Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.11.2013, Az.: 7 LB 67/13

Anforderungen an die Bestimmtheit von straßenrechtlichen Sondernutzungsgebührenbescheide; Abstellen von Werbeanhängern im öffentlichen Straßenraum

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.11.2013
Aktenzeichen
7 LB 67/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 48591
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:1106.7LB67.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 28.03.2013 - AZ: 7 A 3225/12

Fundstellen

  • DÖV 2014, 127
  • FStNds 2014, 534-536
  • Gemeindehaushalt 2014, 93
  • NdsVBl 2014, 171-172

Amtlicher Leitsatz

Gemäß dem Niedersächsischen Kommunalabgabengesetz müssen straßenrechtliche Sondernutzungsgebührenbescheide hinsichtlich ihrer Bestimmtheit den gleichen Anforderungen genügen, die für Steuerbescheide gelten.

Tatbestand

Der Kläger betreibt einen "Hausmeisterdienst" und wirbt auf seinen Anhängern für seinen Immobilienservice. Er wendet sich gegen drei Gebührenbescheide, mit denen er für das Abstellen von Werbeanhängern im öffentlichen Straßenraum zu Sondernutzungsgebühren herangezogen wurde.

In der Zeit vom 20. März bis zum 4. April 2012 parkte der Kläger seinen an drei der vier Seitenwände mit Fremd- und Eigenwerbung versehenen Fahrzeuganhänger mit dem Kennzeichen E. in einer öffentlichen Parkbucht für PKW bei dem Grundstück F. in Hildesheim. Seine weiteren ebenfalls mit Werbung versehenen Anhänger (Kennzeichen D. und B.) stellte er jeweils in der Zeit vom 23. März bis zum 5. April 2012 in einer öffentliche Parkbucht für Taxen parallel zur G. Straße bzw. in einer öffentlichen Parkbucht für PKW parallel zur H. in Hildesheim ab.

Mit einem Bescheid vom 4. und zwei Bescheiden vom 5. April 2012 setzte daraufhin die Beklagte Sondernutzungsgebühren in Höhe von jeweils 210 EUR zuzüglich Verwaltungsgebühren in Höhe von 50 EUR, insgesamt dreimal je 260 EUR fest.

Hiergegen hat der Kläger am 12. April 2012 bzw. 17. April 2012 drei Klagen erhoben. Die über diese Klagen geführten Verfahren (Az.: 7 A 3225/12, 7 A 3287/12 und 7 A 3285/12) hat das Verwaltungsgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger unter anderem geltend gemacht, in dem Abstellen der Anhänger liege keine Sondernutzung; vielmehr handele es sich um ein zulässiges Parken gemäß § 12 Abs. 3 Buchst. b StVO. Die Sondernutzungsgebührensatzung enthalte keinen Tatbestand für das Abstellen von Werbeanhängern. Außerdem sei er vor dem Erlass der angefochtenen Bescheide nicht angehört worden.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 5. April 2012 - I. -, den Bescheid vom 4. April 2012 - J. - und den Bescheid vom 5. April 2012 - K. - aufzuheben, soweit darin jeweils Sondernutzungsgebühren in Höhe von 210 EUR sowie eine Verwaltungsgebühr von 50 EUR, insgesamt jeweils 260 EUR festgesetzt worden sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat dem Kläger erwidert, eine Sondernutzung liege vor, weil mit dem Abstellen des Anhängers nicht nur das Parken an öffentlichen Plätzen, sondern darüber hinaus das weitergehende Ziel einer hohen Werbewirkung verfolgt werde. Die Gebührenpflicht für die nicht genehmigte Sondernutzung entstehe nach der Sondernutzungsgebührensatzung mit Inanspruchnahme der öffentlichen Fläche. Sowohl die Höhe der Sondernutzungsgebühr als auch der Verwaltungsgebühr seien nicht zu beanstanden.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen: Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig, soweit darin jeweils Sondernutzungsgebühren von 210 EUR sowie Verwaltungsgebühren von 50 EUR festgesetzt worden seien.

Gegen das abweisende Urteil hat sich der Kläger mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung gewandt. Der Senat hat daraufhin durch Beschluss vom 18. Juli 2013 - 7 LA 26/13 - wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils die Berufung insoweit zugelassen, als sich die Klage gegen die Festsetzungen von Sondernutzungsgebühren in den drei Bescheiden der Beklagten richtet. Im Übrigen hat er den Zulassungsantrag abgelehnt und die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.

Nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 25. Juli 2013 hat der Kläger seine Berufung am 1. August 2013 im Wesentlichen begründet wie folgt:

Die angefochtenen Bescheide seien formell rechtswidrig, da ihnen hinsichtlich der Festsetzungen der Sondernutzungsgebühren die hinreichende Bestimmtheit fehle. Nach § 2 Abs. 2 der Sondernutzungsgebührensatzung der Beklagten sei eine Gebühr für jede angefangene Einheit voll zu berechnen, soweit diese nach Quadratmetern bemessen werde. Die nach dem Gebührentarif zu erhebende Gebühr werde dabei für jeden angefangenen Zeitraum berechnet. Den angefochtenen Bescheiden sei jedoch nicht zu entnehmen, welcher jeweils angefangene Zeitraum durch die Beklagte berechnet worden sei. In ihnen hätte zumindest angegeben werden müssen, ab welchem Datum der Zeitraum zu laufen beginne, welcher durch die jeweilige Sondernutzungsgebühr abgegolten sein solle.

Der Kläger beantragt wie folgt zu erkennen:

Unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Hannover werden die Bescheide der Beklagten vom 5. April 2012 -I. -, vom 4. April 2012 -J. - und der Bescheid vom 5. April 2012 -K. - aufgehoben, soweit darin jeweils Sondernutzungsgebühren in Höhe von 210 EUR festgesetzt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, es sei für den Kläger nachvollziehbar gewesen, "dass die Gebühr (von der Feststellung der abgestellten Anhänger bis zum Erlass des Bescheides = weniger als 1 Monat) auch nur für diesen Monat berechnet" werde. Denn bei der Festsetzung der Sondernutzungsgebühr sei auf die §§ 1 und 2 der Sondernutzungsgebührensatzung i.V.m. Ziff. 6 des Gebührentarifs hingewiesen worden. Die in § 2 genannten Begriffe "Einheit" und "Zeitraum" seien im dazugehörigen Gebührentarif eindeutig bestimmt, nämlich nach Quadratmeter sowie nach Monat.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A bis C) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat trifft seine Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die angefochtenen Festsetzungen der Sondernutzungsgebühren sind aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtswidrig sind die genannten Gebührenfestsetzungen vom 4. und 5. April 2012 zum einen, weil es ihnen an der gebotenen Bestimmtheit fehlt.

Gemäß den §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 1 Nr. 3 b) und Nr. 4 b) NKAG i.V.m. den §§ 119 Abs. 1 bzw. 157 Abs. 1 Satz 2 AO müssen Sondernutzungsgebührenbescheide hinsichtlich ihrer Bestimmtheit den gleichen Anforderungen genügen, die für Steuerbescheide gelten. Dies erfordert einen Mindestgehalt des verfügenden Teils des Sondernutzungsgebührenbescheides nach seinem persönlichen (wer schuldet?), sachlichen (Art und Höhe der Gebühr?) und zeitlichen (für welchen Zeitraum?) Regelungsbereich (vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, Komm. zu AO u. FGO, Stand: Juli 2013, § 157 Rn. 5). Denn das Erfordernis inhaltlicher Bestimmtheit des Verwaltungsakts soll sicherstellen, dass für den Betroffenen erkennbar ist, welcher Lebenssachverhalt der Gebührenerhebung unterworfen wird (vgl. Brockmeyer, in: Klein, AO Komm., 10. Aufl. 2009, § 119 Rn. 7). Insbesondere bei nichtperiodischen Abgaben muss daher der Gegenstand der Gebührenerhebung näher konkretisiert werden, damit unter anderem das Entstehen der Gebührenschuld (§ 4 Abs. 1 Alt. 2 der Sondernutzungsgebührensatzung - SGS - der Beklagten) und die Verjährung (§§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 1 Nr. 5 a] NKAG i.V.m. § 229 Abs. 1 AO und § 4 Abs. 2 a] Alt. 2 SGS) ohne weiteres feststellbar sind (vgl. Schuster, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Komm. zu AO u. FGO, Stand: Juni 2013, § 157 AO Rn. 6a).

Hiernach macht der Kläger zu Recht geltend, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass den Bescheiden vom 4. und 5. April 2012 nicht zu entnehmen sei, für welchen angefangenen Zeitraum die jeweilige Sondernutzungsgebühr erhoben werde, sodass ihnen die hinreichende Bestimmtheit fehle.

Die These der Beklagten, diese Bestimmtheit sei gegeben, weil für den Kläger nachvollziehbar gewesen sei, dass die Erhebungszeiträume jeweils mit den Zeitpunkten der "Feststellung der abgestellten Anhänger" begonnen hätten, überzeugt nicht, weil in den drei angefochtenen Bescheiden diese Zeitpunkte (im Falle des Anhängers C. - nach der Datierung der Fotos - eine unbekannte Uhrzeit am 29. März 2012 sowie in den Fällen der Anhänger D. und B. jeweils der 2. April 2004, gegen 16.00 Uhr) nicht genannt werden.

Der Umstand, dass - wie aus den Verwaltungsvorgängen, welche die Anhänger D. und B. betreffen, hervorgeht - dem Kläger gegenüber Verwarnungen ausgesprochen wurden, die er (wohl) auf den 2. April 2004 datieren konnte, sodass er möglicherweise hieraus auf die Zeitpunkte der "Feststellung der abgestellten Anhänger" hätte schließen können, ändert daran nichts. Denn auch unter Berücksichtigung dieser Umstände war für den Kläger nicht eindeutig, dass nach diesen beiden Bescheiden die jeweiligen Erhebungszeiträume am 2. April 2004 beginnen sollten. Das gilt gerade vor dem Hintergrund der Sondernutzungsgebührensatzung, auf deren Lektüre die Beklagte den Kläger für die Deutung ihrer Sondernutzungsgebührenfestsetzungen verweisen möchte. Denn die jeweiligen Zeitpunkte der "Feststellung der abgestellten Anhänger" sind nach der Satzung keineswegs diejenigen Zeitpunkte, auf die für den Beginn des Erhebungszeitraums bei einer Sondernutzung ohne Erlaubnis abzustellen ist. Maßgeblich ist vielmehr gemäß § 4 Abs. 1 der Sondernutzungsgebührensatzung der Zeitpunkt des Beginns der Inanspruchnahme der Sondernutzung. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts hatte der Kläger die Anhänger beginnend mit dem 20. März 2012 (C.), dem 23. März 2012 (D.) bzw. dem 23. März 2012 (B.) abgestellt. Gerade vor dem Hintergrund der Sondernutzungsgebührensatzung hätte er folglich die angefochtenen Sondernutzungsgebührenfestsetzungen nicht dahin verstehen müssen, dass in ihnen für den Beginn des Erhebungszeitraums - unrichtig - auf die (unerheblichen) Zeitpunkte der "Feststellung der abgestellten Anhänger" abgehoben werde.

Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass dieser Mangel der Bescheide während des Klageverfahrens behoben worden wäre. Denn eine Heilung müsste, sofern sie hier denn möglich sein sollte (vgl. dazu: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 37 Rn. 17b; OVG Rhld-Pf, Beschl. v. 30. 10. 1989 - 12 B 86/89 -, NVwZ 1990, 399), grundsätzlich in derselben Form erfolgen, die für den Verwaltungsakt selbst gilt. Es reicht daher nicht aus, dass die Beklagte den Inhalt ihrer Bescheide im gerichtlichen Verfahren schriftsätzlich erläutert hat.

Rechtswidrig sind die genannten Gebührenfestsetzungen vom 4. und 5. April 2012 zum anderen, weil es die Beklagte verabsäumt hat, den Kläger zuvor gemäß den §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 1 Nr. 3 a) NKAG, 91 Abs. 1 Satz 1 AO anzuhören.

Dabei hätte sie ihn (nach den §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 1 Nr. 3 a] NKAG, 90 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO) unschwer zugleich über den Beginn und das Ende der Zeiträume befragen können, für welche die drei Anhänger jeweils abgestellt waren. Ohne den zumutbaren Versuch, diese Zeiträume zu ermitteln, bestand im Übrigen auch keine Befugnis deren Dauer - etwa unter Rückgriff auf den Zeitpunkt der "Feststellung der abgestellten Anhänger" - zu schätzen (§§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 1 Nr. 4 b] NKAG, 162 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO).

Der bezeichnete Anhörungsmangel ist nicht gemäß den §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 1 Nr. 3 b) NKAG, 126 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 AO geheilt. Denn nach der insoweit übertragbaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu entsprechenden Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Urt. v. 22. 3. 2012 - BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205 ff., hier zitiert nach [...], Langtext Rn. 18), der sich der Senat bereits angeschlossen hat (Beschl. v. 8. 2. 2013 - 7 ME 211/12 -), setzt die Heilung eines Anhörungsmangels voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Voraussetzungen regelmäßig - und so auch hier - nicht.