammlung, Abfallbeseitigung, Abfallverwertung und Abfallentsorgung sowie der Betrieb einer Werkstatt einschließlich Waschanlage und Tankstelle seien. Ferner wurde unter § 6 des Gesellschaftsvertrages bei Veräußerung von Geschäftsanteilen durch einen Gesellschafter den Mitgesellschaftern ein Vorerwerbsrecht eingeräumt.
Der vergabepflichtige Vorgang, nämlich die Übertragung der Dienstleistungsaufgaben, hat demnach weitestgehend bereits im Jahre 2000 stattgefunden. Es kann offen bleiben, ob die aktuelle bloße Veräußerung der restlichen Geschäftsanteile noch einen beschaffungswirtschaftlichen Bezug hat und damit dem Vergaberecht unterliegt. Die Anteile sind gemäß dem vereinbarten Vorerwerbsrecht an die Beigeladene veräußert worden, sodass es sich möglicherweise nicht mehr um eine Beschaffung seitens eines öffentlichen Auftraggebers handelt, sondern gerade im Gegenteil nur noch um eine Entledigung.
Die mit der streitbefangenen Veräußerung verbundene Klarstellung und Ergänzung der bestehenden Dienstleistungsverträge ist insoweit nicht unproblematisch. Eine Verlängerung der Vertragsdauer mit einer Laufzeit von 20 Jahren ist zwar nicht enthalten, jedoch könnten die Vereinbarungen zur Vergütung eine Änderung der Vergütungsstruktur darstellen. Auch sind im Bereich der Altkleidersammlung, PPK-Fraktion und kompostierbaren Abfälle Aufgaben an die xxx übergegangen, die vorher durch Bindung an alte Verträge von Dritten durchgeführt wurden. Beides könnte möglicherweise eine Vergabepflichtigkeit auslösen, obgleich nach der Intention der damaligen Vertragspartner sämtliche Teile der Stadtreinigung im Jahre 2000 an die GmbH übertragen wurden und die Verträge auch Anpassungen etwa hinsichtlich der Entgelte vorsahen. Einige der mit der Vollprivatisierung verbundenen Ergänzungs- und Klarstellungsvereinbarungen enthalten nach Auffassung der Kammer keine neuen Auftragsvergaben, sondern tragen lediglich Änderungen Rechnung, die sich durch Zeitablauf bzw. Anpassung an die typischerweise nicht detailliert voraussehbaren Umstände der Leistungserbringung ergeben. So war die Reinigung der Innenstadt Gegenstand des Leistungsvertrages I, jedoch entstand nach Erneuerung von Teilen der Innenstadt mit historischem Pflaster erhöhter manueller Reinigungsbedarf, dessen Mehrkosten der xxx laut Klarstellungsvereinbarung zu erstatten sind. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Auftragsvergabe im Bereich Stadtreinigung weitestgehend im Jahre 2000 mit ordnungsgemäßer europaweiter Ausschreibung und Vereinbarung eines Vorerwerbsrechts für die restlichen Geschäftsanteile stattgefunden hat, dass aber wegen der Klarstellungs- und Ergänzungsvereinbarungen ein beschaffungswirtschaftlicher Bezug nicht ausgeschlossen werden kann, sodass die Vollprivatisierung durch Veräußerung der 51% der Geschäftsanteile von der Vergabekammer zu überprüfen ist.
Von einem möglichen beschaffungswirtschaftlichen Bezug der Vollprivatisierung ausgehend ist angesichts einer Laufzeit der Leistungsverträge von 20 Jahren selbst für den strittigen Teil der PPK-Fraktion, Altkleidersammlung und kompostierbaren Abfälle ein Erreichen bzw. Überschreiten des gem. §§ 100 Abs. 1, 127 GWB in einer Rechtsverordnung festgelegten maßgeblichen Schwellenwerts für einen Dienstleistungsauftrag von 200.000 EUR vorauszusetzen, sodass die angerufene Vergabekammer zuständig ist.
Aber die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt gem. § 107 Abs. 2 S. 1 GWB, da sie nicht als Bieterin und Wettbewerberin aufgetreten ist, demnach ihr Interesse an einem etwaigen Auftrag nicht geltend gemacht hat. Die Antragstellerin hat sich vielmehr nur durch ihre Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 08., 23. und 29.04.2004 gegenüber der Auftraggeberin eingelassen und ist dabei, obgleich die Auftraggeberin mit Schreiben vom 14.04.2004 und 04.05.2004 auf Offenlegung gedrängt hatte, bis zum Nachprüfungsantrag monatelang anonym geblieben. Eine Rüge muss eine gewisse Verbindlichkeit haben. Dazu gehört, dass der interessierte Bieter bei der Rüge namentlich benannt sein muss, weil die Rüge Zugangsvoraussetzung für das Nachprüfungsverfahren ist (Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rdnr. 1115 f, OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.11.2002, Az. Verg W 8/02). Erforderlich ist, dass ein Bieter als Wettbewerber in einem Verfahren auftritt, die Vergabekammer entsprechend die Identität von Rügendem und Antragsteller feststellen kann. Nach Offenlegung ihrer Identität erst mit Eingang ihres Nachprüfungsantrags vom 11.04.2005 bei der Auftraggeberin wären die von der Antragstellerin erhobenen Rügen jedenfalls zusätzlich wegen Verspätung gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB präkludiert.
Selbst wenn das anonyme Auftreten der Antragstellerin zu überwinden wäre, wovon die Vergabekammer Lüneburg ausdrücklich nicht ausgeht, weil der Auftraggeberin keinerlei Hinweise auf die Identität vorlagen, wäre die ursprüngliche Rüge auch schon verspätet und gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB präkludiert. Nach eigenen Angaben der Antragstellerin hat sie ihre anonyme Rüge erst 12 Tage, nachdem die Presse die Veräußerung der Geschäftsanteile gemeldet hat, bei der Auftraggeberin erhoben, wobei festzuhalten ist, dass dabei lediglich der Anteilsverkauf selbst gerügt wurde, nicht aber die später im Nachprüfungsantrag monierte Auftragsvergabe im Bereich der PPK-Fraktion, Altkleidersammlung und kompostierbaren Abfälle. Die Antragstellerin bezieht sich in ihrem Nachprüfungsantrag auf einen als Anlage beigefügten Zeitungsartikel vom 27.03.2004, die anonym durch die Verfahrensbevollmächtigten erhobene Rüge datiert vom 08.04.2004. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2002, Az.: Verg 9/00). Die Frage, ob eine Rüge noch unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. Nach der Rechtsprechung muss die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich binnen ein bis drei Tagen erfolgen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg. 4/03; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 45 ff.), kann einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert. Die Voraussetzungen für die Ausschöpfung der von der Rechtsprechung maximal zugestandenen Rügefrist liegen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Die Antragstellerin ist ein vergaberechtlich erfahrener großer Anbieter in der Entsorgungsbranche, der regelmäßig anwaltliche Hilfe in Anspruch nimmt und dem es insoweit zumutbar war, umgehend seine Bedenken gegenüber einer freihändigen Anteilsveräußerung geltend zu machen, dabei nicht nahezu an die äußerste Grenze der Rügefrist heranzugehen. Das Erfordernis der Unverzüglichkeit wäre damit auch bei einer namentlich erhobenen Rüge nicht gewahrt. Die Unverzüglichkeit der ersten Rüge und die Frage, ob auf Grund der de-facto-Vergabe möglicherweise ein großzügigerer Maßstab anzulegen wäre, kann aber letztlich ebenfalls dahinstehen.
Denn das Verhalten der Antragstellerin war darüber hinaus offenkundig rechtsmissbräuchlich. Sie hat ihr Recht auf Vergabenachprüfung verwirkt, weil seit Möglichkeit der Geltendmachung ihres Rechts auf Durchsetzung eventueller vergaberechtlicher Ansprüche und ihrem Nachprüfungsantrag mehr als 10 Monate verstrichen sind. Der 4. Teil des GWB sieht für die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens keine gesetzlichen Fristen vor. Die Grundsätze der Verwirkung finden aber als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung auch im Recht des Nachprüfungsverfahrens nach den §§ 102 ff. GWB Anwendung. Ein Recht auf Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens zur Durchsetzung eventueller vergaberechtlicher Ansprüche im Sinne von §§ 97 Abs. 7, 107 Abs. 2 GWB kann demnach nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung bereits eine längere Zeit verstrichen ist und zum anderen besondere Umstände hinzugetreten sind, die eine spätere Geltendmachung des Vergaberechtsschutzes als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lassen (vgl. VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 02.02.2005, Az. VK SH 01/05; VK Brandenburg, Beschluss vom 10.02.2003, Az. VK 80/02; VK Bund, Beschluss vom 11.11.2004, Az. VK 1 - 207/04; Beschluss vom 13.11.2002, Az. VK 2 - 78/02; Beschluss vom 01.02.2001, Az. VK 1-1/01; VK Sachsen, Beschluss vom 15.07.2003, Az. 1/SVK/092-03).
Auch für den hier gegebenen Fall der de-facto-Vergabe kann es potenziellen Bietern nach der Rechtsprechung des OLG Dresden (Beschluss vom 11.09.2003, Az. WVerg 0007/03) und der VK Brandenburg (Beschluss vom 10.02.2003, Az. VK 80/02) zugemutet werden, nachdem sie Informationen erlangt haben, die das Unterlassen eines Vergabeverfahrens bedeuten, unverzüglich nach Kenntniserlangung zu rügen und die Vergabekammer anzurufen, wenn sie die Durchführung eines Vergabeverfahrens erzwingen wollen. Das OLG Dresden führt aus: "Der Nachprüfungsantrag ist zwar nicht an eine förmliche Frist gebunden; dennoch kann es Treu und Glauben widersprechen, zwischen einer außergerichtlich erhobenen Rüge und der späteren Einleitung des Vergabekontrollverfahrens längere Zeit verstreichen zu lassen, wenn der Auftraggeber daraus den Schluss ziehen durfte, die Beanstandung werde nicht weiterverfolgt, und sich im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens darauf eingerichtet hat." So liegt es hier. Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin haben mit Schreiben vom 08.04.2004 auf ihre vergaberechtlichen Bedenken gegen den freihändigen Verkauf der Gesellschaftsanteile an die xxx hingewiesen. Sie haben sich in diesem Schreiben ausdrücklich vorbehalten, entsprechende Schritte zur Vergabe und beihilferechtlichen Überprüfung der in Rede stehenden Anteilsveräußerung einzuleiten. Unter dem 23.04.2004 drohten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin erneut an, ihren Mandanten die unverzügliche Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens zur vergaberechtlichen Überprüfung des in Rede stehenden Anteilsverkaufs vorzuschlagen. Am 29.04.2004 wiesen die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wiederum darauf hin, neben einer beihilferechtlichen Überprüfung durch die Europäische Kommission ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren herbeiführen zu müssen, wenn nicht die Stadt xxx die beabsichtigte Anteilsveräußerung sowie die Änderungen der Leistungsverträge I und II im Wettbewerb vergeben würde. Nachdem die Auftraggeberin mit Schreiben vom 06.05.2004 ihre fehlende Vergabeabsicht mitteilte und durch Beschluss ihres Stadtrates am 19.05.2004 die Verkaufsentscheidung zu Gunsten der Beigeladenen fiel, hätte die Antragstellerin nunmehr unverzüglich den Weg des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens einschlagen müssen. Stattdessen sind die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin nach dem oben zitierten Schreiben vom 29.04.2004 gar nicht mehr mit der Auftraggeberin in Kontakt getreten. Die Auftraggeberin konnte angesichts dieser Verhaltensweise nach der Zuschlagserteilung an die Beigeladene am 19.05.2004 unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie weiterhin nicht die Identität der Antragstellerin kannte, darauf vertrauen, dass die Antragstellerin von einem Nachprüfungsantrag Abstand nehmen würde. Mit ihrem langen Stillschweigen hat die Antragstellerin ihr Recht auf Vergabenachprüfung verwirkt. Der mehr als 10 Monate später erfolgte Nachprüfungsantrag der bei dahin verdeckt auftretenden Antragstellerin bedeutet einen eindeutigen Verstoß gegen die vergaberechtlichen Grundsätze von Treu und Glauben.
Der Nachprüfungsantrag war demnach wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen. Eine Prüfung der Begründetheit der erhobenen Rügen durch die Vergabekammer ist damit ausgeschlossen.
Die Vergabekammer hat, obgleich nicht die Zustimmung aller Beteiligten vorlag, gemäß § 112 Abs. 1 S. 3 GWB wegen der Unzulässigkeit ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage entschieden.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro - Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, sodass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 EUR, die Höchstgebühr 25.000 EUR bzw., in Ausnahmefällen, 50.000 EUR beträgt. Es wird eine Gebühr in Höhe von 2.500 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert ist bei einer bloßen Veräußerung von Geschäftsanteilen, die möglicherweise keinen beschaffungswirtschaftlichen Bezug hatte, nicht festzustellen, sodass die Mindestgebühr von 2.500 EUR angesetzt wird.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.
Die im Tenor verfügte Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren i. S. d. § 128 Abs.3 Satz 1 GWB im vollen Umfang unterlegen ist.
Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten der Auftraggeberin, die dieser zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Auftraggeberin im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A und der VOB/A verfügen, bedurfte die Auftraggeberin für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen öffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.
Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306) [BVerwG 10.04.1978 - 6 C 27/77]. Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zu Gunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren übertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.
Kosten der Beigeladenen:
Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen folgt aus analoger Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO. Dort ist für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geregelt, dass die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig sind, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Die analoge Anwendung dieser Vorschrift zu Gunsten eines obsiegenden Beigeladenen ist im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer geboten (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 155, 158; sowie OLG Düsseldorf, Beschluss v. 15.06.2000, Az.: Verg 6/00). Die für eine analoge Anwendung von Vorschriften erforderliche Regelungslücke ergibt sich daraus, dass gem. § 128 Abs. 4 Satz 2 lediglich geregelt wird: "Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen des Antragsgegners zu tragen. § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder gelten entsprechend." Eine daraus folgende Ungleichbehandlung eines Beigeladenen gegenüber den anderen Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens wäre jedoch nicht sachgerecht, zumal der Beigeladene schließlich gem. § 109 GWB deshalb den Beteiligten-Status erhält, weil "dessen Interessen durch die Entscheidung schwer wiegend berührt werden".
Einerseits darf daher zwar für den Antragsteller durch (mögliche) Beiladungen kein unkalkulierbares und damit abschreckendes Kostenrisiko entstehen. Andererseits dürfen aber auch Kosten des Beigeladenen nicht zu einer Waffenungleichheit zu seinen Lasten führen (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 128, Rdnr. 1432).
Unter Berücksichtigung dieser sachgerechten Grundsätze entspricht es im vorliegenden Fall der Billigkeit i. S. d. hier analog anzuwendenden § 162 Abs. 3 VwGO, dass die unterlegene Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nachprüfungsverfahren erforderlichen Aufwendungen der Beigeladenen, zu denen auch die Kosten einer in einem derartig komplexen, nicht nur materielles Vergaberecht, sondern auch prozessuale Rechtsfragen berührenden Verfahren ohne weiteres erforderlichen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gehören, zu tragen hat.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, den Betrag von 2.500 EUR unter Angabe des Kassenzeichens xxxx innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses auf folgendes Konto zu überweisen: xxx
Schulte
Brinkmann