Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 01.02.2011, Az.: VgK-75/2010

Eine nur nationale Vergabeausschreibung der Entsorgung von schadstoffhaltigen Abfällen und Durchführung einer mobilen Schadstoffsammlung ist unzulässig wegen Überschreitung des Schwellenwerts; Antragsbefugnis als Verfahrensvoraussetzung des Nachprüfungsverfahrens; Unterlassung einer gebotenen europaweiten Ausschreibung; Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
01.02.2011
Aktenzeichen
VgK-75/2010
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 16126
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Vergabe der Entsorgung von schadstoffhaltigen Abfällen und Durchführung einer mobilen Schadstoffsammlung

In dem Nachprüfungsverfahren
...
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden MR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Dipl. VwW Abraham,
im schriftlichen Verfahren
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat dem Auftraggeber die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für den Auftraggeber notwendig.

Begründung

1

I.

Der Auftraggeber hat nach Durchführung eines nur deutschlandweiten - öffentlichen - Vergabeverfahrens einen Auftrag zur Entsorgung von schadstoffhaltigen Abfällen und Durchführung einer mobilen Schadstoffsammlung an die Beigeladene erteilt. Er hatte den Auftragswert für den bereits vergebenen Auftrag lt. Vermerk vom 27.05.2010 bei einer zweijährigen Laufzeit auf xxxxxx EUR (netto) geschätzt. Da er lt. o. g. Vermerk davon ausging, dass aufgrund des Preisdruckes in der Entsorgungswirtschaft und der freien Kapazitäten in den Verbrennungsanlagen sogar die Preises eher fallen, ließ er die zu vergebenden Leistungen national mit Datum vom xxxxxx.2010 im bi-Ausschreibungsblatt, Ausgabe Nord/Ost und am xxxxxx.2010 im subreport, subreport select sowie im Internet unter http://www.subreport.de veröffentlichen. Ferner bat er die örtliche Tageszeitung in ihren drei Regionalausgaben um Bekanntmachung des Veröffentlichungstextes, der auf die Ausschreibung auf die Internetseite des öffentlichen Auftraggebers hinwies.

2

Den Ausschreibungsunterlagen ist u.a. in der Leistungsbeschreibung Teil B, Besondere Vertragsbedingungen, unter Ziffer 3.2 "Vertragslaufzeit" zu entnehmen, dass der Vertrag am 01.01.2011 beginnt und bis zum 31.12.2012 fest abgeschlossen wird. Er soll sich um jeweils zwei weitere Jahre verlängern, wenn er nicht 6 Monate vor Ablauf des Vertrages von einem der Vertragspartner gekündigt wird. In ihrem Angebot hatten die Bieter im Leistungsverzeichnis Teil C die Nettogesamtpreise/Jahr für die einzelnen Titel anzubieten und auf Seite 21 die Addition der Nettosummen zzgl. der Mehrwertsteuer als Bruttoangebotssumme/ Jahr darzustellen.

3

Acht Bieter aus Nord- und Ostdeutschland forderten die Ausschreibungsunterlagen an. Bei der Angebotseröffnung am xxxxxx.2010 ergab sich, dass vier Bieter aus Norddeutschland ein Angebot eingereicht hatten. Der niedrigste Angebotspreis belief sich auf xxxxxx EUR/Jahr und der höchste Angebotspreis auf xxxxxx EUR/Jahr.

4

Mit Sitzungsvorlage für den Betriebsausschuss vom 17.11.2010 wurde vorgeschlagen, die Beigeladene mit der Leistung für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2012 zu beauftragen. Als geprüfte Angebotssumme wurde xxxxxx EUR/Jahr (brutto) festgehalten. Der Betriebsausschuss schloss sich der Vergabeempfehlung an.

5

Mit Datum vom 06.12.2010 beauftragte der Auftraggeber die Beigeladene für den o. g. Zeitraum. Das Auftragsschreiben wurde von der Beigeladenen am 07.12.2010 gegengezeichnet.

6

Mit Telefax vom 20.12.2010 rügte die Antragstellerin gegenüber dem Auftraggeber die fehlende europaweite Ausschreibung und bat darum, ihr bis zum 22.12.2010 um 16.00 Uhr Gelegenheit zu geben, ein Angebot zur Erbringung der Leistung abzugeben und bat um Zusendung der Vergabeunterlagen. Sie wies darauf hin, dass sie sich für den Fall, dass sie keine Gelegenheit erhält, sich noch an dem Vergabeverfahren zu beteiligen, die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens vorbehält. Gleiches solle auch für den Fall gelten, dass der Auftrag bereits erteilt sei.

7

Einem 25-seitigen Vergabevermerk der Auftraggeberin vom 22.12.2010 ist u.a. zu entnehmen, dass die mindestfordernde Bieterin auf der dritten Wertungsstufe ausgeschlossen worden ist. Bei der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebotes ermittelte die Auftraggeberin das Angebot der Beigeladenen mit einer Angebotssumme in Höhe von xxxxxx EUR/Jahr (brutto) als das wirtschaftlichste. Im Vergabevermerk ist ferner dokumentiert, dass die Antragstellerin mit Schreiben vom 20.12.2010 die fehlende EU-weite Bekanntmachung gerügt und die Beteiligung am Wettbewerb gefordert hat.

8

Ebenfalls mit Datum vom 22.12.2010 übersandte der Bevollmächtigte des Auftraggebers der erkennenden Vergabekammer eine Schutzschrift mit dem Antrag, einen mutmaßlichen Nachprüfungsantrag nicht zuzustellen.

9

Mit Schreiben vom 29.12.2010, eingegangen bei der Vergabekammer per Telefax am gleichen Tage, beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie begründet ihren Antrag unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführungen in ihrem o. g. Rügeschreiben.

10

Sie trägt vor, dass der Schwellenwert überschritten sei, da nach ihrer Kenntnis in einem Flächenkreis wie der des Auftraggebers, der bereits vergebene Auftrag einen Wert von xxxxxx bis xxxxxx EUR pro Jahr haben dürfte. Da die Vertragslaufzeit mindestens zwei Jahre betragen soll und eine Verlängerungsoption um mindestens zwei weitere Jahre enthalte, sei der maßgebliche Schwellenwert deutlich überschritten. Sie weist darauf hin, dass sie durch ihre Forderung, nachträglich die Ausschreibungsunterlagen zu erhalten, auch ihr Interesse an dem Auftrag bekundet habe.

11

Sie weist darauf hin, dass sich ihre regelmäßige Durchsicht der Veröffentlichungen der entsprechenden Ausschreibungen nicht nur auf das Amtsblatt der EU beschränkt. Für die Darlegung ihrer Antragsbefugnis macht sie geltend, dass durch die unterbliebene EU-weite Bekanntmachung der Auftraggeber gegen die bieterschützenden Vergabevorschriften des § 15 EG Abs. 1 und 2 VOL/A verstoßen habe.

12

Die Tatsache, dass der Auftraggeber bereits am 20.12.2010 den Zuschlag erteilt habe, stände ihrer Antragsbefugnis nicht entgegen, da der Vertrag gemäß § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam sei. Ihrer Auffassung nach liegt eine "de-facto-Vergabe" auch dann vor, wenn der Auftraggeber zwar einige Interessenten an einem (nationalen) Vergabeverfahren beteiligt hat, aber den Kreis der Interessenten in vergaberechtswidriger Weise beschränkt hat.

13

Nach Durchführung der eingeschränkten Akteneinsicht und aufgrund eines verfahrensbegleitenden Schreibens der Vergabekammer führt die Antragstellerin aus, dass sie zu keiner Zeit Gespräche mit der besagten, auf der dritten Wertungsstufe ausgeschlossenen Firma wegen Subunternehmertätigkeiten für einen Auftrag im Bereich des Auftraggebers geführt habe. Gleiches gelte auch für andere Wettbewerber, die sich an dem Ausschreibungsverfahren beteiligt haben.

14

Soweit eine Antragsbefugnis unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Karlsruhe in Frage gestellt werde, erklärt die Antragstellerin, dass die Anforderungen an die Rügeobliegenheit in der Neufassung des § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB weggefallen seien. Eine Rügeobliegenheit gebe es bei Feststellungsanträgen nach§ 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht. Insoweit habe sich durch die Einführung des § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB n.F. die Rechtslage geändert.

15

Der Wortlaut des § 101 b Abs. 1 Nr. 2, 2. Halbsatz GWB sei im Lichte der EU-Richtlinien so auszulegen, dass die Vergabekammer die Unwirksamkeit eines Auftrages festzustellen hat, der ohne Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergeben wird, obwohl dies nach den Vorgaben der EU vorgeschrieben ist.

16

Die Antragstellerin beantragt:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass ein vom Antragsgegner am 20.12.2010 abgeschlossener Vertrag über die Entsorgung von schadstoffhaltigen Abfällen und Durchführung einer mobilen Schadstoffsammlung unwirksam ist.

  2. 2.

    Dem Antragsgegner wird untersagt, bei fortbestehendem Beschaffungsbedarf die Entsorgung von schadstoffhaltigen Abfällen und die Durchführung einer mobilen Schadstoffsammlung ohne Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens zu vergeben.

  3. 3.

    Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakte des Antragsgegners gewährt.

  4. 4.

    Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten der Antragstellerin.

  5. 5.

    Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.

17

Der Auftraggeber beantragt:

  1. 1.

    Der Vergabenachprüfungsantrag der Antragstellerin wird abgelehnt.

  2. 2.

    Der Antragstellerin wird keine Einsicht in die Vergabeakte gewährt.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Antragsgegners werden der Antragstellerin auferlegt.

  4. 4.

    Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner wird für notwendig erklärt.

18

Der Auftraggeber tritt den Behauptungen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen.

19

Er hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig und überdies für unbegründet, da sämtliche vorliegende Angebotspreise unterhalb des Schwellenwertes liegen würden. Er habe außerdem ein Vergabeverfahren durchgeführt, an dem sich eine Firma beteiligt habe, die zwingend aus der Wertung ausgeschlossen werden musste. Gerade für diese Firma arbeite die Antragstellerin als Subunternehmerin. Aus diesem Grund bezweifelt er, dass die Antragstellerin erst am 17.12.2010 von der Ausschreibung Kenntnis erhalten habe.

20

Ferner vertritt er die Auffassung, dass der Regelungsgehalt des § 101 b GWB nicht analog auf den vorliegenden Fall angewendet werden kann, da er den vergebenen Auftrag national ausgeschrieben habe. Für eine analoge Anwendung bedürfe es einer Regelungslücke im Gesetz, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sei. Da eine solche Regelungslücke aber nicht vorläge, sei eine analoge Anwendung des § 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht zulässig.

21

Er vertritt außerdem die Auffassung, dass die Rüge der Antragstellerin vom 20.12.2010 verspätet erfolgt sei, da ihr als regelmäßige Subunternehmerin der Firma, die sich am Vergabeverfahren beteiligt hatte, die Ausschreibung bekannt gewesen sei. Er geht davon aus, dass die Antragstellerin bereits während des Vergabeverfahrens Kenntnis von der Berechnung des Auftragswertes aus der Bekanntmachung und/oder den Vergabeunterlagen hatte. Eine angeblich fehlerhaft unterlassene EU-weite Bekanntmachung hätte sie deshalb bis zum Ende der Angebotsfrist am 27.10.2010 rügen müssen und nicht erst fast 2 Monate später.

22

Der Auftraggeber führt aus, dass die Antragstellerin nicht dargelegt habe, dass ihr durch die fehlende EU-weite Ausschreibung ein Schaden entstanden ist. Sie habe nicht schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass sie durch die fehlende Chance auf Erhalt des Zuschlages in ihren Rechten beeinträchtigt ist. Sie habe auch nicht dargelegt, welche zusätzlichen Informationen aus einer EU-weiten Ausschreibung für die Abgabe eines wertungsfähigen Angebotes erforderlich sind. Insoweit könne offen bleiben, ob die Antragstellerin bei einer EU-weiten Ausschreibung tatsächlich ein Angebot eingereicht hätte. Entscheidend für den fehlenden Schaden sei, dass die Antragstellerin die fehlende EU-weite Ausschreibung nicht rechtzeitig i.S.d. § 107 Abs. 3 Nr. 2, 3 GWB (n.F.) gerügt habe. Hätte die Antragstellerin die nationale Bekanntmachung gelesen, wäre ihr nach Auffassung des Auftraggebers anhand der dortigen Angaben auch aufgefallen, dass das aus ihrer Sicht falsche Verfahren gewählt wurde. Sie hätte bis zur Abgabe der in der Bekanntmachung genannten Frist Zeit gehabt, das Verfahren zu rügen.

23

Die Beigeladene hat sich nicht zum Verfahren geäußert und auch keine Anträge gestellt.

24

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 24.01.2011 gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 07.02.2011 verlängert.

25

Die Beteiligten haben gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 GWB einer Entscheidung über den Nachprüfungsantrag nach Lage der Akten im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

26

Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.

27

II.

Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Der Auftraggeber hat vorliegend zwar gegen die Pflicht zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens gemäß § 100 Abs. 1 GWB i.V.m. §§ 1 ff. VOL/A-EG verstoßen. Denn der Gesamtwert des Auftrags überschreitet unter Zugrundelegung der Vertragslaufzeit von zwei Jahren zuzüglich der gemäß § 3 Abs. 6 VgV ebenfalls zu berücksichtigenden Verlängerungsoption für zwei weitere Jahre den maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 2 Nr. 2 VgV. Die Antragstellerin ist jedoch nicht antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB. Die Antragstellerin wurde durch die fehlerhafte nationale Ausschreibung auf der Grundlage des Abschnitts 1 der VOL/A nicht daran gehindert, sich mit einem Angebot zu beteiligen. Die Antragstellerin, die ihren Firmensitz im Nachbarkreis des Auftraggebers hat, hat nicht dargelegt, dass ihr ein Schaden gerade dadurch entstanden ist oder zu entstehen droht und ihre Chancen auf Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt worden sind, dass die Ausschreibung nur deutschlandweit statt europaweit erfolgte.

28

Der Auftraggeber ist als Gebietskörperschaft öffentlicher Auftrageber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um Leistungen zur Entsorgung von schadstoffhaltigen Abfällen und die Durchführung einer mobilen Schadstoffsammlung und damit um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1, Abs. 4 GWB, für die gemäß § 2 Nr. 2 VgV ein Schwellenwert von 193.000 EUR gilt. Der Gesamtwert des verfahrensgegenständlichen Auftrags überschreitet entgegen der im vorliegenden Vergabevermerk dokumentierten Schätzung des Auftraggebers diesen Schwellenwert. Denn der Auftraggeber hat bei seiner gemäß § 1 Abs. 1 VgV durchzuführenden Schätzung des Auftragswertes ausweislich des vorliegenden Vergabevermerks vom 22.12.2010 (V, S. 8, 9) lediglich die vertragliche Mindestlaufzeit für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2012 berücksichtigt und sich in der Folge deshalb für ein nur deutschlandweites Vergabeverfahren entschieden. Ausweislich der vorliegenden Leistungsbeschreibung, Teil B, Besondere Vertragsbedingungen, wurde der Auftrag jedoch für den Vertragszeitraum von zwei Jahren mit einer Verlängerungsoption um jeweils zwei weitere Jahre ausgeschrieben. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 VgV sind bei der Schätzung des Auftragswertes ausdrücklich alle Optionen oder etwaige Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen. Ausgehend von der Schätzung des Auftraggebers, dass unter Berücksichtigung der prognostizierten Mengen sowie den entstandenen Kosten aus den vergangenen Jahren ein Auftragswert von jährlich xxxxxx EUR/netto erwartet wurde, ist vorliegend von einem Gesamtauftragswert von mindestens xxxxxx EUR auszugehen.

29

Der Auftraggeber war somit verpflichtet, den verfahrensgegenständlichen Auftrag europaweit auf der Grundlage der§§ 97 ff. GWB des Abschnitts 2 der VOL/A (in der Fassung vom 20. November 2009, in Kraft getreten mit der novelliertenVergabeverordnung (VgV) am 11.06.2010 (BGBl. I. Nr. 30 S. 724)) in einem europaweiten - offenen - Vergabeverfahren auszuschreiben.

30

Der Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags steht vorliegend auch nicht per se entgegen, dass der Auftraggeber den Auftrag nicht freihändig, sondern auf der Grundlage eines deutschlandweiten öffentlichen Vergabeverfahrens nach dem 1. Abschnitt der VOL/A und damit in einem förmlichen Vergabeverfahren ausgeschrieben und den Zuschlag vor Stellung des Nachprüfungsantrags bereits am 06.12.2010 auf das Angebot der Beigeladenen erteilt hat. Denn gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB kann nur ein wirksam erteilter Zuschlag nicht aufgehoben werden. Die Antragstellerin begehrt aber mit dem vorliegenden Nachprüfungsantrag gerade die Feststellung, dass der so geschlossene Vertrag wegen Verstoßes gegen § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB nichtig ist. Danach ist ein Vertrag von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren nach § 101b Abs. 2 GWB festgestellt worden ist.

31

Entgegen der Auffassung des Auftraggebers ist diese Vorschrift trotz des Wortlauts von § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht nur auf Fälle beschränkt, in denen überhaupt kein Vergabeverfahren stattgefunden hat, sondern auch bei Unterlassung einer gebotenen europaweiten Ausschreibung anwendbar (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.10.2009, 1 VK 51/09, m.w.N., a. A., unter Betonung des Wortlauts: 3. VK Bund, Beschluss vom 01.12.2009, VK 3-205/09, jeweils zitiert nach VERIS). Diese Auffassung hat sich auch in den Kommentierungen durchgesetzt (vgl. Fett in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 2. Auflage, 8. Los,§ 101b GWB, S. 842, Rdnr. 8; König in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage, § 101b, Rdnr. 3; Hattig, Praxiskommentar Kartellvergaberecht, § 101b GWB, Rdnr. 3). Ausgehend vom Wortlaut der Vorschrift könnte man zwar annehmen, dass eine unzulässige Direktvergabe nur dann vorliegt, wenn überhaupt keine anderen Unternehmen als das des Auftragnehmers am Vergabeverfahren beteiligt wurden. Eine europarechtskonforme Auslegung der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG spricht jedoch dafür, von einer vergaberechtswidrigen de-facto-Vergabe auch dann auszugehen, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag zwar national, trotz Vorliegen der Voraussetzungen aber nicht europaweit ausgeschrieben und damit den Kreis der in Kenntnis gesetzten möglichen Bewerber begrenzt hat. Nach dem 13. und 14. Erwägungsgrund der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG sollen verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorgesehen werden, um gegen die rechtswidrige freihändige Vergabe von Aufträgen vorzugehen, die der Europäische Gerichtshof als schwerwiegendste Verletzung des Gemeinschaftsrechts im Bereich des öffentlichen Auftragswesens durch öffentliche Auftraggeber bezeichnet hat. Von einer "freihändigen Vergabe" im Sinne der Richtlinie 2007/66/EG ist der Richtliniengeber dabei offensichtlich bei allen Auftragsvergaben ausgegangen, die ohne vorherige Veröffentlichung in einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union durchgeführt wurden. Nach Art. 2d Abs. 1 lit. a der geänderten Rechtsmittelrichtlinie haben die Mitgliedstaaten demnach Sorge dafür zu tragen, dass ein Vertrag unwirksam ist, falls der öffentlichen Auftraggeber einen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung der Bekanntmachung im Amtsblatt der europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies nach der Richtlinie 2004/18/EG zulässig ist. Eine rechtswidrige freihändige Vergabe im Sinne der novellierten Rechtsmittelrichtlinie liegt demnach auch dann vor, wenn Wirtschaftsteilnehmern dadurch rechtswidrig Wettbewerbsmöglichkeiten vorenthalten werden, dass der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag lediglich national, trotz vorliegender Voraussetzungen aber nicht EU-weit ausgeschrieben hat (vgl. Hattig, a.a.O, Rdnr. 18; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.10.2009, 1 VK 51/09, zitiert nach VERIS).

32

Auch für einen Feststellungsantrag nach § 101b Abs. 1 Satz 2 GWB ist jedoch das Vorliegen der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Vierten Abschnitts des GWB und damit insbesondere auch das Vorliegen einer Antragsbefugnis erforderlich (vgl. Hattig, a.a.O., § 101b GWB, Rdnr. 25 ff.; Fett, a.a.O., § 101b GWB, Rdnr. 8). § 101b GWB räumt nur das ansonsten durch den Zuschlag herbeigeführte Verfahrenshindernis aus dem Weg. Alle übrigen Verfahrensvoraussetzungen des Nachprüfungsverfahrens, dessen Ziel die Feststellung des Verstoßes und der Rechtsverletzung des Antragstellers und damit die Bewirkung der Unwirksamkeit des Vertrages von Anfang an ist, müssen grundsätzlich vorliegen (vgl. König in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage, § 101b, Rdnr. 8, S. 537). Diese Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers: In der Begründung zum Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Bundesratsdrucksache 349/08) heißt es:

"Die Geltendmachung kann nur durch Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens durch einen Antragsbefugten vor der Vergabekammer erfolgen."

33

Die Antragstellerin hat vorliegend ihre Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB nicht hinreichend dargelegt. Antragsbefugt ist jedes Unternehmen, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Das Interesse am Auftrag ist dabei weit auszulegen und ist nicht nur bei Unternehmen gegeben, die sich mit einem Angebot am Vergabeverfahren beteiligt haben, sondern umfasst auch die Fälle, in denen der Antragsteller kein Angebot abgegeben hat, weil von der Durchführung eines Vergabeverfahrens in rechtswidriger Weise abgesehen worden ist (vgl. VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 02.12.2009, VKSH21/09). In diesen Fällen muss der Antragsteller mindestens deutlich vortragen, den Vertrag auch abschließen und durchführen zu wollen. Dagegen fehlt es an einer Antragsbefugnis, wenn eine begehrte Feststellung nur der Klärung abstrakter Rechtsfragen dienen soll und mit ihr die Position desjenigen, der die Feststellung begehrt, nicht verbessert werden kann (vgl. 2. VK Bund, Beschluss vom 29.12.2004 - VK2-136/03; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.03.2005 - VII-Verg 77/04, Beschluss vom 02.03.2005 - VII-Verg 70/04). Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 954). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat die Antragstellerin vorliegend in ihrem Nachprüfungsantrag hinreichend dargelegt, dass sie den ausgeschriebenen Vertrag abschließen und durchführen will und damit ein Interesse am Auftrag dargelegt. Dieses Interesse kann der Antragstellerin entgegen der Auffassung des Auftraggebers als auf dem Gebiet der Abfallentsorgung tätiges Fachunternehmen und damit potentielle Vertragspartnerin des Auftraggebers nicht abgesprochen werden.

34

Zweite Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist jedoch außerdem, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Vorliegend hat die Antragstellerin keine hinreichenden Tatsachen für einen entstandenen oder drohenden Schaden dargelegt. Das Vorliegen einer Antragsbefugnis bei fehlender Beteiligung an einer tatsächlich durchgeführten Ausschreibung ist problematisch (vgl. BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/03, Rz. 26). Der Antragstellerin müsste ein Schaden gerade dadurch entstanden und ihre Chancen auf Erteilung des Zuschlags müssten dadurch beeinträchtigt worden sein, dass die Ausschreibung nur deutschlandweit statt europaweit erfolgte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.12.2009 - 15 Verg 5/09; OLG Koblenz, Beschluss vom 08.12.2008 - 1 Verg 4/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2006 - Verg 6/06; zitiert nach VERIS). Die Antragstellerin hat vorliegend geltend gemacht, dass sie erst verspätet, nämlich am 17.12.2010 vom verfahrensgegenständlichen Beschaffungsvorhaben erfahren hat. Sie hat vorgetragen, dass sie rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist ein Angebot erstellt und eingereicht hätte, wenn der Auftraggeber pflichtgemäß den Beschaffungsbedarf im Amtsblatt der EU veröffentlicht hätte und vorgetragen, dass sie regelmäßig das Amtsblatt der EU auf entsprechende Ausschreibungen durchsieht. Mit Schriftsatz vom 17.01.2011 hat sie dann erläuternd ausgeführt, dass sie die verspätete Kenntnis vom Vergabeverfahren durch ein am 17.12.2010 geführtes Gespräch ihres Geschäftsführers mit dem Geschäftsführer eines Unternehmens der xxxxxx erhalten hat, das sich an der nationalen Ausschreibung beteiligt habe, aber ausgeschlossen worden sei. Ferner hat die Antragstellerin bekräftigt, dass sie regelmäßig auch nach nationalen Ausschreibungen gerade auch in ihrer räumlichen Nähe sucht. Die im Amtsblatt der EU veröffentlichen Bekanntmachungen seien für sie allein aber schon wegen der hohen Auftragswerte von besonderem Interesse. Leider habe sie aber vorliegend die Veröffentlichung der nationalen Ausschreibung in drei xxxxxx Tagesblättern vom xxxxxx.2010, der Homepage des Abfallwirtschaftsbetriebs des Auftraggebers und im bi-Ausschreibungsblatt und Subreport nicht gelesen.

35

Da der Auftraggeber vorliegend die öffentliche Ausschreibung breit gestreut und auf vielfältigem Wege bekannt gemacht hat, ist aber auch unter Berücksichtigung des ergänzten Vortrages der Antragstellerin nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin in ihren Möglichkeiten, sich am Vergabeverfahren mit einem eigenen Angebot zu beteiligen, beeinträchtigt wurde. Der Auftraggeber hat ausweislich der Vergabeakte die vergebene Leistung in der örtlichen Tagespresse unter "Amtliche Bekanntmachung" veröffentlicht und auf die Ausschreibung im Internet unter www.xxxxxx.de/Ausschreibungen.html hingewiesen hat. Ferner hat sie die Ausgabe Nord/Ost des bi-Ausschreibungsblattes (veröffentlicht am xxxxxx.2010) und die Ausschreibungsplattform www.subreport.de (ins Internet gestellt am xxxxxx.2010) jeweils um Veröffentlichung der Ausschreibung gebeten. Es liegt im eigenen Verantwortungsbereich und im Risikobereich der Antragstellerin, wenn sie nur nach bestimmten Ausschreibungen recherchiert oder nur bestimmte Ausschreibungsorgane überhaupt oder jedenfalls verstärkt berücksichtigt. Anders als bei einem außerhalb der Bundesrepublik Deutschland beheimateten Unternehmen, dass durch eine unterlassene europaweite Ausschreibung ohne weiteres und nachvollziehbar daran gehindert wird, sich mit einem Angebot an der Ausschreibung zu beteiligen, war für die Antragstellerin die Recherche in den vom Auftraggeber verwendeten Ausschreibungsplattformen und Tageszeitungen ohne weiteres naheliegend, möglich und zumutbar (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.12.2009 - 15 Verg 5/09, zitiert nach VERIS). Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin ihren Firmensitz nicht nur in Niedersachsen, sondern sogar im unmittelbaren Nachbarkreis des Auftraggebers hat.

36

Das Unterlassen der gebotenen europaweiten Ausschreibung ist daher vorliegend ein Vergaberechtsverstoß. Es stellt aber keinen auch nur potentiell schadensträchtigen Vergabeverstoß zum Nachteil der Antragstellerin dar. Die Bekanntmachung der Vergabeabsicht ist nämlich kein Selbstzweck. Sie stellt vielmehr die Publizität sicher und gewährleistet, dass potentielle Auftragnehmer von der bevorstehenden Vertragsvergabe erfahren und ihr Interesse bekunden können. Außerdem soll sichergestellt werden, dass alle Interessenten die gleichen Informationen erhalten (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.02.2009 - 1 Verg 4/08, zitiert nach VERIS). Ab einer durch die Schwellenwerte definierten Größenordnung werden die Binnenmarktrelevanz eines Auftrages und damit ein grenzüberschreitendes Interesse an der Auftragsvergabe unwiderlegbar vermutet. Deshalb ist die Bekanntmachung der Vergabeabsicht grenzüberschreitend so zu gestalten, dass jedes in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässige Unternehmen davon Kenntnis erlangen kann. Dies ist bei einer europaweiten Ausschreibung durch die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften gewährleistet. Ein Verstoß gegen diese Pflicht zur europaweiten Ausschreibung verletzt aber nicht ohne weiteres die Rechte eines Bieters, der durch eine andere Form der Veröffentlichung über die Vergabeabsicht informiert und deshalb in die Lage versetzt wird, durch Anforderung der Verdingungsunterlagen sein Interesse an der Aufgabe zu bekunden (vgl.Thüringer OLG, Beschluss vom 09.09.2010 - 9 Verg 4/10 = VergabeR 1/2011, S. 96 ff., 99 - Im dort zugrunde liegenden Fall hatte die Auftraggeberin die gebotene europaweite Ausschreibung ebenfalls unterlassen, der dortige Antragsteller hatte sich allerdings an der nur deutschlandweiten Ausschreibung mit einem eigenen Angebot beteiligt).

37

Vorliegend war es der Antragstellerin angesichts der breiten Publizität der Ausschreibung ohne weiteres möglich, sich mit einem eigenen Angebot an der Ausschreibung zu beteiligen. Dies wird auch dadurch deutlich, dass ausweislich der Vergabeakte 8 Bieterunternehmen aus Nord- und Ostdeutschland die Ausschreibungsunterlagen angefordert haben. Die Antragstellerin wurde daher durch die vom Auftraggeber gewählten Informationsplattformen nicht in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, von der Ausschreibung Kenntnis zu erlangen und sich mit einem eigenen Angebot am Vergabeverfahren zu beteiligen.

38

Da die Antragstellerin vorliegend mangels Darlegung eines drohenden oder entstandenen Schadens durch die nur bundesweit statt europaweit durchgeführte Ausschreibung nicht antragsbefugt ist, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, ob der Nachprüfungsantrag auch deshalb unzulässig ist, weil sie den für ein fachkundiges Unternehmen aus der deutschlandweit erfolgten Bekanntmachung ohne weiteres erkennbaren Vergaberechtsverstoß nicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB spätestens bis Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt hat. Die Vergabekammer vertritt dazu allerdings die Auffassung, dass die Rüge für einen Nachprüfungsantrag, der auf die Feststellung der Nichtigkeit einer de-facto-Vergabe abzielt, angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB entbehrlich ist. Denn gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I, S. 790) gelten die Präklusionsregeln des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ausdrücklich nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB.

39

Die Kommentierungen und zum Teil auch die Rechtsprechungen gehen allerdings nach wie vor davon aus, dass die Rüge der de-facto-Vergabe nur entbehrlich ist, wenn der Auftraggeber einen Wettbewerb gänzlich unterlassen und nur ein Unternehmen überhaupt zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert hat. Die Konkurrenten dieses Unternehmens müssten nach dieser Auffassung hinsichtlich der Vergabeentscheidung vor vollendete Tatsachen gestellt werden, ohne dass sie am Vergabeverfahren beteiligt wurden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.10.2008, Verg 25/08). Werden dagegen - auf welche Weise auch immer - mehrere Unternehmen an der Auftragsvergabe beteiligt, beispielsweise wenn der Auftraggeber zwar kein europaweites, aber immerhin ein öffentliches und damit förmliches Verfahren durchführt, ist die Rüge nach dieser Auffassung aber nicht entbehrlich, obwohl an sich auch ein derartiges Vorgehen des Auftraggebers als de-facto-Vergabe im Sinne des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB anzusehen sei (vgl. Hattig, Praxis-Kommentar Kartellvergaberecht, § 107 GWB, Rdnr. 119; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.12.2009 - 15 Verg 5/09, zitiert nach VERIS; offengelassen Thüringer OLG, Beschluss vom 09.11.2010 - 9 Verg 4/10, VergabeR 1/2011, S. 96 ff.). Nach anderer Auffassung kann in den Fällen, in denen der Auftraggeber zwar eine Ausschreibung, aber nicht das vorgeschriebene Verfahren durchgeführt hat, nicht nur allen Unternehmen, die sich am Wettbewerb beteiligt haben, sondern auch denjenigen, die durch die Vergabebekanntmachung erreicht worden sind und die sich deshalb hätten beteiligen können, zugemutet werden, das auf eine de-facto-Vergabe zielende Verfahren zu rügen. Dies gelte insbesondere, wenn der Auftraggeber fehlerhaft nur national ausgeschrieben habe. Denn von Unternehmen, die im Bereich oberhalb der jeweiligen - hoch angesetzten - Schwellenwerte agieren, könne erwartet werden, dass sie die Notwendigkeit einer europaweiten Ausschreibung und damit den Ausschreibungsmangel erkennen (vgl. König in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage, § 101b, Rdnr. 3, S. 539).

40

Nach diesen in Kommentierungen und in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassungen wäre der vorliegende Nachprüfungsantrag auch mangels rechtzeitiger Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 2 GWB unzulässig. Da die Präklusionsvorschriften jedoch gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit einer de-facto-Vergabe nach§ 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB ausdrücklich nicht gelten, teilt die Vergabekammer diese Auffassung nicht. Denn diese Ausnahmevorschrift unterscheidet gerade nicht zwischen unterschiedlichen Erscheinungsformen der de-facto-Vergabe.

41

Der Nachprüfungsantrag war vorliegend allein wegen der fehlenden Darlegung eines durch die unterlassene europaweite Bekanntmachung entstandenen oder drohenden Schadens der Antragstellerin und daher mangels Antragsbefugnis als unzulässig zurückzuweisen.

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III. Kosten

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 EUR, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

44

Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR (brutto) gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

45

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR. Dieser Wert entspricht dem in der Vergabeakte dokumentierten, geschätzten Auftragswert für den zweijährigen Mindestvertragszeitraum zuzüglich der ausgeschriebenen Verlängerungsoption für zwei weitere Jahre (xxxxxx EUR netto X 4 Jahre zzgl. 19% MwSt.).

46

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.

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Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten für Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

48

Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin keinen Erfolg hatte.

49

Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten des Auftraggebers, die diesem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch den Auftraggeber im konkreten Verfahren erforderlich war.

50

Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A und der VOB/A verfügen, bedurfte der Auftraggeber für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen öffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.

51

Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306). Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zugunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren übertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach derVwGO.

52

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxxEUR unter Angabe des Kassenzeichens

53

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

54

xxxxxx.

IV. Rechtsbehelf

55

Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden.

56

...

Gause
Schulte
Abraham