Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 07.07.2005, Az.: VgK - 27/05
Aufforderung zu einem Teilnahmewettbewerb für die gemeinsame Realisierung der Beschaffung eines digitalen Bildarchivierungssystems und Kommunikationssystems; Voraussetzungen für eine Antragsbefugnis bei der Nachprüfung eines Vergabeverfahrens; Positive Kenntnis des Anbieters von den Fehlern im Vergabeverfahren als Voraussetzung für die Entstehung einer Rügepflicht; Wechsel im laufenden Vergabeverfahren zum Verhandlungsverfahren; Allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Vergabekammer im Vergabeverfahren; Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 07.07.2005
- Aktenzeichen
- VgK - 27/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 18354
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs. 1 GWB
- § 4 Abs. 1 S. 1 VgV
- § 3a VOL/A
- § 107 Abs. 2 GWB
- § 107 Abs. 3 S. 1 GWB
- § 24 Abs. 1 VOL/A
- § 97 Abs. 7 GWB
- § 110 Abs. 1 GWB
- § 128 GWB
- § 80 VwVfG
Verfahrensgegenstand
VOL-Vergabeverfahren Einrichtung eines digitalen Bildarchivierungs- und Kommunikationssystems (PACS-Installation) am Universitätsklinikum xxxxxxx
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bei offensichtlichen, schwerwiegenden Vergaberechtsverstößen ist die Vergabekammer auch dann nicht gehindert, diese im Rahmen ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, wenn die Verstöße von der Antragstellerin nicht oder verspätet gerügt wurden. Ein derartiger schwerwiegender Verstoß liegt zum Beispiel ohne weiteres vor, wenn ein Auftraggeber von der europaweit bekannt gemachten Verfahrensart abweicht. Der Auftraggeber muss sich an die einmal gewählte Verfahrensart halten. Das Umschwenken im laufenden Verfahren ist nach Auffassung der Vergabekammer von Amts wegen aufzugreifen, weil die unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Verfahrensarten sich maßgeblich auswirken.
- 2.
Ein Vergaberechtsverstoß durch den Wechsel vom nichtoffenen Verfahren zum Verhandlungsverfahren ist nicht durch einen Wiedereintritt in die Angebotswertung heilbar. Es ist erforderlich, die Aufhebung der Ausschreibung durch Beschluss der Vergabekammer herbeizuführen.
Die Vergabekammer hat
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer RA Dr. Freise
auf die mündliche Verhandlung vom 04.07.2005
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Auftraggeberin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren aufzuheben und den streitbefangenen Auftrag nur nach Durchführung eines erneuten europaweiten Vergabeverfahrens zu vergeben und dabei die aus den Entscheidungsgründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Auftraggeberin.
- 3.
Die Kosten werden auf 3.219 EUR festgesetzt.
- 4.
Die Auftraggeberin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Antragstellerin notwendig.
Gründe
I.
Die Auftraggeberin hat mit Datum vom 07.03.2002 europaweit im Rahmen eines nichtoffenen Verfahrens zu einem Teilnahmewettbewerb aufgefordert, um Bewerber zu finden, die Interesse an einer gemeinsamen Realisierung der Beschaffung eines digitalen Bildarchivierungs- und Kommunikationssystems haben. Die Bewerber wurden darauf hingewiesen, dass die endgültige Auftragsvergabe im Rahmen einer noch durchzuführenden beschränkten Ausschreibung erfolgen soll. Als Mindestbedingungen für die Teilnahme sollten die Bewerber Referenzen von Projekten vergleichbarer Größenordnung angeben, allgemeine Referenzen und ihr Unternehmensprofil darstellen. Hinsichtlich der Zuschlagskriterien wurden die Bewerber darauf hingewiesen, dass diese in der noch durchzuführenden beschränkten Ausschreibung genannt werden. Der Schlusstermin für den Eingang der Teilnahmeanträge war der 15.04.2002. Weitere Angaben sind der Bekanntmachung nicht zu entnehmen.
Dem Protokoll des Lenkungsausschusses PACS vom 30.04.2002 ist zu entnehmen, dass von den insgesamt 15 Bewerbern sechs namhafte PACS-Anbieter seien. Es wurde wörtlich festgehalten:
"xxxxxxx kann derzeit (noch) nicht zu den an großen deutschen Universitätskliniken erfolgreich agierenden PACS-Anbietern gezählt werden. Da darüber hinaus über negative Erfahrungen mit firmeninternen Kommunikationswegen (Mutterhaus in xxxxxxx) berichtet wird, wird xxxxxxx aus der Liste der in Frage kommenden Bewerber gestrichen.
Während die Einbeziehung der Firmen xxxxxxx, xxxxxxx und xxxxxxx unstrittig ist, wird über die Berücksichtigung von xxxxxxx, xxxxxxx und xxxxxxx ausführlich diskutiert. Dabei kommen auch unterschiedliche Aspekte der vor wenigen Tagen im Universitätsklinikum xxxxxxx für xxxxxxx gegen xxxxxxx getroffenen Entscheidung zur Sprache. Da kein mögliches Ausschlusskriterium allgemeine Anerkennung findet, werden auch diese drei Firmen im weiteren Verfahren berücksichtigt."
Sodann ist der Vergabeakte zu entnehmen, dass die Firmen xxxxxxx, xxxxxxx, xxxxxxx, xxxxxxx, xxxxxxx, xxxxxxx und xxxxxxx gemeinsam zu einem Treffen vor Ort eingeladen werden, um sich über die Rahmenbedingungen und Einzelaspekte der geplanten Installation zu informieren. Dazu ist ein Vermerk einer Sachbearbeiterin der Auftraggeberin abgeheftet, dem zu entnehmen ist, dass der Lenkungsausschluss beschlossen habe, den Firmen an einem gemeinsamen Termin die Möglichkeit zu geben, sich über Einzelaspekte zu informieren, obwohl der Geschäftsbereich 5 der Auftraggeberin darauf aufmerksam gemacht habe, dass es nicht üblich sei, alle Firmen gemeinsam zu einem Termin einzuladen. Warum die Beigeladene xxxxxxx im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs trotz der negativen Feststellungen im Protokoll vom 30.04.2002 zu einer Präsentation der Firmenkonzepte am 16. bzw. 17.09.2002 eingeladen wurde, ist der Vergabeakte nicht zu entnehmen. Ebenso wenig wurde festgehalten, wie diese Firmenpräsentationen ausgegangen sind.
Es befindet sich lediglich in der Vergabeakte eine Mitteilung des Leiters der Betriebseinheit Informationstechnologie vom 18.09.2002 an den Geschäftsbereich 5, in der er darum bittet, an die sieben Firmen ein kurzes Schreiben zu schicken, ihre Präsentation in digitaler Form, soweit noch nicht geschehen, zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren sollten die Firmen daran erinnert werden, dass ihre schriftliche Ausarbeitung zur PACS-Installation in den nächsten 14 Tagen erwartet wird. Ob und was die Firmen darauf geantwortet haben, ist der Vergabeakte nicht zu entnehmen.
Offenbar wurden die sieben Firmen
- xxxxxxx (Beigeladene zu 1),
- xxxxxxx (Antragstellerin),
- xxxxxxx und
- xxxxxxx sowie
- xxxxxxx (Beigeladene zu 2),
- xxxxxxx und
- xxxxxxx
im Februar/März 2004 aufgefordert, ein aktualisiertes Angebot mit Preisen vom März 2004 und Mengengerüst 2002 einzureichen. Der Vergabeakte ist nicht zu entnehmen, wann die aktualisierten Angebote angefordert worden sind.
Dem vorgelegten xxxxxxx-Antrag ist ein aktualisierter Preis der vier zuerst genannten Firmen beigefügt, nicht jedoch von der Beigeladenen zu 2 und den beiden zuletzt genannten Firmen. Von diesen drei Firmen lag im März 2004 kein aktualisiertes Angebot vor.
Sodann befinden sich in der Vergabeakte die erweiterten Rahmenbedingungen zum Teilnahmewettbewerb Einstieg in PACS mit Stand Oktober 2004. Dort wurden unter Nr. 5 "Allgemeine Anforderungen an das Angebot" an die vorzulegenden Angebote Anforderungen hinsichtlich der Hard- und Software, der Funktionen und der Systemerweiterung und -pflege gestellt. Ferner waren unter Nr. 6 "Spezielle Anforderungen an das PACS" an Hand einer Tabelle Anforderungen an das PACS spezifiziert und erläutert. Wörtlich wurde erklärt:
"Bei der Ausarbeitung des Angebotes sind die folgenden Punkte zu berücksichtigen bzw. kritisch zu diskutieren. Anforderungen, die nicht erfüllt werden können, müssen klar benannt und erläutert werden."
Es folgt eine Tabelle zur Funktionalität, eine Zusammenstellung der vorhandenen Modalitäten und Endgeräte und eine Zusammenstellung der geplanten neuen Endgeräte. Diese Unterlagen wurden mit Datum vom 29.10.2004 an die sieben Firmen versandt mit der Bitte, auf der Grundlage der neu überarbeiteten Unterlagen ein neues Angebot bis zum 19.11.2004 zu erstellen. Zuschlagskriterien wurden in diesen erweiterten Rahmenbedingungen zum Teilnahmewettbewerb Einstieg in PACS, Stand Oktober 2004, nicht genannt.
Als Nächstes befindet sich in der Vergabeakte eine Gegenüberstellung der Firmenangebote mit Stand vom 14.12.2004. Wer auf Grund dieser Gegenüberstellung das wirtschaftlichste Angebot vorgelegt hat, ist nicht dokumentiert.
Anschließend enthält die Vergabeakte ein Schreiben der Auftraggeberin ohne Datum offenbar an die sechs Firmen
- xxxxxxx (Antragstellerin),
- xxxxxxx (Beigeladene zu 2),
- xxxxxxx,
- xxxxxxx,
- xxxxxxx und
- xxxxxxx (Beigeladene zu 1).
Warum die Firma xxxxxxx nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde, ist der Vergabeakte nicht zu entnehmen.
Diesen verbliebenen sechs Firmen erklärte die Auftraggeberin, dass sie nach eingehender Analyse der vorliegenden Unterlagen zu dem Schluss gekommen wäre, das Verfahren zunächst mit allen Bewerbern fortzusetzen. Das Schreiben erhielt die Aufforderung, das abgegebene Angebot weiter zu detaillieren. Um die Firmen dabei zu unterstützen, schlug sie ein bestimmtes Verfahren vor. Mit dazugehörendem Anschreiben vom 07.01.2005 wurden die Firmen gebeten, das aktualisierte Angebot und die ausgefüllte Tabelle bis zum 25.01.2005 zurückzusenden. Da die Firma xxxxxxx erklärte, dass sie die gewünschte Ausarbeitung bis zum angegebenen Termin nicht zur Verfügung stellen könne, wurde ihr Angebot aus der weiteren Wertung ausgeschlossen.
Sodann befindet sich in der Vergabeakte ein Vergleich der Angebote der noch verbliebenen fünf Firmen mit Stand vom 22.02.2005. Die Auftraggeberin verglich die angebotenen Preise für die zentralen Komponenten, dokumentierte eine Auswertung der Gesamtkosten, Referenzbesuche, Zentrale IT-Komponenten und Schnittstellen für jede der noch verbliebenen fünf Firmen.
Im Gegensatz zu den Angeboten der anderen Bewerber wurde zum Angebot der Antragstellerin hinsichtlich der PACS-Bewertung bei den Referenzbesuchen nichts festgehalten. Hinsichtlich der zentralen Komponenten wurde zum Angebot der Antragstellerin vermerkt, dass das Angebot ohne Angabe von Gründen nicht den Vorgaben angepasst ist:
- keine Zweiraumlösung für Kurzzeitspeicher
- kein revisionssicheres hochqualitatives Langzeitarchiv
- keine Berücksichtigung von vorhandener Bandbibliothek
- Fallover für Archiv-Server fehlt
Hinsichtlich der Schnittstellen wurde zum Angebot der Antragstellerin vermerkt, dass Anpassungsarbeiten für IXSERV (eigene und IXMID) sowie DICOM-Worklist von xxxxxxx nicht enthalten seien. Ferner wurde bemerkt, dass das Angebot der Antragstellerin wenig detaillierte Informationen zu den Schnittstellen enthalte.
Bei der Gegenüberstellung der Gesamtkosten ergab sich, dass das Angebot der beigeladenen Firma xxxxxxx an dritter Stelle, das der beigeladenen Firma xxxxxxx an vierter und das Angebot der Antragstellerin an fünfter und letzter Stelle lag.
Sodann befindet sich in der Vergabeakte eine Einzelbewertung der Angebote, aufgeteilt nach:
- Gesamtkostenvergleich
- Referenzbesuche
- Zentrale IT-Komponenten
- Schnittstellen
Das vorgeheftete Deckblatt datiert mit Stand vom 12.04.2005 und beginnt mit Seite 16. Ein Ergebnis dieser Auswertung ist nicht dokumentiert.
Als Nächstes befindet sich in der Vergabeakte ein Anschreiben mit Datum vom 03.11.2004 an die beiden Beigeladenen, in dem diesen mitgeteilt wird, dass ihr Unternehmen sich in der nächsten Runde des Teilnahmewettbewerbs befindet. Dem beigefügten Schreiben mit Stand vom 25.04.2005 ist zu entnehmen, dass diese beiden Firmen im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs (vor der freihändigen Vergabe) für das weitere Verfahren ausgewählt worden seien. Die beiden Firmen wurden gebeten, einen weiteren Termin mit der Auftraggeberin wahrzunehmen, der der Konkretisierung des Angebotes und des anstehenden Projektes dienen soll.
Den anderen drei Firmen wurde ebenfalls mit Datum vom 03.11.2004 mitgeteilt, dass ihr Angebot im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs nicht weiter berücksichtigt werden kann. Zur Begründung wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie eine IT-Lösung angeboten habe, die sich ohne Angabe von Gründen nicht an die geforderte Spezifikation hält. Diese Mitteilung wurde der Antragstellerin mit Datum vom 25.04.2005 übersandt.
Die Antragstellerin bat mit E-Mail vom 26.04.2005 um nähere Begründung der Nichtberücksichtigung ihres Angebotes und um Benennung der Punkte, die zu der Abfrage differieren, und diese zu begründen (Unterpunkte aus dem Angebot angeben).
Nachdem die Auftraggeberin erklärt hatte, dass die zuständige Sachbearbeiterin sich bis zum 08.05.2005 im Urlaub befinde, rügte die Antragstellerin mit Telefax vom 02.05.2005 ihren Ausschluss vom weiteren Teilnahmewettbewerb und führte aus, dass sie das Vergabeverfahren rechtlich überprüft habe. Dabei sei ihr aufgefallen, dass
- die Auftraggeberin sich nicht an den vierten Teil des GWB gehalten habe und ein formloses Verfahren durchgeführt hat und
- die Auftraggeberin die Ausschreibung nicht europaweit bekannt gemacht habe.
Die Antragstellerin fordert eine neue europaweite Ausschreibung.
Mit Telefax vom 04.05.2005 wies die Auftraggeberin die Vorwürfe zurück. Sie wies darauf hin, dass sie die Beschaffung EU-weit im Jahre 2002 ausgeschrieben und das Verfahren nach einer längeren Unterbrechung am 29.10.2004 fortgeführt habe. Die Antragstellerin hätte schon das ausgewählte Verfahren vor Ablauf der Angebotsfrist rügen müssen. Zur Begründung der Nichtberücksichtigung des Angebotes erklärte die Auftraggeberin lediglich, dass es das teuerste gewesen sei.
Mit Schriftsatz vom 03.06.2005, eingegangen in der Vergabekammer am selben Tage, beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Antragstellerin ergänzt und vertieft ihren Vortrag in Bezug auf die bereits in den Rügeschreiben vom 02.05.2005 gegenüber der Auftraggeberin monierten Vergaberechtsverstöße.
Ferner führt sie aus, dass die Vergabebekanntmachung von 2002, auf die sich die Auftraggeberin beruft, eine andere Leistung zum Gegenstand gehabt habe. Schon wegen der fortschreitenden Technikentwicklung in dem betroffenen Bereich könne die abgefragte Leistung von 2002 nichts mehr mit dem 2005 zu vergebenden Auftrag zu tun haben. Das Verfahren von 2002 sei vielmehr nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs beendet worden. Falls damals Angebote abgegeben worden seien, wäre die Bindefrist des § 19 Nr. 3 VOL/A nach fast drei Jahren abgelaufen gewesen.
Auch sei die Auftraggeberin von 2002 nicht mehr identisch mit der jetzigen Auftraggeberin. Das ergäbe sich schon daraus, dass die juristische Person "xxxxxxx-Universität, Stiftung öffentlichen Rechts" erst seit 01.01.2003 bestehe. Diese Stiftung sei auch keine Gesamtrechtsnachfolgerin der xxxxxxx-Universität xxxxxxx in ihrer Eigenschaft als Körperschaft öffentlichen Rechts. Insoweit sei es offensichtlich, dass es sich bei der Vergabebekanntmachung von 2002 und dem Schreiben vom 07.01.2005 um zwei unterschiedliche Beschaffungsvorgänge handelt.
Nach Durchführung der eingeschränkten Akteneinsicht vertritt die Antragstellerin außerdem die Auffassung, dass die Auftraggeberin im Jahre 2002 kein förmliches Verfahren durchgeführt, sondern lediglich angekündigt habe, dass sie beabsichtige, ein nichtoffenes Verfahren durchzuführen. Auch später, im Jahre 2004, habe sie kein förmliches Vergabeverfahren durchgeführt.
Da im nichtoffenen Verfahren ein Nachverhandlungsverbot gem. § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A gelte, habe die Auftraggeberin auch gegen diese Vorschrift verstoßen, indem sie die Bieter aufgefordert habe, ihr Angebot immer weiter nach ihren Vorgaben zu detaillieren und mit neuen Preisen zu versehen. Der Sache nach habe die Auftraggeberin mit den Interessenten unter Missachtung jeglichen Vergaberechts "frei" verhandelt. Insoweit spreche die Auftraggeberin daher ausdrücklich auch selbst in ihrem Schreiben an die beiden Beigeladenen mit Stand vom 25.04.2005 von einem Teilnahmewettbewerb (vor freihändiger Vergabe).
Sie, die Antragstellerin, habe einen Anspruch darauf, dass die Auftraggeberin die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält. Selbst wenn man unterstelle, dass die Bekanntmachung 2002 korrekt gewesen sei, dürfe die Auftraggeberin nicht ein nichtoffenes Verfahren in ein Verhandlungsverfahren umdeuten. Die Auftraggeberin müsse sich vor der Bekanntmachung entscheiden, welches Vergabeverfahren sie durchführen wolle.
Ferner sei nicht nachvollziehbar, warum bei der Bewertung der Referenzbesuche ihr Angebot nicht berücksichtigt worden sei. Auch sei unklar, welche Kostenbestandteile (Phase 1, Phase 2, Folgekosten) mit welchem Ansatz in die Angebotswertung eingehen sollten und in welchem Verhältnis Preis und Qualität der Angebote gewertet werden sollen. Auch habe die Auftraggeberin das Verfahren unzureichend dokumentiert. Die einzelnen Stufen des Verfahrens seien nicht nachvollziehbar dargestellt.
Soweit die Auftraggeberin die Auffassung vertritt, dass keine Antragsbefugnis vorliege, weil sie keine Chance auf Zuschlagserteilung habe, weist die Antragstellerin darauf hin, dass die Anforderungen an die Antragsbefugnis nicht zu hoch gestellt werden dürfen. Sie wende sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen ein intransparentes Verfahren, in dem die Chancengleichheit der Unternehmen nicht gewahrt sei.
Die Antragstellerin beantragt:
- gegen die Antragsgegnerin wegen der Vergabe eines Auftrages zur PACS-Installation das Nachprüfungsverfahren gemäß § 107 ff GWB einzuleiten,
- der Antragsgegnerin zu untersagen, einen Auftrag zur Installation eines PACS am Universitätsklinikum xxxxxxx ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens zu vergeben,
- der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten gemäß § 111 Abs. 1 GWB zu gewähren,
- der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen,
- die Hinzuziehung des Bevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
Die Auftraggeberin beantragt:
den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 03.06.2005 zurückzuweisen,
eine Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Antragsgegnerin gem. § 128 Abs. 4 GWB, § 80 Abs. 3 VwVfG für notwendig zu erklären.
Die Auftraggeberin tritt den Behauptungen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen.
Sie hält den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig und führt aus, dass sie durchaus ein förmliches Verfahren durchgeführt habe. Nachdem die Teilnahmeanträge eingegangen seien, habe sie aus 14 Bewerbern sieben ausgewählt und wiederholt zur Präsentation und Erneuerung ihrer Angebote aufgefordert.
Im April 2005 habe sie zwei Bewerber aufgefordert, ihre Angebote und das anstehende Projekt zu konkretisieren. Die Antragstellerin und drei weitere Bewerber erhielten die Mitteilung, dass ihre Angebote nicht weiter berücksichtigt werden können. Zur Zeit befinde sich das Vergabeverfahren im Stadium der Angebotswertung. Auch habe die Antragstellerin unabhängig davon, welches förmliche Verfahren durchgeführt worden sei und welches hätte durchgeführt werden müssen, keine Chance auf Zuschlagserteilung gehabt.
Im Übrigen könne die Antragstellerin nicht darlegen, dass ihre Chance auf Zuschlagserteilung von der Existenz einer Vergabebekanntmachung abhänge. Sie habe die gleichen Chancen auf Zuschlagserteilung gehabt wie die anderen Bewerber, die mit ihr zur Angebotsabgabe aufgefordert worden seien. Die Antragstellerin habe auch nicht dargelegt, dass sie ein "aussichtsreiches" Angebot abgegeben habe, wenn die nach ihrer Auffassung fehlende Vergabebekanntmachung erfolgt wäre.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin habe sie ein transparentes, geregeltes Verfahren durchgeführt, das gleiche Bedingungen für alle Bieter geschaffen und zu keinen ungerechtfertigten Diskriminierungen einzelner Bieter geführt habe. Die Antragstellerin habe sich mit insgesamt vier Angeboten und mehreren Präsentationen an dem Verfahren beteiligt. Dabei ergab sich, dass die Antragstellerin an letzter Stelle der eingereichten Angebote steht, da sie den höchsten Preis angeboten habe.
Ferner habe die Antragstellerin auch nicht das aus ihrer Sicht formlose Verfahren rechtzeitig gerügt. Der Antragstellerin sei aus dem Schreiben vom 07.01.2005 bekannt gewesen, dass es sich ursprünglich um einen Teilnahmewettbewerb gehandelt habe, es sei insoweit nicht nachvollziehbar, warum sie nicht bereits nach Erhalt dieses Schreibens die Ausschreibung gerügt habe, sondern ein Angebot zum "Teilnahmewettbewerb" abgegeben habe.
Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet, da dem Verfahren eine Vergabebekanntmachung aus dem Jahre 2002 vorausging. Der Gegenstand der ausgeschriebenen Leistung - PACS - habe sich auch nicht geändert. Dies ergebe sich bereits daraus, dass sie sich auf den Teilnahmewettbewerb bezieht und die Übersendung neuer Unterlagen ankündigt.
Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertritt, dass ein Wechsel der Auftraggeberin stattgefunden habe, weist die Auftraggeberin darauf hin, dass dies unzutreffend sei. Die zum 01.01.2003 stattgefundene veränderte Trägerschaft auf Grund der "Verordnungüber die Neuregelung der Trägerschaft der xxxxxxx-Universität xxxxxxx und der Aufgaben und Organisation ihres Bereiches Humanmedizin" vom 17.12.2002, Nds. GVBl. S. 812, habe jedoch nicht zu einer Veränderung der Auftraggebereigenschaft geführt.
Die Beigeladene zu 1 beantragt:
- den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 03.06.2005 zurückzuweisen,
- ihre Hinzuziehung als Bevollmächtigte der Beigeladenen zu 1 gem. § 128 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären.
Die Beigeladene zu 1 unterstützt den Vortrag der Auftraggeberin. Auch sie vertritt die Auffassung, dass der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig sei, da die Antragstellerin nicht belegen könne, dass sie in ihren Rechten verletzt sei.
Die Beigeladene zu 2 hat keine eigenen Anträge gestellt.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Vergabeakte, die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 04.07.2005 Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Die Auftraggeberin hat gegen das Gebot des § 97 Abs. 1 GWB i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 VgV, § 3 a VOL/A verstoßen, ein transparentes Vergabeverfahren durchzuführen, indem sie im laufenden Vergabeverfahren einen Wechsel vom bekannt gemachten "Nichtoffenen Verfahren" zum Verhandlungsverfahren vollzogen hat.
1.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei der Auftraggeberin handelt es sich um eine Stiftung des Öffentlichen Rechts und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Laut
"Verordnung über die Neuregelung der Trägerschaft der xxxxxxx-Universität xxxxxxx und der Aufgaben und Organisation ihres Bereichs Humanmedizin vom 17.02.2002"
ist die Stiftung mit Wirkung vom 01.01.2003 Rechtsnachfolgerin der xxxxxxx-Universität xxxxxxx, sodass die Tatsache, dass das streitbefangene Vergabeverfahrens bereits im Jahre 2002 begonnen wurde, insoweit unerheblich ist. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oderüberschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um die PACS-Installation am Universitätsklinikum xxxxxxx und damit um einen Lieferauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1, Abs. 2 GWB, für den gem. § 2 Nr. 3 der am 01.02.2001 in Kraft getretenen Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 200.000 EUR gilt. Das günstigste der beiden Angebote der Beigeladenen beläuft sich für die Einrichtung des Systems inklusive der vierjährigen Folgekosten auf ein Auftragsvolumen in Höhe von 1.718.906,56 EUR. Der Wert des ausgeschriebenen Auftrags überschreitet damit deutlich den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert.
Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach§ 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen nichtüberspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 107, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt, indem sie sich gegen ihren Ausschluss wendet und ein förmliches Vergabeverfahren einfordert. Es ist nicht erforderlich, dass die Antragstellerin auch schlüssig darlegt, dass sie bei vergabekonformem Verhalten der Auftraggeberin den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, S. 24), sodass es auf den Rang der Antragstellerin insoweit nicht ankommt.
Die Antragstellerin ist nur zum Teil ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber der Auftraggeberin unverzüglich zu rügen. Mit Schreiben vom 26.04.2005 hatte die Antragstellerin sich gegen ihren mit Schreiben der Auftraggeberin vom 25.04.2005 mitgeteilten Ausschluss vom Verfahren gewendet und die Mitteilung von Gründen erbeten. Unter Hinweis auf den Urlaub ihrer zuständigen Sachbearbeiterin beantwortete die Auftraggeberin die Anfrage nicht, sodass die Antragstellerin unter dem 02.05.2005 zusätzlich rügte, dass der Auftrag nicht ohne förmliches Vergabeverfahren vergeben werden durfte. Jedenfalls die Rüge der Antragstellerin zu ihrem Ausschluss erfolgte unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Diese Rügepflicht entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2002, Az.: Verg 9/02). Da die Antragstellerin erst auf Grund des Schreibens der Auftraggeberin vom 25.04.2005 davon wusste, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt wurde, erfolgte ihre am nächsten Tag, dem 26.04.2005, per E-Mail abgesetzte Rüge unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Die weitere Rüge zur Vergabe ohne förmliches Vergabeverfahren erfolgte hingegen nicht rechtzeitig, da der Antragstellerin durch die zahlreichen Nachverhandlungen mit den Bietern bewusst sein musste, dass der Weg der in der EU-Bekanntmachung genannten Verfahrensart "Nichtoffenes Verfahren", für das im Anschluss an den Teilnahmewettbewerb gem. § 24 Abs. 1 VOL/A ein Nachverhandlungsverbot gilt, längst verlassen war. Spätestens Ende Oktober 2004, mit der Aufforderung der Auftraggeberin an die sieben verbliebenen Bewerber, auf der Grundlage der neu überarbeiteten "Erweiterten Rahmenbedingungen zum Teilnahmewettbewerb (Stand Oktober 2004)" ein neues Angebot zu erstellen, wird das Umschwenken offensichtlich. Mit dieser Rüge ist die Antragstellerin demnach gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB präkludiert. Die Vergabekammer war jedoch gleichwohl gehalten, den Verfahrenswechsel im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 110 Abs. 1 GWB zu berücksichtigen.
2.
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragstellerin ist gemäß § 97 Abs. 7 GWB in ihren Rechten verletzt, denn die Auftraggeberin hat das gemäß § 97 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 VgV, § 3 a VOL/A GWB geforderte förmliche Vergabeverfahren nicht durchgeführt. Sie hat im laufenden Vergabeverfahren einen Wechsel zum Verhandlungsverfahren vollzogen, obwohl sie sich ausweislich der in der Vergabebekanntmachung angegebenen Verfahrensart "Nichtoffenes Verfahren" hinsichtlich der Verfahrensart gebunden hat. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin handelte es sich bei der europaweiten Bekanntmachung durchaus um den Beginn des förmlichen Vergabeverfahrens, nicht lediglich um eine Vorankündigung. Die Hinweise auf eine noch durchzuführende "beschränkte Ausschreibung" sind insoweit irreführend und missverständlich, maßgeblich ist das zu Recht bestimmte "Nichtoffene Verfahren". Die Auftraggeberin hat sich spätestens Ende Oktober 2004 im Rahmen der Wiederaufnahme des zwischenzeitlich ruhenden Verfahrens dafür entschieden, mit den Bietern, die aus dem vorangegangenen Teilnahmewettbewerb verblieben sind, in ein Verhandlungsverfahren überzugehen. Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin haben die diesbezügliche Rüge zwar verspätet ausgesprochen, jedoch ist es der Vergabekammer nicht verwehrt, die offensichtliche Abweichung von der bekannt gemachten Verfahrensart im Nachprüfungsverfahren zu berücksichtigen und zu beanstanden. Während der Gegenstand des zivilgerichtlichen Verfahrens im Wesentlichen durch den Vortrag und die Anträge der Parteien begrenzt wird, gilt im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren zusätzlich der Amtsermittlungsgrundsatz. Gemäß § 110 Abs. 1 GWB erforscht die Vergabekammer den Sachverhalt von Amts wegen. Dementsprechend ist sie gem. § 117 Abs. 1 GWB bei ihrer Entscheidung über die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern, ausdrücklich nicht an die Anträge gebunden und kann auch unabhängig auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Damit bestehen grundsätzlich weit reichendeÜberprüfungsmöglichkeiten, die sich auch auf nicht vom Antragsteller geltend gemachte Verstöße erstrecken (vgl. Byok/Jaeger, VergabeR, § 110 GWB, Rdnr. 1015 ff, m.w.N.). In der Praxis kann und soll diese Rechtmäßigkeitskontrolle aber aus Zeitgründen regelmäßig nicht voll ausgeschöpft werden. Dies folgt zum einen aus dem engen zeitlichen Rahmen, der der Vergabekammer durch die gesetzliche 5-Wochen-Frist gem. § 113 Abs. 1 für das Nachprüfungsverfahren gesetzt wird. Zum anderen folgt dies aber auch aus § 110 Abs. 1 Satz 2 GWB. Danach hat die Vergabekammer - ungeachtet des Amtsermittlungsgrundsatzes - bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, den Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen zu beeinträchtigen. Trotz des öffentlichen Interesses an der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens findet daher keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Vergabekammer statt. Die Amtsermittlung muss sich auf andere, offenkundige und schwerwiegende Vergabeverstöße beschränken (vgl. Byok/Jaeger, a.a.O., § 110 GWB, Rdnr. 1016 ff). Bei offensichtlichen, schwerwiegenden Vergaberechtsverstößen ist die Vergabekammer also auch dann nicht gehindert, diese im Rahmen ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, wenn die Verstöße von der Antragstellerin nicht - oder verspätet - gerügt wurden (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 08.11.2001, Az.: 13 Verg 9/01).
Ein derartiger schwerwiegender Verstoß liegt zum Beispiel ohne weiteres vor, wenn ein Auftraggeber von der europaweit bekannt gemachten Verfahrensart abweicht. Der Auftraggeber muss sich an die einmal gewählte Verfahrensart halten. Das Umschwenken im laufenden Verfahren ist nach Auffassung der Vergabekammer von Amts wegen aufzugreifen, weil die unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Verfahrensarten sich maßgeblich auswirken. So gilt etwa in dem von der Auftraggeberin zunächst bestimmten nichtoffenen Verfahren gem. § 24 Abs. 1 VOL/A ein Nachverhandlungsgebot. Die Auftraggeberin hat diesem Verbot zuwider das Vergabeverfahren gerade ausschließlich durch Nachverhandlungen fortgeführt und im Zuge dieser Nachverhandlungen die einzelnen Bieter nach und nach ausgeschlossen. Wollte man die Beanstandung eines offensichtlich vergaberechtswidrigen Abweichens vom nichtoffenen Verfahren, das nach der Systematik des § 3 a VOB/A dem nur ausnahmsweise zulässigen Verhandlungsverfahren vorrangig ist, weil es einen transparenteren Wettbewerb gewährleistet (vgl. Jasper in: Beck'scher VOB-Kommentar, § 3 a VOB/A, Rdnr. 26), allein von einer Rüge abhängig machen, bliebe dieser schwerwiegende Verstoß ohne Sanktion.
Aber selbst wenn man unterstellt, die Auftraggeberin hätte von Anfang an ein Verhandlungsverfahren mit vorausgehendem Teilnahmewettbewerb durchgeführt, wären ebenfalls erhebliche Mängel zu verzeichnen. Das vorliegende Verfahren genügt auch nicht den Anforderungen an ein transparentes Verhandlungsverfahren gemäß § 3 a Nr. 4 VOB/A. So konnte die Auftraggeberin auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung nicht mit letzter Sicherheit angeben, zu welchem Zeitpunkt der Teilnahmewettbewerb abgeschlossen war. Auch waren die von den Bewerbern einzuhaltenden technischen Bedingungen mit den "Erweiterten Rahmenbedingungen zum Teilnahmewettbewerb (Stand Oktober 2004)" erst kurz vor Abschluss des Verfahrens fertig gestellt. Das Vergabeverfahren leidet überdies an zahlreichen Mängeln in der Dokumentation. Es bleiben etwa viele Auswertungen in Tabellenform ohne Erläuterung, auch fehlen die Schlussfolgerungen aus diesen Übersichten. Im Falle einer erneuten Ausschreibung ist die Auftraggeberin gehalten, einen den Anforderungen des § 30 VOL/A genügenden Vergabevermerk zu fertigen.
Gemäß § 114 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Während die Verletzung der Rechte der Antragstellerin durch die von ihr rechtzeitig gerügte mangelnde Information über ihren Ausschluss bereits dadurch beseitigt werden könnte, dass die Vergabekammer die Auftraggeber verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten und diese unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen, ist der Vergaberechtsverstoß durch den Wechsel zum Verhandlungsverfahren nicht durch einen Wiedereintritt in die Angebotswertung heilbar. Es ist erforderlich, die Aufhebung der Ausschreibung durch Beschluss der Vergabekammer herbeizuführen. Da der Vergaberechtsverstoß das gesamte Vergabeverfahren betrifft, kann er nicht durch mildere Maßnahmen beseitigt werden. Die Vergabekammer hat diese Vergaberechtsverletzung wegen der Schwere des Verstoßes gem. § 110 Abs. 1 GWB von Amts wegen zu berücksichtigen.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, sodass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw., in Ausnahmefällen, 50.000 Euro beträgt.
Es wird eine Gebühr in Höhe von 3.219 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung 2.326.991,32 EUR. Dieser Betrag entspricht der geprüften Angebotssumme der Antragstellerin von März 2005 für die ausgeschriebene Leistung inklusive vierjähriger Folgekosten und damit ihr Interesse am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt an Hand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 -1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 2.326.991,32 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 3.219 EUR. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.
Die im Tenor verfügte Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass die Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren i.S.d. § 128 Abs.3 Satz 1 GWB in der Hauptsache unterlegen ist.
Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten der Antragstellerin, die dieser zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war auf Antrag der Antragstellerin festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von einem fachkundigen, erfahrenen Bieter wie der Antragstellerin grundsätzlich verlangen darf, dass erüber das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A verfügt, bedurfte er für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen Bieter ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes. Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306). Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.
Angesichts der oben erörterten Tatsache, dass die Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
Die Auftraggeberin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von 3.219 EUR unter Angabe des Kassenzeichens
xxxxxxxxxxxxxxx
auf folgendes Konto zu überweisen: NORD/LB (BLZ 250 500 00) Konto 106035355
Schulte,
Dr. Freise