Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.02.2022, Az.: 10 ME 8/22
Abschiebungsanordnung; Beschwerdeausschluss; Corona-Test; Gesamtzuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.02.2022
- Aktenzeichen
- 10 ME 8/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59491
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 31.01.2022 - AZ: 5 B 14/22
Rechtsgrundlagen
- § 34 Abs 1 S 1 AsylVfG 1992
- § 80 AsylVfG 1992
- § 60a Abs 2 S 1 AufenthG
- § 80 Abs 4 S 1 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Um eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylgesetz im Sinne des § 80 AsylG handelt es sich auch, wenn das Bundesamt bei der Anordnung einer Abschiebung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG über das Vorliegen inländischer Vollstreckungshindernisse nach § 60a Abs. 2 AufenthG entscheidet und diesbezüglich Anordnungen nach § 82 Abs. 4 AufenthG trifft.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichter der 5. Kammer - vom 19. Januar 2022 (5 B 7/22) und vom 31. Januar 2022 (5 B 14/22) wird verworfen.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten des Verfahrens zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden nicht erstattet. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I. Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung in Form der Durchführung eines Corona-Tests.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2021 ordnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Abschiebung des Antragstellers nach Rumänien an, weil nach der Dublin-III Verordnung Rumänien für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig sei.
Am 18. November 2021 erließ das Bundesamt einen weiteren Bescheid mit folgendem Inhalt:
1. Das persönliche Erscheinen und die Duldung der Durchführung einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit im Zusammenhang mit der Ermittlung einer SARS-CoV-2 Infektion wird angeordnet.
2. Für den Fall, dass der in Ziff. 1 genannten Anordnung nicht freiwillig Folge geleistet wird, wird die Vorführung und Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs angedroht.
3. Für den Fall, dass der unter Ziff. 1 angeordneten Durchführung der Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit nicht freiwillig Folge geleistet wird, wird das unter Ziff. 2 angedrohte Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs zur zwangsweisen Entnahme des Abstrichs zwecks Ermittlung einer SARS-CoV-2 Infektion festgesetzt.
4. Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1, 2 und 3 wird angeordnet.
5. Ist die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags wegen Ablauf der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III Verordnung oder auf sonstige Weise zuständig geworden, entfallen die Verpflichtungen aus Ziff. 1 bis 4.
In der Begründung des Bescheids führt das Bundesamt aus, dass es im Rahmen des Dublin-Verfahrens sowohl für die Prüfung von inlands- als auch von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen zuständig sei. Insbesondere stelle es als Ausländerbehörde sui generis gemäß §§ 5, 34a AsylG, § 71 AufenthG auch fest, ob krankheitsbedingte Vollzugshindernisse vorlägen. Die Anordnung der ärztlichen Untersuchung werde auf § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gestützt, die Androhung und Durchführung der zwangsweisen Untersuchung auf § 83 Abs. 4 Satz 2 AufenthG i.V.m. §§ 6, 12 und 13 VwVG, die Festsetzung des Zwangsmittels auf §§ 6, 14 VwVG, die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO und die auflösende Bedingung auf § 36 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 VwVfG. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Ausführungen in dem Bescheid vom 18. November 2021 verwiesen.
Den hiergegen gerichteten Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. Januar 2022 als unbegründet abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der auf § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gestützte Bescheid nach summarischer Prüfung rechtmäßig sei. Für die weitere Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird auf die Ausführungen in den Gründen des vom Verwaltungsgericht als nach § 80 AsylG unanfechtbar erachteten Beschlusses verwiesen.
Anschließend beantragte der Antragsteller die Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 19. Januar 2022. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. Januar 2022 ebenfalls als unbegründet ab, weil der Antragsteller weder eine Veränderung entscheidungserheblicher Umstände vorgetragen habe, noch, dass ihm ein früheres Vorbringen der nunmehr vorgebrachten Einwände unverschuldet unmöglich gewesen sei. Auch wenn man den Antrag des Antragstellers als Anhörungsrüge auslegen würde, bliebe dieser erfolglos. Für die Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses vom 31. Januar 2022 verwiesen.
Am 31. Januar 2022 erhielt der Antragsteller eine „Vorladung“ des Präsidenten der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen für eine SARS-CoV-2 PCR-Testung im Rahmen der Überstellung im Dublin-III-Verfahren am 1. Februar 2022 zur Sanitätsstation.
Gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 19. Januar 2022 (5 B 7/22) und vom 31. Januar 2022 (5 B 14/22) hat der Antragsteller am 31. Januar 2022 Beschwerde eingelegt, mit dem Ziel, unter Aufhebung der beiden Beschlüsse die aufschiebende Wirkung der von ihm am 6. Januar 2022 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. November 2021 erhobenen Anfechtungsklage anzuordnen. Der Antragsteller rügt insbesondere die Unbestimmtheit der Anordnung unmittelbaren Zwangs, weil die Bestimmung von Zeit und Ort der Testung erst später durch eine andere Behörde festgelegt worden sei, die formelle Fehlerhaftigkeit des Bescheids sowie eine mangelnde Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit seinem Vorbringen zur Verhältnismäßigkeit. Zudem sei § 82 Abs. 4 AufenthG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Für die weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 31. Januar 2022 Bezug genommen.
II. Die Beschwerde des Antragstellers (§ 146 Abs. 1 VwGO) bleibt ohne Erfolg. Sie ist bereits nicht zulässig.
Nach § 80 AsylG können Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Der Beschwerdeausschluss nach § 80 AsylG erfasst nicht nur das Hauptsacheverfahren, sondern auch alle gerichtlichen Entscheidungen in selbständigen und unselbständigen Nebenverfahren im Zusammenhang mit dem Asylgerichtsverfahren, wie etwa die Verfahrenseinstellung, Kostenentscheidung, Gegenstandswertfestsetzung, (Teil-)Versagung von Prozesskostenhilfe, Aussetzung und Ruhensanordnung, Richterablehnung, Zeugen- und Sachverständigenentschädigung, Zurückweisung der Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung, selbst wenn diese Entscheidungen - in Ergänzung des Asylgesetzes - ihre Rechtsgrundlage in anderen Gesetzen (z.B. VwGO, GKG, RVG, ZPO) haben (Senatsbeschluss vom 19.6.2018 – 10 OA 176/18 –, juris Rn. 8 m.w.N.).
Ob es sich um eine „Rechtsstreitigkeit nach diesem Gesetz“ im Sinne des § 80 AsylG handelt, ist danach zu bestimmen, ob die angefochtene oder begehrte Maßnahme oder Entscheidung ihre rechtliche Grundlage im Asylgesetz hat, was insbesondere bei Entscheidungen des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die es in Wahrnehmung der ihm vom Asylgesetz übertragenen Aufgaben getroffen hat, der Fall ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.9.1997 – 1 C 6.97 –, juris Rn. 14 zu § 78 AsylfG a.F.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.10.2020 – 12 S 2380/20 –, juris Rn. 9 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.1.2019 – OVG 3 M 41.18 –, juris Rn. 2; Bayerischer VGH, Beschluss vom 19.10.2016 – 21 ZB 16.30251 –, juris Rn. 6).
Demzufolge handelt es sich bei der Klage gegen einen durch das Bundesamt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG als unzulässig abgelehnten Asylantrag und Anträgen nach § 80 Abs. 5 AsylG gegen die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG um eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylgesetz im Sinne des § 80 AsylG, so dass diesbezügliche Beschlüsse des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unanfechtbar sind. Dies gilt auch soweit das Bundesamt bei der Anordnung der Abschiebung, die grundsätzlich Gegenstand des Eilverfahrens ist (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 29 Rn. 22), auch über inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse entscheidet (vgl. auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.7.2019 – 10 CE 19.1304 –, juris Rn. 2 - 4).
Denn bei dem Erlass der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG hat das Bundesamt aufgrund seiner bei Dublin-Verfahren bestehenden „Gesamtzuständigkeit“ sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu prüfen (Senatsbeschluss vom 30.1.2019 – 10 LA 21/19 –, juris Rn. 10 m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 –, juris Rn. 9). Insoweit ist das Bundesamt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 AsylG auch für ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen zuständig. Für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG verbleibt daneben, auch bei nachträglichen Entscheidungen, kein Raum (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14, juris Rn. 9, 10 m.w.N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.7.2019 – 10 CE 19.1304 –, juris Rn. 3 m.w.N.). Gegebenenfalls hat daher das Bundesamt bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14, juris Rn. 10 m.w.N.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.7.2019 – 10 CE 19.1304 –, juris Rn. 3; Nds. OVG, Beschluss vom 20.6.2017 – 13 PA 104/17 –, juris Rn. 16). Abschiebungsbedingten wesentlichen Gefahren für die Gesundheit des Betroffenen ist durch eine Duldung oder eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen zu begegnen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14, juris Rn. 10 m.w.N.; Nds. OVG, Beschluss vom 9.12.2019 – 8 ME 92/19 –, juris Rn. 16). Die Entscheidung des Bundesamts über die Anordnung der Abschiebung hat daher, auch soweit es damit über inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) entscheidet, ihre Grundlage im Asylgesetz, nämlich in § 34a AsylG.
Der Beschwerdeausschluss gemäß § 80 AsylG gilt auch für die hier streitgegenständlichen auf § 82 Abs. 4 AufenthG gestützten Anordnungen des Bundesamts (vgl. auch VG des Saarlandes, Beschluss vom 21.4.2021 – 5 L 478/21 –, juris Rn. 5; VG München, Urteil vom 6.4.2021 – M 3 S 21.50245 –, juris Rn. 26; VG Greifswald, Beschluss vom 15.3.2021 – 3 B 444/21 HGW –, juris Rn. 12 - 14, 31). Denn diese sind vom Bundesamt bei einer Entscheidung über die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Wahrnehmung der ihm vom Asylgesetz übertragenen Aufgaben getroffen worden. Sie dienen nämlich der Durchsetzung der nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in dem Bescheid vom 27. Juni 2021 getroffenen Abschiebungsanordnung und finden über § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, für dessen Prüfung hier das Bundesamt aus den oben genannten Gründen zuständig ist, ihre Grundlage im Asylgesetz. Denn die Anordnung der Duldung einer ärztlichen Untersuchung in Form der Durchführung eines Corona-Tests gemäß § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG und die gegebenenfalls zwangsweise Durchsetzung nach § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG verhindern die Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus dem tatsächlichen Grund des fehlenden Corona-Tests, so dass sie nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 28.1.2021 – 10 LA 12/21 –, juris Rn. 17, 19). Da in Dublin-Verfahren das Bundesamt nach §§ 34a Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 1 Satz 2 AsylG auch für die Prüfung von inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen und für die damit verbundenen ausländerrechtlichen Maßnahmen und Entscheidungen zuständig ist, obliegt ihm damit auch die Zuständigkeit für Anordnungen nach § 82 Abs. 4 AufenthG (vgl. auch VG des Saarlandes, Beschluss vom 21.4.2021 – 5 L 478/21 –, juris Rn. 15; VG Aachen, Beschluss vom 19.2.2021 – 4 L 108/21 –, juris Rn. 7 ff.). Damit ist von dem Beschwerdeausschluss auch die in dem Bescheid vom 18. November 2021 angeordnete sofortige Vollziehung umfasst. Anderenfalls würde auch die von § 80 AsylG bezweckte Verfahrensbeschleunigung (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 4.12.2018 – 2 BvR 2726/17 –, juris Rn. 24; OVG Bremen, Beschluss vom 9.2.2021 – 1 B 44/21 –, juris Rn. 8) verfehlt.
Nach alledem ist auch der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dementsprechend erfolgte auch keine Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei; dem Gegner entstandene Kosten werden gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist - entsprechend den obigen Ausführungen - gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.