Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.11.2013, Az.: 1 LA 65/13

Wirkung der baurechtlichen Anordnung der Beseitigung eines verfallenden Gebäudes gegenüber dem Rechtsnachfolger

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.11.2013
Aktenzeichen
1 LA 65/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 49811
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:1115.1LA65.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 19.02.2013 - AZ: 4 A 2930/11

Fundstellen

  • BauR 2014, 595
  • BauR 2014, 1132-1133
  • DÖV 2014, 170
  • NordÖR 2014, 147
  • ZfBR 2014, 168

Amtlicher Leitsatz

Die baurechtliche Anordnung gemäß § 54 NBauO 2003 (nunmehr § 79 Abs. 3 Satz 1 NBauO 2012), ein verfallendes Gebäude zu beseitigen, wirkt gegenüber dem Rechtsnachfolger.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich als Rechtsnachfolger gegen eine seinem verstorbenen Vater gegenüber ergangene Verfügung des Beklagten, mit der dieser die Beseitigung eines baufälligen Bauernhauses anordnet.

Der Kläger ist als Rechtsnachfolger seines im Jahr 2005 verstorbenen Vaters Eigentümer des Grundstücks D. 2 in der Gemeinde E.. Das Grundstück ist mit einem Eindachhof, bestehend aus Wohnung, Stall und Scheune, bebaut.

Im Jahr 2004 stellte der Beklagte fest, dass das Gebäude leer stand und deutliche Anzeichen von Verfall zeigte. Auf im Januar 2004 erstellten Fotos ist zu sehen, dass die Fenster zerschlagen bzw. durch Bretter ersetzt worden waren und die stallseitige Außenwand in Teilen eingestürzt war. Die Türen und Tore waren teilweise mit Abfällen verstellt. Das umliegende Grundstück war mit Unkraut und jungem Baumbestand überwuchert; zudem lagerten dort Abfälle. Der Beklagte ordnete daraufhin mit Verfügung vom 10. Mai 2004 die Beseitigung des Gebäudes an. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2004 zurück.

Der Vater des Klägers erhob daraufhin Klage, die er im Wesentlichen damit begründete, dass er das zu früherer Zeit vermietete und im Wesentlichen intakte Gebäude in den Ferien selbst nutze. Nachdem er während des Verfahrens verstorben und das Verfahren im Dezember 2011 mit dem Kläger fortgeführt worden war, begründete dieser die Klage mit einer fortdauernden Nutzung des - wie im Jahr 2012 erstellte Lichtbilder zeigen - mittlerweile zum Teil eingestürzten Gebäudes zur Lagerung von Heu und zur Unterstellung von landwirtschaftlichen Geräten durch einen Pächter.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Februar 2013 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Beklagte habe zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids die Beseitigung gemäß § 54 NBauO anordnen dürfen. Das Gebäude sei nicht mehr genutzt worden, nachdem die letzten Mieter im Jahr 1998 ausgezogen seien. Es sei zudem im Verfall begriffen gewesen; Maßnahmen zur Erhaltung habe der Vater des Klägers nicht ergriffen. Die Anordnung sei auch frei von Ermessensfehlern. Schutzwürdige persönliche Belange habe der Vater des Klägers nicht geltend gemacht; die abgängige Bausubstanz habe auch keinen eigentumsrechtlichen Bestandsschutz mehr genossen. Die Verfügung wirke schließlich auch gegenüber dem Kläger als Gesamtrechtsnachfolger. Es handele sich um einen grundstücksbezogenen Verwaltungsakt; für derartige Verwaltungsakte sei anerkannt, dass sie auf den Gesamtrechtsnachfolger übergingen.

Diesen Ausführungen tritt der Kläger mit seinem Antrag auf

Zulassung der Berufung

entgegen; der Beklagte verteidigt demgegenüber die verwaltungsgerichtliche Entscheidung.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt wird, dass sich am Ergebnis der Entscheidung etwas ändert. Das ist dem Kläger nicht gelungen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug nimmt, entschieden, dass die auf § 54 NBauO 2003 gestützte Beseitigungsverfügung des Beklagten vom 10. Mai 2004 keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Die Einwände des Klägers überzeugen den Senat nicht.

Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Gebäude sei zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2004 nicht genutzt worden. Soweit er behauptet, tatsächlich habe ein Landwirt zum damaligen Zeitpunkt dort seine Geräte im Rahmen eines Pachtverhältnisses untergestellt, handelt es sich bei diesem - gegenüber seinem Vortrag im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gesteigerten Vorbringen (Schriftsatz vom 26. März 2012) - ersichtlich um eine Behauptung ins Blaue hinein, für deren Richtigkeit nicht der geringste Anhaltspunkt spricht. Im Gegenteil zeigen die im Januar 2004 von dem Beklagten gefertigten Fotos, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Außenwand des Wirtschaftsteils des Gebäudes teilweise eingestürzt und das Tor durch dort lagernde Abfälle verstellt war. Hinzu kommt, dass der Vater des Klägers zu Lebzeiten keine Nutzung des Gebäudes durch Dritte behauptet hat. Im Gegenteil hat er lediglich angegeben, er bewohne das - angesichts seines Zustandes offensichtlich unbewohnbare - Gebäude während der Ferien selbst. Da dem Vater des Klägers die rechtliche Bedeutung einer fortdauernden Nutzung - wie seine Äußerungen belegen - sehr wohl bekannt war, spricht nichts dafür, dass er dem Beklagten eine landwirtschaftliche Nutzung verschwiegen hätte. Vor diesem Hintergrund ist ungeachtet der Tatsache, dass Lichtbilder vom Inneren des Gebäudes nicht vorliegen, offensichtlich nicht von einer Nutzung des Gebäudes im Jahr 2004 auszugehen.

Auch das weitere Vorbringen des Klägers, Maßnahmen zur Substanzerhaltung seien nur aufgrund einer Erkrankung seines Vaters bzw. nach seinem Tod aufgrund der schwebenden Beseitigungsverfügung unterblieben, erlaubt keine andere Betrachtung. Gemäß § 54 NBauO 2003 kommt es grundsätzlich nicht darauf an, aus welchen Gründen substanzerhaltende Maßnahmen unterbleiben. Ist die Bausubstanz erheblich beschädigt und ist von einem weiteren Fortschreiten auszugehen, reicht das aus, um eine bauliche Anlage als "im Verfall begriffen" anzusehen.

Wiederum spekulativ ist angesichts der durch Lichtbilder belegten Baufälligkeit des Gebäudes die sinngemäß aufgestellte Behauptung des Klägers, die Bausubstanz sei wiederherstellbar gewesen. Überdies kommt es darauf nicht an. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist es ausreichend, das die bauliche Anlage (erhebliche) Schäden aufweist, deren Vergrößerung zu erwarten ist (vgl. auch Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 54 Rn. 5). Das war - wie ausgeführt - der Fall.

Ernstlichen Zweifeln begegnet schließlich auch nicht die - von dem Kläger lediglich im Rahmen seiner Ausführungen zu einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beanstandete - Annahme des Verwaltungsgerichts, die Beseitigungsverfügung wirke auch für und gegen den Rechtsnachfolger. Zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel kann dieses Vorbringen schon deshalb nicht führen, weil die Anfechtungsklage andernfalls wegen des Fehlens des Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen gewesen wäre. Wie das Verwaltungsgericht im Übrigen zu Recht ausgeführt hat, ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, dass grundstücksbezogene Verfügungen auf den Rechtsnachfolger übergehen (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 22.01.1971 - IV C 62.66 -, [...] Rn. 18 = NJW 1971, 1624 [BVerwG 22.01.1971 - BVerwG IV C 62.66]; Beschl. v. 20.10.1983 - 4 B 186.83 -, [...] Rn. 3; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, D 124). Ob sich dieses zudem daraus ergibt, dass § 89 Abs. 2 Satz 3 NBauO 2003 die Geltung von Anordnungen nach § 89 NBauO 2003 gegenüber den Rechtsnachfolgern ausdrücklich anordnet und diese Vorschrift auch im Rahmen des den § 89 NBauO 2003 ergänzenden § 54 NBauO 2003 (vgl. dazu Wiechert, a. a. O., Rn. 2) angewandt werden kann, lässt der Senat offen.

Gegen die Geltung der Beseitigungsverfügung gegen den Kläger bestehen auch vor dem Hintergrund der konkreten Umstände keine Bedenken. Weder die verstrichene Zeit zwischen dem Erlass der Verfügung und dem Abschluss des gerichtlichen Verfahrens, noch die dem Kläger entstandenen Schwierigkeiten, den damaligen Sachverhalt aufzuklären, rechtfertigen eine andere Betrachtung. Entgegenzuhalten ist dem Kläger bereits, dass die erhebliche Dauer des Verfahrens nicht dem Beklagten zur Last fällt, sondern maßgeblich auf der Verletzung eigener Obliegenheiten beruht. Ihm ist bereits im Jahr 2006 der Erbschein erteilt worden. Hätte er den Nachlass umgehend mit der gebotenen Sorgfalt gesichtet und sich sodann unverzüglich an den Beklagten oder das Gericht gewandt, wäre die von ihm nunmehr beklagte Verzögerung von (nahezu) zehn Jahren nicht eingetreten.

Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine grundsätzliche, fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Das ist nur dann zu bejahen, wenn die Klärung der von dem Kläger zu bezeichnenden Frage durch die im erstrebten Berufungsverfahren zu erwartende Entscheidung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine bedeutsame Fortentwicklung des Rechts geboten erscheint.

Legt man dies zugrunde, hat der Kläger eine solche Frage schon nicht in der gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise dargelegt. Er begründet die grundsätzliche Bedeutung damit, die vom Verwaltungsgericht zur Frage der Rechtsnachfolge zitierte Rechtsprechung sei nicht anwendbar, "weil aus dem in unserer Verfassung ungeschriebenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der damit möglichen Verwirkung ein entscheidender Gesichtspunkt nicht berücksichtigt wurde." Solange in der Niedersächsischen Bauordnung nicht eindeutig die Ermächtigung für eine Beseitigungsverfügung gegen den Rechtsnachfolger geregelt sei, sei die Frage, ob noch nach einem Zeitraum von zehn Jahren eine Wirksamkeit bestehe. Die vorstehenden Überlegungen lassen jede Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht zitierten und den zahlreichen weiteren Entscheidungen aus der Rechtsprechung vermissen. Sie bezeichnen im Hinblick die geltend gemachten Verhältnismäßigkeitserwägungen und den konkreten Zeitraum zudem eine Frage des Einzelfalls.

Ungeachtet dessen kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Frage der Rechtsnachfolge in durch Verwaltungsakt konkretisierte grundstücksbezogene Pflichten ist - wie oben ausgeführt - in Rechtsprechung und Literatur geklärt. Auf den Zeitraum, der seit Erlass der Verfügung vergangen ist, kommt es nicht an. Das zeigt das bereits zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 1971 (a.a.O.). Die Beseitigungsverfügung stammte aus dem November 1962; die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gegenüber der Rechtsnachfolgerin erging im Januar 1971 und damit mehr als acht Jahre später.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).