Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.11.2013, Az.: 12 ME 158/13

Rechtmäßigkeit einer Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Gutachtens zur Feststellung der Fahreignung nach einer Fahrt unter Einfluss von Betäubungsmitteln

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.11.2013
Aktenzeichen
12 ME 158/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 49803
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:1114.12ME158.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 25.06.2013 - AZ: 7 B 4997/13

Fundstellen

  • NordÖR 2014, 148
  • zfs 2014, 56-58

Amtlicher Leitsatz

Ob der Betroffene außer Cannabis andere Betäubungsmittel einnimmt, ist nur dann zulässiger Gegenstand der von der Behörde nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV festzulegenden Fragestellung, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Fahrerlaubnisinhaber (auch) solche konsumiert.

[Gründe]

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Entziehung seiner Fahrerlaubnis gewährt hat.

Am 21. November 2012 führte der Antragsteller ein Fahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis. Die von der Polizei veranlasste Entnahme einer Blutprobe ergab Werte von 2,6 ng/ml für Tetrahydrocannabinol (THC), 1,4 ng/ml für 11-Hydroxy-tetrahydrocannabinol und 45 ng/ml für THC-Carbonsäure (THC-COOH).

Wegen dieses Vorfalls forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter dem 14. Februar 2013 zur Ausräumung von Bedenken gegen seine Fahreignung zur Vorlage eines Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines rechtsmedizinischen Instituts zu folgenden Fragen auf:

"Liegt bei Ihnen Cannabiskonsum vor, der die Fahreignung in Frage stellen kann (Anlage 4 Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV)? Gibt es Hinweise auf gelegentlichen oder regelmäßigen Cannabiskonsum? Kann der Konsum anderer Drogen ausgeschlossen werden?"

Da der Antragsteller dieses Gutachten nicht beibrachte, entzog ihm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11. April 2013 die Fahrerlaubnis und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme an.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers, ihm vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung zu gewähren, mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die angegriffene Verfügung der Antragsgegnerin werde im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben. Mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit habe die Antragsgegnerin die Entziehung der Fahrerlaubnis zu Unrecht auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützt. Die Anordnung der Antragsgegnerin vom 14. Februar 2013, wonach der Antragsteller ein Gutachten eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines rechtsmedizinischen Instituts u. a. auch zu der Frage: " Kann der Konsum anderer Drogen ausgeschlossen werden?" beizubringen habe, sei voraussichtlich nicht rechtmäßig. Zwar sei die Forderung nach einem ärztlichen Gutachten gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV grundsätzlich gerechtfertigt. Die Anordnung des ärztlichen Gutachtens vom 14. Februar 2013 sei jedoch unverhältnismäßig, soweit sie sich nicht nur auf den Konsum von Cannabis durch den Antragsteller, sondern auf alle Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes erstrecke. Sie sei insoweit zu weit gefasst. Es stehe nämlich lediglich Cannabiskonsum im Raum, dessen Relevanz für die Fahreignung im Hinblick auf das zugrundeliegende Konsummuster des Antragstellers durch das ärztliche Gutachten zu klären sei. In einem solchen Fall müssten aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Fragestellung und die Vorlage des Drogenscreenings auf Cannabis beschränkt werden. Dies gelte nur dann nicht, wenn der Verdacht des Beigebrauchs anderer Substanzen vorliege (s. VG Ansbach, Urt. v. 26.3.2012 - AN 10 K 11.00968 -; Bayerischer VGH, Beschl. v. 25.1.2006 - 11 CS 05.1453 -, jeweils zitiert nach [...]). Weder die Angaben des Antragstellers noch sonstige Umstände wiesen indes darauf hin, dass ihm der Beigebrauch anderer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes o.ä. vorgelegen haben könnte. Die Kammer halte es nicht für anlassbezogen, bei einem lediglich bekannten einmaligen Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Verkehrsraum unter Einfluss von Cannabis einen Erfahrungssatz des Inhalts anzunehmen, damit bestehe bereits begründeter Anlass zu der Annahme, der Betroffene könnte auch andere Betäubungsmittel konsumieren. Etwas anderes ergebe sich hier auch nicht deshalb, weil in dem Auszug aus der Führerscheindatei des Landkreises #. vom 15. Januar 2013 vermerkt sei:

"Betäubungsmitteleinfuhr und -handel, Jugendstrafe zur Bewährung (2 Jahre), Urteil durch u. a. AG Papenburg vom 19.07.00 (15 Ls 12 Js 11362/00)".

Dabei könne offenbleiben, ob diese strafrechtlichen Verurteilungen im Hinblick auf die Kraftfahreignung des Antragstellers und diesbezügliche Zweifel wegen Zeitablaufs gegenwärtig noch relevant seien, denn auch seinerzeit sei es nur um THC-Produkte gegangen. Die rechtswidrige dritte Frage führe dazu, dass die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens durch die Antragsgegnerin unter dem 14. Februar 2013 insgesamt rechtswidrig sei. An ihre Nichtbefolgung dürften daher auch nicht die Folgen von § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV geknüpft werden.

II.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, die der Senat allein zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses nicht.

Die Antragsgegnerin macht geltend, es wäre schlechthin unerträglich, dass der Untersuchte weiterhin Kraftfahrzeuge führen dürfe, wenn sich anlässlich der Begutachtung ergeben würde, dass zwar der Konsum von Cannabis ausscheide, der Untersuchte aber andere Betäubungsmittel konsumiere. Dies gelte insbesondere, da Cannabis - was durchaus nicht unumstritten sei -, nach neueren Erkenntnissen doch als Einstiegsdroge für Hartdrogen gelte. Zudem sei unbestritten, dass Cannabiskonsum biochemische Veränderungen im Gehirn von Menschen verursache. Der Antragsteller habe bereits 2000 im jugendlichen Alter von 18 Jahren Cannabis konsumiert und sei 2004 und 2012 rückfällig geworden. Ihm fehle mithin die Drogenresistenz. Die Erwägung, er könne auch andere Drogen konsumiert haben, liege daher entgegen der Annahme des erstinstanzlichen Beschlusses nahe. Zudem werde bei einer von der Polizei bei einer Verkehrskontrolle wegen des Verdachts einer Drogenfahrt veranlassten Blutprobe das Blut umfassend auf Drogen untersucht, selbst wenn der Betreffende Cannabiskonsum einräume. Es erschließe sich nicht, warum die Handhabung bei einer späteren Untersuchung anders sein solle. Ferner lehne sich die Fragestellung an die Arbeitsanweisungen zur "Überprüfung der Fahreignung bei Drogenauffälligkeiten" des Nds. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr an. Auch habe der TÜV bestätigt, dass die Fragestellung der übliche Standard sei.

Diese Einwände stellen die nachvollziehbaren Erwägungen des Verwaltungsgerichts, auf die der Senat verweist, nicht durchgreifend in Frage. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ist ein ärztliches Gutachten anzuordnen, wenn Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum (von harten Drogen) vorliegen, ein Nachweis aber noch aussteht. Soweit es dagegen um Cannabis geht, genügen - anders als sonst - Anhaltspunkte für einen einmaligen und selbst einen gelegentlichen Konsum für die Anordnung eines Gutachtens nicht. Der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ist insoweit vielmehr verfassungskonform auszulegen (vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage, § 14 Rn. 13 f. m. w. N.). In diesen Fällen müssen zu den Anhaltspunkten für einen gelegentlichen Konsum noch solche für fehlendes Trennungsvermögen oder regelmäßigen Konsum hinzukommen. Dass (auch) nach den sich danach ergebenen Voraussetzungen die Anforderung eines Gutachtens im vorliegenden Fall zulässig war, hat das Verwaltungsgericht zutreffend bejaht. Die Einwände der Antragsgegnerin wecken vor diesem Hintergrund aber keine durchgreifenden Bedenken gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das anzufordernde Gutachten sei unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bei dem hier "lediglich" im Raum stehenden Cannabiskonsum auf die Frage nach dem insoweit vorliegenden Konsummuster (einmalig, gelegentlich, regelmäßig) zu beschränken (vgl. dazu auch: Dauer, a. a. O., Rn. 13, 14). Wie dargelegt, setzt die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens immer voraus, dass Anhaltspunkte für einen Drogenkonsum bestehen. Angesichts der Sonderrolle, die Cannabis insoweit einnimmt, spricht nach derzeitiger Einschätzung des Senats Einiges für die Annahme des Verwaltungsgerichts, in diesen Fällen sei die Frage nach "harten" Drogen nur zulässig, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass (auch) solche konsumiert werden (so neben den vom VG genannten Quellen auch: VG Augsburg, Urt. v. 8.3.2012 - Au 7 S 12.211 -, [...]; Dauer, a. a. O., § 11 FeV Rn. 42). Welche Anforderungen an das Gutachten inhaltlich zu stellen sind, bestimmt § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV. Danach legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. An die Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit der Fragestellung sind mangels selbständiger Anfechtbarkeit der Gutachtenanordnung und wegen der einschneidenden Folgen einer unberechtigten Gutachenverweigerung im Interesse effektiven Rechtsschutzes strenge Anforderungen zu stellen (Dauer, a. a. O., § 11 FeV Rn. 42; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.6.2011 - 10 S 2785/10 -, NJW 2011, 3257). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller neben dem festgestellten Cannabiskonsum auch "harte" Drogen einnimmt, sind aber weder von der Antragsgegnerin vorgebracht worden noch anderweitig ersichtlich. In der anlässlich der Verkehrskontrolle entnommenen Blutprobe, die umfassend getestet wurde, wurden neben Cannabis andere Drogen gerade nicht nachgewiesen. Die Antragsgegnerin hat bisher auch nicht substantiiert geltend gemacht, es gebe - anders als das Verwaltungsgericht angenommen habe - einen Erfahrungssatz des Inhalts, derjenige, der einmal ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehrsraum unter Einfluss von Cannabis geführt habe, liefere damit zugleich begründeten Anlass für die Annahme, er konsumiere auch andere Betäubungsmittel. Jedenfalls bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung ist nicht davon auszugehen, dass ein Cannabiskonsum typischerweise oder jedenfalls so oft mit dem Konsum "harter" Drogen einhergeht, dass aus einem feststehenden einmaligen oder gelegentlichen Cannabiskonsum zugleich schon auf Anhaltspunkte für einen Konsum auch von "harten" Drogen geschlossen werden kann. In diesem Sinn ist offenbar auch die Kommentierung der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung (hg. v. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Januar 2003) zu verstehen, wo empfohlen wird, vier Konsumgruppen grob zu unterscheiden und in die Gruppe 4 der ausschließliche und nur gelegentliche Konsum von Cannabis eingeordnet wird (a. a. O., S. 122). Auf die abstrakte Frage, ob Cannabis "doch als Einstiegsdroge für Hartdrogen gilt", die die Antragsgegnerin selbst als umstritten bezeichnet, kommt es vorliegend nicht an. Die Antragsgegnerin hat jedenfalls nichts dafür dargetan, dass ein signifikanter Anteil der Personen, in deren (erster) Blutprobe Cannabis, aber keine "harten" Drogen nachgewiesen wurden, gleichwohl auch letztere konsumiere.

Anders als die Antragsgegnerin geltend macht, lassen sich bei summarischer Prüfung auch der Arbeitsanweisung des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft vom 4. August 2008 (Az:43-30013 0430) keine nachvollziehbaren Gründe für einen weitergehenden Prüfungsbedarf entnehmen. Danach ist in Fällen des Konsums von Cannabis ein ärztliches Gutachten "zur Abklärung des aktuellen Konsumverhaltens" bzw. "Konsummusters" (von Cannabis) anzuordnen (vgl. Hinweise unter 1.4 auf S. 4, und unter 2.2.3 auf S. 6). Wenn sich dabei kein weiterer Konsum von Cannabisprodukten ergibt, ist die Überprüfung einzustellen ist (vgl. a. a. O. unter 1.4 auf S. 4). Zwar heißt es auf Seite 8 unter "3.2. Anforderungen an die Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens" zu "3.2.1 Bei Cannabis": "Begleitend ist eine Urinanalyse erforderlich, um ggf. den Konsum anderer Drogen festzustellen." Diese über den ursprünglichen Prüfungsansatz hinausgehende Forderung ist jedoch nicht näher begründet.

Da ein genereller Zusammenhang zwischen dem Cannabiskonsum und dem Konsum "harter" Drogen bisher nicht dargelegt ist und konkrete Anhaltspunkte für einen Konsum "harter" Drogen des Antragstellers fehlen, ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, die in der Gutachtenaufforderung (auch) gestellte Frage "Kann der Konsum anderer Drogen ausgeschlossen werden?" sei im konkreten Fall nicht zulässig, nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Dies hat - wie vom Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt - zur Folge, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die unterlassene Vorlage des Gutachtens gestützt werden konnte.