Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.11.2013, Az.: 12 ME 175/13
Entzug der Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Führens eines Fahrrades im öffentlichen Straßenverkehr mit einem Blutalkoholgehalt von 1,77 ‰; Entziehung der Fahrerlaubnis nach Erhalt eines Eignungsgutachtens des TÜV Hessen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.11.2013
- Aktenzeichen
- 12 ME 175/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 48587
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:1104.12ME175.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 15.07.2013 - AZ: 7 B 5267/13
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 1 StVG
- § 11 Abs. 10 FeV
- § 46 Abs. 3 FeV
- § 70 FeV
Fundstellen
- Blutalkohol 2014, 41-43
- DAR 2013, 720-721
- NZV 2014, 8
- NZV 2015, 53-55
- SVR 2014, 275-276
- SVR 2014, 397-398
- VRR 2014, 3
- ZAP 2014, 64-65
- ZAP EN-Nr. 26/2014
- zfs 2014, 117-119
- zfs 2016, 6-7
Amtlicher Leitsatz
Die Wiederherstellung der Fahreignung durch Teilnahme an einem Kurs nach § 11 Abs. 10 FeV nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens kann einer Entziehungsverfügung im gerichtlichen Verfahren nicht mehr entgegengehalten werden.
[Gründe]
Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis (u.a.) der alten Klasse 3.
Der Antragsteller führte am 9. Dezember 2012 ein Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr mit einem Blutalkoholgehalt von 1,77 ‰ (Befund der Universitätsmedizin Göttingen - Abteilung Rechtsmedizin - vom 11.12.2012). Die Antragsgegnerin forderte ihn auf, ein Eignungsgutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Die Gutachter des TÜV Hessen kamen in ihrem Gutachten zu folgendem Ergebnis:
"Es ist zu erwarten, dass die untersuchte Person in Zukunft ein Kfz unter Alkoholeinfluss führen wird.
Die Verhaltensprognose kann jedoch durch die Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung für alkoholauffällige Kraftfahrer nach § 70 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) günstig beeinflusst werden."
In einem Begleitschreiben wies die Begutachtungsstelle den Antragsteller darauf hin, dass er nach erfolgreicher Teilnahme an einem amtlich anerkannten Nachschulungskurs die Fahrerlaubnis wieder bekommen könne. Dies bedeute zwar eine kleine zeitliche Verzögerung von ca. 6 - 8 Wochen. Es helfe ihm jedoch seine Fahrerlaubnis auf Dauer zu behalten.
Mit Bescheid vom 10. Juni 2013 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller (ohne vorherige Anhörung) die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den im Tenor bezeichneten Beschluss, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgelehnt.
II.
Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhobene Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller hat im gerichtlichen Verfahren eine ergänzende Stellungnahme des TÜV Hessen vom 19. Juli 2013 vorgelegt, in der einer der Gutachter die zitierte Kursempfehlung wie folgt erläutert:
"Sicherlich kann diese Formulierung im Hinblick auf das gewählte Conditionalis missverständlich aufgefasst werden.
Wir wollten jedoch zum Ausdruck bringen, dass durch die Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung Herr D. die begründeten Bedenken an seiner Fahreignung ausräumen kann, mithin nach erfolgreicher Kursteilnahme die Fahreignungsvoraussetzungen wiederhergestellt sind."
Der Antragsteller hat zudem eine Bestätigung über die - von der Antragsgegnerin zuvor genehmigte - Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung für alkoholauffällige Kraftfahrer vom 1. August 2013 vorgelegt.
Er macht zur Begründung seiner Beschwerde unter Bezugnahme auf diese Unterlagen geltend: Das Schreiben des TÜV Hessen vom 19. Juli 2013 stelle klar, dass zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung eben keine durchgreifenden Bedenken gegen seine Fahreignung bestanden hätten. Die Antragsgegnerin hätte allenfalls die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis davon abhängig machen müssen, dass ein entsprechender Kurs belegt werde. Er habe zwischenzeitlich den Kurs erfolgreich abgeschlossen.
Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben keinen Anlass, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern.
Nach § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob jemand zum Führen von Fahrzeugen geeignet ist, ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (st. Rspr. d. Sen, z.B. Beschl. v. 21.3.2013 - 12 ME 42/13 -; Beschl. v. 26.4.2013 - 12 ME 11/13 -). Zu dem danach maßgeblichen Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis ist die Antragsgegnerin auf der Grundlage des Gutachtens des TÜV Hessen zu Recht von der Ungeeignetheit des Antragstellers ausgegangen. Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass - im Zeitpunkt der Begutachtung - zu erwarten sei, dass der Antragsteller (auch) in Zukunft ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Die Gutachter führen zwar weiter aus, dass diese Verhaltensprognose durch die Teilnahme an einem Kurs für alkoholauffällige Kraftfahrer günstig beeinflusst werden könne. In der erläuternden Stellungnahme vom 19. Juli 2013 spricht einer der Gutachter zudem von bloßen "Bedenken" an der Fahreignung. Für den Senat ist aber nicht zweifelhaft, dass die Gutachter des TÜV Hessen im Ergebnis nicht allein "Eignungsbedenken" bzw. "Eignungszweifel" festgestellt haben, die zunächst noch aufzuklären gewesen wären, sondern dem Antragsteller einen die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigenden "Eignungsmangel" attestiert haben. Die Gutachter beziehen sich mit ihrer Kursempfehlung ersichtlich auf die Möglichkeit der Wiederherstellung der Fahreignung nach § 11 Abs. 10 FeV. Eine "Wiederherstellung der Eignung" kommt nach dieser Vorschrift aber nur bei festgestellten "Eignungsmängeln" in Betracht. Ein solcher Kurs dient dagegen nicht der Klärung von bloßen Eignungsbedenken. Der Entziehung seiner Fahrerlaubnis kann der Antragsteller auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er zwischenzeitlich einen nach § 70 FeV anerkannten Kurs für alkoholauffällige Kraftfahrer besucht hat. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung ist hier - wie gesehen - auf den Zeitpunkt der Entziehungsverfügung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt konnte und musste die Antragsgegnerin aber noch von der Ungeeignetheit des Antragstellers ausgehen. Die Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung lässt einen Eignungsmangel auch nicht rückwirkend entfallen. Zu berücksichtigen ist zwar, dass Inhaber einer Fahrerlaubnis in Niedersachsen - anders als in anderen Bundesländern - nicht die Möglichkeit haben, ihre Fahreignung durch die Teilnahme an einem entsprechenden Kurs nach § 11 Abs. 10 FeV jedenfalls bis zum Abschluss eines Widerspruchsverfahrens durch Widerspruchsbescheid (als letzte Behördenhandlung) wiederherzustellen (dazu etwa VG Weimar, Beschl. v. 7.5.2012 - 1 E 332/12 We -, NJW-Spezial 2012, 747, [...]). In Niedersachsen findet ein Widerspruchsverfahren gegen Entscheidungen der Fahrerlaubnisbehörde nicht statt (§ 8a Nds. AG VwGO). Dass eine Fahrerlaubnisbehörde in Niedersachsen gleichwohl verpflichtet wäre, einem Fahrerlaubnisinhaber die Möglichkeit einzuräumen, einen solchen Kurs zur Wiederherstellung seiner Fahreignung vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu besuchen, vermag der Senat - im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - nicht zu erkennen. Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen eröffnen der Fahrerlaubnisbehörde im Grundsatz keinen Spielraum für entsprechende (Billigkeits-)Erwägungen. Erweist sich ein Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet, so hat die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen. Es ist dem Antragsteller in der gegebenen Konstellation auch zumutbar, die Neuerteilung der Fahrerlaubnis zu beantragen. Der Senat versteht das Eignungsgutachten des TÜV Hessen unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme vom 19. Juli 2013 dahingehend, dass nach erfolgreicher Teilnahme an einem anerkannten Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung im Sinne des § 70 FeV aus medizinisch-psychologischer Sicht nicht mehr zu erwarten ist, dass er künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird. Nachdem die Antragsgegnerin einer Kursteilnahme zugestimmt und der Antragsteller eine Teilnahmebescheinigung über den durchgeführten Kurs vorgelegt hat, dürfte die Kraftfahreignung des Antragstellers hinsichtlich der Alkoholfahrt, welche Anlass für die Begutachtung war, wiederhergestellt worden sein. Einer erneuten Begutachtung bedarf es insoweit nicht (so zu § 11 Abs. 10 FeV: Beschl. d. Sen. v. 27.10.2011 - 12 LA 109/11 -).