Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 29.04.2005, Az.: VgK-19/2005
Auftrag für Schwimmbaggerarbeiten und Pumparbeiten im Industriehafen; Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 29.04.2005
- Aktenzeichen
- VgK-19/2005
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 21717
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs. 7 GWB
- § 109 GWB
- § 114 Abs. 2 GWB
- § 115 Abs. 3 GWB
- § 117 Abs. 1 GWB
- § 3a Nr. 5 lit. e VOB/A
- § 26 Nr. 1 lit. c VOB/A
- § 935 ZPO
- § 940 ZPO
- § 123 VwGO
Verfahrensgegenstand
VOB-Vergabeverfahren "Aufnahme und Ablagerung von Baggergut aus dem Industriehafen xxxxxxx", Februar 2005
In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Pade
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Eilantrag der Antragstellerin, der Auftraggeberin im Wege einer vorläufigen Maßnahme i.S.d. § 115 Abs. 3 GWB zu untersagen, die Leistungen des streitgegenständlichen Verfahrens vor einer Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der Beschwerdefrist nach § 117 Abs. 1 GWB ausführen zu lassen, wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Beschluss im Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Begründung
I.
Die Auftraggeberin hatte einen Auftrag für Schwimmbagger- und Pumparbeiten im Industriehafen xxxxxxx im Februar 2004 europaweit ausgeschrieben. Der Beginn der Arbeiten war für den 01.04.2004 geplant. Die Arbeiten sollten voraussichtlich bis zum 30.09.2005 abgeschlossen sein. Der Auftrag wurde der Fa. xxxxxxx erteilt. Bei Ausführung der Baggerarbeiten wurden im Baggergut Schutt, Schrott, Steine und sonstiger Unrat gefunden. Das Material konnte nicht auftragsgemäß verspült werden. Da Art und Umfang des Unrats im Leistungsverzeichnis zum Hauptauftrag nicht beschrieben waren, hat die Auftragnehmerin in der Bergung und Beseitigung des Unrats daher entsprechende zusätzliche Leistungen außerhalb des Hauptauftrages gesehen. Die beauftragten Schwimmbagger- und Pumparbeiten wurden am 01.10.04 eingestellt, weil sie aufgrund der vorgefundenen Mengen Unrats technisch nicht unverändert fortgeführt werden konnten.
Die Auftraggeberin nahm daher mit der Auftragnehmerin des Hauptauftrags, der beigeladenen Fa. xxxxxxx, Verhandlungen über einen entsprechenden Nachtragsauftrag im Wege eines Verhandlungsverfahren nach § 3 a Nr. 5 lit. e VOB/A auf. Da die Auftraggeberin mit dem von ihr beauftragten Ingenieurbüro unterschiedliche technische Lösungsvorschläge für die Bergung und Beseitigung des Unrats entwickelt hatte, hat die Auftragnehmerin entsprechende Nachtragsangebote ausgearbeitet, über welche preislich und technisch verhandelt worden ist. Das aktuellste Nachtragsangebot der Auftragnehmerin trägt das Datum 25.01.2005. Es wurde ausweislich der Vergabeakte rechnerisch und sachlich geprüft und blieb unbeanstandet. Dieses Nachtragsangebot für die Fortführung der bereits 2004 beauftragten Arbeiten unter Bergung des Unrats beläuft sich auf eine Summe von 3.236.533,60 EUR brutto. Auf dieses Angebot erteilte die Auftraggeberin der Beigeladenen den Nachtragsauftrag. Die Auftragsbestätigung datiert vom 15.04.2005.
Parallel zu den Nachtragsverhandlungen und offenbar ohne Wissen der Beigeladenen hat die Auftraggeberin ab Dezember 2004 über die identischen Leistungen mit weiteren Firmen verhandelt und diesen dabei ausdrücklich mitgeteilt, dass die Beauftragung eines anderen Bieters dann in Betracht käme, wenn die Verhandlungen mit dem bisherigen Auftragnehmer nicht zu einer Nachtragsbeauftragung führen sollten. Die Vergabeakte enthält mehrere Angebote, die in diesem Rahmen offenbar für verschiedene technische Lösungen abgegeben worden sind.
Am 10.02.05 hat die Auftraggeberin (ohne vorherige Bekanntmachung) mindestens zwei Firmen förmlich zur Abgabe von Angeboten auf ein von ihr erarbeitetes Leistungsverzeichnis aufgefordert, um die Entscheidung über das Nachtragsangebot der Beigeladenen, die für den 18.02.05 terminiert war - nach eigener Darstellung der Auftraggeberin - "möglichst optimal vorzubereiten". Sie verwies in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots noch einmal ausdrücklich auf den bereits in den Vorgesprächen mitgeteilten o. a. Vorbehalt. Sie bezeichnet diese Aufforderung als "Leistungsanfrage" und die abgegebenen Angebote als "indikative Angebote".
Nach Maßgabe der Vergabeakte hat dies keiner der aufgeforderten Bieter gerügt. Nur die Antragstellerin hat in diesem Parallelverfahren fristgerecht ein Haupt- und ein Nebenangebot abgegeben. Das Hauptangebot der Antragstellerin beläuft sich auf 4.179.931,82 EUR, ihr Nebenangebot hat eine Angebotssumme von 4.077.034,02.
Nach den in der Vergabeakte nicht dokumentierten Darlegungen der Auftraggeberin hat ihr Aufsichtsrat in seiner Sitzung am 18.02.05 beschlossen, das Nachtragsangebot der Beigeladenen vom 25.01.05 anzunehmen. Die Antragstellerin erhielt durch die Presse Kenntnis von dieser Entscheidung. Mit Schreiben vom 24.02.05 (der Vergabeakte nicht beigefügt) forderte sie die Auftraggeberin auf, bis zum 25.02.05 den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen, da es das wirtschaftlichste Angebot sei.
Um - nach Aussage der Auftraggeberin - Streitigkeiten zu vermeiden, sagte die Auftraggeberin mit Schreiben an die Antragstellerin vom 25.02.05 (der Vergabeakte nicht beigefügt) eine Überprüfung der Sach- und Rechtslage zu. Die Auftraggeberin kam zu dem Ergebnis, dass kein Anlass für eine Änderung der beschlossenen Entscheidung besteht.
Die Auftraggeberin beraumte daraufhin zwei Einigungsgespräche mit der Antragstellerin und der Beigeladenen mit dem Ziel einer vergleichsweisen Einigung an. Die Gespräche am 15. und am 21.03.05 brachten nicht das gewünschte Ergebnis, da Antragstellerin und Beigeladene nicht zu einer von der Auftraggeberin vorgeschlagenen Kooperation bereit waren.
Nach Darlegung der Auftraggeberin sei jedoch mit der Antragstellerin Einvernehmen dahingehend erreicht worden, dass der Aufsichtsrat noch einmal umfassend über die Sach- und Rechtslage und insbesondere die Rechtsauffassung der Antragstellerin informiert werden solle, um auf dieser Grundlage erneut zu beschließen. Die Antragstellerin sei für diesen Fall sogar bereit gewesen, sich der Aufsichtsratsentscheidung unter Verzicht auf Rechtsmittel zu unterwerfen.
Dementsprechend hat der Aufsichtsrat der Auftraggeberin am 06.04.05 erneut über die Vergabeentscheidung beraten und beschlossen, an der Entscheidung zur Vergabe des Nachtragsauftrags an die Beigeladene festzuhalten.
Ausweislich der Vergabeakte hat die Auftraggeberin einen entsprechenden Nachtragsauftrag erteilt, die Auftragsbestätigung datiert vom 15.04.05.
Mit Schreiben vom 07.04.05 hat die Auftraggeberin die Antragstellerin über die am 06.04.05 beschlossene Aufhebung des Vergabeverfahrens informiert.
Mit Schreiben vom 11.04.05 rügte die Antragstellerin die Aufhebung der Ausschreibung. Sie forderte die Auftraggeberin auf, die aus ihrer Sicht vergaberechtswidrige Aufhebung rückgängig zu machen und das Vergabeverfahren ordnungsgemäß durch Zuschlagserteilung auf das wirtschaftlichste Angebot, das Angebot der Antragstellerin, zu erteilen. Gleichzeitig verwies sie auf die Regelungen des § 13 VgV.
In ihrer Antwort vom 15.04.05 teilte die Auftraggeberin mit, dass eine Auftragsvergabe endgültig aufgegeben worden sei.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 19.04.05, eingegangen per Fax am gleichen Tage, beantragte die Antragstellerin bei der Vergabekammer die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Die Vergabekammer hat mit Verfügung vom 06.04.2005 der Auftraggeberin den Nachprüfungsantrag zu gestellt und vorab per Fax am gleichen Tage bekannt gegeben.
Die Antragstellerin hat angekündigt, in der noch nicht stattgefundenen mündlichen Verhandlung in der Hauptsache zu beantragen,
- 1.
festzustellen, dass die Ausschreibung "Aufnahme und Ablagerung von Baggergut aus dem Industriehafen xxxxxxx, Februar 2005" nicht wirksam aufgehoben worden ist,
- 2.
festzustellen, dass eine etwaige zwischenzeitlich erteilte Auftragsvergabe an den Bieter xxxxxxx nichtig ist,
- 3.
die Auftraggeberin zu verpflichten, das Vergabeverfahren fortzusetzen,
- 4.
hilfsweise für die Fälle des § 114 Abs. 2 GWB festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist.
Mit Schriftsatz vom 26.04.2005 hat die Antragstellerin gesondert einen Eilantrag gestellt und unter Berufung auf § 115 Abs. 3 GWB zum Schutz der Rechte der Antragstellerin aus § 97 Abs. 7 GWB beantragt,
der Auftraggeberin zu untersagen, die Leistungen des streitgegenständlichen Verfahrens vor einer Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der Beschwerdefrist nach § 117 Abs. 1 GWB ausführen zu lassen.
Die Auftraggeberin hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag und den Eilantrag zurückzuweisen.
Die Vergabekammer hat die Fa. xxxxxxx gemäß § 109 GWB beigeladen, weil ihre Interessen schwerwiegend berührt sind.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte verwiesen.
II.
Der auf § 115 Abs. 3 GWB gestützte Eilantrag der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet. Die Antragstellerin ist durch eine Fortführung der bereits 2004 beauftragten und begonnenen, am 01.10.04 wegen des vorgefundenen Unrats vorübergehend eingestellten Schwimmbagger- und Pumparbeiten unter Bergung des Unrats nicht in ihren Rechten im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB verletzt, da diese auf einem bereits 2004 auf der Grundlage eines Vergabeverfahrens mit der Beigeladenen geschlossenen Vertrages beruhen. Die Voraussetzungen für die erfolgte Nachtragsbeauftragung bezüglich der Bergung des bei der ursprünglichen Beauftragung nicht bekannten Unrats waren gemäß § 3 a Nr. 5 lit. e) VOB/A gegeben, weil sich diese Leistungen nicht ohne wesentliche technische und wirtschaftliche Nachteile von den bereits 2004 verbindlich beauftragten Leistungen trennen lassen.
Dagegen hat der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin, der auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Nachtragsauftrages und die Feststellung der Unwirksamkeit der Aufhebung des von der Auftraggeberin ohne Wissen der Beigeladenen parallel mit der Antragstellerin und weiteren Unternehmen geführten Verhandlungsverfahrens über die identischen streitgegenständlichen Leistungen gerichtet ist, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zu diesen Parallelverhandlungen war die Auftraggeberin vergaberechtlich nicht befugt. Sie dienten der Markterkundung und damit vergabefremden Zwecken i.S.d. § 16 Nr. 2 VOB/A. Die beanstandete Selbstaufhebung dürfte damit ungeachtet der Motivation der Auftraggeberin schon wegen Vorliegens schwerwiegender Gründe gemäß § 26 Nr. 1 lit. c VOB/A nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten sein.
1.
Der Eilantrag ist zulässig. Gemäß § 115 Abs. 3 GWB kann die Vergabekammer auf besonderen Antrag eines Antragstellers in einem Vergabenachprüfungsverfahren mit weiteren vorläufigen Maßnahmen in das Vergabeverfahren eingreifen, wenn Rechte des Antragstellers aus § 97 Abs. 7 GWB im Vergabeverfahren auf andere Weise als durch den drohenden Zuschlag gefährdet sind. Derartige Anträge sind zulässig, da sie immer dann statthaft sind, wenn das Verfahren in der Hauptsache vor der Vergabekammer - wie im vorliegenden Fall - anhängig ist (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 04.03.2002, Az.: 1/SVK/019-02). Dem Antrag fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dieses wäre lediglich zu verneinen, wenn die Rechte des Antragstellers bereits durch das bestehende Zuschlagsverbot gem. § 115 Abs. 1 GWB ausreichend geschützt wären und der Antragsteller seine Rechtsposition durch eine Entscheidung nach § 115 Abs. 3 GWB nicht verbessern könnte (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 115, Rdnr. 58). Im vorliegenden Fall greift der Schutz des § 115 Abs. 1 GWB aber nicht, weil gerade eine bereits erfolgte Nachtragsbeauftragung und die Aufhebung eines parallel geführten Verhandlungsverfahrens Streitgegenstand sind. Ein Eilantrag, der darauf gerichtet ist, die Fortführung der streitgegenständlichen Leistungen bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens zu untersagen, damit das potenziellepotentielle Auftragsvolumen nicht verringert wird, ist daher grundsätzlich gemäß § 115 Abs. 3 GWB zulässig.
2.
Der auf § 115 Abs. 3 GWB gestützte Eilantrag der Antragstellerin ist jedoch unbegründet. Ein Antrag nach § 115 Abs. 3 GWB kommt grundsätzlich in den Fällen in Betracht, in denen die Chancen des Antragstellers, den Auftrag zu erhalten durch rechtswidrige Maßnahmen im Rahmen des Vergabeverfahrens gemindert werden (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 115 Rdnr. 57).
Bei der Ermessensentscheidung der Vergabekammer, ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat sie den Entscheidungsmaßstab des § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB zugrunde zu legen. Damit setzt ein positiver Antrag voraus, dass die beantragte Maßnahme unter Abwägung aller betroffenen Interessen zur Sicherung der Rechte der Antragstellerin notwendig ist. Dabei können auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als zusätzlicher Abwägungsgesichtspunkt eine Rolle spielen (vgl. Boesen, a.a.O., Rdnr. 59). Zwar regelt § 115 Abs. 3 Satz 2 GWB ausdrücklich nur, dass die Vergabekammer den Beurteilungsmaßstab des Abs. 2 Satz 1 zugrunde zu legen hat. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass nicht auch zusätzlich der Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten in der Hauptsache einzubeziehen ist (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 04.03.2002, Az.: 1/SVK/019-02). Da § 115 Abs. 3 GWB eine vorläufige Sicherung von Rechten des Antragstellers bewirken soll, scheiden solche Maßnahmen im Eilverfahren aus, wenn im Hauptsacheverfahren Rechte des Antragstellers nicht verletzt sind oder voraussichtlich nicht verletzt sind. Wie jedes Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes - § 115 Abs. 3 GWB ähnelt den Regelungen in §§ 935, 940 ZPO und 123 VwGO - bedarf es für einen erfolgreichen Antrag eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs. Scheidet ein Anordnungsanspruch erkennbar oder überwiegend wahrscheinlich aus, verbietet sich eine Anordnung gem. § 115 Abs. 3 GWB.
Im vorliegenden Fall ist jedoch - vorbehaltlich der abschließenden Entscheidung im anhängigen Nachprüfungsverfahren - überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch hat. Das mit dem Nachprüfungsantrag verfolgte Ziel der Antragstellerin beruht auf der unstreitigen Tatsache, dass die Auftraggeberin ausweislich der in der Vergabeakte enthaltenen Auftragsbestätigung vom 15.04.2005 die streitgegenständlichen Leistungen im Wege eines Nachtragsauftrages an die im vorangegangen, europaweiten offenen Verfahren "Baggerung im xxxxxxx Industriehafen" (xxxxxxx) obsiegende und beauftragte Beigeladene vergeben hat, während sie ein parallel im Februar mit der Antragstellerin und zumindest einem weiteren Unternehmen geführtes Verhandlungsverfahren mit Beschluss des Aufsichtsrates der Auftraggeberin vom 06.04.2005 aufgehoben und diese Aufhebung der Antragstellerin mit Schreiben vom 07.04.2005 mitgeteilt hat. Unstreitig ist auch, dass die Antragstellerin von Anfang an wusste, dass eine Auftragserteilung in diesem parallelen Verhandlungsverfahren nur möglich sein würde, wenn die Nachtragsverhandlungen mit der Beigeladenen nicht zu einem wirtschaftlicheren Ergebnis führen würden. Demgegenüber wurde die Beigeladene sowohl nach ihrem eigenen Vortrag als auch ausweislich der Vergabeakte von der Auftraggeberin über die Parallelverhandlung nicht informiert. Es wurde somit kein einheitliches Verhandlungsverfahren geführt, sondern ein Nachtragsverfahren mit der Beigeladenen im Rahmen eines bereits rechtswirksam bestehenden und noch nicht zu Ende geführten Vertragsverhältnisses und parallel dazu ein weiteres Verhandlungsverfahren mit der Antragstellerin und mindestens einem weiteren Unternehmen.
Die Voraussetzung für vergaberechtlich zulässige Nachtragsverhandlungen mit der Beigeladenen gemäß § 3 a Nr. 5 lit. e VOB/A lagen nach Aktenlage vor. Danach ist das Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung unter anderem zulässig, wenn an einen Auftragnehmer zusätzliche Leistungen vergeben werden sollen, die weder in seinem Vertrag noch in dem ihm zugrunde liegenden Entwurf enthalten sind, jedoch wegen eines unvorhergesehenen Ereignisses zur Ausführung der im Hauptauftrag beschriebenen Leistung erforderlich sind, sofern diese Leistungen sich aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht ohne wesentliche Nachteile für den Auftraggeber vom Hauptauftrag trennen lassen. Unstreitig war die Beseitigung des einer Verspülung des Baggergutes entgegenstehenden Schuttes, Schrottes, der Steine und sonstigen Unrates nicht Gegenstand der ursprünglichen Ausschreibung der Baggerleistungen vom Februar 2004 gewesen, mit der die Beigeladene wirksam beauftragt wurde. Der Unrat wurde vielmehr erst gelegentlich der Baggerarbeiten entdeckt. Da eine Erfüllung der vertraglich von der Beigeladenen geschuldeten Baggerarbeiten inklusive Verspülung des Baggergutes ohne gleichzeitige Beseitigung des Unrats nicht möglich ist, lassen sich beide Leistungen aus technischen Gründen jedenfalls nicht vernünftigerweise und nicht ohne technische Nachteile trennen.
Die entsprechenden Nachtragsverhandlungen durfte die Auftraggeberin somit führen - aufgrund des eindeutigen Wortlautes des§ 3 a Nr. 5 lit. e VOB/A aber eben nur und ausschließlich mit dem bisherigen Auftragnehmer, also allein mit der Beigeladenen.
Demgegenüber verstieß das mit der Antragstellerin nach eigenem Vortrag der Auftraggeberin offenbar vorsorglich und zu "Preisvergleichszwecken" geführte Verhandlungsverfahrenüber die identischen Leistungen gegen das in § 16 Nr. 2 VOB/A geregelte Verbot einer Ausschreibung für vergabefremde Zwecke. Das Vergabeverfahren ist allein Mittel zum Zweck der Erteilung eines Bauauftrages. Es muss daher ernsthaft auf das Ziel der Auftragserteilung gerichtet sein. Dies gilt für alle Vergabeverfahren gleichermaßen. Schreibt der Auftraggeber Bauleistungen ohne konkrete Vergabeabsicht aus, so täuscht er die Bewerber und Bieter, die sich im Vertrauen auf einen echten Bedarf und in der Erwartung, den Auftrag erhalten zu können, an der Ausschreibung beteiligen und Zeit und Kosten für die Ausarbeitung eines ernst gemeinten Angebotes aufwenden. Unzulässig ist deshalb unter anderem auch eine Ausschreibung zum Zwecke der Markterkundung und zur Einholung von Vergleichsanschlägen (vgl. Sterner in: Beck'scher VOB-Kommentar,§ 16, Rdnr. 20 ff., Rdnr. 24, m.w.N.). Diese in § 16 VOL/A ausdrücklich genannten Beispielsfälle stellen auch im Rahmen der VOB/A vergabefremde und damit unzulässige Zwecke dar. Die Markterkundung ist nur als Vorstufe und zur Vorbereitung eines Vergabeverfahrens zulässig. Aus den gleichen Erwägungen ist ein Vergabeverfahren mit dem Ziel, Vergleichsanschläge einzuholen, unzulässig. Benötigt eine Vergabestelle im Vorfeld von Vergabeverfahren Preisangaben von Unternehmen - etwa, um realistische Haushaltsansätze und -planungen zu ermöglichen - so ist sie gehalten, an geeignete Unternehmen heranzutreten und diese außerhalb eines Vergabeverfahrens um Preisangaben zu bitten. Im vorliegenden Fall bestand für die Auftraggeberin aber nicht einmal dazu Anlass, da bezüglich der Bagger-, Pump- und Spülarbeiten bereits ein gültiger, noch laufender Vertrag mit der Beigeladenen bestand und auch die Nachtragsverhandlungen über die Bergung des Unrats nicht gescheitert sind.
Wegen des schwerwiegenden Verstoßes gegen das Verbot der Ausschreibung zu vergabefremden Zwecken gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A dürfte die Auftraggeberin nach der im Eilverfahren nach § 115 Abs. 3 GWB von der Vergabekammer vorzunehmenden Prüfung im Ergebnis nicht nur berechtigt, sondern sogar gehalten gewesen sein, das mit der Antragstellerin parallel geführte Verhandlungsverfahren aus schwerwiegenden Gründen gemäß § 26 Nr. 1 lit. c VOB/A aufzuheben. Denn ein derartiger Aufhebungsgrund liegt u.a. gerade auch dann vor, wenn der Auftraggeber im Verfahren selbst, wie im vorliegenden Fall, schwerwiegend gegen Vergaberecht verstoßen hat oder sonstige wesentliche Fehler gemacht hat (vgl. Jasper in: Beck'scher VOB-Kommentar, § 26 VOB/A Rdnrn. 31 ff., 36, 37, m.w.N.).
Es ist damit überwiegend wahrscheinlich, dass der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg haben wird. Ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch im oben beschriebenen Sinne liegen damit nicht vor.
Gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 GWB hat die Vergabekammer aber außerdem den Beurteilungsmaßstab des Abs. 2 Satz 1 zugrunde zu legen. Entsprechend § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB muss die beantragte Maßnahme unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit zur Sicherung der Rechte der Antragstellerin notwendig sein. Das Interesse der Antragstellerin liegt vorliegend darin, zu verhindern, dass ihre Position im Vergabeverfahren trotz eines etwaigen Erfolges im Nachprüfungsverfahren weiter dadurch geschmälert wird, dass der Auftragsgegenstand faktisch dadurch verringert wird, dass die Auftraggeberin Teile der streitbefangenen Leistung auf der Grundlage des geschlossenen Nachtragsvertrages bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens durch die Beigeladene ausführen lässt. Dem steht grundsätzlich das Interesse der Auftraggeberin und auch der Öffentlichkeit entgegen, den seit 01.10.2004 unterbrochenen Baggerarbeiten Fortgang zu geben.
Dieses Interesse des Auftraggebers, das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen auf Erfüllung des 2004 wirksam geschlossenen Vertrages überwiegen angesichts der oben dargelegten, nicht hinreichenden Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags das Interesse der Antragstellerin, nach rechtskräftigem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens einen möglichst ungeschmälerten Auftrag zu erhalten. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die von der Antragstellerin beantragte Untersagung jeglicher streitgegenständlicher Bagger-, Spül- und Bergungsarbeiten nicht gerechtfertigt.
Der Eilantrag war daher zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung für das Verfahren nach § 115 Abs. 3 GWB bleibt dem Beschluss in der Hauptsache vorbehalten.
IV.
Entscheidungen der Vergabekammern nach § 115 Abs. 3 GWB sind gem. § 115 Abs. 3 Satz 3 GWB nicht selbstständigselbständig anfechtbar.
Rohn
Dr. Pade