Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 01.12.2011, Az.: VgK-53/2011

Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer eines potenziellen öffentlichen Auftragnehmers als schwere Verfehlung i.S.d. § 6 Abs. 6c VOL/A-EG; Ausschluss eines Bewerbers nach § 19 Abs. 4 VOL/A EG bei Vorliegen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Geschäftsführer des Bewerbers; Begriff "schwere Verfehlung" i.S.d. § 6 Abs. 6c VOL/A-EG als unbestimmter Rechtsbegriff; Bestehen der Darlegungslast und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens einer schweren Verfehlung i.S.d. § 6 Abs. 6c VOL/A-EG für den Auftraggeber

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
01.12.2011
Aktenzeichen
VgK-53/2011
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 35909
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstelle

  • ZfBR 2012, 727

In dem Nachprüfungsverfahren
der ...,
Verfahrensbevollmächtigte: ...,
- Antragstellerin -
gegen
die Nds. Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Regionaler Geschäftsbereich ...,
- Antragsgegnerin -
wegen
Vergabeverfahren "Fahrbahnreinigung nach Unfällen mit wassergefährlichen Stoffen
2011 - 2012"
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Peter und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Dipl.-Ing. Ruff, auf die mündliche Verhandlung vom 01.12.2011
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf ... EUR festgesetzt.

Begründung

1

I.

Die Antragsgegnerin hat mit EU-Vergabebekanntmachung vom ......2011 die maschinelle Fahrbahnreinigung nach Unfällen mit wassergefährdenden Stoffen für den Bereich ihres Geschäftsbereiches ... als Dienstleistungsauftrag gemäß VOL/A europaweit im offenen Verfahren losweise für 12 Monate ab Auftragserteilung ausgeschrieben. Los 1 umfasste die bedarfsweise Fahrbahnreinigung von ca. 315 km Autobahn, Los 2 die bedarfsweise Fahrbahnreinigung von ca. 1.900 km Bundes-, Landes- und Kreisstraßen jeweils im Zuständigkeitsbereich ihres Geschäftsbereiches ... Der Auftragswert wurde von der Antragsgegnerin auf ... EUR (netto) bezogen auf Los 1 und ... EUR (netto) bezogen auf Los 2 geschätzt. Einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der ......2011, 10:00 Uhr. Bis zum Ende der Angebotsfrist gaben vier Bieter ein Angebot auf Los 1 ab, drei Bieter ein Angebot auf Los 2. Die Antragstellerin bot auf beide Lose.

2

Streitgegenstand war ursprünglich die Vergabe beider Lose. Nachdem die Antragsgegnerin im Zuge des Nachprüfungsverfahrens unter Hinweis auf die Begründung in der Vergabeakte erklärt hatte, dass die Ausschreibung bezüglich Los 2 aufgehoben worden ist und daher bereits vor Antragstellung Erledigung eingetreten sei, hat auch die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer das Nachprüfungsverfahren bezüglich Los 2 für erledigt erklärt.

3

Während der Angebotswertung bat die interne Revision der Antragsgegnerin die zuständige Rechtsabteilung mit Schreiben vom 14.10.2011 darum zu prüfen, ob die Antragstellerin aus dem Vergabeverfahren auszuschließen sei. Dem Schreiben beigefügt waren zwei Vernehmungsprotokolle der ..., eine der Geschäftsführerinnen der Antragstellerin. Die Protokolle der zentralen Kriminalinspektion ... vom 28.09.2010 und 07.12.2010 entstammten den Ermittlungsakten im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre um den ehemaligen Leiter der Autobahnmeisterei ..., Herrn .... Nach Auswertung der Protokolle teilte die Rechtsabteilung der Antragsgegnerin noch am gleichen Tage der Vergabestelle mit, dass die Antragstellerin wegen begründeter Zweifel an ihrer Eignung im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit auszuschließen sei. Zur Begründung fertigte die Rechtsabteilung einen von der Vergabestelle zu verwendenden Textbaustein.

4

Mit Informationsschreiben gemäß § 101a GWB teilte die Vergabestelle der Antragstellerin am 19.10.2011 mit, dass sie wegen begründeter Zweifel an ihrer Eignung im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werde. Sie begründete den Ausschluss wie von ihrer Rechtsabteilung vorgegeben:

5

So könnten nach den §§ 16 Abs. 4, 6 Abs. 5 lit. c.) VOL/A Angebote ausgeschlossen werden, wenn ein Bieter eine schwere Verfehlung begangen habe, die dessen Zuverlässigkeit in Frage stelle. Eine schwere Verfehlung in diesem Sinne sei u.a. die Bestechung. Die schwere Verfehlung müsse den für die Führung des Unternehmens verantwortlichen Personen anzulasten sein; dafür reiche es aus, wenn diese die Taten nicht selbst begangen hätten, aber durch Organisation und Aufsicht hätten verhindern müssen. Dabei sei es nicht relevant, ob eine Tat im Interesse, im Namen oder zu Gunsten des aktuell anbietenden Unternehmens erfolgt sei. Dies sei vorliegend der Fall. Frau ... als Geschäftsführerin ihres Unternehmens habe sich in mindestens einem Fall einer Bestechung nach den §§ 334 Abs. 1, 3, 335 Abs. 1, 2, Nr. 2 - 3 StGB strafbar gemacht. Die Taten seien zumindest teilweise bereits zugegeben worden. Die Staatsanwaltschaft ... betreibe ein Strafverfahren, in dem Frau ... als Beschuldigte geführt werde. In Vernehmungen am 28.09.2010 und am 07.12.2010 habe sie dabei u.a. angegeben, sich am 19.05.2009 mit Herrn ... getroffen zu haben, an dem auch die zweite Geschäftsführerin des Unternehmens, Frau ..., teilgenommen habe. Bei diesem Gespräch haben Sie Herrn ... mitgeteilt, dass Sie sich um die Unterbringung von ..., dem Sohn des ..., kümmern würden und Sie dafür eine eigenständige Firma gründen würden. Diese Zusage erfolgte vor dem Hintergrund, dass Frau ... klar gewesen sei, "dass wir von Herrn ..., also von der AM ..., keine Aufträge mehr bekommen würden, wenn wir ... nicht unterbringen würden".

6

Entsprechend dieser Zusage sei auch verfahren worden. Bis zur fristlosen Entlassung des ... am 18.06.2009 seien diesem von der ... Lohnzahlungen, Studien- und Fortbildungskosten, Kilometer-Gelderstattungen und Gewinntantiemen von insgesamt mindestens ... EUR zugeflossen.

7

In der genannten Vernehmung habe Frau ... außerdem zugegeben, einem weiteren Mitarbeiter der Autobahnmeisterei, Herrn ..., nach Rücksprache mit Frau ... Bargeld übergeben zu haben. Daneben bestünden mehrere weitere Vorwürfe. Nach Angabe von Frau ... sei in dieser Sache noch kein Strafbefehl oder Urteil erfolgt. Eine rechtskräftige Verurteilung sei aber auch nicht erforderlich; relevant sei allein, ob ein Nachweis der Taten vorliege. Dies sei hier der Fall; die Taten seien im Wesentlichen zugegeben worden.

8

§§ 16 Abs. 4, 6 Abs. 5 lit. c.) VOL/A eröffne ein Ermessen, ob ein Angebot auszuschließen sei. Dieses werde hier mit dem Ergebnis eines Ausschlusses ausgeübt. Die vorgenannten Taten seien gegenüber Beschäftigten der Vergabestelle erfolgt. Auslöser seien Leistungen derselben Art gewesen, wie sie im aktuellen Verfahren ausgeschrieben seien. Eine weitere Auftragserteilung würde also dazu führen, dass die Tätigkeit in genau dem Bereich fortgesetzt würde, in dem zuvor Aufträge durch Bestechung erlangt worden seien. Die Gefahr weiterer Bestechungen liege hier auf der Hand. Neben dem Geschäft könnten auch die Bestechungen nahtlos fortgesetzt werden. Daneben würde eine Auftragserteilung trotz erwiesener Bestechungen ein falsches Signal an andere Bieter, die Öffentlichkeit und die eigenen Beschäftigten senden und den Eindruck erwecken, Korruption werde durch die Vergabestelle offen gebilligt und bleibe ohne Konsequenzen. Im Ergebnis relevante Punkte gegen einen Ausschluss seien nicht gegeben. Daher werde ein Ausschluss vorgenommen.

9

Auf das Informationsschreiben der Antragsgegnerin hin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 21.10.2011 den beabsichtigten Ausschluss. Die Antragsgegnerin sei der Auffassung, dass eine schwere Verfehlung begangen worden sei, da eine Geschäftsführerin ihres Unternehmens sich einer Bestechung im Sinne des § 334 StGB bzw. eines besonders schweren Falls einer Bestechung gemäß § 335 StGB schuldig bemacht haben solle. Dies entspreche nicht den Tatsachen. Wegen des von der Antragsgegnerin ins Feld geführten Sachverhalts liege keine Verurteilung vor. Deshalb gelte weiter der auch vom Bundesverfassungsgericht stetig reklamierte Grundsatz der Unschuldsvermutung. Dieser Grundsatz erstrecke sich selbstverständlich auch auf die Vorschriften des Vergaberechts. Falsch sei, dass die Taten zumindest teilweise zugegeben wurden. Frau ... habe sich zu einem Sachverhalt eingelassen, der noch der rechtlichen Würdigung bedürfe. Sie bestreite, dass Frau ... sich selbst einer Straftat bezichtigte oder diese eingeräumt haben solle.

10

Vorliegend scheitere eine entsprechende Verurteilung schon an dem erforderlichen Vorsatz zur Straftat. Dieser Vorsatz müsse sich auf alle Umstände beziehen, die den Begünstigten zum Amtsträger machten, so wie darauf, dass dieser den Sinn des Vorteils als Gegenleistung verstehe. Der Täter müsse zudem das Bewusstsein haben, dass die Handlung des Amtsträgers pflichtwidrig war oder sein würde. Ein Qualifikationsdelikt im Sinne des § 335 StGB liege ohnehin nicht vor. Damit stehe fest, dass der von der Antragsgegnerin unterstellte Sachverhalt hier nicht greife. Ein Nachweis der Taten liege keineswegs vor, auch habe es keine Einräumungen von Straftatbeständen oder Schuldeingeständnissen gegeben.

11

Schwere Verfehlungen müssten nachgewiesen sein. Dies erfordere, dass eine Verurteilung über eine Straftat im Sinne des § 6 VOL/A EG Abs. 4 lit. a - g tatsächlich vorliegen müsse. Die Antragsgegnerin habe selbst eingestanden, dass keine rechtskräftige Entscheidung in dieser Sache vorliege. Insoweit habe sie auch ihr Ermessen weit überschritten, indem sie nur kursorisch den komplexen Sachverhalt wiedergegeben und hieraus die falschen Schlüsse gezogen habe. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, zur Ausschöpfung des von ihr reklamierten Beurteilungsspielraumes eine ausführliche Begründung im Fall der Annahme einer schweren Verfehlung, die im Vergabevermerk eingehend dokumentiert sein müsse, auch gegenüber der Antragstellerin zu erbringen. Dies habe sie vorliegend unterlassen.

12

Nachdem die Antragsgegnerin die Rüge mit Schreiben vom 24.10.2011 zurückgewiesen hatte, beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.10.2011 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

13

Ihr Nachprüfungsantrag sei zulässig und auch begründet. An die Nachweislichkeit einer schweren Verfehlung seien hohe Anforderungen zu stellen. Die Darlegungs- und Beweispflicht liege beim Auftraggeber. Bestünden nur begründete Zweifel, liege keine Nachweislichkeit im Sinne einer schweren Verfehlung vor. Die Nachweislichkeit geschehe einmal in der Weise, dass eine Verurteilung über eine Straftat im Sinne des § 6 VOL/A EG Abs. 4 lit. a - g tatsächlich vorliege. Eine solche Verurteilung liege nicht vor. Richtig sei, dass ein Ermittlungsverfahren gegen die Geschäftsführerin der Antragstellerin anhängig sei. Dieses sei aber seit 2009 anhängig, Fortschritte mache das Verfahren offensichtlich keine. Es werde auch eine Einstellung erwartet.

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Liege eine solche Verurteilung wie im vorliegenden Fall nicht vor, dürfe der Auftraggeber nach der Rechtsprechung des BGH nur solche Umstände berücksichtigen, die sich im Rahmen gesicherter Erkenntnisse bewegen würden. Unspezifische Vorwürfe, vage Vermutungen und Verdachtsmomente würden nicht genügen. Die Tatsachen, die zum Ausschluss wegen einer schweren Verfehlung führen sollen, seien jedoch von Seiten der Antragsgegnerin nur kursorisch dargestellt. Es mangele vorliegend an einer ausführlichen Begründung sowohl im Vorabinformationsschreiben gemäß § 101a GWB als auch im Vergabevermerk, was der Betroffenen zur Last gelegt werde.

15

Wie dem streitigen Vorabinformationsschreiben zu entnehmen sei, werde der Geschäftsführerin der Antragstellerin vorgeworfen, sich mit Herrn ... getroffen und eine Zusage dahin gehend gemacht zu haben, dass man sich um dessen Sohn kümmern und diesen unterbringen würde. Richtig sei, dass Herrn ... die Möglichkeit eines sog. dualen Studiums angeboten wurde, das zum einen aus der praktischen Tätigkeit im Unternehmen, zum anderen aus einer akademischen Ausbildung bestehe. Es handele sich hierbei um ein durchaus übliches und seriöses Modell, dass auch von großen Unternehmen eingesetzt werde. Zudem sei festzustellen, dass die Gründung eines Unternehmens und die Beschäftigung des Herrn ... sowohl mit der Steuerberatung als auch mit der anwaltlichen Beratung des Unternehmens der Antragstellerin intensiv abgesprochen wurde.

16

Des Weiteren werde die schwere Verfehlung damit begründet, dass Studien- und Fortbildungskosten übernommen worden seien. Auch dies sei nicht zu beanstanden, es entspreche selbstverständlich einem fairen Umgang mit dem Arbeitnehmer, dass entsprechende Kosten vom Arbeitgeber getragen würden.

17

Als schwer sei eine Verfehlung zudem nur dann anzunehmen, wenn sie schuldhaft begangen wurde und erhebliche Auswirkungen habe. Selbst wenn man die Sachverhaltsausführungen der Antragsgegnerin zugrunde lege, ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten der Frau .... Dies gelte insbesondere deshalb, weil sie rechtliche und steuerliche Beratung in Anspruch genommen habe und von Seiten ihrer Berater keinerlei Einwendungen im Hinblick auf das duale Studienmodell erhoben wurden. Außerdem könne ein legales Angestellten-/Studienverhältnis keine geforderte Auswirkung erheblicher Art besitzen. Eine erhebliche Auswirkung könne nur dann bejaht werden, wenn besonders schützenswerte Rechtsgüter verletzt worden seien, ein erheblicher Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe. Sämtliche dieser Tatbestände seien vorliegend nicht ansatzweise erkennbar. In der Gesamtschau sei daher eine Nichtberücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin ungerechtfertigt.

18

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    ein Nachprüfverfahren gegen die Vergabe der Antragsgegnerin betreffend der maschinellen Fahrbahnreinigung nach Unfällen mit wassergefährdenden Stoffen, Los 1, Autobahnmeistereien, durchzuführen und die Antragsgegnerin unverzüglich gemäß § 115 Abs. 1 GWB in Textform über den Nachprüfungsantrag zu informieren,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist,

  3. 3.

    der Antragsgegnerin aufzugeben, dass Angebot der Antragstellerin im Vergabeverfahren zu berücksichtigen,

  4. 4.

    hilfsweise, andere zur Wahrung der Rechte der Antragsgegnerin gebotenen Anordnungen zu treffen,

  5. 5.

    der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen,

  6. 6.

    festzustellen, dass die Hinzuziehung von Rechtsanwälten durch die Antragstellerin erforderlich war,

  7. 7.

    der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren.

19

Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. 1.

    die Anträge 2 - 5 zurückzuweisen, soweit sie sich auf Los 1 der streitgegenständlichen Ausschreibung beziehen,

  2. 2.

    den Antrag auf Akteneinsicht zurückzuweisen.

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Bezüglich Los 1 sei der Antrag der Antragstellerin unbegründet. Gemäß § 6 Abs. 6 lit. c.) EG VOL/A i.V.m. § 19 Abs. 4 EG VOL/A könnten Bewerber von der Teilnahme am Wettbewerb ausgeschlossen werden, wenn sie nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, die ihre Zuverlässigkeit als Bieter in Frage stelle. Ausweislich der Fallakten ... und ... der Zentralen Kriminalinspektion ... und der darin enthaltenen Vernehmungsprotokolle sei ersichtlich, dass Frau ... als Geschäftsführerin der Antragstellerin zusammen mit der zweiten Geschäftsführerin des Unternehmens die ... gegründet habe, um den Sohn des Leiters der Autobahnmeisterei ... u.a. die Finanzierung von dessen dualen Studium an der ... zu ermöglichen. Im Gegenzug für dessen Gehalt und die Bezahlung der Studienkosten habe die Antragstellerin im fraglichen Zeitraum Aufträge von der Autobahnmeisterei ... im Wert von über ... EUR erhalten. Die Auftragsvergaben seien dabei im Rahmen von freihändigen Vergaben ohne Wettbewerb oder ohne jegliches Vergabeverfahren erfolgt. Zwar sei die Initiative zu diesem Vorgehen nach Aktenlage ganz offensichtlich von dem Leiter der Autobahnmeisterei ... ausgegangen, Frau ... habe in der polizeilichen Vernehmung aber eingeräumt, "dass wir von Herrn ..., also von der Autobahnmeisterei ..., keine Aufträge mehr bekommen würden, wenn wir ... nicht unterbringen würden". Gemäß der Ermittlungsakte der Kriminalinspektion ... seien in dem fraglichen Zeitraum unter Berücksichtigung des Gehalts, von vereinbarten Gewinnanteilen und den Studienkosten von der Antragstellerin Zuwendungen in Höhe von durchschnittlich ... EUR monatlich an Herrn ... geflossen.

21

Die Antragstellerin habe damit eine schwere Verfehlung im Sinne des § 6 Abs. 6 lit. c.) EG VOL/A begangen. Der Begriff einer schweren Verfehlung in diesem Sinne sei gesetzlich nicht definiert. In Übereinstimmung mit den Literaturstimmen würden Verstöße gegen Strafnormen des StGB als schwere Verfehlung angesehen, wenn sie im geschäftlichen Verkehr erfolgt seien. Insbesondere Bestechung und Vorteilsgewährung würden ohne Gegenstimmen als zur Erfüllung des Tatbestandes ausreichend angesehen.

22

Frau ... habe eine Bestechung im Sinne des § 334 StGB gegenüber Herrn ... in mindestens einem Fall begangen. Die Tat müsse gegenüber einem Amtsträger im Sinne des § 11 Nr. 2 StGB erfolgen. Herr ... sei Beschäftigter des Landes Niedersachsen, mithin Amtsträger gewesen. Der Begriff des Vorteils im Sinne der §§ 331 Abs. 1, 334 Abs. 1 StGB umfasse jede objektive Besserstellung materieller oder immaterieller Art in wirtschaftlicher, rechtlicher oder persönlicher Perspektive, auf die kein Anspruch im rechtlichen Sinne bestehe. Unschädlich sei, dass der Vorteil einem Dritten gewährt wurde, vorliegend dem Sohn des Leiters der Autobahnmeisterei .... Damit sei ein Vorteil im Sinne von § 334 Abs. 1 StGB gegeben. Weiterhin sei nach § 15 StGB eine Vorsätzlichkeit des Handelns erforderlich. Vorsatz meine dabei den Willen zur Tatbestandsverwirklichung in Kenntnis der objektiven Tatumstände. Frau ... habe vorsätzlich gehandelt. Sie habe der Zentralen Kriminalinspektion ... gegenüber zugegeben, Herrn ... nur eingestellt zu haben, um weitere Aufträge durch Herrn ... zu erhalten.

23

Darüber hinaus habe Frau ... eine weitere Bestechung im Sinne des § 334 Abs. 1 StGB gegenüber Herrn ..., zum Tatzeitpunkt Mitarbeiter der Autobahnmeisterei ..., vollendet. Auch Herr ... sei Beschäftigter des Landes Niedersachsen, mithin Amtsträger, gewesen. Frau ... habe Herrn ... ... EUR durch direkte Übergabe in bar gezahlt. Dies habe sie in der Vernehmung durch die Kriminalinspektion ... auch zugegeben. Die Zahlung an Herrn ... sei erfolgt, um ihn für die Fälschung von Stundenzetteln und Aufmaßblättern zu belohnen, mithin für eine pflichtwidrige Dienstausübung. Ob Frau ... bezüglich der Fälschung von Stundenzetteln und Aufmaßblättern Kenntnis hatte, sei der vorliegenden Fallakte nicht zu entnehmen. Jedenfalls bezüglich der Sicherung der weiteren Aufträge jedoch habe wiederum Kenntnis vorgelegen. Die Zuverlässigkeit der Antragstellerin werde auch durch diese Tat ernsthaft in Frage gestellt. Frau ... habe hier als Erfüllungsgehilfin für Herrn ... Herrn ... für strafbare Taten seinerseits belohnt, diese mithin weiter gefördert.

24

Nach § 6 Abs. 6 lit. c.) EG VOL/A könne ein Ausschluss im Falle nachweislicher schwerer Verfehlungen erfolgen. Durch die Einlassungen von Frau ... in den polizeilichen Vernehmungen seien die Verfehlungen auch in diesem Sinne nachgewiesen. Eine rechtskräftige Verurteilung sei nicht die Voraussetzung von § 6 Abs. 6 lit. c.) EG VOL/A. Vielmehr handele es sich um eine abgestufte Reaktion des öffentlichen Auftraggebers; bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung sei aufgrund eigener Sachkenntnis und dem Ermessen der Vergabestelle zu entscheiden, nach einer rechtskräftigen Verurteilung sei der im Strafverfahren festgestellte Sachverhalt und die dortige rechtliche Beurteilung ausschlaggebend und führe zu einem zwingenden Ausschluss. Ein Geständnis reiche zum Nachweis der schweren Verfehlungen aus. Ein solches liege hier in den o. g. Vernehmungsprotokollen vor.

25

§ 6 Abs. 6 EG VOL/A eröffne ein Ermessen. Dieses Ermessen sei hier durch die Innenrevision und das Rechtsdezernat der Vergabestelle dahin gehend ausgeübt worden, dass das Angebot der Antragstellerin ausgeschlossen worden sei. Die Gründe seien in der Verständigung der Antragstellerin über ihren Ausschluss bereits mitgeteilt worden. Daher halte die Antragsgegnerin an dem Ausschluss fest.

26

Nach der mündlichen Verhandlung trägt die Antragsgegnerin mit nachgelassenem Schriftsatz vom 06.12.2011 erneut vor.

27

Die Antragstellerin habe in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragen, dass die erhaltenen Aufträge regelmäßig nicht von Herrn ..., sondern von der Betriebszentrale des Geschäftsbereiches ... erteilt worden seien. Sie gehe deshalb davon aus, dass damit die Voraussetzungen der §§ 332 und 334 StGB, also Bestechlichkeit und Bestechung, auf die sich die Antragsgegnerin in ihrer Vorabinformation bezogen habe, vorliegend nicht greifen würden, da es an einer pflichtwidrigen Amtsausübung des Herrn ... zugunsten der Antragstellerin mangele. Dieser Vortrag der Antragstellerin sei so nicht zutreffend. Die Be-triebszentrale des regionalen Geschäftsbereichs ... führe verschiedene Aufgaben zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit aus. Soweit diese durch eigene Beobachtung oder durch Meldungen Dritter Kenntnis von Unfällen erlange, gebe sie dies an die jeweils zuständige Meisterei weiter, die dann die erforderlichen Schritte einleite, also z.B. die Schadensbeseitigung durch die Beauftragung Dritter. Die Betriebszentrale sei ganztägig besetzt, die Meistereien hingegen nur zu den regulären Dienstzeiten. Um eine Schadensbeseitigung auch in der Nacht oder am Wochenende zu gewährleisten, erteile die Betriebszentrale Aufträge auch selbst. Sie bediene sich dabei einer Liste "zuständiger" Unternehmen, die ihr vom Geschäftsbereich oder den Meistereien mitgeteilt würden. Die Prüfung, ob diese Vertragspartner in einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren ermittelt worden seien, gehöre nicht zu deren Aufgaben. Im Ergebnis seien die Aufträge damit von der Autobahnmeisterei ... selbst, als auch von der Betriebszentrale erteilt worden.

28

Hinsichtlich des von der Antragstellerin bestrittenen Vorsatzes ihres Tuns sei festzustellen, dass es ausreiche, wenn Handlung und Ergebnis bekannt und gewollt seien. So liege es hier. Frau ... habe erkannt, dass, wenn sie Herrn ... eine Anstellung gewähre, im Gegenzug weiter Aufträge von der Autobahnmeisterei ... erhalten würde. Selbst wenn man einen Vorsatz bezüglich der Gegenleistung verneinen würde, würde das vorliegend keine Änderung des Ergebnisses bewirken. Der Sachverhalt würde dann noch immer den Vorwurf einer Vorteilsgewährung nach § 333 Abs. 1 StGB begründen. Dort sei allein ein Bezug auf die Dienstausübung erforderlich, nicht auf eine konkrete Diensthandlung. Soweit die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung argumentiert habe, dieser Straftatbestand sei in der Begründung des Ausschlusses nicht genannt, sei dies zutreffend, jedoch vorliegend auch nicht erforderlich. Der Sachverhalt, aus dem sich beide Vorwürfe ergäben, sei identisch. Auch die Vorteilsgewährung sei eine schwere Verfehlung im Sinne von § 6 Abs. 6 lit. c.) EG-VOL/A. Beide Straftatbestände seien in der Natur gleich und unterschieden sich lediglich in diesem Detail und dem angedrohten Strafmaß. Eine abschließende strafrechtliche Würdigung könne auch nicht Aufgabe der Vergabestelle sein. Solange der vorgeworfene Sachverhalt zutreffend, die strafrechtliche Bewertung vertretbar und die Ermessensausübung nicht fehlerhaft sei, begründe dies einen Ausschluss. Auch sonst führe die Fehlbenennung einer Norm nicht zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Dies gelte umso mehr, wenn der Unrechtsgehalt der vorgeworfenen Norm dem der tatsächlich erfüllten im Wesentlichen entspräche. Dies sei hier der Fall. Vorteilsgewährung und Bestechung seien unter-schiedliche Schattierungen desselben Lebenssachverhaltes Korruption.

29

Die Antragstellerin tritt dem Vorbringen der Antragsgegnerin entgegen. Aus dem ausführlichen Vortrag der Antragsgegnerin zum Aufbau und der Arbeitsweise der niedersächsischen Straßenbauverwaltung sei ersichtlich, dass sie es den Verantwortlichen der Behörde doch selbst überlassen habe, in einem Fall Vergabeverfahren durchzuführen und in anderen Fällen projektbezogene Auftragserteilungen vorzunehmen. Dieses jahrelang beobachtete, begleitete und geduldete Verfahren solle nun der Antragstellerin entgegengehalten werden. Die Antragsgegnerin habe es sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch in ihrem nachgelassenen Schriftsatz verpasst, konkret die angeblichen pflichtwidrigen Diensthandlungen des Herrn ... und deren Kausalität zu den §§ 334 und 335 StGB zu benennen, auf die sie sich in ihrer Benachrichtigung gemäß § 101a GWB bezogen habe. Der ausgeschlossene Bieter müsse aus dieser Benachrichtigung erkennen können, welche konkreten Erwägungen für die Vergabestelle ausschlaggebend für den Ausschluss gewesen seien. Die Antragsgegnerin könne deshalb den Ausschluss der Antragstellerin auch nicht einfach auf neue Straftatbestände, nämlich den der Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB stützen. Im Übrigen sei vorliegend von Bedeutung, dass Frau ... sich bei der Gründung der ... und der Einstellung des ... umfassend steuerlicher und rechtsanwaltlicher Beratung bedient hätte. Sie könne sich deshalb auch vorliegend auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen.

30

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 22.11.2011 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB) hinaus bis zum 12.12.2011 verlängert.

31

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 01.12.2011 Bezug genommen.

32

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin vom streitgegenständlichen Vergabeverfahren auszuschließen, verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB. Die Antragsgegnerin hat sich im Rahmen ihres durch § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A EG eingeräumten Beurteilungsspielraums und Ermessens gehalten, als sie das bei der Staatsanwaltschaft ... anhängige Ermittlungsverfahren gegen die Geschäftsführerin der Antragstellerin, Frau ..., wegen Bestechung gemäß § 334 StGB und den in der dortigen Ermittlungsakte, Az.: ... dokumentierten Sachverhalt, insbesondere die Einlassung der Geschäftsführerin, Frau ..., in der Beschuldigtenvernehmung durch die Zentrale Kriminalinspektion ... vom 28.09.2010 als schwere Verfehlung im Sinne des § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG eingestuft hat, die die Zuverlässigkeit der Antragstellerin als Bewerber in Frage stellt und gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A EG zum Ausschluss des Bewerbers führen kann. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin ihr Ermessen dahin gehend ausgeübt hat, dass sie das Angebot der Antragstellerin ausgeschlossen hat. Die in der von der Antragsgegnerin beigezogenen und der Vergabekammer vorliegenden Ermittlungsakte dokumentierte Tatsache, dass Frau ... und ihre Mitgeschäftsführerin ... Herrn ..., den Sohn des vormaligen Leiters der Autobahnmeisterei ..., Herrn ..., auf Initiative des Herrn ... in einer eigens dafür gegründeten GmbH angestellt haben, um zu gewährleisten, dass die Antragstellerin weiterhin Aufträge vom Geschäftsbereich ... der Antragsgegnerin erhält und um zu vermeiden, dass Herr ... negativen Einfluss auf die Praxis der Auftragsvergabe zu ihren Lasten nimmt, erfüllt zumindest den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Vorteilsgewährung gemäß § 333 Abs. 1 StGB. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich, so dass davon auszugehen ist, dass sich die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin strafbar gemacht haben. Bereits der von der Geschäftsführerin ... eingeräumte Sachverhalt ist daher als schwere Verfehlung im Sinne des § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A EG zu bewerten, auch wenn zum derzeitigen Zeitpunkt weder eine Verurteilung vorliegt noch Anklage erhoben wurde. Es ist daher nicht entscheidungserheblich, ob die in der Ermittlungsakte dokumentierten Handlungen der Geschäftsführerinnen der Antragstellerin darüber hinaus, wovon die Antragsgegnerin und ausweislich der Ermittlungsakte auch die ermittelnde Zentrale Kriminalinspektion ... ausgehen, zu einer Anklage und Verurteilung wegen Bestechung gemäß § 334 StGB oder gar wegen eines besonders schweren Falls der Bestechung gemäß § 335 StGB führen wird.

33

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Zwar ist gemäß Nr. 1 der EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe ausdrücklich beabsichtigt, den verfahrensgegenständlichen Auftrag im Namen und für Rechnung (Auftraggeber) der Bundesrepublik Deutschland, des Landes Niedersachsen und des Landkreises ..., vertreten durch die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Geschäftsbereich ..., zu vergeben. Die Antragsgegnerin ist jedoch auch passiv legitimiert, soweit der Auftrag für die Bundesrepublik Deutschland vergeben werden soll. Nach der Rechtsprechung ist in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, das eine Bundesauftragsangelegenheit im Sinne der Art. 85, 90 Abs. 2 GG zum Gegenstand hat, das Land und nicht der Bund Antragsgegner (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 06.06.2011 - 13 Verg 2/11, zitiert nach ibr-online).

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Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um die Vergabe eines Auftrags zur Fahrbahnreinigung nach Unfällen mit wassergefährlichen Stoffen und damit um einen Dienstleistungsauftrag, für den gemäß § 2 Nr. 2 der Vergabeverordnung (VgV) ein Schwellenwert von 193.000 EUR gilt. Werden Dienstleistungsaufträge, wie vorliegend, losweise ausgeschrieben, so beträgt der Schwellenwert 80.000 EUR oder bei Losen unterhalb von 80.000 EUR deren addierter Wert ab 20% des Gesamtwertes aller Lose. Ausweislich der Dokumentation unter Nr. 1.6 des vorliegenden, undatierten Vergabevermerks beträgt der geschätzte Gesamt-auftragswert ... EUR netto. Allein der Wert des hier noch streitbefangenen Loses 1 wurde auf ... EUR netto geschätzt.

35

Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB, da sie als Bieterunternehmen ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie die Auffassung vertritt, die Antragsgegnerin habe ihr Angebot zu Unrecht gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG von der Angebotswertung ausgeschlossen, da die ihr respektive ihren Geschäftsführerinnen vorgeworfene nachweislich schwere Verfehlung, die ihre Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stelle (§ 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG), nicht vorliege. Sie habe sich weder einer Bestechung noch einer sonstigen Straftat schuldig gemacht. Weder liege eine rechtskräftige Verurteilung vor, noch habe die Staatsanwaltschaft eine Anklage erhoben. Die Antragsgegnerin habe weder ihren Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob eine nachweislich schwere Verfehlung überhaupt vorliegt, noch ihr Ermessen, ob sie berechtigt ist, das Angebot der Antragstellerin auszuschließen, ordnungsgemäß ausgeübt und dokumentiert. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages, wenn der Bieter schlüssig einen durch die Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB Vergaberecht, § 107, Rdnr. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06).

36

Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergabe-vorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber der Antragsgegnerin unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen. Die Antragstellerin wurde durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19.10.2011 gemäß § 101a GWB darüber informiert, dass beabsichtigt ist, der Antragstellerin auf ihr Angebot den Zuschlag nicht zu erteilen. Zur Begründung wurde ausführlich dargelegt, dass man den Geschäftsführerinnen der Antragstellerin eine schwere Verfehlung im Sinne des § 6 Abs. 5 lit. c VOL/A zur Last legt. Frau ... als Geschäftsführerin ihres Unternehmens habe sich in mindestens einem Fall einer Bestechung gemäß §§ 334 Abs. 1, 3, 335 Abs. 1, 2, Nr. 2 - 3 StGB strafbar gemacht. Zur Begründung hat die Antragsgegnerin auf die bei der Staatsanwalt ... unter den Az.: ... bzw. ... geführten Ermittlungsverfahren und die von ihr beigezogenen Ermittlungsakten verwiesen und aus der dort protokollierten Vernehmung der Frau ... zitiert. Bereits mit Schreiben vom 21.10.2011 hat die Antragstellerin daraufhin ihren Angebotsausschluss gegenüber der Antragsgegnerin gerügt und ihre Auffassung dargelegt, dass aus ihrer Sicht bereits der objektive Tatbestand einer Bestechung nicht gegeben sei, zumindest aber scheitere eine entsprechende Verurteilung an dem erforderlichen Vorsatz zur Straftat. Dieser Vorsatz müsse sich auf alle Umstände beziehen, die den Begünstigten zum Amtsträger machen sowie darauf, dass dieser den Sinn des Vorteils als Gegenleistung versteht. Zudem müsse der Täter das Bewusstsein haben, dass die Handlung des Amtsträgers pflichtwidrig war oder sein würde. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin ihr Ausschlussermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Diese nur innerhalb von zwei Tagen nach Erhalt der ablehnenden Information der Antragsgegnerin gemäß § 101a GWB abgesetzte Rüge erfolgte unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB. Als unverzüglich in diesem Sinne gilt grundsätzlich ein Zeitraum innerhalb von ein bis drei Tagen nach positiver Kenntnisnahme (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2033, Az.: 1 Verg 4/03; Bechtold, GWB, § 107, Rz. 2). Es kann daher vorliegend dahinstehen, ob die Präklusionsregel gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteile vom 28.01.2010 in den Rs C-406/08 und C-456/08) überhaupt noch anwendbar ist (bejahend OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, Az.: WVerg 6/2010, und OLG Rostock, Beschluss vom 20.10.2010, Az.: 17 Verg 5/10, zitiert nach ibr-online; offen gelassen noch OLG Celle, Beschluss vom 16.09.2010, Az.: 13 Verg 8/10).

37

2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat das der Geschäftsführung der Antragstellerin im bei der Staatsanwaltschaft ... unter dem Az.: ... anhängigen Ermittlungsverfahren vorgeworfene Verhalten im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums zu Recht als nachweislich schwere Verfehlung im Sinne des § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG bewertet, die die Zuverlässigkeit der Antragstellerin als Bewerber in Frage stellt und sich im Rahmen des ihr gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG eingeräumten Ermessens gehalten, als sie sich entschieden hat, das Angebot der Antragstellerin vom Vergabeverfahren auszuschließen. Aus der in der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte dokumentierten Beschuldigtenvernehmung der Geschäftsführerin der Antragstellerin, Frau ..., vom 28.09.2010 ergibt sich, dass die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin auf Initiative des vormaligen Leiters der Autobahnmeisterei ... der Antragsgegnerin, Herrn ..., in der eigens dafür gegründeten ... dessen Sohn ... angestellt haben, um zu vermeiden, dass Herr ... seinen Einfluss auf die Auftragsvergabe durch den Geschäftsbereich ... der Antragsgegnerin zum Nachteil der Antragstellerin ausübt. Dieser im Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung dokumentierte Sachverhaltsvortrag der Geschäftsführerin der Antragstellerin erfüllt zumindest den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Vorteilsgewährung gemäß § 333 Abs. 1 StGB und damit einer strafbaren Handlung. Die Antragsgegnerin ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass weder der Vortrag der Geschäftsführerin der Antragstellerin ... noch der Sachverhalt im Übrigen Anhaltspunkte für das Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Entschuldungsgründen aufweist (im Folgenden a). Es ist daher vorliegend nicht entscheidungserheblich, ob, wovon die Antragsgegnerin und ausweislich der vorgelegten Ermittlungsakte offenbar auch die ermittelnde Zentrale Kriminalinspektion ... ausgehen, die laufenden Ermittlungen darüber hinaus zu einer Anklage und ggf. auch zu einer Verurteilung wegen Bestechung gemäß § 334 StGB oder gar wegen eines besonders schweren Falls der Bestechung gemäß § 335 StGB führen werden (im Folgenden b).

38

a) Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin in vergaberechtlich nicht zu beanstandender Weise vom verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen.

39

Gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG i.V.m. § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG können Angebote von Bietern ausgeschlossen werden, die nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, die ihre Zuverlässigkeit und damit ihre Eignung als Bewerber in Frage stellt. Bei den die Eignung ausmachenden Gesichtspunkten der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit und damit auch bei dem Begriff der Eignung selbst, handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe (vgl. BayObLG, Beschluss vom 03.07.2002, Az.: Verg 13/02; VK Lüneburg, Beschluss vom 18.10.2005, Az.: VgK-47/05). Da die Prüfung der Eignung eines Unternehmens ein wertender Vorgang ist, in den zahlreiche Einzelumstände einfließen, ist der Auftraggeberin insoweit ein Beurteilungsspielraum einzuräumen, der nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Vergabekammer zugänglich ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 21.04.2006, Az.: Verg 8/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.01.2005, Az.: VII-Verg 55/05, Weyand, Vergaberecht, 2. Auflage 2007, Rdnr. 396 m.w.N.). Die Vergabekammer überprüft die Beurteilung der Auftraggeberin hinsichtlich der Eignung der Antragstellerin nur daraufhin, ob die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten sind. Dies ist dann anzunehmen, wenn das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten wird, wenn nicht von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wird, wenn sachwidrige Erwägungen in die Wertung ein-bezogen werden oder wenn der sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung haltende Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewendet wird (vgl. Weyand, a.a.O.).

40

Richtschnur für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Bieters ist dabei stets die Frage und Prognose, inwieweit die zur Beurteilung stehenden Gesichtspunkte geeignet sind, eine ordnungsgemäße und vertragsgerechte Erbringung gerade der ausgeschriebenen Leistung in Frage zu stellen (vgl. Weyand, Vergaberecht, 2. Auflage 2007, Rdnr. 505).

41

Zwar kommt vorliegend ein zwingender Ausschluss der Antragstellerin wegen § 6 Abs. 4 lit. e VOL/A-EG nicht in Betracht. Nach § 6 Abs. 4 lit. e VOL/A-EG ist ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen, wenn der Auftraggeber Kenntnis davon hat, dass eine Person, deren Verhalten dem Unternehmen zuzurechnen ist, rechtskräftig verurteilt ist wegen § 334 des Strafgesetzbuches (Bestechung). Eine strafrechtliche Verurteilung einer oder beider Geschäftsführerinnen der Antragstellerin wegen Bestechung gemäß § 334 StGB oder einer sonstigen Straftat im Sinne des Kataloges des § 6 Abs. 4 VOL/A-EG liegt nicht vor.

42

Die Antragsgegnerin hat jedoch das ihr aus der ihr vorliegenden Ermittlungsakte der Zentralen Kriminalinspektion ... im bei der Staatsanwaltschaft ... anhängigen Ermittlungsverfahren zum Az.: ... vorgeworfene und dokumentierte Verhalten der Geschäftsführerinnen der Antragstellerin, ... und ..., im Zusammenhang mit der Anstellung des Sohnes des vormaligen Leiters der Autobahnmeisterei ..., Herrn ..., in der eigens dafür gegründeten ... zu Recht zum Anlass genommen, die Möglichkeit eines Ausschlusses nach § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG zu prüfen. § 6 Abs. 6c VOL/A-EG beinhaltet einen fakultativen Ausschlusstatbestand für Bewerber, die nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, welche ihre Zuverlässigkeit in Frage stellt (vgl. Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 2. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 102). Die Antragsgegnerin ist im Rahmen ihres durch § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG eingeräumten Beurteilungsspielraums zu Recht zu dem Schluss gelangt, dass das in der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte dokumentierte und insbesondere in der dort protokollierten Beschuldigtenvernehmung der Geschäftsführerin ... vom 28.09.2010 eingeräumte Verhalten der Geschäftsführerinnen der Antragstellerin als nachweislich schwere Verfehlung im Sinne des § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A zu bewerten ist, das zum Ausschluss des Angebotes gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG führen kann.

43

Bei dem Begriff "schwere Verfehlung" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Auslegung der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum zukommt. Unter "schwerer Verfehlung" werden erhebliche Rechtsverstöße verstanden, die geeignet sind, die Zuverlässigkeit eines Unternehmens grundlegend in Frage zu stellen. Hierzu zählen u.a. Verstöße gegen das GWB, z.B. unzulässige Preisabsprachen (vgl. Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 2. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 103 f.), oder Verstöße gegen das StGB, wie z.B. Submissionsbetrug, Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung, Vorteilsnahme, Unterschlagung, Untreue, Hehlerei, Betrug, Urkundenfälschung etc. (vgl. Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 58). Grundsätzlich fallen unter den Begriff der schweren Verfehlung vor allem auf den Geschäftsverkehr bezogene Ordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen strafrechtliche Bestimmungen oder schwerwiegende Verstöße gegen Normen, die grundlegende Prinzipien des Vergaberechts wie Wettbewerb und Gleichbehandlung stützen (vgl. Prieß in: Beck'scher VOB-Kommentar, § 8, Rdnr. 101). Als Bezugspunkt für die Prüfung einer einem Bieterunternehmen anzulastenden schwerwiegenden Verfehlung ist auf die verantwortlich handelnden Personen des Unternehmens abzustellen. Grundsätzlich gilt ein Bewerber als zuverlässig, wenn er seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen ist und eine einwandfreie Ausführung des Auftrags erwarten lässt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2004 - Verg 48/04 = VergabeR 2005, S. 207 ff., 210). Die einwandfreie Ausführung des Auftrags hängt aber maßgeblich von den verantwortlich handelnden Personen ab. Bei Beteiligung einer Personengesellschaft oder juristischen Personen kommt es mithin nicht auf das Unternehmen selbst, sondern auf die für das Unternehmen verantwortlich handelnden Personen - wie vorliegend auf die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin -an (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.07.2005 - Verg 42/05; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.12.2008 - 1 Verg 4/03; Müller-Wrede, a.a.O., § 6 EG, Rdnr. 61).

44

Voraussetzung für einen Ausschluss nach § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG ist, dass eine schwere Verfehlung nachweislich begangen wurde. Nach dem Wortlaut der Norm liegt mithin die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens einer schweren Verfehlung beim Auftraggeber (vgl. Müller-Wrede, a.a.O., § 6 EG, Rdnr. 66; VK Nordbayern, Beschluss vom 22.01.2007 - 21.VK-3194-44/06; VK Lüneburg, Beschluss vom 18.10.2005 - VgK-47/2005). Der Nachweis ist zwar unzweifelhaft immer dann geführt, wenn sich der Auftraggeber auf einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid oder eine rechtskräftige Verurteilung berufen kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 21.04.2006 - Verg 8/06, zitiert nach ibr-online). Gleichwohl ist dies nicht zwingend erforderlich. Der Auftraggeber ist vielmehr bereits bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte zu einem Ausschluss berechtigt (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.12.2003 - 1 Verg 4/03 = ZfBR 2004, S. 490; VK Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2006 - VK08/2006-L; für die Zulässigkeit einer über den konkreten Angebotsausschluss hinausgehenden Vergabesperre KG, Urteil vom 17.01.2010 - 2 U 4/06 Kart, zitiert nach ibr-online). Denn zwischen dem Tatzeitpunkt und einer rechtskräftigen Entscheidung kann ein langer Zeitraum liegen, in dem es dem Auftraggeber nicht zugemutet werden kann, vertragliche Beziehungen mit dem betreffenden Unternehmen aufzunehmen. Auch das Vorliegen einer Anklageschrift oder eines Eröffnungsbeschlusses muss daher nicht abgewartet werden (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.12.2003 - 1 Verg 4/03; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.06.2004 - 11 Verg 6/04; Müller-Wrede, a.a.O., § 6 EG, Rdnr. 67). Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG darf der Auftraggeber nach der Rechtsprechung des BGH aber nur solche Umstände berücksichtigen, die sich im Rahmen gesicherter Erkenntnis bewegen. Informationen müssen sich aus seriösen Quellen ergeben, so dass der Verdacht eine gewisse Erhärtung erfährt (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.1999 - X ZR 30/98; Saarländisches OLG, Beschluss vom 29.12.2003 - 1 Verg 4/03; Hausmann/von Hoff in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 111).

45

Der in der mit der Vergabeakte vorgelegten staatsanwaltlichen Ermittlungsakte dokumentierte Sachverhalt begründet zumindest den Vorwurf einer Vorteilsgewährung nach § 333 Abs. 1 StGB und damit einer strafbaren Handlung. Danach wird, wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einem Soldaten der Bundeswehr für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt, mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tathandlungen des § 333 StGB entsprechen denen des § 331 (Vorteilsannahme) auf Seiten des Amtsträgers spiegelbildlich. Als von den § 331 ff. geschützte Rechtsgüter werden die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes (vgl. BGH 10, 241; 14, 130 und 15, 96) und das Vertrauen der Allgemeinheit in diese Lauterkeit angesehen (vgl. BGH 15, 96 ff.). Herr ... war zum Tatzeitpunkt Leiter der von der Antragsgegnerin eingerichteten Autobahnmeisterei ... und damit Amts-träger im Sinne der §§ 331, 333 StGB. Die Geschäftsführerin der Antragstellerin, Frau ..., hat in ihrer Beschuldigtenvernehmung vom 28.09.2010 gegenüber der Zentralen Kriminalinspektion ... ausgesagt, dass es im ersten Quartal 2009 auf Initiative des Herrn ... zu mehreren Gesprächen über eine Vermittlung einer beruflichen Verwendung für seinen Sohn, Herrn ..., durch Vermittlung der Antragstellerin gekommen ist. Am 13.03.2009 habe Herr ... schließlich bei ihrer Kollegin angerufen und um ein Treffen gebeten. Sie, Frau ..., habe ihm angeboten, nach einer Verbandsversammlung, die am 23. und 24.03.2003 in ... stattgefunden habe, auf dem Rückweg bei ihm vorbeizuschauen. Sie habe sich dann am 24.03.2009 im ... in ... mit Herrn ... getroffen. Bei diesem Treffen habe sie Herr ... gefragt, ob sie seinen Sohn ... in der Fa. ... (Antragstellerin) unterbringen könnte. Sie glaube, sie habe das gleich abgelehnt und gesagt, dass sie das auch noch mit ihrer Kollegin besprechen müsse. Herr ... habe ihr daraufhin gesagt, dass sie sich das ja noch mal durch den Kopf gehen lassen könne. Es solle zu ihrem Schaden nicht sein. Nach diesem Gespräch habe sie sich zusammen mit ihrer Kollegin, Frau ..., ihrem Rechtsanwalt und ihrem Steuerberater Gedanken gemacht, wie sie Herrn ... unterbringen könne. Am 19.05.2009 hätten sie und ihre Mitgeschäftsführerin, Frau ..., sich im ... in ... erneut mit Herrn ... getroffen und ihm schließlich mitgeteilt, dass sie sich um die Unterbringung von Herrn ... kümmern würden und dass sie dafür eine eigenständige Firma gründen würden. Nach einem weiteren Treffen am 06.07.2009 im Hause der Antragstellerin in ... kam es dann am 21.07.2009 zu einem Treffen zwischen Frau ..., Frau ... und ihrem Steuerberater und Rechtsanwalt. Auf diesem Treffen, so Frau ..., habe man beschlossen, dass sie eine eigenständige GmbH gründen würden. Es sollte eine GmbH mit der üblichen Einlage von ... EUR sein. Die Fa. ... habe als alleinige Gesellschafterin ... EUR eingezahlt. Frau ... und sie persönlich seien als Geschäftsführer eingetragen worden. Es wurde auf Initiative von Herrn ... beschlossen, Firmenräume in der Eigentumswohnung der Familie ... in der ... in ... anzumieten. Die Firma sei als ... am 01.08.2009 gegründet worden. Es sei vereinbart worden, dass Herr ..., der Sohn des Leiters der Autobahnmeisterei, neben seinem Gehalt eine Tantieme in Höhe von 20% des körperschaftssteuerpflichtigen Gewinns erhalten solle. Als Gehalt sei ... EUR monatlich brutto vereinbart worden. Nach dem vorliegenden Bericht der FK Wirtschaftskriminalität der PD ... vom 16.12.2010 hat Herr ... im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses vom 1. August 2009 bis zum 18. Juni 2010 insgesamt Zuwendungen von ... EUR erhalten. Mit der Anstellung des Herrn ... und denen in diesem Rahmen gewährten Zuwendungen haben die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin dem Vater, Herrn ..., einen Drittvorteil im Sinne der §§ 331, 333 Abs. 1 StGB gewährt. Der Begriff des Vorteils im Sinne von § 331 Abs. 1 ff. StGB umfasst jede objektive Besserstellung materieller oder immaterieller Art in wirtschaftlicher, rechtlicher oder persönlicher Perspektive, auf die kein Anspruch im rechtlichen Sinne bestand (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Auflage, § 331, Rdnr. 11). Der Tatbestand der Vorteilsgewährung gemäß § 333 Abs. 1 StGB setzt weiterhin voraus, dass die Zuwendung für die Dienstausübung des Amtsträgers erfolgt. Das heißt, die Tat muss sich auf Handlungen beziehen, durch die ein Amtsträger oder Verpflichteter im öffentlichen Dienst die ihm übertragenen Aufgaben wahrnimmt (vgl. BGH 31, 264 ff., 280). Dabei genügt es, wenn der betreffende Amtsträger nach seinem dienstlichen Aufgabenbereich abstrakt zuständig ist. Eine konkrete Zuständigkeit ist nicht erforderlich. Selbst ein Handeln außerhalb der örtlichen Zuständigkeit steht dem dienstlichen Charakter grundsätzlich nicht entgegen. Der Begriff umfasst nicht nur Handlungen mit Außenwirkungen, sondern auch vorbereitende und unterstützende dienstliche Tätigkeiten, wie z.B. die Beratung anderer Amtsträger (vgl. Fischer, StGB, 57. Auflage, § 331, Rdnr. 6, 7 m.w.N.). Nicht erforderlich für die Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme gemäß § 333 StGB und § 331 StGB ist der Bezug zu einer konkreten Diensthandlung. Unerheblich ist auch, ob die Vorteilszuwendung sich auf vergangene oder zukünftige Handlungen des Amtsträgers bezieht und ob sie sich auch auf eine zukünftige Ermessensausübung richtet (vgl. OLG Naumburg, NJW 97, S. 593 [AG Plön 13.06.1996 - 2 C 350/96]). Der Vorteil muss dem Amtsträger auch nicht persönlich zugute kommen. Eine Zuwendung an Dritte reicht, wenn sie Inhalt der Unrechtsvereinbarung zwischen dem Zugewendeten und dem Amtsträger ist (vgl. Fischer, a.a.O., § 331, Rdnr. 13 ff., § 333, Rdnr. 6, m.w.N.).

46

Auch diese Tatbestandsvoraussetzung ist vorliegend erfüllt. Denn Frau ... hat in ihrer Beschuldigtenvernehmung vom 28.09.2010 mehrfach betont, dass die Anstellung des Herrn ... erfolgte, um zu gewährleisten, dass die Antragstellerin weiterhin Aufträge von der Autobahnmeisterei ..., respektive von dem Geschäftsbereich ... der Antragsgegnerin für den Bereich der Autobahnmeisterei ... erhalten würde. Auf Seite 3 ff. des Protokolls zur Beschuldigtenvernehmung vom 28.09.2010 wird Frau ... wie folgt zitiert:

"Uns war klar, dass wir von Herrn ..., also von der AM ..., keine Aufträge mehr bekommen würden, wenn wir ... nicht unterbringen würden. Natürlich hat Herr ... dies nie wörtlich gesagt. In einem der Gespräche sagte er aber, dass er der Fa. ... keine Aufträge mehr geben würde, weil diese seinen Sohn so schlecht behandelt hätten. Ich bin mir sicher, dass dies Ihnen Herr ... auch bestätigen kann. Herr ... sagte zu mir, dass alle, die seinen Sohn gut behandeln oder seiner Familie was Gutes tun, von ihm nie schlecht behandelt werden würden. Mir jedenfalls war klar, dass ich mir meine Aufträge sichern würde, wenn ich ... unterbringen würde."

47

Vollendet ist die Tat der Vorteilsgewährung gemäß § 333 Abs. 1 StGB mit der Tathandlung selbst. Ob der Amtsträger die erwartete Handlung ausführen will oder kann oder ob er sie (später) tatsächlich ausführt, ist dabei bedeutungslos. Es ist dabei auch gleichgültig, ob sich der Amtsträger selbst nach § 331 oder § 332 strafbar macht. Es genügt vielmehr, wenn er beim etwaigen Eingehen auf das Ansinnen des Vorteilsgewährers den Tatbestand mindestens des § 331 erfüllen würde (vgl. BGH 15, 184; Fischer, a.a.O., § 333, Rdnr. 9). Es ist dabei für den objektiven Tatbestand der Vorteilsgewährung des § 333 Abs. 1 StGB also vorliegend auch unbeachtlich, ob die Aufträge überhaupt unmittelbar durch Herrn ..., also seitens der Autobahnmeisterei ..., oder aber unter dessen von der Antragstellerin zumindest selbst vermuteten Einflussnahme seitens des übergeordneten Geschäftsbereichs ... vergeben wurden bzw. auch künftig weiter vergeben werden würden.

48

Die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin handelten auch vorsätzlich. Der Vorsatz der Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB muss mindestens als bedingter Vorsatz die Umstände umfassen, die den Partner zum Amtsträger machen. Dass der Täter den anderen zu einer konkreten Diensthandlung bestimmen will, ist nicht erforderlich. Er muss jedoch wollen, dass der andere den Sinn des Vorteils als Äquivalent für dessen - rechtmäßige oder unrechtmäßige - Dienstausübung versteht. Auch diesen Vorsatz hat die Geschäftsführerin der Antragstellerin, Frau ..., in ihrer Beschuldigtenvernehmung vom 28.09.2010 ausweislich des diesbezüglichen Protokolls eingeräumt. Sie hat ausdrücklich erklärt, dass ihr klar gewesen sei, dass sie sich ihre Aufträge sichern würde, wenn sie Herrn ... unterbringen würde. Die in der Folge der Vernehmung durch den Kriminalbeamten gestellte Frage, ob sie das Studium von ... finanziert habe, um nicht die Aufträge der Fa. ... von der Autobahnmeisterei ... zu verlieren, hat sie ausdrücklich mit ja beantwortet (S. 43 des Vernehmungsprotokolls vom 28.09.2010). Damit ist belegt und kann im Strafverfahren bewiesen werden, dass die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin, zumindest aber die Geschäftsführerin Frau ..., den Tatbestand der Vorteilsgewährung gemäß § 333 Abs. 1 StGB wissentlich und willentlich und damit vorsätzlich verwirklicht haben.

49

Rechtfertigungsgründe hat die Antragstellerin nicht vorgetragen und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.

50

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wurde die Tat auch schuldhaft begangen und ist der Antragstellerin daher vorzuwerfen. Soweit sich die Antragstellerin im Zuge des Nachprüfungsverfahrens auf einen Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB beruft, werden dessen Voraussetzungen vorliegend schon durch die Aussagen der Geschäftsführerin der Antragstellerin, Frau ..., in ihrer Beschuldigtenvernehmung vom 28.09.2010 widerlegt. Nach § 17 StGB handelt ein Täter ohne Schuld, wenn ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun, sofern er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Die Einsicht, Unrecht zu tun, d.h. das verstehende Erkennen der Rechtswidrigkeit der Tat, ist ein Element der Schuld, dessen Fehlen bei Unvermeidbarkeit des Irrtums die Schuld ausschließt. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Täter dabei nicht die Strafbarkeit seines Handelns erkennen. Es genügt vielmehr das Bewusstsein Unrecht zu tun (vgl. BGH 15, S. 377 ff., 383, BGH 52, S. 227 ff., 239). Das Bewusstsein moralischer Verwerflichkeit oder Sozialwidrigkeit reicht zwar nicht aus. Es genügt aber das Bewusstsein eines Verstoßes gegen die rechtliche Ordnung, ohne dass es der Kenntnis der verletzten Norm bedarf (vgl. BGH 11, 266; Fischer, a.a.O., § 17, Rdnr. 3, m.w.N.). Frau ... hat in der Beschuldigtenvernehmung vom 28.09.2010 an mehreren Stellen deutlich gemacht, dass sie sich bewusst war, dass die Beschäftigung des Sohnes eines Leiters einer Autobahnmeisterei, von dem sie sich Einfluss auf die Auftragsvergabe zugunsten der Antragstellerin versprochen hat, unrechtmäßig, zumindest aber rechtlich problematisch sein würde. So hat sie im Hinblick auf das Gespräch mit Herrn ... am 24.03.2009 ausgesagt (Protokoll zur Beschuldigtenvernehmung vom 28.09.2010, S. 3, 4):

"Nach diesem Gespräch habe ich mir zusammen mit meiner Kollegin, Frau ..., meinem Rechtsanwalt und meinem Steuerberater Gedanken gemacht, wie mir ... unterbringen. Uns war klar, dass wir von Herrn ..., also von der AM ..., keine Aufträge mehr bekommen würden, wenn wir Herrn ... nicht unterbringen würden. ... Mir war jedenfalls klar, dass ich mir meine Aufträge sichern würde, wenn ich ... unterbringen würde."

51

Diese Aussage und die Tatsache, dass die Geschäftsführerin der Antragstellerin den Sohn des Herrn ..., Herrn ..., nicht etwa in der eigenen Firma, sondern in einer eigens für diesen Zweck gegründeten Firma vorgenommen haben, wobei die hierfür benötigten Räumlichkeiten auch noch in einer Wohnung des Leiters der Autobahnmeisterei ..., Herrn ..., angemietet wurden, spricht vielmehr dafür, dass die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin in dem Bewusstsein handelten, Unrecht zu tun.

52

Das Fehlen jeglichen strafrechtlich relevanten Unrechtsbewusstseins wird auch nicht durch die von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.11.2011 als Anlage AST 9 vorgelegte schriftliche Erklärung des die Antragsgegnerin betreuenden Herrn Rechtsanwalt ... belegt. Dieser hat die Umstände der Gründung ... aus seiner Sicht geschildert und erklärt:

"Ich kann ferner ausschließen, dass über die Möglichkeit, dass die Anstellung von ... bei der zu gründenden Gesellschaft eine Bestechung des ... in Form einer Vorteilsgewährung an einen Dritten darstellen könnte oder auch nur nachgedacht wurde. Diese im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen Frau ... aufgetauchte Problematik ist nicht gesehen worden. Nach meinen Feststellungen gibt es zwar in der veröffentlichten Kommentarliteratur die Auffassung, dass in einer solchen Fallgestaltung eine Bestechung gesehen werden könne, veröffentlichte Rechtsprechung hierzu gibt es nach meinen Feststellungen jedoch nicht. Wenn man mir vorwerfen wollte, Frau ... und Frau ... zu diesem Sachverhaltsaspekt falsch beraten zu haben, würde ich diesen Vorwurf zurückweisen. Wäre der Vorwurf begründet, hätte dies meiner Einschätzung nach zugleich zur Folge, dass mir gegenüber Frau ... ein Beratungsfehler unterlaufen ist, der gleichzeitig ein Verschulden von Frau ... in Bezug auf die strafrechtliche Einschätzung der Anstellung von ... ausschließt."

53

Zuvor erklärt Herr Rechtsanwalt ... auf Seite 2 jedoch:

"Die Vorstellung des Herrn ... ging offenbar dahin, dass sein Sohn ... eine Anstellung bei der Fa. ... erhalten sollte. Dies kam für Frau ... aus naheliegenden Gründen nicht in Frage."

54

Auch dies spricht für das Unrechtsbewusstsein und gegen einen entschuldigenden Verbotsirrtum der Frau ... im Zusammenhang mit der Gründung der ... zum Zwecke der Anstellung des Herrn .... Der Einwand der Antragstellerin schließlich, dass die Initiative zur Vorteilsgewährung unstreitig vom vormaligen Leiter der Autobahnmeisterei ..., Herrn ..., ausgegangen ist, und dass sich die Antragstellerin, was auch für die Vergabekammer in der Gesamtschau des dokumentierten Sachverhalts nachvollziehbar ist, von Herrn ... gedrängt ggf. genötigt gefühlt hat, den Sohn ... einzustellen, um zu vermeiden, dass Herr ... seinen Einfluss auf die Praxis der Auftragsvergabe im Geschäftsbereich ... der Antragsgegnerin zu Lasten der Antragstellerin ausübt, kann möglicherweise Einfluss auf das Strafmaß im Falle einer Verurteilung wegen Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB haben. An einer schuldhaften Tatbestandsverwirklichung ändert dies jedoch nichts.

55

Entschuldigungsgründe liegen daher nach Auffassung der Vergabekammer nicht vor, so dass davon auszugehen ist, dass der vorliegende Sachverhalt zumindest zur Anklage und nach überwiegender Wahrscheinlichkeit auch zu einer Verurteilung wegen Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB führen wird. Die Antragsgegnerin hat sich daher in dem ihr durch § 6 Abs. 6 c VOL/A eingeräumten Beurteilungsspielraum gehalten, als sie den von ihr aufgegriffenen Sachverhalt als nachweislich schwere Verfehlung der Geschäftsführerinnen der Antragstellerin bewertet haben, die ihre Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stellt und die zum Angebotsausschluss gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG führen kann.

56

Selbst wenn aber das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt werden sollte, schließt dies den Nachweis einer schweren Verfehlung nicht aus, da insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität eine Einstellung nach § 153a StPO häufig aus verfahrensökonomischen Gründen vorgenommen wird und somit keine Aussage über das Vorliegen einer schweren Verfehlung trifft (vgl. Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 69). Nur im Falle eines Freispruchs sind die Voraussetzungen eines Ausschlusses gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG i.V.m. § 6 Abs. 6c VOL/A-EG offen-kundig nicht gegeben. Von einem Freispruch ist indessen nach Auffassung der Vergabekammer nach dem in der Ermittlungsakte dokumentierten Sachverhalt nicht auszugehen.

57

b) Es ist daher vorliegend nicht entscheidungserheblich, ob, wovon die Antragsgegnerin und ausweislich der vorgelegten Ermittlungsakte auch die ermittelnde Zentrale Kriminalinspektion ... ausgehen, die laufenden Ermittlungen darüber hinaus zu einer Anklage und ggf. auch zu einer Verurteilung wegen Bestechung führen werden. Der Tatbestand der Bestechung gemäß § 334 Abs. 1 StGB setzt gegenüber dem Tatbestand der Vorteilsgewährung nach § 333 StGB zusätzlich voraus, dass der Vorteil dem Amtsträger nicht nur für dessen allgemeine Dienstausübung angeboten, versprochen oder gewährt wird, sondern dafür, dass er eine konkrete Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzten würde. Unter Berücksichtigung des Vortrags der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung und ihres nachgelassenen schriftsätzlichen Vortrags ist es zumindest fraglich, ob sich der Vorsatz der Geschäftsführerinnen der Antragstellerin auf diese zusätzlichen Tatbestandsmerkmale erstreckt hat. Eingeräumt hat die Geschäftsführerin der Antragstellerin, Frau ..., lediglich, dass sie den Sohn des Herrn ... deshalb eingestellt hat, um zu vermeiden, dass Herr ... einen wie auch immer gearteten negativen Einfluss auf die Vergabepraxis des Geschäftsbereichs ... der Antragsgegnerin zu ihren Lasten nimmt. Dieser Vortrag deckt sich insoweit mit dem Vortrag der Antragsgegnerin, die ebenfalls davon ausgeht, dass Herr ... als Leiter der Autobahnmeisterei ... Einfluss auf die Auftragsvergabe bezüglich der verfahrensgegenständlichen Ölschadensbeseitigung hatte. Unklar bleibt jedoch, wer konkret die Aufträge an die Antragstellerin erteilt hat. Während die Antragstellerin vorgetragen hat, dass die Auftragserteilung ausschließlich durch den Geschäftsbereich ... der Antragsgegnerin und nicht durch die Autobahnmeisterei ... erteilt wurden, hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass die Aufträge zwar überwiegend durch den Geschäftsbereich ..., zum Teil aber auch unmittelbar durch die Autobahnmeisterei ... und damit dem Leiter der Autobahnmeister, Herrn ..., erteilt wurden. Belegt hat die Antragsgegnerin eine unmittelbare Auftragserteilung durch Herrn ... allerdings nicht. Vielmehr ergibt sich aus dem Vortrag der Antragsgegnerin, dass die Aufträge für die verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen zur Ölschadensbeseitigung in ihrem Zuständigkeitsbereich auf sehr unterschiedliche Weise vergeben wurden. Während sie offenbar in den meisten Geschäftsbereichen zumindest in den letzten Jahren aufgrund von Rahmenverträgen auf der Grundlage der VOL/A ausgeschrieben wurden, wurden diese Aufträge im Bereich des zuständigen Geschäftsbereichs ... bis dato weitgehend freihändig vergeben.

58

Der Vortrag der Antragsgegnerin, das Unterlassen von Ausschreibungen in diesem Vergabebereich im Geschäftsbereich ... sei maßgeblich und in erster Linie auf eine wie auch immer geartete Einflussnahme des Leiters der Autobahnmeisterei ..., Herrn ..., auf die zuständigen Mitarbeiter im Geschäftsbereich ... zurückzuführen, lässt die Frage offen, warum die Zentrale der Antragsgegnerin diese gegenüber den übrigen Geschäftsbereichen außergewöhnliche Handhabung der Vergabe über eine derart langen Zeitraum nicht bemerkt oder aber, falls es bemerkt wurde, geduldet hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin die Beschäftigung des Herrn ... und damit die Vorteilsgewährung für die Dienstausübung des Herrn ... im Sinne des § 333 Abs. 1 StGB vorsätzlich vollendet haben, nicht aber für eine Diensthandlung unter Verletzung seiner Dienstpflichten.

59

Die Vorteilsgewährung muss sich gemäß § 334 Abs. 1 StGB auf eine pflichtwidrige dienstliche Handlung des Begünstigten beziehen. Will der Vorteilsgeber lediglich, dass der Amtsträger nur seine Dienstpflicht erfüllt, so kommt nur § 333 StGB in Betracht. Auch der Vorsatz muss sich auf diese Pflichtwidrigkeit erstrecken. Der Täter muss das Bewusstsein haben, dass die Handlung des Amtsträgers pflichtwidrig war oder sein würde, wobei bedingter Vorsatz ausreiche (vgl. Fischer, StGB, 57. Auflage, § 334, Rdnr. 4, 7). Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2011 erläutert, dass sie seit der ... für den Geschäftsbereich ... tätig gewesen ist. Für die ... erfolgte diese Tätigkeit aufgrund eines Pauschalvertrages. Nach Abschluss der ..., also ab 2001 sei sie vom Geschäftsbereich ... bei Bedarf im Wege eines freihändigen Vergabeverfahrens beauftragt worden. Es ihr bewusst gewesen, dass in anderen Geschäftsbereichen der Antragsgegnerin Ausschreibungen erfolgt sind. Im Geschäftsbereich ... sei dies allerdings zumindest für den hier verfahrensgegenständlichen Dienstbereich nicht erfolgt. Sie habe vielmehr Preislisten bei den Autobahnmeistereien und beim Geschäftsbereich ... selbst abgegeben. Ihres Wissens nach seien die Autobahnmeistereien auch von Fall zu Fall von Herrn ... von der Innenrevision der Antragsgegnerin überprüft worden. Sie sei deshalb davon ausgegangen, dass sie die Aufträge erhalten hat, weil sie entsprechend konkurrenzfähige Preise gefordert hat. Sie habe sich aber immer im Wettbewerb mit anderen Unternehmen gesehen. Sie habe auch niemals einen Auftrag durch Herrn ... selbst oder die Autobahnmeisterei ... selbst erhalten. Die Aufträge seien immer vom Geschäftsbereich ... erteilt worden.

60

Die Antragsgegnerin geht demgegenüber davon aus, dass die Antragstellerin auch direkt Aufträge durch die Autobahnmeisterei ... erhalten hat. Im Übrigen wirft die Antragsgegnerin der Antragstellerin vor, den Sohn des Leiters der Autobahnmeisterei ... deshalb beschäftigt und diesem dadurch einen Drittvorteil zugewendet zu haben, damit dieser seinen Einfluss auf den Geschäftsbereich ... dahingehend geltend macht, dass für die Vergabe von Aufträgen für die maschinelle Fahrbahnreinigung nach Unfällen mit wassergefährdenden Stoffen keine Vergabeverfahren durchgeführt werden, sondern weiterhin eine Direktvergabe an die Antragstellerin erfolgt. Die Antragsgegnerin hat die aktuelle Verwaltungsstruktur der niedersächsischen Straßenbauverwaltung erläutert. Danach sind im Zuge der Verwaltungsreform im Jahr 2004 die Straßenbauämter und das Landesamt für Straßenbau zu einer Behörde zusammengeführt worden. Darüber hinaus wurden Aufgaben anderer Behörden der neuen NLStBV zugeordnet. Die ehemaligen Staßenbauämter wurden zu regionalen Geschäftsbereichen, das Landesamt für Straßenbau zu drei zentralen Geschäftsbereichen. Die Aufgaben seien im Wesentlichen unverändert geblieben, wenngleich einige Tätigkeiten entfallen seien. Nach der in der NLStBV vorherrschenden Auffassung endete mit der Zusammenlegung der Ämter auch die Fach- und Rechtsaufsicht des ehemaligen Landesamtes über die ehemaligen Straßenbauämter, da das Landesamt als Mittelbehörde und vorgesetzte Dienststelle nicht mehr existierte. Die Weisungsbefugnisse der zentralen Geschäftsbereiche gegenüber den regionalen seien nicht eingerichtet worden. Die Fach- und Rechtsaufsicht lag nach Auffassung der Antragsgegnerin vielmehr seither beim Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr als verbliebener übergeordneter Behörde. Zwar hätten die regionalen Geschäftsbereiche regelmäßige Geschäftsprüfungen im eigenen Hause und insbesondere bei den Meistereien auszuführen. Diese Ausführungen seien aber offenbar nicht so eng gewesen, dass das Problem entdeckt worden wäre. Für den der Antragstellerin vorgeworfenen Zeitraum von 2005 bis Anfang 2010 habe jedenfalls die Auffassung bestanden, dass eine Fach- und Rechtsaufsicht auf Ebene der Straßenbauverwaltung nicht mehr bestehe. Den Leitern der Autobahn- und Straßenmeistereien gegenüber sollten nur die Geschäftsbereichsleiter vorgesetzt sein. Eine gewisse Aufsicht sei allerdings durch die Innenrevision ausgeübt worden. Hierfür habe die Antragsgegnerin aber bei einer Beschäftigtenzahl von ca. 3.500 Mitarbeitern lediglich eine Stelle zur Verfügung gehabt, so dass die Intensität dieser Kontrolle an Grenzen gestoßen ist. Prüfungen durch die Revision seien unter Zuhilfenahme von Fachpersonal der Fachdezernate der Zentralen Geschäftsbereiche mit einer gewissen Dichte trotzdem durchgeführt worden. Über das interne Buchungssystem der Antragsgegnerin seien Rechnungen und Zahlungspartner überprüft worden. Diese Instrumente hätten jedoch nicht gereicht, Herrn ... von seiner Vorgehensweise abzuschrecken und das vorgeworfene Verhalten zu verhindern. Allerdings legt die Antragsgegnerin Wert auf die Feststellung, dass die Aufdeckung des Fehlverhaltens, unabhängig von den parallelen Ermittlungen der Polizei, durch die Revision der Antragsgegnerin selbst erfolgt ist.

61

Gleichwohl räumt die Antragsgegnerin ein, dass die Erteilung von Aufträgen zur Ölschadensbeseitigung in Niedersachsen nicht einheitlich gelaufen ist. Einige regionale Geschäftsbereiche hätten ab 2004 Ausschreibungen mit Jahres- oder Rahmenverträgen durchgeführt, aus denen die zugeordneten Meistereien dann lediglich Abrufe tätigten. Andere wiederum hätten die Meistereien jede einzelne Beseitigung gesondert beauftragten lassen, teilweise mit Durchführung, teilweise ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens. Der regionale Geschäftsbereich ... habe, jedenfalls im Bereich der Autobahnmeisterei ..., keine Vergabeverfahren zur Ölspurbeseitigung durchgeführt. Die Aufträge an die Antragstellerin - und an andere Unternehmen - seien dabei teilweise durch die Autobahnmeisterei ... selbst, teilweise durch die sog. Betriebszentrale erfolgt. Bei der Betriebszentrale handele es sich um eine Organisationseinheit des regionalen Geschäftsbereichs ..., die verschiedene Aufgaben zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit ausführt. Wenn diese durch eigene Beobachtung oder durch Meldungen durch Dritte beispielsweise Kenntnis von Unfällen erlangt, gebe sie diese an die zuständige Meisterei weiter, die dann die erforderlichen Schritte einleitet und beispielsweise die Beseitigung durch eigenes Personal oder durch Beauftragung Dritter ausführt. Allerdings fordere die Betriebszentrale auch selbst Leistungen bei Unternehmen ab. Die Betriebszentrale sei ganztätig besetzt, während die Meistereien nur zu regulären Dienstzeiten besetzt seien. Um eine Besei-tigung beispielsweise in der Nachtzeit oder am Wochenende sicherzustellen, fordere die Betriebszentrale daher Unternehmen auch selbst auf. Dabei bediene sie sich einer Liste "zuständiger" Unternehmen, die ihr vom Geschäftsbereich bzw. den Meistereien mitgeteilt werden. Da der regionale Geschäftsbereich ... über keine entsprechenden Rahmen- und Jahresverträge - jedenfalls nicht für den hier streitgegenständlichen Bereich der Ölspurbeseitigung - verfügt, sind die Leistungsabrufe bzw. die Auftragserteilungen ohne ein Vergabeverfahren erfolgt. Diese Problematik wiederum sei den Beschäftigten der Betriebszentrale wahrscheinlich nicht bewusst gewesen, da eine Prüfung, ob die ihnen mitgeteilten Vertragspartner durch ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren ermittelt worden sind, nicht zu den Aufgaben der Betriebszentrale gehöre und auch nicht gehören könne.

62

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, dass nur teilweise bekannt sei, wie die Vergabe in ihren anderen Geschäftsbereichen erfolgt ist. Mindestens in einigen seien jedoch seit mehreren Jahren öffentliche Ausschreibungen durchgeführt worden, an denen sich die Antragstellerin - wie sie vorgetragen habe - auch beteiligt habe. Zumindest sei der Antragstellerin erkennbar gewesen, dass sich das Prozedere im Geschäftsbereich ... von dem anderer Geschäftsbereiche der Antragsgegnerin unterschied. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin lediglich zugute gehalten, dass die rechtswidrige Praxis sich hier - auch soweit ihr bekannt - nicht auf ihr Wirken hin entwickelt habe, sondern von Seiten der Antragsgegnerin respektive ihres Geschäftsbereichs ... in eigener Initiative betrieben wurde. Die Antragstellerin habe sich diesem System - soweit bekannt - lediglich gebeugt. Gleichwohl habe sich die Antragstellerin mit dem Versprechen und Gewähren von Vorteilen für die Fortsetzung dieser Praxis jedoch auch selbst in vorwerfbarer Weise zu einem Teil des Systems gemacht.

63

Nach Auffassung der Vergabekammer ist jedoch zugunsten der Antragstellerin in Bezug auf einen Vorsatz für ein pflichtwidriges Verhalten des vormaligen Leiters der Autobahnmeisterei ..., Herrn ..., zu berücksichtigen, dass der Geschäftsbereich ... der Antragsgegnerin zumindest seit 2004 die Aufträge im Bereich der hier verfahrensgegenständlichen Ölspurbeseitigung freihändig, anhand von eingereichten Preislisten vergeben hat, und dass diese von den anderen Geschäftsbereichen der Antragsgegnerin abweichende Praxis von der Zentrale der Antragsgegnerin entweder nicht erkannt oder aber geduldet worden ist. Da die Antragsgegnerin zudem den für die Leistungsabrufung zuständigen Mitarbeitern der Betriebszentrale ihres Geschäftsbereichs ... zugesteht, die Vergaberechtswidrigkeit dieser Vergabepraxis nicht erkannt zu haben, weil diese sich darüber keine Gedanken hätten machen müssen, weil eine Prüfung, ob die ihnen mitgeteilten Vertragspartner durch ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren ermittelt worden sind, nicht zu den Aufgaben der Be-triebszentrale des Geschäftsbereichs ... gehörten, kann nach derzeitiger Aktenlage und des dort dokumentierten Standes des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens zumindest nicht hinreichend sicher davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin über die Vorteilsgewährung nach § 333 StGB hinaus auch vorsätzlich im Bezug auf eine Dienstpflichtverletzung des Herrn ... bzw. von Mitarbeitern der Geschäftsstelle ... der Antragsgegnerin gehandelt hat. Eingeräumt hat die Antragstellerin lediglich, dass sie den Sohn des vormaligen Leiters der Autobahnmeisterei eingestellt hat, um zu verhindern, dass dieser einen wie auch immer gearteten für sie negativen Einfluss auf die langjährige Vergabepraxis des Geschäftsbereichs ... der Antragsgegnerin im hier verfahrensgegenständlichen Bereich ausübt. Ob dies genügt, um der Antragstellerin über die Vorteilsgewährung nach § 333 StGB hinaus auch einen Bestechungsvorsatz nachzuweisen, wird das noch laufende staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren zeigen.

64

Unabhängig davon geht die Vergabekammer aber, wie erörtert, davon aus, dass es überwiegend wahrscheinlich ist, dass sich die Antragstellerin wegen einer Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB strafbar gemacht hat.

65

Die Antragsgegnerin war daher berechtigt, die Antragstellerin vom vorliegenden Vergabeverfahren wegen einer nachweislich schweren Verfehlung, die ihre Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stellt, gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG i.V.m. § 6 Abs. 6c VOL/A-EG auszuschließen. Sie hat ihr diesbezügliches Ausschlussermessen auch ordnungsgemäß, insbesondere unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeübt. Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit für den zu vergebenden Auftrag handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, bei der die ausschreibende Stelle zu berücksichtigen hat, ob der Bieter selbst glaubwürdige und erfolgversprechende Maßnahmen ergriffen hat, um die in der Vergangenheit vorgekommenen Rechtsverletzungen für die Zukunft auszuschließen (zum inhaltlich vergleichbaren § 8 VOB/A a.F. vgl. Motzke, Pietzcker, Prieß, VOB Teil A, § 8 Rdnr. 103). Analog zu den zur Auftragssperre, einem über die einzelne Vergabe hinausgehenden Ausschluss vom Wettbewerb für eine längere Zeit, entwickelten Grundsätzen, ist für die von der Antragsgegnerin zu treffende Prognoseentscheidung zu berücksichtigen, ob die Zuverlässigkeit des betroffenen Auftragnehmers wiederhergestellt wird. Dies kann ein Unternehmen insbesondere durch innerbetriebliche, personelle Maßnahmen und Sicherstellung, dass sich entsprechende Verfehlungen nicht wiederholen, erreichen. Ebenso wichtige Aspekte sind die Wiedergutmachung des durch die Verfehlung entstandenen Schadens und die aktive Unterstützung der Ermittlungsbehörden (zur "Selbstreinigung" bei der Auftragssperre: Werner in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 2. Auflage, § 6 VOL/A, Rdnr. 20).

66

Derartige Maßnahmen hat die Antragstellerin jedoch nicht vorgetragen. Sie ist vielmehr nach wie vor der Auffassung, dass sie sich keine schwerwiegende Verfehlung i.S.d. § 6 Abs. 6 c VOL/A EG vorzuwerfen hat. Auch wenn sie sich nach eigenem Bekunden durch das Verhalten und die Einflussmöglichkeit des Herrn ... zur Vorteilsgewährung genötigt gesehen hat, ist ihr vorzuhalten, dass sie sich deswegen nicht an dessen vorgesetzte Dienststelle, geschweige denn an die Polizei gewandt hat. An die Antragsgegnerin selbst hat sie sich nach ihrem eigenen Vortrag vielmehr erst gewandt, als es zu Unregelmäßigkeiten des Herrn ..., des Sohnes des vormaligen Leiters der Straßenmeisterei ..., im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses bei der von den Geschäftsführerinnen der Antragstellerin eigens dafür gegründeten ... zu ihren Lasten gekommen war.

67

Gemäß § 19 Abs. 4 GWB können Angebote von Bietern ausgeschlossen werden, die auch als Bewerber von der Teilnahme am Wettbewerb hätten ausgeschlossen werden können (§ 6 EG Abs. 6). Die Formulierung "können" zeigt, dass der Ausschluss des Unternehmens bei Erfüllung des Tatbestandes im Ermessen des Auftraggebers liegt (vgl. BGH, Urteil vom 18.09.2001 - X ZR 51/00 = VergabeR 2002, S. 36 ff., 37). Grundlage der Ermessensentscheidung ist die Frage, ob das betroffene Unternehmen trotz des Vorliegens eines Ausschlussgrundes noch die notwendige Fachkunde, Leistungsfähigkeit und insbesondere Zuverlässigkeit besitzt. In einem in der Vergabeakte enthaltenen, undatierten und nicht unterschriebenen formularmäßigen Vergabevermerk zur Eignungsprüfung der Antragstellerin wird ihr Ausschluss lediglich kurz damit begründet, dass die Antragsgegnerin von öffentlichen Aufträgen der NLStBV aufgrund von Korruption auszuschließen ist. Ausführlich dokumentiert wird die Ermessensausübung und die Entscheidung für den Ausschluss in dem zwischen dem Geschäftsbereich ... als Vergabestelle und der Zentrale der Antragsgegnerin abgestimmten Informationsschreiben gemäß § 101a GWB vom 19.10.2011. Dort heißt es:

"§§ 16 Abs. 4, 6 Abs. 5 lit. c VOL/A eröffnet ein Ermessen, ob ein Angebot auszuschließen ist. Dieses wird hier mit dem Ergebnis eines Ausschlusses ausgeübt. Die vorgenannten Taten erfolgten gegenüber Beschäftigten der Vergabestelle. Auslöser waren Leistungen derselben Art, wie sie im aktuellen Verfahren ausgeschrieben worden sind. Eine weitere Auftragserteilung würde also dazu führen, dass die Tätigkeit genau in dem Bereich fortgesetzt wurde, in dem zuvor Aufträge durch Bestechung erlangt worden sind. Die Gefahr einer Bestechung liegt hier auf der Hand. Neben dem Geschäft könnten auch die Bestechungen nahtlos fortgesetzt werden. Daneben würde eine Auftragserteilung trotz erwiesener Bestechung ein falsches Signal an andere Bieter, die Öffentlichkeit und die eigenen Beschäftigten senden und den Eindruck erwecken, Korruption werde durch die Vergabestelle offen gebilligt und bleibe ohne Konsequenzen. Im Ergebnis relevante Punkte gegen einen Ausschluss sind nicht gegeben. Daher wird ein Ausschluss vorgenommen."

68

Beigefügt ist der Vergabeakte auch der im Vorfeld des Informationsschreibens durchgeführte E-Mail-Verkehr zwischen dem Geschäftsbereich ... und der Zentrale der Antragsgegnerin. Selbst wenn sich die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin, wie oben erörtert, entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin "nur" einer Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB schuldigt gemacht haben sollten und es nicht zu einer Anklage und Verurteilung wegen Bestechung gemäß § 334 StGB kommen sollte, der zusätzlich zur Vorteilsannahme eine - gewollte oder zumindest billigend in Kauf genommene - Dienstpflichtverletzung des begünstigten Amtsträgers voraussetzt, trägt die dokumentierte Ermessensausübung die Entscheidung der Antragsgegnerin für einen Angebotsausschluss nach § 19 Abs. 4 VOL/A-EG i.V.m. § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG. Der von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Sachverhalt hat sich nicht geändert und ist in der von der Antragsgegnerin beigezogenen und der Vergabekammer vorgelegten staatsanwaltlichen Ermittlungsakte ausführlich dokumentiert. Nicht erst das schwerwiegendere Delikt einer Bestechung gemäß § 334 StGB, sondern auch das einer Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB ist ein strafbares korruptives Verhalten, das eine zum Angebotsschluss berechtigende nachweislich schwere Verfehlung darstellt.

69

Zu Recht hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass das strafrechtlich relevante Verhalten der Geschäftsführerinnen der Antragstellerin im auch für die verfahrensgegenständliche Ausschreibung relevanten Zuständigkeitsbereich des Geschäftsbereichs ... der Antragsgegnerin erfolgt ist. Es ist der Antragsgegnerin nicht zuzumuten, den Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und die sich voraussichtlich anschließende Entscheidung des zuständigen Strafrichters abzuwarten. Angesichts der in der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte dokumentierten, verdichteten Sachlage, die für eine Strafbarkeit gemäß § 333 StGB spricht, ist der Angebotsausschluss durch § 19 Abs. 4 VOL/A-EG gedeckt. Dabei durfte die Antragsgegnerin auch berücksichtigen, dass eine Auftragserteilung an die Antragstellerin zumindest im Bereich des Geschäftsbereichs ... trotz des von der Geschäftsführerin der Antragstellerin, Frau ..., im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren eingeräumten, strafrechtlich relevanten Verhaltens, ein falsches Signal an die übrigen Bieter und die Öffentlichkeit senden würde, dass korruptives Verhalten bis auf weiteres ohne Konsequenzen bleibe. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin zugunsten der Antragstellerin im laufenden Nachprüfungsverfahren ausdrücklich erklärt, dass bei Aufträgen in den übrigen Geschäftsbereichen der Antragsgegnerin im Falle der Bewerbung der Antragstellerin eine Einzelfallprüfung vorgenommen wird. Von einer darüber hinausgehenden generellen Vergabesperre hat die Antragsgegnerin beim gegenwärtigen Stand des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens jedenfalls bewusst Abstand genommen.

70

Der Nachprüfungsantrag war daher als unbegründet zurückzuweisen.

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III. Kosten

72

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 EUR, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

73

Es wird eine Gebühr in Höhe von ... EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

74

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt für das verfahrensgegenständliche Los 1 ... EUR brutto. Dieser Betrag entspricht dem vom der Antragsgegnerin geprüften und dokumentierten Angebotspreis der Antragstellerin und damit ihrem Interesse am Auftrag.

75

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der z. Zt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.

76

Bei einer Ausschreibungssumme von ... EUR ergibt sich eine Gebühr in Höhe von ... EUR.

77

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

78

Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin unterlegen ist, weil der Nachprüfungsantrag erfolglos war.

79

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von ... EUR unter Angabe des Kassenzeichens

80

...

81

auf folgendes Konto zu überweisen:

82

....

Gause
Ruff
Peter