Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 17.05.2011, Az.: VgK-10/2011

Verpflichtung des Auftragsgebers in einem Vergabeverfahren zum Neueintritt in die Angebotswertung; Notwendigkeit der Gewährung einheitlicher Anforderungen gegenüber allen Bietern für die Teilnahme am Vergabeverfahren; Verpflichtung des Auftraggebers zur Weitergewährung einer einmal gegenüber einem Bieter gewährten Nachfrist

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
17.05.2011
Aktenzeichen
VgK-10/2011
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 30143
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Celle - 16.06.2011 - AZ: 13 Verg 3/11

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx, Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx, - Antragstellerin -
gegen die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Geschäftsbereich xxxxxx, - Auftraggeberin -
beigeladen xxxxxx, Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx, - Beigeladene -
wegen VOB-Verfahren "xxxxxx Ausbau BAB xxxxxx , Großräumige Verkehrslenkung" (xxxxxx)
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Dipl. Ing. Roloff, auf die mündliche Verhandlung vom 05.05.2011 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Auftraggeberin wird verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten, diese unter Beachtung der aus der Begründung ersichtlichen Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen und sowohl das Angebot der Beigeladenen als auch der Antragstellerin von der Angebotswertung auszuschließen.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin zu 1/2, die Auftraggeberin und die Beigeladene zu je 1/4. Die Auftraggeberin ist jedoch von der Entrichtung des auf sie entfallenden Kostenanteils befreit.

  4. 4.

    Die Auftraggeberin und die Beigeladene haben der Antragstellerin als Gesamtschuldner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten zu einem Anteil von 1/2 zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.

  5. 5.

    Die Antragstellerin hat der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten in Höhe von 1/2 zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Beigeladene notwendig.

Begründung

1

I.

Im Rahmen des xxxxxx Ausbaus der BAB xxxxxx soll die Unterführung der xxxxxx zwischen den AD xxxxxx und xxxxxx abgebrochen und durch ein neues Bauwerk ersetzt werden. Hierzu sind im Bereich der xxxxxx und der xxxxxx Vollsperrungen vorzunehmen. Zur Vermeidung von Staus bei hohem Verkehrsaufkommen im Bereich der Umleitungsstrecken soll eine dynamische Verkehrslenkung durch die Verkehrsmanagementzentrale xxxxxx ermöglicht werden.

2

Mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2010 hat die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr - xxxxxx - als Vergabestelle das VOB-Verfahren "xxxxxx Ausbau der BAB xxxxxx im Bereich des xxxxxx - Großräumige Verkehrslenkung" als Offenes Verfahren ausgeschrieben. Gegenstand der Ausschreibung ist die Installation, Vorhaltung, Unterhaltung und Demontage einer für die gesamte Bauzeit stationären, teilautomatischen Routinganlage bestehend aus einer Unterzentrale und diversen dynamischen Anzeigequerschnitten in LED-Technik. Die Anlage wird zu bestimmten Großveranstaltungen temporär durch mobile LED-Anzeigen erweitert.

3

Eine Aufteilung in Lose ist nicht vorgesehen. Einziges Zuschlagskriterium ist der niedrigste Preis. Die Arbeiten sollen durchgeführt werden zwischen dem 08.01.2011 und dem 01.05.2013. Gemäß Ziffer IV.3.6 der europaweiten Bekanntmachung ist als einzige Sprache zur Verfassung der Angebote die Sprache "Deutsch" festgelegt.

4

In den Teilnahmebedingungen wurde unter III.2.1 bekannt gegeben, dass von der Vergabestelle für den Bieter und deren benannte andere Unternehmer ein Auszug aus dem Gewerbezentralregister oder eine gleichwertige Bescheinigung des Herkunftslandes beim Bundeszentralregister angefordert werden. Der Auszug darf nicht älter als 3 Monate sein.

5

In der Aufforderung zur Angebotsabgabe hat die Auftraggeberin verschiedene Festlegungen zum Inhalt des Angebotes und zur Vorlage von Nachweisen, Angaben und Unterlagen getroffen. Hiernach sind als Angebot vorzulegen das Angebotsschreiben, die Kurzfassung der Leistungsbeschreibung und die Formblätter "Leistungen anderer Unternehmer", "Erklärung Bieter-/Arbeitsgemeinschaft" und "Eigenerklärung Eignung".

6

Mit dem Angebot vorzulegen ist gemäß Ziffer 5.2 das Verzeichnis der Nachunternehmer-leistungen. Unter Ziffer 5.3 legt die Auftraggeberin fest, dass auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle folgende Unterlagen vorzulegen sind:

7

- Angaben und Nachweise nach § 6 Abs. 3 VOB/A,

8

- Ergänzungen des Verzeichnisses der Leistungen anderer Unternehmer um die

9

Namen der anderen Unternehmer,

10

- Verpflichtungserklärung für Leistungen anderer Unternehmer,

11

- Qualifikation des zu benennenden Verantwortlichen für die Sicherungsarbeiten,

12

- vollständige Angaben zur Kalkulation und Preisaufgliederung sowie

13

- verschiedene Nachweise des Bieters und jedes Nachunternehmers über die Erfüllung

14

ihrer Verpflichtungen zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, Bescheinigungen Sozialkasse, Steuern und Abgaben.

15

Die EU-Bewerbungsbedingungen treffen unter Ziffer 3.3 folgende Regelung zur Vorlage von Unterlagen:

"Unterlagen, die von der Vergabestelle nach Angebotsabgabe verlangt werden, sind zu dem von der Vergabestelle bestimmten Zeitpunkt einzureichen. Werden Unterlagen nicht vollständig fristgerecht vorgelegt, wird das Angebot ausgeschlossen."

16

Unter Ziffer 3.1 wird verlangt, dass das Angebot in deutscher Sprache abgefasst wird.

17

Der Leistungs- bzw. Baubeschreibung vorangestellt ist folgender Hinweis:

"Soweit in der Leistungsbeschreibung auf Technische Spezifikationen, z.B. nationale Normen, mit denen Europäische Normen umgesetzt werden, Europäische technische Zulassungen, gemeinsame technische Spezifikationen, internationale Normen, Bezug genommen wird, werden auch ohne den ausdrücklichen Zusatz : "oder gleichwertig", immer gleichwertige technische Spezifikationen in Bezug genommen."

18

Die Baubeschreibung enthält unter Ziffer 3.5.3 die Anforderungen an die einzusetzende Routinganlage. Die Anlage soll aus insgesamt 37 für die Bauzeit fest installierten Anzeigenquerschnitten bestehen mit jeweils 1, 2 oder 4 LED-Anzeigetafeln und 23 mobilen Anzeigetafeln für den Einsatz zur Messelenkung. Unter Ziffer 3.5.3.4 trifft die Auftraggeberin bezüglich der LED-Anzeigetafeln folgende Festlegungen:

"Die zu verwendenden Tafeln müssen in ihrer optischen Charakteristik den Anforderungen der DIN EN 12966-1 entsprechen. Dies ist auf Verlangen durch ein Zertifikat der BASt nachzuweisen. Die sichtbare Anzeigefläche muss mindestens eine Größe von 1200 x 1600 (bxh) aufweisen und frei programmierbar für Texte und Symbole sein. Der Abstand der einzelnen Leuchtdioden in der Anzeigefläche darf einen Abstand von 20 mm untereinander nicht übersteigen. Alle Tafeln in mindestens weißer einfarbiger Ausführung. Bei mehrfarbiger Ausführung mind. immer weiß und rot."

19

Das Angebot der Antragstellerin enthielt unter Ziffer 1.2.1.1. Tafeln mit einer frei programmierbaren Größe von 1120 X 1600 mm (bxh).

20

Im Kapitel 00.03 "Dynamische LED Beschilderung" des Leistungsverzeichnisses hat die Auftraggeberin in den Positionen 00.03.002 bis 00.03.017 die Aufstellung und Vorhaltung der fest installierten und der mobilen Anzeigenquerschnitte ausgeschrieben. Im Text der Positionen wurde die Beschreibung zur Optik der LED-Anzeigetafeln unter Ziffer 3.5.3.4 der Baubeschreibung berücksichtigt. Im Bieterangabenverzeichnis wurden Angaben über die Bezeichnung der Anlagen, die Nennung des Herstellers der LED-Tafeln, die Art der mobilen Datenübertragung und ggf. die Art der netzunabhängigen Stromversorgung abgefragt.

21

Nach Maßgabe der Niederschrift über die Angebotseröffnung am xxxxxx.2010 sind vier Angebote fristgerecht bei der Vergabestelle eingegangen. Die Beigeladene hat mit einer Angebotsendsumme von xxxxxx EUR brutto das preislich günstigste Angebot vorgelegt, auf Rang 2 folgt das Angebot der Antragstellerin mit einer Angebotsendsumme von xxxxxx EUR brutto.

22

Mit Schreiben vom 26.11.2010 machte die Vergabestelle von dem im Angebotsschreiben enthaltenen Vorbehalt zur Nachforderung von Unterlagen Gebrauch und lud die Beigeladene für den 07.12.2010 zu einem Aufklärungsgespräch ein. In diesem Schreiben wurden u.a. vier Nachweise über die vollständige Entrichtung von Steuern, Beiträgen und Bescheinigungen der SoKa Bau durch die Beigeladene und die von ihr benannten Nachunternehmer - nicht älter als 6 Monate - verlangt. Im Vermerk über das Aufklärungsgespräch wurde festgehalten, dass die Beigeladene einen Ordner mit den nachgeforderten Unterlagen übergeben hat, deren Vollständigkeit im Nachgang zur Aufklärung geprüft werden sollte. Am 10.12.2010 dokumentierte die Auftraggeberin die Feststellung der Eignung der Beigeladenen aufgrund der Präqualifikation der Hauptunternehmerin. Die nachgeforderten Unterlagen verwendete sie nicht. Mit Schreiben vom 13.12.2010 reichte die Beigeladene unter Bezugnahme auf eine entsprechende Anforderung der Auftraggeberin vom 08.12.2010 einen noch fehlenden Eignungsnachweis für einen ihrer Nachunternehmer nach.

23

In einem von der Antragstellerin erbetenen Gespräch am 08.12.2010 wies diese die Auftraggeberin u.a. auf spezielle Anforderungen an die LED-Technik hin, welche nach ihrer Kenntnis von der Beigeladenen nicht erfüllt werden. Die Auftraggeberin nahm die Hinweise der Antragstellerin zur Kenntnis. Aus einem inzwischen von der Beigeladenen vorgelegten, in englischer Sprache verfassten Prüfzertifikat einer akkreditierten EU-Prüfstelle zog die Auftraggeberin den Schluss, dass die Anforderungen an die LED-Technik durch das Angebot der Beigeladenen erfüllt werden und die Tafeln zur Auftragserbringung geeignet sind.

24

Ziffer 7 "Prüfung und Wertung der Eignung (§ 16 Abs. 2 VOB/A) des Vergabevermerkes vom 09.12.2010 verweist auf den dem jeweiligen Angebot vorgehefteten Vordruck HVA B-StB-Eignungsprüfung. Nach einem dem Angebot der Beigeladenen beigehefteten Vordruck wurde deren Eignung am 10.12.2010 positiv festgestellt. Dem Angebot der Beigeladenen ist die tabellarische "Zusammenstellung der Unterlagen gemäß HVA B-StB Aufforderung zur Angebotsabgabe (04-10) Nr. 5" beigeheftet, in welcher die Daten der von der Beigeladenen vorgelegten Nachweise aufgeführt sind. Hierunter befinden sich mehrere Nachweise, die älter als 6 Monate sind. Unter der Tabelle ist angemerkt: "Die Nachweise sollten nicht älter als 6 Monate sein."

25

Die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen blieben unbeanstandet. Die Vergabestelle stellte fest, dass nach Maßgabe des Zuschlagskriteriums Preis der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen sei.

26

Mit Informationsschreiben vom 17.12.2010 wurden die Bieter darüber informiert, dass der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden solle.

27

Die Antragstellerin rügte diese Entscheidung und beantragte schließlich am 23.12.2010 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

28

Mit Beschluss vom 01.03.2011 stellte die Vergabekammer fest, dass die Auftraggeberin im Rahmen der Angebotswertung von der Beigeladenen nachgelieferte Prüfzeugnisse einer akkreditierten EU-Prüfstelle für die Ausschreibungskonformität der LED-Technik in die Wertung mit einbezogen hat, die nicht gemäß den Vorgaben der Vergabeunterlagen in deutscher Sprache vorgelegt worden sind. Auch hatte die Auftraggeberin ihren Dokumentationspflichten nicht genügt. Sie verpflichtete die Auftraggeberin, erneut in die Angebotswertung einzutreten und diese vollständig erneut durchzuführen.

29

Gegen diesen Beschluss wurde keine Beschwerde eingelegt.

30

Mit Schreiben vom 04.03.2011 informierte die Auftraggeberin die Bieter darüber, dass sie die Angebotswertung erneut durchführen wird. Sie wies darauf hin, dass sie hierbei - entsprechend den Vorgaben der Vergabeunterlagen - neben einem BASt-Prüfzeugnis gleichwertige Prüfzeugnisse zulassen werde, sofern diese in deutscher Sprache abgefasst sind.

31

Mit anwaltlichem Rügeschreiben vom 07.03.2011 trug die Antragstellerin vorsorglich vor, dass die Auftraggeberin sich bei der Prüfung der Einhaltung der Vorgaben zur LED-Technik nicht darauf beschränken dürfe, ein Prüfzeugnis entgegenzunehmen, da ihr aus den Schriftsätzen der Antragstellerin im vorangegangenen Nachprüfungsverfahren bekannt sei, dass die von der Beigeladenen angebotene LED-Technik - trotz Prüfzeugnis - nicht den Anforderungen der Ausschreibung entspricht. Sie beanstandete, dass die Wiederholung der Wertung ohne neuerliche Submission vergaberechtswidrig sei, denn die Bieter hätten keine Gelegenheit, ihre bisherigen Angebote kalkulatorisch zu überarbeiten, um verzögerungsbedingte Mehrkosten oder Kostenersparnisse, u.a. durch die Änderung der Ausführungsfrist und die mitgeteilte kalkulationserhebliche Abänderung der Nachweisführung, berücksichtigen zu können. Zudem seien die Kalkulations- und Angebotsgrundlagen dadurch in Frage gestellt, dass sich der Beschaffungsbedarf durch die zwischenzeitlich erfolgte anderweitige Beauftragung von Teilen der ausgeschriebenen Leistungen nicht unwesentlich geändert habe. Sie verlangte entsprechende Abhilfe.

32

Mit Schreiben vom 07.03.2011 forderte die Auftraggeberin die Antragstellerin u.a. zur Vorlage in den Vergabeunterlagen angekündigter, unter Nachforderungsvorbehalt gestellter Eignungsnachweise - nicht älter als 6 Monate - auf und setzte hierfür eine Frist bis zum 15.03.2011. Sie kündigte an, dass bei Nichteinhaltung der Frist das Angebot gemäß § 16 Abs.1 Nr. 3 VOB/A von der Wertung ausgeschlossen werde.

33

Die Antragstellerin hat die nachgeforderten Unterlagen innerhalb der gesetzten Frist nicht vollständig vorgelegt. Es fehlten die angeforderten Bescheinigungen bzw. Negativbescheinigungen der Sozialkasse für insgesamt vier der von ihr benannten Nachunternehmer.

34

Mit Schreiben vom 16.03.2011 beantwortete die Auftraggeberin die Rüge vom 07.03.2011. Sie wies darauf hin, dass sich die Vorgaben der Ausschreibung nicht geändert hätten. Die eingetretenen Leistungsänderungen hätten ein Auftragsvolumen von lediglich xxxxxx EUR. Sie seien damit nicht so erheblich, dass ein Anlass für eine Wiederholung der Angebotsphase bestehe. Zu den Vorhaltungen der Antragstellerin bezüglich der LED-Tafeln der Beigeladenen nahm sie detailliert Stellung und machte deutlich, dass sie die von der Beigeladenen vorgelegten Prüfzeugnisse mit positivem Ergebnis geprüft hat.

35

Die Auftraggeberin nahm die unvollständig vorgelegten Eignungsnachweise zum Anlass, das Angebot der Antragstellerin gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A auszuschließen. Mit Schreiben vom 22.03.2011 informierte sie die Antragstellerin über den Ausschluss ihres Angebotes und mit Informationsschreiben vom 23.03.2011 über den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen.

36

Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 25.03.2011 den Ausschluss ihres Angebotes und den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen als vergaberechtswidrig. Hierzu trug sie vor, dass ein Ausschlussgrund im Sinne des § 16 Abs. 3 VOB/A nicht vorliege. Im vorliegenden Fall waren die Nachweise erst nach Angebotsabgabe auf Verlangen des Auftraggebers vorzulegen. Werden diese nicht fristgerecht vorgelegt, müsse der öffentliche Auftraggeber eine Nachfrist setzen. Dies habe die Auftraggeberin nicht getan.

37

Der Ausschluss ihres Angebotes verstoße auch deshalb gegen den Grundsatz der Bietergleichbehandlung, weil die Vergabestelle das Angebot der Beigeladenen, welches auszuschließen sei, bezuschlagen wolle. Die LED-Technik der Beigeladenen entspreche nicht den Vorgaben der Ausschreibung. Die Bundesanstalt für Straßenwesen habe bestätigt, dass der für die LED-Technik vorgelegte schwedische Prüfbericht nicht geeignet sei, die Einhaltung der optischen Anforderung gemäß EN 12966-1 für WVZ zu belegen. Das Prüfzeugnis sei hinsichtlich der Beschreibung des geprüften Materials sowie der Verwendung einer Frontscheibe nicht eindeutig, auch würden wesentliche visuell wirkende Bauteile nicht bezüglich Typ, Lichtpunkte, Abstand und Leistungsaufnahme beschrieben. Im Ergebnis habe die Beigeladene kein Prüfzeugnis vorgelegt, welches die Erfüllung der Anforderungen der Norm bestätigen könne, wohingegen ihr eigenes Angebot zuschlagfähig sei.

38

Mit Schreiben vom 29. und 31.03.2011 legte die Antragstellerin drei der vier fehlenden Eignungsnachweise für ihre Nachunternehmer vor und erklärte, sie habe die Bieterverständigung vom 22.03.2011 als Nachforderung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ausgelegt und hiernach ihr Angebot vervollständigt.

39

Mit Nachprüfungsantrag vom 30.03.2011 wandte sich die Antragstellerin unter Hinweis auf ihre Rügen erneut an die Vergabekammer. Sie beanstandet den Ausschluss ihres Angebotes wegen nicht rechtzeitiger vollständiger Vorlage der mit Schreiben vom 07.03.2011 geforderten Eignungsnachweise als vergaberechtswidrig, da die Auftraggeberin ihr die mit der Neufassung des § 16 Abs. 3 VOB/A zwingend vorgegebene zweite Chance verweigert habe.

40

Die veralteten Regelungen in Ziffer 3.3 der EU-Bewerbungsbedingungen hätten keinen Vorrang vor den geänderten Vorschriften der VOB/A. Der Ausschluss sei bereits im Hinblick darauf fragwürdig, dass in der europaweiten Bekanntmachung die nunmehr geforderten Eignungsnachweise überhaupt nicht aufgeführt waren. Erst die Vergabeunterlagen enthalten einen Vorbehalt zur Forderung dieser Eignungsnachweise, wobei die Anforderungen an die Aktualität sogar erst mit dem Anforderungsschreiben gestellt wurden. Hierbei handele es sich nicht um eine zulässige Konkretisierung, sondern um eine unzulässige Verschärfung der Nachweispflichten. Eine hierauf gerichtete Rügepflicht bestehe nicht.

41

Der Ausschluss verstoße zudem gegen das Gleichbehandlungsgebot, da die Auftraggeberin offensichtlich ungleiche Maßstäbe verwende und das nicht ausschreibungskonforme und damit zwingend auszuschließende Angebot der Beigeladenen gewertet habe und bezuschlagen wolle. Das für die LED-Technik vorgelegte schwedische Prüfzeugnis sei nicht geeignet, die Ausschreibungskonformität ihres Angebotes zu belegen bzw. die von der Antragstellerin gegebenen Hinweise auf die Defizite der von der Beigeladenen angebotenen LED-Technik zu widerlegen.

42

Ihr eigenes Angebot sei dagegen - nach zwischenzeitlich erfolgter Ergänzung - zuschlagfähig. Selbst wenn man die Auffassung vertrete, dass ihr eigenes Angebot gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A auszuschließen sei, müsse sie nach dem Gleichbehandlungsgebot nicht hinnehmen, dass das ausschlusswürdige Angebot der Beigeladenen bezuschlagt werde.

43

Die Antragstellerin beantragt

  1. 1.

    dem Antragsgegner zu untersagen, in dem vorgenannten Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot Beigeladenen zu erteilen;

  2. 2.

    den Antragsgegner weiter zu verpflichten, in dem genannten Vergabeverfahren die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen;

  3. 3.

    hilfsweise

    alle sonstigen geeigneten Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern;

  4. 4.

    dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen;

  5. 5.

    auszusprechen, dass für die Antragstellerin die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vergabenachprüfungsverfahren notwendig ist.

44

Die Auftraggeberin beantragt

  1. 1.

    die Anträge zurückzuweisen;

45

Sie hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet. Unstreitig habe die Antragstellerin die mit Schreiben vom 07.03.2011 unter Fristsetzung angeforderten Eignungsnachweise nicht vollständig innerhalb der Frist vorgelegt. Einen Anspruch auf das Setzen einer Nachfrist gemäß § 16 Abs. 3 VOB/A habe die Antragstellerin nicht. Im Anforderungsschreiben selbst und zuvor unter Ziffer 3.3 der EU-Bewerbungsbedingungen war der Ausschluss des Angebotes bei nicht fristgerechter vollständiger Vorlage der geforderten Unterlagen ausdrücklich angekündigt worden. Soweit die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren die Forderung der Eignungsnachweise beanstandet, sei sie hiermit präkludiert. Auch nach der unaufgeforderten Nachreichung von Unterlagen sei das Angebot der Antragstellerin nicht vollständig.

46

Soweit der Eindruck entstanden sei, dass bei der Eignungsprüfung ungleiche Maßstäbe angelegt wurden, sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladene - im Gegensatz zur Antragstellerin - präqualifiziert sei. Die im Schreiben an die Beigeladene vom 26.11.2010 enthaltene Aufforderung zur Vorlage von auftragsunabhängigen Eignungsnachweisen sei daher nicht gerechtfertigt gewesen. Aus diesem Grunde sei unmaßgeblich, ob die Beigeladene diese nicht erforderlichen Nachweise vollständig und rechtzeitig vorgelegt habe.

47

Das Angebot der Beigeladenen sei zuschlagfähig. Es entspreche auch hinsichtlich der LED-Technik den Vorgaben der Ausschreibung. Dies ergebe sich eindeutig aus den - zwischenzeitlich auch in deutscher Sprache - vorgelegten Prüfzeugnissen. Geprüft seien die zum Einsatz kommenden LED-Cluster. Eine genaue Beschreibung der geprüften Module finde sich auf Seite 1 der Prüfzeugnisse und im Antragsschreiben der Fa. xxxxxx, auf welches die Prüfzeugnisse Bezug nehmen. Ein Anlass zur Einschaltung der BASt bestehe nicht. Es treffe zwar zu, dass den Prüfzeugnissen der Beigeladenen nicht zu entnehmen ist, ob bei den Prüfungen der Einsatz der LED-Tafeln mit entspiegelter Frontscheibe berücksichtigt wurde oder nicht. Abgesehen davon, dass die Stellungnahme der BASt bezüglich des Einflusses einer Frontscheibe auf das Ergebnis der lichttechnischen Prüfung spekulativ bleibe, seien nach ihren eigenen praktischen Erfahrungen die lichttechnischen Eigenschaften der von der Beigeladenen mit entspiegelter Frontscheibe eingesetzte LED-Technik sehr gut und dauerhaft gegeben. Das von der Antragstellerin für ihre LED-Technik der Fa. xxxxxx vorgelegte Prüfzertifikat beziehe sich eindeutig auf ein Testmodul ohne Frontscheibe.

48

Die Beigeladene beantragt

  1. 1.

    die Anträge zurückzuweisen;

  2. 2.

    auszusprechen, dass für die Beigeladene die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vergabenachprüfungsverfahren notwendig war;

  3. 3.

    der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten für die Vertretung der Beigeladenen aufzuerlegen;

49

Sie hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, da die Antragstellerin keine Chance auf den Zuschlag habe, denn ihr Angebot sei wegen der nicht fristgerechten vollständigen Vorlage geforderter Nachweise auszuschließen. Der Antrag sei zudem unbegründet, denn die erneute Wertung entspreche den Vorgaben des rechtskräftigen Beschlusses der Vergabekammer vom 01.03.2011. Ein Anlass für den Ausschluss des Angebotes der Beigeladenen habe weder unmittelbar aufgrund jenes Beschlusses noch nach dem Ergebnis der hierin verlangten Wiederholung der Angebotswertung bestanden. Die Auftraggeberin habe zutreffend festgestellt, dass ihr Angebot den Vorgaben der Ausschreibung entspreche. Da es das wirtschaftlichste Angebot sei, sei hierauf der Zuschlag zu erteilen.

50

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 13.04.2011 gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 17.05.2011 verlängert.

51

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 05.05.2011 Bezug genommen.

52

II.

Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig und teilweise begründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung der Auftraggeberin, ihr Angebot wegen der nicht vollständigen Vorlage von Nachweisen auszuschließen, auf ein anderes Angebot mit gleichermaßen unvollständigen Angaben jedoch den Zuschlag zu erteilen, in ihren Rechten gemäß den §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt.

53

Es liegt ein Verstoß gegen den vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 2 GWB vor.

54

Der Auftraggeber darf trotz bestehender Präqualifizierung des Hauptunternehmers die Eignung der Nachunternehmer durch Anforderung von Unterlagen prüfen, wenn er sich das in den Vergabeunterlagen vorbehalten hat.

55

Eine begonnene Eignungsprüfung darf der Auftraggeber jedenfalls nach Ablauf der Vorlagefristen nicht mehr abbrechen, weil er sonst vor einem etwaigen negativen Ergebnis die Augen verschließen könnte. Hat der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegt, dass Angebote von Bietern, die nachträglich geforderte Unterlagen nicht vollständig und fristgerecht vorgelegt haben, ausgeschlossen werden, so ist der Auftraggeber daran gebunden.

56

1. Der Antrag ist überwiegend zulässig.

57

Bei der Auftraggeberin handelt es sich um eine Landesbehörde, die im Auftrag des Bundes handelt, und damit um einen öffentlichen Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 GWB.

58

Ebenso handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag gemäß § 99 GWB, da die Auftraggeberin in ihrer Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber einen entgeltlichen Vertrag über Bau- und Dienstleistungen im Rahmen eines Bauauftrags zu schließen beabsichtigt. Bei den ausgeschriebenen Leistungen der Gesamtmaßnahme, xxxxxx Ausbau der BAB xxxxxx handelt es sich im Schwerpunkt um einen Bauauftrag im Sinne des§ 1 VOB/A.

59

Der hier streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, welche die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach§ 127 GWB festgelegt sind. Gemäß § 2 Nr. 4 VgV in der zur Zeit der Bekanntmachung dieses Auftrages (27.11.2010) geltenden Fassung gilt ein Schwellenwert von 4.845.000 EUR (§ 2 Nr. 3, Nr. 6 VgV).

60

Gemäß Ziff. 1.7 des Vergabevermerks hat die Auftraggeberin zwar den Wert dieser Maßnahme nur auf xxxxxx Mio. EUR geschätzt, sie ist jedoch Teil einer Gesamtmaßnahme im Wert von xxxxxx Mio. EUR (Ziff. 1.9 des Vergabevermerks). Daher wird der Schwellenwert von dem Gesamtauftrag überschritten. Das hier streitgegenständliche Los überschreitet den geschätzten Wert von xxxxxx EUR (Ziffer 1.7 des Vergabevermerks), so dass der Schwellenwert gemäß § 2 Nr. 6 VGV überschritten wird. Die Anwendung des 4. Teils desGWB ist auch nicht gemäß § 100 Abs. 2 GWB für den hier vorliegenden Fall ausgeschlossen.

61

Die Antragstellerin ist gemäß § 107 Abs. 1 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung eigener Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Sie trägt vor, alle erforderlichen Unterlagen, auch diejenigen, welche von der Vergabestelle als nicht vorliegend bewertet worden seien, innerhalb der ihr rechtmäßigerweise zuzugestehenden Fristen und Nachfristen "nochmals und damit definitiv" vorgelegt zu haben. Sie habe daher nicht von der Wertung ausgeschlossen werden dürfen.

62

Die Auftraggeberin habe außerdem ein Angebot gewertet, welches wegen der Verwendung eines nicht den Vorgaben der Vergabeunterlagen entsprechenden Produktes aus vergaberechtlichen Gründen nicht hätte bezuschlagt werden dürfen. Nur wegen dieser Verstöße habe die Vergabestelle ihr Angebot nicht als wirtschaftlichstes Angebot ermittelt. Daher rücke sie als zweitgünstigster zu berücksichtigender Bieter nach dem Ausschluss der Beigeladenen an deren erste Rangstelle vor.

63

Voraussetzung für die Antragsbefugnis ist gemäß § 107 Abs. 2 GWB, dass das den Nachprüfungsantrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, 1. Auflage, § 107, Rz. 52). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtschutzbedürfnis dargelegt. Es ist nicht erforderlich, dass die Antragstellerin auch schlüssig darlegt, dass sie bei vergabekonformem Verhalten der Auftraggeberin den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: 1/99, S. 24).

64

Ob sich die dargestellte Rechtsverletzung bestätigt, insbesondere ob die Antragstellerin wirklich alle geforderten Belege innerhalb der berechtigterweise gesetzten Fristen vorgelegt hat, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrags (vgl. OLG Düsseldorf Beschluss vom 27.07.2006 VII - Verg 23/06 Ziffer 1a), zit. nach VERIS). Erst wenn die Gründe zum Ausschluss der Antragstellerin evident vorliegen, führt dies zum Wegfall der Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB (OLG Schleswig Beschluss vom 30.09.2010, 1 U 50/10). Angesichts der Diskussion um die rechtliche Notwendigkeit besonderer Nachfristen für nachträglich angeforderte Unterlagen liegt hier eine solche Evidenz nicht vor.

65

Die Antragstellerin hat nicht alle von ihr im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Vergaberechtsverstöße rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB gerügt. Soweit sie vor Stellung des Nachprüfungsantrags gegenüber der Auftraggeberin Rügen erhoben hat, ist ihr Nachprüfungsantrag nicht wegen Verletzung ihrer Rügeobliegenheit gem. § 107 Abs. 3 GWB präkludiert.

66

Die Antragstellerin hat bis zum 25.03.2011 folgende Punkte gerügt:

67

- Das vorgelegte Prüfzeugnis der LED Tafeln der Beigeladenen sei qualitativ unzureichend, weil die vertikalen Prüfwinkel 0 /-5 nicht eingehalten worden seien, die Klasse C2 daher nicht habe festgestellt werden können, eine Protokollierung des LED Stroms fehle, daher die Messwerte nicht reproduzierbar seien, die Lichtstärke des Prüfmoduls nicht reduzierbar sei, daher die Messwerte außerhalb der in DIN/EN 12966 unter § 7.3 Tabelle 4 e) geforderten Werte lägen somit die Leuchtdichteklasse L3 nicht erreicht werden könne, weil die DIN/EN 12966 dies auch die maximale Leuchtdichte vorgäbe und das Prüfmodul ohne Frontscheibe getestet worden sei.

68

- Das Angebot der Beigeladenen hätte wegen der Mängel des Prüfzeugnisses ausgeschlossen werden müssen.

69

- Die Auftraggeberin habe durch die Herausnahme von Teilen der ausgeschriebenen Leistungen aus dem Auftrag die Verdingungsunterlagen wesentlich geändert, ohne den Bietern die Gelegenheit zu einer Angebotsänderung zu geben.

70

- Das Angebot der Antragstellerin sei rechtswidrig mit der Begründung ausgeschlossen worden, nachzureichende Unterlagen seien nicht fristgerecht vorgelegt worden,

71

Diese Rügen erfolgten rechtzeitig und sind nicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1, GWB präkludiert.

72

Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Als unverzüglich gilt grundsätzlich ein Zeitraum innerhalb von ein bis drei Tagen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/03; Bechtold, GWB, § 107 Rz. 2).

73

Die Antragstellerin hat ihre Rügen rechtzeitig erhoben.

74

Ihre Rüge vom 07.03.2011 gegen die erfolgte anderweitige Beauftragung von Teilen der ausgeschriebenen Leistung und die damit verbundene, für wesentlich gehaltene Veränderung der Kalkulationsgrundlagen erfolgte unmittelbar, nachdem die Antragstellerin von den Interimsaufträgen der Auftraggeberin erfahren hatte, und somit rechtzeitig.

75

Die Antragstellerin hat auch ihre Rüge vom 25.03.2011 gegen ihren Ausschluss aufgrund unvollständiger Unterlagen rechtzeitig erhoben. Die Antragstellerin konnte diese Rüge frühestens erheben, nachdem ihr mit Bieterinformation gemäß § 101a GWB vom 22.03.2011 mitgeteilt worden war, dass ihr Angebot wegen unvollständiger Vorlage nachgeforderter Erklärungen oder Nachweise ausgeschlossen worden war. Damit hat sie die obige Dreitagesfrist gewahrt.

76

In Ihrer Rüge vom 25.03.2011 hat die Antragstellerin ihren Vortrag inhaltlich auf einen Schriftsatz vom 10.02.2011 in einem anderen Nachprüfungsverfahren zum selben Auftrag und weiteren Vortrag in der Rüge vom 07.03.2011 erstreckt. In jenem Schriftsatz hatte sie Einwendungen gegen die Qualität der von der Beigeladenen vorgelegten Prüfzeugnisse erhoben. In der Rüge vom 07.03.2011 wandte sie sich auch gegen die laut Schreiben der Auftraggeberin vom 04.03.2011 beabsichtigte neue Wertung. Wollte man bereits die damalige Kritik als Rüge werten, wäre es eine unzulässige vorsorgliche Rüge (Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht, Stand 18.03.2010 § 107 Rz. 321, Vergabekammer Südbayern Beschluss vom 21.04.2009 Z3-3-3194-1-09-02/09). Mit der substantiierten inhaltlichen Bezugnahme in der Rüge vom 25.03.2011 auf den Vortrag aus dem vorhergehenden Nachprüfungsverfahren und der Rüge vom 07.03.2011 hat die Antragstellerin ihren Vortrag in der Rüge vom 25.03.2011 auch inhaltlich auf diese Sachverhalte ausgedehnt.

77

Die obigen Rügen hat die Antragstellerin daher rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB erhoben.

78

Die Antragstellerin hat die Frist des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB eingehalten, indem sie auf die Rügeantwort der Auftraggeberin vom 16.03.2011 innerhalb von 15 Kalendertagen am 30.03.2011 den Nachprüfungsantrag erhoben hat. Daher ist es vorliegend unerheblich, dass die Auftraggeberin die für den Beginn dieser Rechtsbehelfsfrist erforderliche Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2010, 13 Verg 1/10) unter Ziffer VI 4.2 der Vergabebekanntmachung nicht veröffentlicht hat.

79

Soweit sich die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren darauf beruft, ihr Ausschluss wegen nicht fristgerecht vorgelegter nachzureichender Unterlagen verletze sie in ihren Rechten, bzw. die Unterlagen hätten wegen fehlender Hinweise in der Bekanntmachung von ihr nicht nachgefordert werden dürfen, sind diese Einwände nach§ 107 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB präkludiert.

80

Ein etwaiger Widerspruch zwischen den Vorlageverpflichtungen gemäß der Bekanntmachung und dem Inhalt der Vergabeunterlagen war bereits aus den Vergabeunterlagen objektiv erkennbar. Gemäß der europaweiten Bekanntmachung "Ziffer III 2.1 Persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers sowie Auflagen hinsichtlich der Eintragung in einem Berufs- oder Handelsregister" hatte die Auftraggeberin darauf hingewiesen, dass sie einen aktuellen Gewerberegisterauszug anfordern werde. Die EU Aufforderung zur Angebotsabgabe vom 23.11.2010 enthielt unter Ziffer 5.3 als "auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegende Unterlage" die "Nachweise des Bieters und jedes Nachunternehmers" für "Bescheinigungen der Sozialkasse, soweit ihr Betrieb Bauaufträge im Sinne des § 99 GWB ausführt". Sowohl die EU Aufforderung zur Angebotsabgabe als auch die Bewerbungsbedingungen wurden der Antragstellerin als Teil der Vergabeunterlagen zur Erstellung des Angebots übersandt. Der Einwand der Antragstellerin, sie habe auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Vergabeunterlagen vertrauen dürfen, entbindet sie nicht von einer Prüfung auf die hier vorliegenden inhaltlichen Unstimmigkeiten oder vergaberechtswidrige Forderungen (VK Schleswig Holstein, Beschluss vom 12.06.2006 VK S-H 12/06; VK Thüringen Beschluss vom 27.03.2008, 360-4003.20-641/2008).

81

Daher hätte die Antragstellerin gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB einen etwaigen Verstoß bereits bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe rügen müssen, wenn sie hieraus im Nachprüfungsverfahren eine Rechtsverletzung herleiten will.

82

Es bedarf daher keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob der von der Antragstellerin monierte Verstoß gegen Bekanntmachungspflichten vorliegt. Die Vergabekammer weist wegen der schwierigen Abgrenzung allerdings darauf hin, dass die Auftraggeberin in der Bekanntmachung nicht darauf hingewiesen hat, dass sie von den Bietern besondere Eignungsnachweise zur Erfüllung derer Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern fordern werde. Sie war daher vermutlich nicht berechtigt, von einem Bieter oder dessen Nachunternehmer Bescheinigungen oder Negativ Atteste der SoKa-Bau zu verlangen.

83

Der Auftraggeber soll gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 u) VOB/A die von ihm im Einzelfall vorgesehenen Nachweise zur Eignung in der Vergabebekanntmachung benennen. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 VOB/Amuss der Auftraggeber in das Anschreiben alle Angaben nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A aufnehmen. Die Rechtsprechung hat den Umfang und die erforderliche Konkretisierungstiefe der notwendigen Informationen über Eignungsnachweise in der Vergabebekanntmachung und in der Aufforderung zur Angebotsabgabe voneinander abgegrenzt.

84

Der Auftraggeber hat in der Vergabebekanntmachung die Bieter zumindest in groben Umrissen über die wesentlichsten Dinge bzw. die allgemeinen Anforderungen des Vergabeverfahrens auch an die Eignung der Bieter zu informieren, um potentiellen Bietern die Beurteilung zu ermöglichen, ob die Ausschreibung ihr Interesse findet, oder nicht (Krist Vergaberecht 2011, S. 223). Die frühzeitige Information über die Art der zu erbringenden Nachweise dient auch der Chancengleichheit und eröffnet dem Bieter genügend Zeit, um sich die erforderlichen Unterlagen zu beschaffen (OLG Schleswig Beschluss vom 22.05.2006 1Verg 5/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.03.2008 Verg 56/07; zit. nach ibr-online;) Da die Bieter Nachweise grundsätzlich bereits mit dem Angebot vorlegen müssen, bedürfen sie eines frühzeitigen Hinweises darauf, welche Nachweise gefordert werden. Nur so können sie frühzeitig entscheiden, ob sie diese Nachweise erbringen können (von Wietersheim in Ingenstau Korbion VOB/A § 12 Rz. 28).

85

Die Bekanntmachung muss die geforderten Eignungsnachweise allerdings nicht abschließend darstellen. In der Aufforderung zu Angebotsabgabe kann der Auftraggeber die in der Bekanntmachung genannten Eignungsnachweise näher konkretisieren. Er darf aber nicht von den in der Bekanntgabe aufgeführten Kriterien abweichen, da er damit die Eignungsvoraussetzungen in einer für die Bieter oder einzelne von ihnen überraschenden Form erhöhen würde (Hausmann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß VOB/A § 6 Rz. 203; Schranner in Ingenstau Korbion, VOB/A § 6 Rz. 96, 136; Krist Vergaberecht 2011, S. 223; Byok NJW 2011,S. 975 f; OLG Düsseldorf Beschluss vom 12.03.2008 Verg 56/07 zit. nach ibr-online; OLG Hamburg Beschluss vom 24.09.2010 - 1 Verg 2/10 = NZBau 2010, S. 780 [OLG Hamburg 24.09.2010 - 1 Verg 2/10]).

86

Der Umfang der in § 12 Abs. 1 Nr. 2 u) VOB/A genannten Eignungsnachweise, auf die auch § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 VOB/A Bezug nimmt, wird in § 6 Abs. 3 VOB/A definiert. Nach § 6 Abs. 3 Ziffer 2 h) VOB/A umfasst der Eignungsnachweis auch Angaben zur ordnungsgemäßen Zahlung von Steuern, Abgaben sowie der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung.

87

Hier hat die Auftraggeberin in der europaweiten Bekanntmachung "Ziffer III 2.1 Persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers sowie Auflagen hinsichtlich der Eintragung in einem Berufs- oder Handelsregister" etwaige Bietern nur darauf hingewiesen, dass ein aktueller Gewerberegisterauszug angefordert wird. Erst die Aufforderung zur Angebotsabgabe vom 23.11.2010 enthielt unter Ziffer 5.3 als auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle vorzulegende Unterlage die "Nachweise des Bieters und jedes Nachunternehmers" für "Bescheinigungen der Sozialkasse, soweit ihr Betrieb Bauaufträge im Sinne des § 99 GWB ausführt". Die Vorlage von Negativattesten war nicht ausdrücklich genannt worden.

88

Eine Bescheinigung der Sozialkasse stellt keine Präzisierung dieser in der Bekanntmachung enthaltenen Vorgabe dar.

89

Die geforderte Bescheinigung der Sozialkasse Bau geht auch über die Anforderung aus § 6 Abs. 3 Ziffer 2 h) VOB/A hinaus, da die Sozialkasse nicht zu den Sozialversicherungen gemäß § 1 SGB IV gehört. Vielmehr obliegt ihr aufgrund der Ermächtigung in § 13 Abs. 2 BUrlG eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages (TV über das Sozialkassenverfahren vom 18.12.2009, allgemeinverbindlich ab 1.1.2010) die Aufgabe, Urlaubsgelder treuhänderisch zu verwalten. Dies ist eine die gesetzlichen Sozialversicherungen ergänzende Funktion (vgl. Schranner in Ingenstau Korbion, VOB/A § 6 Rz. 125). Die Auftraggeberin wäre zwar grundsätzlich aufgrund der Ermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Niedersächsisches Landesvergabegesetz berechtigt gewesen, eine Bescheinigung oder ein Negativattest der SoKa-Bau zu fordern oder sich dessen Anforderung vorzubehalten. Die Auftraggeberin hätte dann allerdings bereits in der Bekanntmachung auf den Vorbehalt von Nachweisen nach § 6 Niedersächsisches Landesvergabegesetz verweisen müssen.

90

Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertritt, der gemäß Ziffer 3.3. der Bewerbungsbedingungen vorgesehene zwingende Ausschluss bei nicht rechtzeitiger Vorlage nachträglich verlangter Unterlagen verstieße gegen § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A war dieser mutmaßliche Vergabeverstoß ebenfalls aus den Vergabeunterlagen erkennbar. Gemäß Ziffer 3.3. der Bewerbungsbedingungen sind Unterlagen, die von der Vergabestelle nach Angebotsabgabe verlangt werden, zu dem von der Vergabestelle bestimmten Zeitpunkt einzureichen. Werden die Unterlagen nicht vollständig fristgerecht vorgelegt, wird das Angebot ausgeschlossen.

91

Die Antragstellerin hätte also Ziffer 3.3. der Bewerbungsbedingungen gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Auftraggeberin rügen müssen. Da die Antragstellerin, diese Rüge nicht erhoben hat, ist sie im Nachprüfungsverfahren mit der Berufung auf einen möglichen Anspruch auf Nachfrist präkludiert. Es bedarf daher vorliegend keiner Entscheidung mehr, ob die Antragstellerin rechtlich einen Anspruch auf Nachfristsetzung hat.

92

Die Antragstellerin hat im Nachprüfungsverfahren am 28.04.2011 die Vorgabe in der Verfügung vom 07.03.2011 moniert, die Belege dürften nicht älter als sechs Monate sein. Auch mit diesem Einwand ist sie gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB präkludiert.

93

Unabhängig davon, dass jeder Bieter mit der Anforderung aktueller Belege rechnen muss, ist es richtig, dass die Antragstellerin von dieser konkrete Frist bei Unkenntnis des § 6 Niedersächsisches Landesvergabegesetz, auf den weder in der Bekanntmachung, noch in den Vergabeunterlagen hingewiesen wurde, erstmals mit der Anforderung vom 07.03.2011 erfuhr. Soweit die Antragstellerin darin einen vergaberechtlichen Verstoß gesehen hat, war dieser ab dem 07.03.2011 objektiv erkennbar und hätte gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB unverzüglich gerügt werden müssen. Dieser Anforderung genügt ein fast zwei Monate später im Nachprüfungsverfahren erhobener Einwand nicht mehr.

94

Die Auftraggeberin hat mit den vorab erteilten Aufträgen an die Beigeladene zumindest gegen 101a GWB verstoßen. Sie hat unstreitig zu einem nicht genau ermittelbaren Zeitpunkt ohne Information der nicht berücksichtigten Bieter bereits Aufträge im Wert von xxxxxx EUR über das Aufstellen und Vorhalten seitlich aufgestellter LED Tafeln aus dem hier bekanntgemachten Los (aus dem Leistungssoll herausgenommene Leistungen) erteilt. Auf das Verhältnis von Gesamtwert der bekannt gemachten Vergabe zum Wert des vorab erteilten Auftrags kommt es entgegen der Auffassung der Auftraggeberin nicht an. Allerdings hat der Antragsteller nicht die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Aufträge gemäß § 101b Abs. 1 GWB beantragt. Inzwischen ist die 30 Tagesfrist gemäß § 101b Abs. 2 GWB verstrichen. Daher ist die Antragstellerin mit diesem Vorbringen präkludiert, wenn die Auftragsvergabe nicht während der Geltungsdauer des im Nachprüfungsverfahren VgK 74/2010 verhängten Zuschlagsverbotes erfolgte, mithin kein Verstoß gegen § 115 GWB vorliegt.

95

Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertreten hat, die von der Auftraggeberin aufgrund des Beschlusses der Vergabekammer vom 01.03.2011 durchzuführende neue Wertung hätte auch eine neue Submission einschließen müssen, ist der Einwand unzulässig. Im genannten Beschluss ist bewusst eine Beschränkung auf eine neue Wertung vorgenommen worden. Wenn die Antragstellerin darin eine Verletzung eigener Rechte gesehen hätte, hätte sie den Beschluss mit einer sofortigen Beschwerde gemäß § 116 GWB anfechten müssen.

96

2. Der Antrag ist teilweise begründet.

97

a) Die Auftraggeberin hat gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 97 Abs. 2 GWB verstoßen, indem sie einerseits das Angebot der Antragstellerin wegen nicht vollständig vorgelegter Negativatteste zur SoKa-Bau von der weiteren Wertung ausgeschlossen, andererseits aber von einem Nachunternehmer der Beigeladenen ein Negativ-Attest der SoKa-Bau aus dem Jahr 2007 als Nachweis der Leistungsfähigkeit akzeptiert und die Nachlieferung einer Steuerbescheinigung zugelassen hat.

98

Das Gebot der Gleichbehandlung umfasst die Verpflichtung, gegenüber allen Bietern einheitliche Anforderungen für die Teilnahme am Vergabeverfahren zu stellen und durchzusetzen. Dies gilt auch für die Vorlage ausgewählter Eignungsnachweise (Müller-Wrede § 97 Rz. 12). Die Bieter müssen die Gelegenheit erhalten, zu gleichen Fristen und gleichen Anforderungen Angebote abzugeben. Der Auftraggeber darf nur solche Angebote werten, welche die geforderten Erklärungen enthalten (Maibaum in Hattig Maibaum § 97 Rz. 102, 105). Schließt er ein Angebot aus, weil es unvollständig ist, dann ist der Auftraggeber aufgrund des Gleichbehandlungsgebots verpflichtet, alle anderen Angebote, die an dem beanstandeten oder einem gleichwertigen Mangel leiden, ebenfalls auszuschließen (BGH Beschluss vom 26.09.2006 Az: X ZB 14/06 = BGHZ 169, S. 131).

99

Hier hatte die Auftraggeberin zunächst nur die Beigeladene als Bieterin mit dem niedrigsten Angebot einer eingehenden Eignungsprüfung unterzogen. Aufgrund der Entscheidung der Vergabekammer hat die Auftraggeberin in der zu wiederholenden Wertung auch die Eignung der Antragstellerin geprüft. Die Auftraggeberin hat inhaltlich weitgehend identische Verfügungen jeweils mit Hinweisen, dass das Zeugnis maximal sechs Monate alt sein dürfe, und dass bei Nichtvorlage ein Ausschluss erfolge, verwendet. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung unproblematisch.

100

Allerdings verstößt die darauf aufbauende Entscheidung der Auftraggeberin gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB. Sie hat die Antragstellerin wegen nicht bzw. nicht fristgerecht vorgelegter Bescheinigungen von Nachunternehmern ausgeschlossen, will bei der Beigeladenen aber die nachträgliche Vorlage einer Bescheinigung eines Nachunternehmers hinnehmen und die Vorlage einer unzulässig alten Bescheinigung eines anderen Nachunternehmers nachsehen. Die Auftraggeberin hätte entweder die konkludent der Beigeladenen gewährte Nachfrist auch der Antragstellerin und allen weitern Bietern gewähren, oder auch die Beigeladene bei nicht fristgerechter Vorlage oder Vorlage von nicht aktuellen Nachweisen ausschließen müssen.

101

Eine allgemeine Bieterinformation mit einer Fristverlängerung hat es nicht gegeben. Da weder die Antragstellern, noch die Beigeladene auf die jeweilige Eignungsverfügung der Auftraggeberin vom 26.11.2010 bzw. vom 07.03.2011 fristgerecht alle geforderten Unterlagen vorgelegt haben, sind ihre Angebote gemäß Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen auszuschließen.

102

aa) Die Antragstellerin hat mit ihrem Angebot ein Verzeichnis der Nachunternehmer abgegeben, das folgende fünf Unternehmen umfasste: xxxxxx, xxxxxxx, xxxxxx, xxxxxx und xxxxxx.

103

Die Auftraggeberin hat die Antragstellerin am 07.03.2011 aufgefordert, bis zum 15.03.2011 u.a. steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen und Bescheinigungen der SoKa Bau oder Negativatteste vorzulegen. Diese dürften maximal sechs Monate alt sein (§ 6 Abs. 1 LVergabeG). Auf einen Ausschluss nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A wies die Auftraggeberin hin.

104

Die Antragstellerin hat für die Firma xxxxxx eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes vom 20.05.2008 vorgelegt. Dies hält die Vergabekammer für unbedenklich, obwohl die Bescheinigung deutlich älter ist, als sechs Monate. Das zuständige Finanzamt hat die Freistellungserklärung ausdrücklich als bis zum 19.05.2011 gültig erklärt. Die auf eine Vielzahl unterschiedlicher Bescheinigungen bezogene allgemeine Anforderung der Vergabestelle, die vorzulegenden Belege dürften nicht älter als sechs Monate sein, ist auch erfüllt, wenn die ausstellende Behörde in pflichtgemäßer Ausübung des ihr zustehenden Ermessens einer Bescheinigung eine längere Gültigkeitsdauer zugemessen hat. Das pflichtgemäße Ermessen einer Behörde umfasst auch eine Entscheidung über das Verhältnis von Aufwand und Wirkung kurzzeitig gültiger Bescheinigungen. Allerdings muss die Bescheinigung zumindest bis zum Zeitpunkt der beabsichtigten Vergabeentscheidung gültig sein, um berücksichtigt werden zu können. In diesem Fall besteht für die Vergabestelle keine Veranlassung, den Bieter zur Vorlage einer aktuelleren Zweitbescheinigung aufzufordern, da eine solche den Inhalt der vorgelegten Bescheinigung nicht erhöht.

105

Die Antragstellerin hat innerhalb der gesetzten Frist am 15.03.2011 ein Negativattest der SoKa-Bau zur xxxxxx vom 23.10.2009 sowie für sich eine Eigenerklärung zur SoKa-Bau Pflichtigkeit vorgelegt. Eigenerklärungen hatte die Auftraggeberin in der Aufforderung vom 07.03.2011 nicht ausdrücklich zugelassen. § 6 Abs. 1 Niedersächsisches Landesvergabegesetz lässt keine Eigenerklärungen zu, die nicht Teil einer Präqualifikation sind. Die Verfahrensbeteiligten haben aber in der mündlichen Verhandlung einvernehmlich eine übliche und allseits bekannte Praxis bestätigt, wonach nur die Erfüllung einer bestehenden Beitragspflicht zur SoKa Bau gemäß den Vorgaben des § 6 Niedersächsisches Landesvergabegesetz zeitnah durch Unterlagen, die nicht älter als sechs Monate sein dürfen, nachzuweisen ist.

106

Eine nicht bestehende SoKa-Pflichtigkeit ist dagegen wegen der langen Verfahrensdauer, um SoKa Negativatteste zu erlangen, auch durch etwas ältere Negativ Atteste oder Eigenerklärungen nachweisbar. Diese Praxis kann der Auftraggeber gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 2 Satz 3 VOB/A ausdrücklich in den Vergabeunterlagen vorsehen. Die stillschweigende Anwendung in diesem Sinne ist jedenfalls bei konsequenter Gleichbehandlung nicht problematisch. In diesem Sinne hat die Auftraggeberin in der mündlichen Verhandlung auch sowohl die Eigenerklärung der Antragstellerin, als auch das ältere Negativattest der xxxxxx anerkannt.

107

Mit Schreiben vom 29.03.2011, welches am 01.04.2011 bei der Auftraggeberin einging, hat die Antragstellerin ein weiteres Negativattest vom 29.07.2010 für die Firma xxxxxx, einschließlich einer Eigenerklärung zur Umbenennung der xxxxxx in xxxxxx, sowie Eigenerklärungen der Firmen xxxxxx vom 29.03.2011 und xxxxxx datiert vom 24.03.2011 vorgelegt. Eine Aussage für die ausgewiesene Nachunternehmerin xxxxxx fehlt bis heute.

108

Das Negativ Attest der Firma xxxxxx vom Juli 2010 war bei der von der Antragstellerin im Dezember 2010 zu erwartenden Eignungsprüfung weniger als sechs Monate alt, bei der zweiten im März 2011 acht Monate alt. Ob man das Risiko, dass die für die Angebotsabgabe vorbereiteten Belege wegen der durch das erste Nachprüfungsverfahren verursachten Verzögerung der Eignungsprüfung veralten, der Antragstellerin auferlegen muss, kann angesichts der obigen großzügigen Praxis zur Anerkennung auch älterer Negativ-Atteste dahinstehen.

109

Die Vergabekammer vertritt aufgrund der im Übrigen großzügigen Nachweispraxis die Auffassung, dass die Antragstellerin die Identität der Firmen xxxxxx und xxxxxx mit der vorgelegten Eigenerklärung zunächst hinreichend dargelegt hat. Einen Handelsregisterauszug muss die Antragstellerin jedenfalls nicht ohne besondere Aufforderung vorlegen. Allerdings hat die Antragstellerin das Negativattest der Firma xxxxxx zur SoKa Bau verspätet vorgelegt. Die Antragstellerin hat nicht nur die von der Auftraggeberin gesetzte Frist versäumt, sondern mit den am 01.04.2011 bei der Auftraggeberin eingegangenen Belegen auch die von ihr angenommene Frist von sechs Kalendertagen aus § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, deren Beginn sie in der Antragsschrift auf den 22.03.2011 gelegt hat.

110

Auch die formal unzureichenden Eigenerklärungen der Firmen xxxxxx und xxxxxx genügen materiell aufgrund der oben dargestellten großzügigen Praxis den Anforderungen für den Nachweis der fehlenden SoKa-Bau Pflichtigkeit. Allerdings hat die Antragstellerin die Eigenerklärungen der Firmen xxxxxx und xxxxx zur SoKa Bau gemäß den obigen Ausführungen verspätet vorgelegt.

111

Die Vergabekammer sieht keinen Entscheidungsbedarf für die von der Antragstellerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob aus § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A für nachträglich angeforderte Unterlagen ein Anspruch auf Nachfristsetzung im Sinne einer zweimaligen Aufforderung folge. Die Auftraggeberin hat in der Antragserwiderung Zweifel geäußert, ob die Regelung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A zur Nachfrist bei mit dem Angebotgeforderter Erklärungen (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A) auch auf solche Erklärungen übertragbar ist, die nicht mit dem Angebot gefordert worden sind, sondern die der Auftraggeber erst nachträglich aufgrund gesonderter Erwägungen oder Vorbehalte in den Vergabeunterlagen verlangt (so auch Dittmann in Kulartz /Marx / Portz / Prieß VOB/A 2010 § 16 Rz. 150; Schranner in Ingenstau Korbion, § 6 Rz. 99; Kratzenberg in Ingenstau Korbion § 16 Rz. 65 f). Aufgrund der rügelosen Einlassung aller Bieter zu Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen in diesem Nachprüfungsverfahren ist der Ausschluss selbst dann gerechtfertigt, wenn § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ohne abweichende Regelung in den Vergabeunterlagen einen Anspruch auf Nachfristsetzung enthalten sollte (so Althaus Heindl, der öffentliche Bauauftrag, Handbuch für den VOB-Vertrag ibr online § 16 VOB/A Rz. 191). Denn selbst wenn man einen solchen Anspruch annehmen wollte, wäre dieser auf sechs Tage befristet. Die Antragstellerin hat aber bis heute keine Erklärung zur SoKa-Bau für den Nachunternehmer xxxxxxvorgelegt, für die Erklärungen der Firmen xxxxxx, xxxxxx und xxxxxxx die Unterlagen nach eigenen Maßstäben verspätet eingereicht.

112

Die Antragstellerin hat daher die Anforderung der Aufforderung vom 07.03.2011 nicht erfüllt. Ihr Angebot war folglich gemäß Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen auszuschließen.

113

bb) Die Auftraggeberin hat mit Verfügung vom 26.11.2010 auch die Beigeladene aufgefordert, bis zum 07.12.2010 u.a. steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen und Bescheinigungen der SoKa Bau oder Negativatteste vorzulegen. Eigenerklärungen waren nicht zugelassen worden. Die Bescheinigungen oder Negativ-Atteste durften maximal sechs Monate alt sein. Die Beigeladene hat für sich und für alle Nachunternehmer entsprechende Bescheinigungen vorgelegt, die aber teilweise von den Vorgaben abweichen.

114

Ein fristgerecht vorgelegtes Negativattest der Soka-Bau für die Firma xxxxxx datierte vom September 2007.

115

Eine Bescheinigung des Finanzamtes für den Nachunternehmer xxxxxx wurde erst am 10.12.2010 erstellt und am 13.12.2010 vorgelegt.

116

Ein fristgerecht vorgelegtes Negativattest der Soka-Bau für die Beigeladene datierte vom 06.08.2009.

117

Eine Freistellungserklärung des Finanzamtes gemäß § 48 b EStG für die Beigeladene war am 01.07.2008 ausgestellt und bis zum 31.12.2011 gültig.

118

Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes xxxxxx vom 27.07.2010 wurde fristgerecht vorgelegt.

119

Diese von der Beigeladenen vorgelegten Dokumente entsprechen nur teilweise den materiellen Anforderungen der Verfügung vom 26.11.2010.

120

Das Angebot der Beigeladenen hätte unter Gesichtspunkten der Gleichbehandlung wegen des veralteten Negativ Attestes zur SoKa-Bau der Firma xxxxxx aus dem Jahr 2007 ausgeschlossen werden müssen.

121

Die Auftraggeberin hat zwar überzeugend dargestellt, dass die Präqualifizierung gemäß Ziffer 5.1 Abs. 3 der Leitlinie auch eine Eigenerklärung des Unternehmers umfasst, nur präqualifizierte Nachunternehmer oder durch Einzelnachweise in gleichem Umfang qualifizierte Unternehmer einzusetzen. Die Auftraggeberin hätte also für die präqualifizierte Beigeladene von der Anforderung vom 26.11.2010 begründeterweise absehen können. Sie hätte die Entscheidung lediglich gemäß § 20 Abs. 2 VOB/A in der Vergabeakte dokumentieren müssen.

122

Gleichwohl hat die Auftraggeberin von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr hat sie ihre ungeachtet der Präqualifizierung bestehende Befugnis (vgl. OLG Naumburg Beschluss vom 30.09.2010 1 U 50/10) genutzt, einzelne Nachweise anzufordern.

123

Die Auftraggeberin hat vorgetragen, dass sie die Anforderung der Unterlagen abgebrochen habe, nachdem ihr um den 08.12.2010 bewusst worden sei, dass sie für die präqualifizierte Beigeladene ein Verfahren durchführe, welches gemäß Ziff. 5.1 Abs. 3 der Präqualifizierungsrichtlinie nicht notwendig gewesen sei. Dieser Prüfungsabbruch ist in der Vergabeakte unter Ziffer 7.1 für den 10.12.2010 dokumentiert. Im Vordruck HVAB-StB Eignungsprüfung 04-10 für die Beigeladene ist zunächst von der Sachbearbeiterin unter Ziff. 1.2 "Nachweis der Eignung über Eigenerklärung zur Eignung und ggf. zusätzliche Einzelnachweise" angekreuzt worden "ja" (Eignung nachgewiesen). Diese Eintragung im blauen Kugelschreiber ist mit schwarzem Filzstift nachträglich gestrichen sowie mit Namenszeichen und Datum der Baureferentin versehen. Stattdessen ist in dem Formblatt unter 2.1 "Nachweis der Eignung des Nachunternehmers über Präqualifizierung des Bieters" von der Baureferentin ein Ja (Eignung gegeben) angekreuzt worden. Damit ist in der Akte dokumentiert worden, dass die Auftraggeberin am 10.12.2010 die bereits durchgeführte Eignungsprüfung zunächst aufgrund der abgegebenen Nachweise positiv abschließen wollte, tatsächlich dann allerdings aufgrund der Präqualifizierung vorgenommen hat.

124

Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass die Auftraggeberin von einer Nachforderung von Eignungsnachweisen nicht erst zu einem Zeitpunkt abrücken darf, in dem feststeht, dass der Nachweis nicht fristgerecht oder nicht vollständig erbracht worden ist. Hätte die Auftraggeberin zu diesem Zeitpunkt nach Ablauf der Vorlagefrist die Befugnis, auf eine Prüfung zu verzichten, wäre es ihr möglich, Bietern den Zuschlag zu erteilen, deren Angebote anderenfalls auszuschließen wären. Die Zulässigkeit eines Abbruchs bereits begonnener Prüfungen ist immer hoch problematisch (vgl. Dittmann in Kulartz/Marx/ Portz/Prieß, VOB/A 2010, § 16, Rz. 158). Nach Ablauf der dem Bieter gesetzten Vorlagefristen ist sie nicht mehr zulässig, weil der Auftraggeber sonst vor dem negativen Ergebnis die Augen verschließen könnte. Die Auftraggeberin war hier verpflichtet, die erhobene Anforderung unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots aus § 97 Abs. 2 GWB zu bearbeiten. Das gilt insbesondere, wenn durch die Anforderung Mängel der Eignungsnachweise der Nachunternehmer offenbar werden. Das Negativ Attest der SoKa Bau über die Fa. xxxxxx aus dem Jahr 2007 ist deutlich älter als sechs Monate und genügt daher auch bei Berücksichtigung der oben geschilderten großzügigen Zulassung von Negativattesten bei weitem nicht den Anforderungen des § 6 Abs. 1 Niedersächsisches Landesvergabegesetz.

125

Das Angebot der Beigeladenen hätte außerdem unter Gesichtspunkten der Gleichbehandlung wegen der erst am 13.12.2010 vorgelegten Bescheinigung des Finanzamtes für die Firma xxxxxx ausgeschlossen werden müssen.

126

Es ist nachvollziehbar, wenn die Auftraggeberin darstellt, dass es der Beigeladenen aufgrund der Bearbeitungszeiten des Finanzamtes nicht möglich war, für den Nachunternehmer xxxxxx die steuerliche Bescheinigung fristgerecht vorlegen zu lassen. Diese Darstellung wird durch die Vorlage der Bescheinigung am 13.12.2010 und das Ausstelldatum 10.12.2010 gestützt. Unter der Annahme, dass solche Bescheinigungen nur jährlich erstellt werden, hätte auch die Bescheinigung des Vorjahres formal das geforderte Alter von bis zu sechs Monaten überschritten. Eine Fristverlängerung um wenige Tage lag hier nahe. Gleichwohl verstößt die Gewährung einer Nachfrist für die Beigeladene und die Nichtgewährung einer Nachfrist für die Antragstellerin gegen das Gleichbehandlungsgebot aus § 97 Abs. 2 GWB.

127

Das von der Beigeladenen vorgelegte Negativattest der Soka-Bau vom 06.08.2009 genügt im Ergebnis den Anforderungen der Verfügung vom 26.11.2010 und erfordert unter Gleichbehandlungsgrundsätzen keinen Ausschluss des Angebots der Beigeladenen.

128

Die Behörden des Landes Niedersachsen haben bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge zusätzlich (zum Vergaberecht nach GWB) die Bestimmungen des Niedersächsisches Landesvergabegesetz einzuhalten (§ 2 Abs. 1 Niedersächsisches Landesvergabegesetz). Gemäß § 6 Abs. 1 Niedersächsisches Landesvergabegesetz dürfen Belege der Sozialkassen, die der Bieter vor Zuschlagserteilung vorzulegen hat, nicht älter als sechs Monate sein. Daher entsprach das von der Beigeladenen vorgelegte Negativattest zur Sozialkasse aus dem Jahr 2009 nicht den Anforderungen der Verfügung vom 26.11.2010.

129

Dies ist aber im Ergebnis unerheblich, weil die Beigeladene über die gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 Niedersächsisches Landesvergabegesetz zugelassene Präqualifikation eine gültige Negativbescheinigung vorgelegt hat. In der vorgelegten Präqualifizierung der Beigeladenen ist unter "Nachweise gemäß Leitlinie Anlage 1" vermerkt: "Unbedenklichkeitsbescheinigung der tariflichen Sozialkassen. Unternehmen unterfällt nicht der Pflicht ur Beitragszahlung". Die Gültigkeit einer Präqualifikation ergibt sich nach Ziffer 9.1 der Leitlinie des Bundesministeriums für Verkehr, Bau, und Stadtentwicklung für die Durchführung eines Präqualifizierungsverfahrens in der Fassung vom 14.09.2007. Die Vergabeakte der Auftraggeberin enthält einen Internetauszug der Präqualifikation vom 26.11.2010. Damit ist die Gültigkeit der Präqualifikation dokumentiert. Über die Präqualifikation kann es sich im Einzelfall ergeben, dass der gemäß § 6 Abs. 1 Niedersächsisches Landesvergabegesetz gesetzlich vorgegebenen Zeitraum von sechs Monaten ausgedehnt wird, da der Niedersächsische Gesetzgeber vollständig und dynamisch auf die (jeweils gültigen) Präqualifikationsbestimmungen des Bundesministeriums verwiesen hat. Damit korrespondiert die Praxis der Auftraggeberin, Negativatteste ggf. auch anzuerkennen, wenn sie älter als sechs Monate sind.

130

Ebenso ist das Angebot der Beigeladenen nicht wegen der Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA xxxxxx vom 27.07.2010 und der Freistellungserklärung des Fa vom 01.07.2008 auszuschließen. Die Freistellungsbescheinigung des FA vom 01.07.2008 ist von der obigen Präqualifizierung umfasst, die Unbedenklichkeitsbescheinigung war zum Zeitpunkt der Wertung nicht älter als sechs Monate.

131

b) Die Auftraggeberin hat nach unstreitiger Darstellung etwa bis Anfang März 2011 ohne Information der Bieter aus dem europaweit bekanntgemachten VOB-Verfahren "xxxxxx Ausbau der BAB xxxxxxx im Bereich des xxxxxx - Großräumige Verkehrslenkung" Aufträge im Wert von etwa xxxxxx EUR über das Aufstellen und Vorhalten seitlich aufgestellter LED Tafeln vergeben. Soweit die Vergabe während des im Nachprüfungsverfahren von der Vergabekammer am 27.12.2010 verfügte und noch bis zur Rechtskraft des Beschlusses in jenem Verfahren bis zum Ablauf des 18.03.2011 bestehenden Zuschlagsverbots erfolgt sein sollte, hätte die Auftraggeberin gegen § 115 GWB verstoßen. Die Antragstellerin hat zum Inhalt und Umfang der Vergabe nichts Näheres vorgetragen. Aus der Vergabeakte ist hierzu nichts ersichtlich. Die Vergabekammer weist darauf hin, dass das Zuschlagsverbot für die gesamte Vergabe und auch für Teilaufträge gilt. Etwaige zwischen dem 27.12.2010 und dem 19.03.2011 erteilte Aufträge sind wegen Verstoß gegen § 115 Abs. 1 GWB nichtig (Rosenkötter in Müller-Wrede § 115 Rz. 2).

132

c) Aufgrund der formalen Vergabeverstöße bedarf es hier keiner Erörterung der Einwände der Antragstellerin zur Qualität der von der Beigeladenen vorgelegten schwedischen Prüfberichte der LED Tafeln. Allerdings weist die Vergabekammer darauf hin, dass die Vergabestelle Prüfzeugnisse auch dann nicht ungeprüft übernehmen darf, wenn diese Zeugnisse von einer zertifizierten Prüfstelle nach der "NANDO Liste" ( N ew A pproach N otified and D esignated O rganisations ) der europäischen Kommission erstellt worden sind. Ist im Prüfverfahren eine Protokollierung des LED Stroms in Ampere erforderlich, und ist die Lichtstärke des Prüfmoduls zwingend reduzierbar auszuführen, muß die Vergabestelle die Einhaltung dieser Qualitätskriterien jedenfalls dann im Rahmen der Wertung überprüfen, wenn sie vor Abschluss der Wertung durch einen Hinweis auf angebliche Unzulänglichkeiten hingewiesen worden ist. Dieser Hinweis kann auch in einer unzulässigen Rüge enthalten sein, wie dem Schreiben der Antragstellerin vom 10.02.2011. Das festgestellte Ergebnis der hinreichend qualifizierten Überprüfung des Gutachtens muss die Vergabestelle gemäß § 20 Abs. 1 VOB/A dokumentieren.

133

Gemäß § 114 Abs. 1 GWB entscheidet die Vergabekammer, ob die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist und trifft die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Wegen der festgestellten Mängel im Angebot der Beigeladenen und im Angebot der Antragstellerin ist es zur Wahrung der Gleichbehandlung gemäß § 97 Abs. 2 GWB erforderlich, beide Angebote auszuschließen. Der erforderliche Ausschluss auch des Angebots der Antragstellerin führt nicht dazu, dass eine Verletzung ihrer Rechte im Sinne des § 114 Abs. 1 GWB ausgeschlossen ist. Die Auftraggeberin wird nun auch die verbleibenden Angebote gemäß § 16 Abs. 1 VOB/A prüfen. Das Ergebnis der Prüfung ist offen. Es ist daher auch möglich, dass die Auftraggeberin nach Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass alle Angebote auszuschließen sind. Zumindest bei einer etwaigen Entscheidung nach§ 3a Abs. 6 Nr. 2 VOB/A wäre es möglich, sowohl die Antragstellerin, als auch die Beigeladene erneut im Verhandlungsverfahren zu beteiligen. Daher erscheint eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin durch ihren Ausschluss nicht ausgeschlossen.

134

Da auch die von der Auftraggeberin durchgeführte Wertung fehlerhaft war, ist die Auftraggeberin zu verpflichten, erneut in die Angebotswertung einzutreten und diese unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen. Ein weiterer Eingriff in das Vergabeverfahren, insbesondere eine Zurückversetzung in den Stand vor Submission ist nicht erforderlich, um die bestehenden Mängel des Vergabeverfahrens aufzuheben.

135

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechtes vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 EUR, die Höchstgebühr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

136

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Angebot der Antragstellerin xxxxxx EUR brutto. Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

137

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

138

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR ergibt sich eine gemäß Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

139

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Für die Ermittlung des anteiligen Unterliegens ist nicht auf den Antrag abzustellen, der sich auf die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens, ein Zuschlagsverbot für die Beigeladene und eine neue Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer beschränkt. Gemäß § 114 GWB ist die Vergabekammer an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Das Oberlandesgericht Celle (Beschluss vom 14.07.2003, Az.: 13 Verg 12/03) hat einem sehr offen formulierten Nachprüfungsantrag die Bedeutung unterlegt, dass sich die Vergabekammer die Auffassung der Antragstellerin zu eigen und zum Maßstab der Wertung machen möge. Wenn die Antragstellerin mit ihren Argumenten nicht vollständig durchdringe, sei eine entsprechende Kostenquotelung angezeigt. Bleibe das Ergebnis einer vorzunehmenden Bewertung offen, so sei nach Auffassung des OLG Celle die Kostenhalbierung angezeigt. Angesichts der Tatsache, dass die Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren zwar mit ihrem Anliegen, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, unterlegen ist, allerdings das Ergebnis der neu vorzunehmenden Bewertung offen bleibt, sind die Kosten zwischen der Auftraggeberin und der Beigeladenen einerseits, sowie der Antragstellerin andererseits zu halbieren. Die anteilige Kostentragungspflicht entspricht dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens im Nachprüfungsverfahren (vgl. Beschluss des OLG Celle vom 06.06.2003, Az.: 13 Verg 5/03).

140

Die Auftraggeberin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).

141

Es entspricht daher der Billigkeit im Sinne des 128 Abs. 3 Satz 5 GWB, abweichend von der sonst üblichen gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Kostenschuldner die Pflicht der Beigeladenen zur Kostentragung auf die Hälfte der anteiligen Gebührenschuld, somit auf 1/4 zu begrenzen.

142

Gemäß Ziffer 4 des Tenors haben die Auftraggeberin und die Beigeladene der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten als Gesamtschuldner gemäß § 13 Abs. 2 BVerwKostG und damit die Anwaltskosten zu 1/2 zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Obwohl das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, ist gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts, des Verfahrensrechts im Nachprüfungsverfahren sowie der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung erforderlich.

143

Da die Auftraggeberin und die Beigeladene im Nachprüfungsverfahren zur Hälfte unterlegen sind, haben sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen erforderlichen Kosten der Antragstellerin zur Hälfte zu tragen.

144

Dagegen sieht die Kammer gemäß § 128 Abs. 4 Satz 2 GWB keine Notwendigkeit, der Auftraggeberin die Kosten der anwaltlichen Vertretung der Beigeladenen aufzuerlegen. Für die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung gilt das zur Antragstellerin ausgeführte.

145

Zwar hat die Beigeladene Anträge gestellt, auch schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung das Verfahren wesentlich gefördert, jedoch auf Seiten der Auftraggeberin.

146

Gemäß Ziffer 5 des Tenors hat die Antragstellerin der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu 1/2 erstatten. Da die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren zur Hälfte unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen erforderlichen Kosten der Beigeladenen zur Hälfte zu tragen. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf den Antrag der Beigeladenen auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war.

147

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxx EUR unter Angabe des Kassenzeichens

148

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

149

xxxxxx.

Die Beigeladene wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxx EUR unter Angabe des Kassenzeichens

150

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

151

xxxxxx.

Gaus
Rohn
Roloff