Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.11.2013, Az.: 1 LA 182/12

Nachweis der Beeinträchtigung der Wirksamkeit einer Verteidigungsanlage durch ein bestimmtes Vorhaben als Voraussetzung für die Anordnung eines Schutzbereichs gemäß § 1 Abs. 4 und § 2 SchBerG

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.11.2013
Aktenzeichen
1 LA 182/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 48596
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:1111.1LA182.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 04.09.2012 - AZ: 1 A 2297/11

Fundstellen

  • DÖV 2014, 132
  • NordÖR 2014, 147
  • ZNER 2013, 648-649
  • ZfBR 2014, 75

Amtlicher Leitsatz

Die Anordnung eines Schutzbereichs gemäß § 1 Abs. 4 und § 2 SchBerG setzt nicht den Nachweis voraus, dass die Wirksamkeit einer Verteidigungsanlage durch ein bestimmtes Vorhaben beeinträchtigt wird. Ausreichend ist es vielmehr, wenn aufgrund gesicherter Erkenntnisse und Erfahrungen anzunehmen ist, dass eine unbeschränkte Grundstücksnutzung die Wirksamkeit einer Verteidigungsanlage beeinträchtigen kann.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Vergrößerung des Schutzbereichs für eine Radaranlage der Bundeswehr, weil er seine Möglichkeiten zur Errichtung von Windenergieanlagen beeinträchtigt sieht.

Der Kläger ist Eigentümer der im C. Stadtteil D. gelegenen Flurstücke E., F., G. und H., Flur 1, Gemarkung D.. Die Flurstücke werden landwirtschaftlich genutzt; auf zwei Flurstücken betreibt eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter Beteiligung des Klägers zwei Windenergieanlagen.

In einer Entfernung von mehr als 2,5 km, aber weniger als 5 km von den Flurstücken des Klägers betreibt die Bundeswehr die Radaranlage D.. Dabei handelt es sich um ein Luftverteidigungsradar, das den gesamten norddeutschen Luftraums abdeckt. Für das Radar hatte die Beklagte mit Anordnung vom 26. April 1978 einen Schutzbereich im Umkreis von 2,5 km um die Anlage festgelegt, den sie mit der angegriffenen Anordnung vom 31. Mai 2011 auf ein Gebiet im Umkreis von 5 km um den Anlagenstandort erweiterte. Zur Begründung führte sie aus, die Einsatzfähigkeit der Verteidigungsanlage D. erfordere den vergrößerten Schutzbereich.

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Schutzbereichsanordnung gerichtete Klage mit Urteil vom 4. September 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnung des erweiterten Schutzbereichs sei erforderlich, weil - anders als früher - Hochbauten nicht mehr nur vereinzelt das Potenzial hätten, in das Strahlungsfeld der Radaranlage hineinzuwirken. Die im Nahbereich der Anlage von bis zu 5 km errichteten Windenergieanlagen des Windparks I. sowie eine Biogasanlage hätten gezeigt, dass es zu Verschattungen und Reflektionseffekten komme, die wiederum schwerwiegende Störungen in Gestalt von Falschzieldarstellungen und Zielverschiebungen verursachten. Um weiteren Störungen vorzubeugen, sei der mit der Schutzbereichsanordnung einhergehende Genehmigungsvorbehalt für neue bauliche Anlagen erforderlich und auch verhältnismäßig.

II.

Der Antrag auf

Zulassung der Berufung

hat keinen Erfolg.

Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), eines erheblichen Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) sowie besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt wird, dass sich am Ergebnis der Entscheidung etwas ändert. Das ist dem Kläger nicht gelungen.

Im Ausgangspunkt missverständlich ist allerdings die von dem Kläger nicht angegriffene Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Prüfung einer Schutzbereichsanordnung ähnele der Prüfung des Belanges der Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen in baurechtlichen Genehmigungsverfahren (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB). Wie das Verwaltungsgericht in seinen folgenden Ausführungen selbst feststellt, unterscheidet sich die Anordnung eines Schutzbereichs hinsichtlich ihrer Zielsetzung und ihrer Rechtswirkungen grundlegend von dem Erfordernis, im Verfahren zur Genehmigung eines bestimmten Vorhabens eine Störung der Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen zu vermeiden.

Eine Schutzbereichsanordnung dient allgemein, also unabhängig von einem konkreten Vorhaben, dem Schutz und der Erhaltung der Wirksamkeit von Verteidigungsanlagen (§ 1 Abs. 2 SchBerG). Mit einer solchen Anordnung wird die Benutzung von Grundstücken eingeschränkt, um zukünftigen Beeinträchtigungen unter anderem durch bauliche Anlagen, durch die Veränderung von Gewässern, die Art und Weise der Bodennutzung oder auch die sonstige Nutzung eines Grundstücks innerhalb des Schutzbereichs vorzubeugen (vgl. BT-Drs. 2/1664, S. 7). Mit einer Schutzbereichsanordnung gehen deshalb ein Genehmigungsvorbehalt im Fall der Errichtung, Änderung und Beseitigung baulicher Anlagen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchBerG) sowie die Möglichkeit von Nutzungseinschränkungen (§ 5 Abs. 1 SchBerG) einher. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB dient demgegenüber einem anderen Zweck. Die Vorschrift zielt darauf ab, eine Störung der Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen durch ein konkretes Vorhaben zu verhindern. Sie erfordert deshalb den Nachweis, dass von dem Vorhaben tatsächlich eine (wesentliche) Störung einer Funkstelle oder Radaranlage ausgeht (vgl. dazu VG Hannover, Beschl. v. 21.12.2010 - 12 B 3465/10 -, ZNER 2011, 90; nachfolgend Nds. OVG, Beschl v. 13.4.2011 -12 ME 8/11 -, BRS 78 Nr. 119).

Fehlt es bei der Schutzbereichsanordnung mithin an einem konkreten Vorhabenbezug, bedarf es naturgemäß nicht des Nachweises einer konkreten Störung der geschützten Verteidigungsanlage durch ein bestimmtes Vorhaben. Ausreichend ist vielmehr, dass aufgrund gesicherter Erkenntnisse und Erfahrungen anzunehmen ist, dass eine unbeschränkte Grundstücksnutzung die Wirksamkeit einer Verteidigungsanlage beeinträchtigen kann (vgl. Tiemann, NVwZ 1984, 759 <760>). In Bezug auf bauliche Anlagen genügt mithin die begründete Besorgnis, dass davon Funktionsbeeinträchtigungen ausgehen können. Liegt eine solche Besorgnis vor, ist die Anordnung eines Schutzbereichs mit den daraus folgenden Genehmigungsvorbehalten und der Möglichkeit, einzelne Nutzungen zu beschränken, grundsätzlich gerechtfertigt, wenn der erstrebte Erfolg auf andere Weise nicht oder nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln erreicht werden kann (§ 1 Abs. 4 SchBerG).

Handelt es sich bei einer Schutzbereichsanordnung mithin um eine präventive Maßnahme im Vorfeld, entfällt damit allerdings nicht die Notwendigkeit der Beklagten, in Bezug auf jedes konkrete Vorhaben nachzuweisen, dass dieses die Wirksamkeit der Verteidigungsanlage tatsächlich beeinträchtigt. Diese Prüfung ist allerdings - anders als der Kläger offenbar meint - nicht bereits auf der Ebene der Schutzbereichsanordnung, sondern erst in dem nach § 3 SchBerG vorgesehenen Genehmigungsverfahren durchzuführen. Erst dieses nimmt das konkrete Vorhaben und seine Auswirkungen in den Blick.

Dies vorausgeschickt erweist sich das Urteil des Verwaltungsgerichts mindestens im Ergebnis als zutreffend. Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Schutzbereichs gemäß §§ 1 Abs. 4, 2 Abs. 2 SchBerG liegen vor. Es entspricht - wie das Gericht zu Recht ausgeführt hat - einer allgemeinen, auch von dem Kläger geteilten Erkenntnis, dass Hochbauten im Nahbereich einer Radaranlage deren Funktion beeinträchtigen können (vgl. auch VG Hannover, a. a. O, [...] Rn. 57 ff.). Das betrifft nicht bloß Windenergieanlagen. Die Schutzbereichsanordnung erfasst alle Hochbauten gleichermaßen, sodass die von Klägerseite vorgenommene Verengung auf den Teilaspekt Windenergie eine unzulässig verkürzte Betrachtung darstellt.

Unerheblich ist demgegenüber, ob - was der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen erneut in Abrede stellt - Windenergieanlagen in einer Entfernung von mehr als 2,5 km, aber weniger als 5 km stets erhebliche und nicht hinzunehmende Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Radaranlage haben. Für die Anordnung eines Schutzbereichs genügt - wie ausgeführt - die hier vorliegende berechtigte Besorgnis derartiger Auswirkungen. Ob solche Auswirkungen im Einzelfall tatsächlich nachzuweisen sind, ist Gegenstand des Genehmigungsverfahrens gemäß § 3 SchBerG und der sich gegebenenfalls anschließenden gerichtlichen Kontrolle (§ 26 SchBerG).

Unerheblich ist weiter, ob die Besorgnis der Beklagten auch deshalb begründet ist, weil nach ihren Darlegungen die Funktion der Radaranlage bereits jetzt durch die im Nahbereich stehenden Windenergieanlagen des Windparks I. sowie eine Biogasanlage beeinträchtigt wird. Selbst wenn gegenwärtig noch keine Beeinträchtigungen vorliegen sollten, rechtfertigt die begründete Möglichkeit solcher Beeinträchtigungen die Schutzbereichsanordnung.

Der Zulassungsgrund eines erheblichen Verfahrensfehlers im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben. Da der anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls weder einen Beweisantrag gestellt noch sonst auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat, läge eine relevante Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nur dann vor, wenn sich dem Verwaltungsgericht weitere Ermittlungen - hier in Form der Beiziehung der von der Beklagten zu den Auswirkungen des Windparks I. auf die Radaranlage D. erstellten Gutachten - hätten aufdrängen müssen. Das ist nicht der Fall. Der Kläger hat die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung wiedergegebenen Erkenntnisse ausweislich des Sitzungsprotokolls und der Entscheidungsgründe im Grundsatz nicht bestritten, sondern lediglich die Erheblichkeit der Störungen in Abrede gestellt. Bei der Frage der Erheblichkeit einer Störung handelt es sich indes nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts um eine dem Beurteilungsspielraum der Beklagten unterfallende Feststellung. Dass die Grenzen dieses Spielraums überschritten sein könnten, hat der Kläger weder dargelegt, noch lagen dem Verwaltungsgericht dafür tragfähige Anhaltspunkte vor. Vor diesem Hintergrund durfte der Kläger auch nicht darauf vertrauen, dass das Verwaltungsgericht von sich aus weitere Aufklärungsmaßnahmen ergreifen würde.

Die Berufung ist schließlich nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Das Vorbringen des Klägers, dass sich auf eine Bezugnahme auf die vorstehend behandelten Zulassungsgründe beschränkt, genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten liegen überdies nicht vor. Welche Anforderungen an die Anordnung eines Schutzbereichs zu stellen sind, ist den gesetzlichen Bestimmungen unter Zuhilfenahme der allgemeinen Auslegungsgrundsätze ohne weiteres zu entnehmen. Auch in tatsächlicher Hinsicht wirft der Fall keine Fragestellungen auf, die eine vertiefte Behandlung im Rahmen eines Berufungsverfahrens erfordern.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).