Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 12.07.2011, Az.: VgK-19/2011

Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot und Gebot der Unvoreingenommenheit bei Vergabe eines Auftrages als treuhänderischer Sanierungsträger gem. §§ 157 ff. BauGB; Verletzung des Neutralitätsgebots im Vergabeverfahren; Einschaltung eines fachkundigen Dritten durch einen Auftraggeber

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
12.07.2011
Aktenzeichen
VgK-19/2011
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 24093
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOF-Vergabeverfahren über die Beauftragung eines/einer Sanierungsbeauftragten für das Sanierungsgebiet xxxxxx - Städtebaulicher Denkmalschutz

In dem Nachprüfungsverfahren
...
hat die Vergabekammer
durch
die Vorsitzende RD' in Dr. Raab,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn BOR Schulz,
ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Das Nachprüfungsverfahren hat sich in der Hauptsache erledigt. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin im Zeitpunkt der Einlegung des Nachprüfungsantrags in ihren Rechten verletzt war.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zur Hälfte zu tragen. Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Entrichtung ihres Kostenanteils befreit.

  4. 4.

    Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen je zur Hälfte zu erstatten.

  5. 5.

    Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.

Begründung

1

I.

Im Sanierungsgebiet der Antragsgegnerin sollen städtebauliche und denkmalpflegerische Missstände behoben werden. Ziel der Sanierungsmaßnahme ist die Sicherung und behutsame Ergänzung der bedeutenden historischen Ensembles und Einzelgebäude der xxxxxx. Grundlagen der durchzuführenden Städtebauförderung sind der Beschluss über die Sanierungsmaßnahme, die Vorbereitenden Untersuchungen "xxxxxxt" sowie der Nachtrag zur Programmanmeldung xxxxxx, Untersuchungsgebiet "xxxxxx".

2

Die Antragsgegnerin hat die Absicht, hierzu für den Zeitraum vom 14.04.2011 bis voraussichtlich zum 14.04.2020 einen treuhänderischen Sanierungsträger gem. § 157 ff Baugesetzbuch einzusetzen.

3

Mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2010 hat sie den Dienstleistungsauftrag

"Beauftragung eines/einer Sanierungsbeauftragten für das Sanierungsgebiet..." als Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben. Zum Angebot aufgefordert werden sollten drei nach objektiven Kriterien ausgewählte Wirtschaftsteilnehmer. Gemäß III.3.1 der Bekanntmachung ist die Erbringung der Dienstleistung keinem besonderen Berufsstand vorbehalten. Bei der Auswahl sollten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit 7% und die fachlich technische Kompetenz mit 93% berücksichtigt werden. In den Teilnahmebedingungen wurden die zum Teilnahmewettbewerb vorzulegenden Unterlagen benannt und die Kriterien zur Wertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der fachlich technischen Kompetenz und deren Gewichtung in der Wertung bekannt gegeben. Als Kontakt für Anforderung der Teilnahmeunterlagen und für Nachfragen wurden drei Mitarbeiter der Antragsgegnerin benannt.

Die Teilnahmeunterlagen bestehen aus einem Bewerbungsbogen, in welchem die Bewerber Eigenerklärungen zu ihrer Eignung abgeben mussten. Unter Ziffer 05 hatten die Bewerber ihre fachlichen Kompetenz in Bezug auf den Denkmalschutz durch Eigenerklärungen und geeignete Darstellungen der von ihnen in den letzten 3 Jahren betreuten vergleichbaren Sanierungsmaßnahmen im Städtebauförderungsprogramm "Städtebaulicher Denkmalschutz" nachzuweisen. Unter 05.08 waren die Namen und die Qualifikationen der für die Leistungserbringung vorgesehenen Projektleiter und Mitarbeiter anzugeben. Hierbei wurde darauf hingewiesen, dass für die Wertung deren Erfahrungen im städtebaulichen Denkmalschutz und der Sanierung und sonstige denkmalpflegerische Leistungen maßgeblich sein werden.

Mit den Teilnahmeunterlagen wurden den Bewerbern die Bewertungsmatrizes "Bewerbungsverfahren" und "Angebotsverfahren" bekannt gegeben. Nach Maßgabe der Vorgaben unter Ziffer 05.08 und 05.09 der Bewertungsmatrix "Bewerbungsverfahren" sollten die für Projektleitung und Mitarbeiter dargestellten Qualifikationen zum Kriterium "Städtebaulichen Sanierung, Denkmalschutz" mit jeweils 7% in die Wertung eingehen.

In der Bewertungsmatrix "Angebotsverfahren" waren - unterteilt in vier Gruppen - die Kriterien für die Angebotswertung, Maßstäbe für die Punktevergabe und deren Gewichtung in der Wertung aufgeführt. Die Kriteriengruppen sollen in der Wertung wie folgt berücksichtigt werden:

- Kriteriengruppe 01 - Kosten/Abrechnung mit 25%,

- Kriteriengruppe 02 - Antworten im Angebot auf die Fragen des AG mit 39%,

- Kriteriengruppe 03 - Präsentation des Bieters mit 28% und

- Kriteriengruppe 04 - in der 1. Wertungsstufe bewertete fachliche Kompetenz mit 8%.

Nach Maßgabe der Vergabeakte wurden die Teilnahmeunterlagen in der Zeit vom 22.12.2010 bis zum 18.01.2011 von insgesamt sechs Bewerbern angefordert.

Mit Schreiben vom 17.01.2011 stellte die Antragstellerin neben Fragen zum Bewerbungsbogen auch Fragen zur Bewertungsmatrix für das Angebotsverfahren. Bezüglich des Kriteriums 01.02 "Abrechnungsunterlagen AN" fragte sie, was der AG unter standardmäßiger Nachweisführung verstehe. Im Hinblick auf das hohe Gewicht des Kriteriums Bieterpräsentation mit insgesamt 28% stellte sie die zu den Kriterien 03 die Frage, welches Gremium mit welcher fachlichen Zusammensetzung für die Bewertung des Vortrages vorgesehen ist. Zu Ziffer 04.01 der Bewertungsmatrix des Angebotsverfahrens wies sie darauf hin, dass Ergebnisse der Eignungsprüfung im Bewerbungsverfahren keine nochmalige Berücksichtigung als Zuschlagskriterien im Angebotsverfahren finden dürfen.

Unter Bezugnahme auf eine telefonische Nachfrage beim Antragsgegner am 20.01.2011, bei der sie erfahren hatte, dass mit der Vorbereitung und Durchführung des Ausschreibungsverfahrens das Architekturbüro xxxxxx beauftragt ist, erinnerte die Antragstellerin mit Schreiben vom 21.01.2011 an die Beantwortung der von ihr gestellten Fragen und ergänzte diese durch folgende neue Frage:

"Ist aus wettbewerbsrechtlichen Gründen sichergestellt, dass Beauftragte der Vergabestelle den Bestimmungen des Verpflichtungsgesetzes unterliegen und i.S. des § 4 Abs. 2 VOF dass keine Unternehmen beauftragt sind, die mit zu erwartenden Bewerbern wirtschaftlich eng verflochten sind?"

4

Die Vergabeakte enthält eine Email des Architekten xxxxxx vom 21.01.2011, welcher eine pdf-Datei mit Antworten auf die am 17.01.2011 von der Antragstellerin gestellten Bieterfragen angefügt ist. Die Email wurde am Nachmittag des 21.01.2011 an die Antragstellerin und an zwei der in der Bekanntmachung genannten Mitarbeiter der Antragsgegnerin versandt.

5

Bezüglich des Hinweises der Antragstellerin zur Bewertungsmatrix des Angebotsverfahrens Ziffer 04.01 wurde hierin mitgeteilt, dass die Wertungsmatrix für das Angebotsverfahren dahingehend geändert wird, dass die Ergebnisse des Bewerbungsverfahrens kein Zuschlagskriterium mehr darstellen. Die mit Schreiben vom 21.01.2011 zusätzlich von der Antragstellerin gestellte Frage wurde nach Maßgabe der Vergabeakte nicht beantwortet.

6

Nur die Antragstellerin und die Beigeladene haben sich mit einem Teilnahmeantrag beworben. Die Auswertung der Teilnahmeanträge wurde am 04.02.2011 tabellarisch dokumentiert. Hiernach wurden Projektleitung und Mitarbeiter der Antragstellerin beim Eignungskriterium Städtebauliche Sanierung, Denkmalschutz mit der höchstmöglichen Punktzahl bewertet.

7

Beide Bewerber wurden für geeignet befunden und mit Schreiben vom 18.02.2011 unter Beifügung eines Musters für den abzuschließenden Treuhändervertrag, des Formblattes für die Verpflichtungserklärung, eines Fragebogens zur Angebotserstellung und der geänderten Bewertungsmatrix "Angebotsverfahren" zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert.

8

Die Vergabeunterlagen unterscheiden bei den anzubietenden Preisen zwischen dem Stundensatz "Projektleitung" und dem Stundensatz "Sachbearbeitung". Mit bis zu 10 Punkten bewertet werden soll beim Kriterium 01.01 der Bewertungsmatrix die Abweichung eines Unternehmensstundensatzes vom Preismittelsatz. In welcher Weise die abgefragten Stundensätze "Projektleitung" und " Sachbearbeitung" als Unternehmensstundensatz Eingang in die Bewertung finden, wurde nicht bekannt gegeben.

9

Die Bieter wurden darauf hingewiesen, dass sie voraussichtlich für den 28.03.2011 - gesondert - zur Präsentation ihrer Angebote eingeladen werden, bei welcher ihnen ggf. weitere wertungsrelevante Fragen zum Angebot gestellt werden.

10

Nach Maßgabe der Niederschrift über die Angebotseröffnung am 14.03.2011 gingen die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen fristgerecht ein. Die Angebotsprüfung wurde tabellarisch dokumentiert. Hierzu wurden zunächst in einer 3-seitigen Tabelle, Stand 28.03.2011, die aus den Angeboten gezogenen Erkenntnisse stichwortartig zusammengestellt. Für das Kriterium 01.01 ist hier für beide Angebote kein Unternehmensstundensatz, sondern die beiden Stundensätze Projektleitung und Sachbearbeitung eingetragen. Ein Preismittelsatz wurde nicht ausgewiesen.

11

In einer weiteren Tabelle, Stand 29.03.2011, sind 14 Fragen aufgeführt, welche die Bieter im Rahmen ihrer Präsentation am 29.03.2011 beantworten sollten.

12

Der Vergabeakte ist nicht zu entnehmen, wer die Angebotsprüfung durchgeführt hat und ob, wann und ggf. mit welchen Unterlagen die Bieter zur Präsentation eingeladen wurden. Die Vergabeakte enthält keine Niederschriften über die Bieterpräsentationen. Es ist auch nicht erkennbar, welche Personen als Gremium zur Bewertung der Bietervorträge beteiligt waren. Dass die angekündigten Bieterpräsentationen stattgefunden haben, ist erkennbar aus den für beide Bieter nach den Vorgaben der Bewertungsmatrix gefertigten Wertungsbögen vom 31.03.2011. In diesen Wertungsbögen wurde durch farbliche Hervorhebung dokumentiert, wie die Angaben im Angebot bzw. die Präsentation des Bieters bewertet wurden. Zu einzelnen Kriterien wurden die tabellarischen Darstellungen durch Begründungen für die Reduktion in der Bieterqualifikation/Punktebewertung ergänzt.

13

Nach Maßgabe der Bewertungsmatrix war für die Punktevergabe des Kriteriums 01.01 aus den angebotenen Unternehmensstundensätzen ein Preismittelsatz zu bilden, zu dem ein Unternehmensstundensatz ins Verhältnis gesetzt werden sollte. Nach den Eintragungen in die Wertungstabelle wurden - statt eines Unternehmensstundensatzes - die angebotenen Stundensätze "Projektleitung" und "Sachbearbeitung" jeweils eigenständig bewertet. Für beide Bieter wurden Punktzahlen sowohl für den Stundensatz "Projektleitung" als auch für den Stundensatz "Sachbearbeitung" durch ankreuzen markiert.

14

Welche Punktzahlen für das Kriterium 01.01 letztendlich in die Wertung eingestellt wurden, ist nicht zu erkennen, denn statt der erreichten Punktzahlen wurden in die hierfür vorgesehene Spalte die angebotenen Stundensätze eingetragen. Unterstellt, dass das Kriterium 01.01 entsprechend der bekannt gegebenen Bewertungsmatrix mit 20% in die Wertung eingegangen ist, hat die Antragsgegnerin nicht die Summe der erreichten Punkte, sondern einen hieraus gebildeten Mittelwert für die Wertung gewichtet.

15

Die Beigeladene hat lediglich bei den Kriterien 01.01 und 03.03 nicht die erreichbare Höchstpunktzahl erhalten. Das Angebot der Antragstellerin wurde bei insgesamt 7 Kriterien abgewertet. Im Ergebnis haben die Antragstellerin 4,0 und die Beigeladene 4,5 Wertungspunkte erhalten. In dem von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin verfassten Vergabevermerk vom 07.04.2011 wird auf diese Bewertungen verwiesen. Zusammenfassend wird festgestellt:

" Im Ergebnis zeigt sich, dass trotz des höheren Stundensatzes die xxxxxx in der Gesamtbeurteilung besser abschneidet als die xxxxxx. Die xxxxxx hat sich in der Vergangenheit als zuverlässiger Partner bei der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen gezeigt. Die xxxxxx soll auch für dieses Vorhaben beauftragt werden."

16

Mit Schreiben vom 15.04.2011 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin darüber, dass sie mit ihrem Angebot und ihrer Präsentation 400 von 500 möglichen Punkten erreicht habe und dass der Zuschlag nach Ablauf einer Frist von 15 Kalendertagen nach Absendung dieser Mitteilung auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden soll, welche 450 von 500 Punkten erreicht habe.

17

Unter Hinweis auf § 14 Abs. 5 VOF beanstandete die Antragstellerin mit Schreiben vom 20.04.2011 die Mitteilung der Antragsgegnerin als unvollständig und bat um detaillierte Benennung und Begründung der Defizite ihres Angebotes und um eine vergleichende Darstellung der Vorteile des Angebotes der Beigeladenen.

18

Mit Schreiben vom 29.04.2011 mahnte die Antragstellerin die noch ausstehenden Informationen an und wies vorsorglich auf mögliche Rechtsfolgen des § 101b GWB hin.

19

Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 03.05.2011 erhielt die Antragstellerin die von ihr angeforderten detaillierten Informationen und wurde darauf hingewiesen, dass der Zuschlag voraussichtlich am 11.05.2011 auf das Angebot der Beigeladenen erteilt wird.

20

Mit ergänzender anwaltlicher Rüge vom 10.05.2011 beanstandete die Antragstellerin die vorgenommene Wertung wegen Verstoßes gegen das Transparentgebot als vergaberechtswidrig. Hierzu trug sie vor, an den Informationen der Antragsgegnerin vom 03.05.2011 habe sie erkannt, dass bei der Punktebewertung für die Kriteriengruppe 02 Unterstufen berücksichtigt worden sind, die in der bekannt gemachten Bewertungsmatrix "Angebotsverfahren" gar nicht enthalten sind. Sie informierte die Antragsgegnerin über ihre Absicht, ein Nachprüfungsverfahren zu beantragen und fügte eine Kopie der Antragsschrift bei.

21

Noch am selben Tag ging ein entsprechender Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein, welcher der Antragsgegnerin am 11.05.2011 zugestellt wurde.

22

Mit ihrer Antragsschrift trug die Antragstellerin vor, im streitbefangenen Vergabeverfahren sei gegen den Grundsatz des freien und fairen Wettbewerbs verstoßen worden, weil an dessen Vorbereitung und Durchführung auf Auftraggeberseite eine gemäß § 16 VgV auszuschließende Person teilgenommen hat.

23

Mit § 16 VgV wolle der Gesetzgeber auf Seiten der Auftraggeber Neutralität sichern. Nach dieser Vorschrift dürfen Personen, die einen Bieter oder Bewerber beraten oder sonst unterstützen oder als gesetzliche Vertreter wirken, bei Entscheidungen in einem Vergabeverfahren nicht mitwirken. Dies gelte bereits für die Vorbereitung des Vergabeverfahrens, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass Bewerbungs- und Vergabeunterlagen auf bestimmte Bieter zugeschnitten würden.

24

Der von der Antragsgegnerin beauftragte Architekt xxxxxx müsse als voreingenommen gelten, da er bekanntermaßen sehr enge geschäftliche Beziehungen zur Beigeladenen unterhalte, welche im vorliegenden Verfahren auch den Zuschlag erhalten solle.

25

Um der Gefahr einer Einflussnahme zu Gunsten der Beigeladenen vorzubeugen, hätte die Antragsgegnerin auf seine Mitwirkung verzichten müssen.

26

Mit ihrer im Schreiben vom 21.01.2011 zusätzlich gestellten Frage, ob aus wettbewerbsrechtlichen Gründen sichergestellt ist, dass Beauftragte der Vergabestelle den Bestimmungen des Verpflichtungsgesetzes unterliegen, aufmerksam gemacht, habe sie hierauf hingewiesen. Eine Antwort auf diese Frage habe sie nicht erhalten.

27

Angesichts der geschäftlichen Verflechtungen des Architekturbüros xxxxxx mit der Beigeladenen sei eine verfahrensrechtlich gebotene bieterneutrale Wertung ausgeschlossen.

28

Die Beigeladene hätte nicht an einem Vergabeverfahren teilnehmen dürfen, welches von ihrem Vertreter bzw. ihrer Kontaktperson vorbereitet und durchgeführt worden ist.

29

Abgesehen davon, dass die Beigeladene schon umfangreich für die Antragsgegnerin tätig gewesen sei und seit längerer Zeit ein Sanierungsbüro im Rathaus - und damit in unmittelbarer Nähe zur Vergabestelle - unterhalte, vermittelten auch Äußerungen der Antragsgegnerin in der Öffentlichkeit den Eindruck einer starken Voreingenommenheit für die Beigeladene.

30

Das besondere Näheverhältnis zwischen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin bestätige sich in den Ergebnissen der Wertung. Hier habe das Angebot der Antragstellerin bei allen "harten" Kriterien die volle Punktzahl erhalten, während es bei "weichen" Kriterien, bei denen der subjektive Eindruck eine Rolle spielt, abgewertet worden sei.

31

Die Wertung sei aus verschiedenen Gründen vergaberechtswidrig.

32

Bereits in ihrem Schreiben vom 17.01.2011 habe sie beanstandet, dass die Bieter für ihre Angebotserstellung nicht erkennen können, welche inhaltlichen Kriterien an die Bewertung "Standard" gestellt werden. Eine Antwort auf ihr Schreiben vom 17.01.2011 habe sie nicht erhalten. Im Ergebnis sei die Wertung anhand der Bewertungsmatrix nicht hinreichend nachvollziehbar und objektiv überprüfbar. Zudem sei, wie sich aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 03.05.2011 ergebe, die Bewertungsmatrix fehlerhaft angewendet worden. Die Matrix sehe eine Punktvergabe von 5, 3 und 1 Punkten vor für "gute Erläuterungen" bzw. "gute Voraussetzungen", für den "Standard" und für "wenig Aussage" bzw. "geringe Kompatibilität". Unterstufen seien nicht vorgesehen. Aus der im Schreiben der Antragsgegnerin vom 03.05.2011 mitgeteilten Vergabe der Wertungspunkte und dem Punkteergebnis müsse sie darauf schließen, dass die Antragsgegnerin - zuvor nicht mitgeteilte - weitere Unterstufen gebildet habe, andernfalls wäre das mitgeteilte Punkteergebnis nicht erzielbar.

33

Bei Wertung der "weichen" Kriterien 02.03 und 02.07 habe die Antragsgegnerin bewusst die schriftlichen und mündlichen Darlegungen der Antragstellerin missverstanden und uminterpretiert. So könne im Falle der Wertung des Kriteriums 02.03 "Vor-Ort-Präsenz/Sanierungsbüro" weder nach ihren Darstellungen im Angebot noch nach ihrem Vortrag im Rahmen der Präsentation die Rede davon sein, dass sich die Antragstellerin nach 3 Jahren aus dem Beratungsangebot/Kerngeschäft zurückziehen werde. Nicht nachvollziehbar sei auch, woraus die Antragsgegnerin bei Wertung des Kriteriums 02.07 darauf geschlossen habe, dass es der Antragstellerin an der notwendigen Kernkompetenz und Motivation fehle.

34

Die Abwertung ihres Angebotes bezüglich des Kriteriums 03.02 begründet die Antragsgegnerin damit, dass das Projektteam der Antragstellerin größtenteils aus Quereinsteigern bestehe, die den für die Denkmalsanierung erforderlichen Sachverstand in ihren Ausbildungen nicht vermittelt bekommen haben. Abgesehen davon, dass diese Abwertung im Widerspruch zu den Angaben zu den Teilnehmern des Projektteams und ihren tatsächlichen beruflichen Qualifikationen in ihrem Angebot stehe, beziehe die Antragsgegnerin hiermit - vergaberechtswidrig - Kriterien der Eignung in die auftragsbezogene Zuschlagsentscheidung ein.

35

Die Antragstellerin beantragte seinerzeit

der Antragsgegnerin aufzugeben, den Zuschlag nicht der Beigeladenen zu erteilen, sondern der Antragstellerin;

36

hilfsweise

  • die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Entscheidung über die Auftragsvergabe unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen;

  • die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für erforderlich zu erklären;

  • der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

37

Die Antragsgegnerin beantragte seinerzeit

  • den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

  • der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;

  • die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erachten;

  • die Antragstellerin zu verpflichten, der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

38

Sie hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet und weist den Vorwurf der Verletzung von bieterschützenden Vergaberechtsvorschriften zurück. In der europaweiten Bekanntmachung sei bewusst nicht auf eine Mitwirkung des Architekten xxxxxx hingewiesen worden, um zu verhindern, dass die Wettbewerber bei dortiger Nachfrage durch ungleiche Informationen Wettbewerbsvor- oder -nachteile erhalten. Die Mitwirkung des Architekten xxxxxx sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Abgesehen davon, dass ihr die von der Antragstellerin vorgetragenen, in der Vergangenheit liegenden Auftragsverhältnisse und andere intensive geschäftliche Verbindungen zwischen Architekt xxxxxx und der Beigeladenen nicht bekannt seien, seien im Sinne des § 16 VgV lediglich geschäftliche Verbindungen relevant, die sich auf das streitgegenständliche Vergabeverfahren beziehen. Herr Architekt xxxxxx sei mit Vertrag vom 16.10.2010 beauftragt worden, dass VOF-Vergabeverfahren zu betreuen. In diesem Vertrag habe sich Herr xxxxxx verpflichtet, keine Aufträge von Bietern anzunehmen. Nach ihrer Kenntnis sei Herr xxxxxx - bezogen auf das vorliegende Vergabeverfahren - weder beratend noch in sonstiger Weise unterstützend für die Beigeladene tätig. Auch die Antragstellerin habe dies nicht vorgetragen. Selbst wenn sich erweise, dass Herr Architekt xxxxxx die Beigeladene beraten hat/noch berät, bedürfe es der Darlegung konkreter Umstände, die eine Parteilichkeit besorgen lassen. Die Darlegungslast hierfür liege bei der Antragstellerin. Die Antragstellerin habe auch nicht dargelegt, dass die Beigeladene ungerechtfertigt bevorzugt wurde.

39

Zudem konnten sich die Tätigkeiten des Architekten xxxxxx in diesem Vergabeverfahren nicht auf die Entscheidungen auswirken. Er war beauftragt mit der Erstellung der Teilnahmewettbewerbs- und Vergabeunterlagen, der Vorbereitung und Moderation der Bietergespräche, der Dokumentation des Verfahrens und der Vorbereitung des Vertrages. Auch wenn er bei Entscheidungen der Wertung anwesend war, hat er selbst nicht an diesen Entscheidungen mitgewirkt. Die Bewertungsmatrizes wurden nicht von Herrn Architekt xxxxxx, sondern von einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitarbeitern der Antragsgegnerin festgelegt. Hierbei war Herr Architekt xxxxxx allenfalls beratend tätig. Die Angebote und Präsentationen wurden von dieser Arbeitsgruppe bewertet.

40

Das Angebot der Antragstellerin wurde zu Recht abgewertet. Sie habe die ihr für die Präsentation zur Verfügung gestellte Zeit um mehr als 6 Minuten überzogen. Ihr Vortrag habe auf eine fehlende Fähigkeit zur Motivierung der an der Sanierung Beteiligten schließen lassen. Zudem verfüge das für den Einsatz vorgesehene Projektteam nicht über die für die Maßnahme gewünschte denkmalpflegerische Kompetenz.

41

Die Wertung sei auch nicht wegen Verwendung nicht bekannt gegebener Unterkriterien oder Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien zu beanstanden.

42

Mit Schriftsatz vom 28.06.2011 informierte die Antragsgegnerin die Verfahrensbeteiligten darüber, dass sie das Verfahren vollständig ohne Beteiligung des Architekten xxxxxx wiederholen wird, um jeglichen Anschein mangelnder Neutralität im Ansatz zu vermeiden.

43

Daraufhin stellte die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag gemäß § 114 Abs. 2 GWB mit Schriftsatz vom 29.06.2011 um und beantragt nunmehr

festzustellen, dass eine Rechtsverletzung vorgelegen hat,

sowie

der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten aufzuerlegen

und

festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.

44

Unter Bezugnahme auf ihren bisherigen Vortrag trägt sie ergänzend vor, im Rahmen der Akteneinsicht habe sie feststellen müssen, dass die Antragsgegnerin ihren Dokumentationspflichten verletzt und damit gegen das Transparenzgebot verstoßen habe. Der Vergabevermerk erfülle nicht ansatzweise die an ihn zu stellenden Mindestanforderungen. Der Vortrag der Antragsgegnerin bezüglich des Umfanges und der Auswirkungen der Tätigkeit des Architekten xxxxxx werde durch die Vergabeakte nicht bestätigt, sondern eher widerlegt.

45

Bei Versuchen einer Rückrechnung der Punktebewertung habe sich auch der Eindruck bestätigt, dass die Antragsgegnerin von der bekannt gemachten Bewertungsmatrix abgewichen ist.

46

Bereits die Tatsache, dass die Antragsgegnerin ihre Vergabeakte in einem Firmenordner der Beigeladenen geführt habe, in dem vorn die Visitenkarten der Ansprechpartner der Beigeladenen eingeheftet sind, unterstütze den Eindruck, dass von vornherein kein chancengleicher Wettbewerb angelegt war.

47

Als Indiz für die wirtschaftliche Abhängigkeit des Architekten xxxxxx von der Beigeladenen sei zu berücksichtigen, dass er mit seinen Tätigkeiten für die Beigeladene den weitausüberwiegenden Teil seines jährlichen Honorars erwirtschafte.

48

Selbst wenn die Antragsgegnerin zunächst von dieser Beziehung keine Kenntnis gehabt haben sollte, hätte die Frage der Antragstellerin vom 21.01.2011 für sie ein Anlass für entsprechende Nachfragen sein müssen.

49

Aus den Gründen des § 16 VgV sei der Ausschluss der Beigeladenen aus dem Vergabeverfahren geboten.

50

Die Antragsgegnerin trägt hierzu mit Schriftsatz vom 30.06.2011 vor, es bestehe kein Anlass, die Beigeladene gemäß § 4 Abs. 2 VOF auszuschließen. Diese Vorschrift beziehe sich auf hier nicht in Rede stehende wirtschaftliche Beziehungen/Verbindungen zwischen Wettbewerbern. Der Vorwurf einer Voreingenommenheit der Antragsgegnerin für die Beigeladene aufgrund langjähriger ständiger Beauftragungen sei unbegründet, da die Beigeladene bisher nur mit der Betreuung der Sanierungsgebiete xxxxxx beauftragt worden sei.

51

Sie sei zur Beendigung des Verfahrens im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit berechtigt, dies geschehe nicht aufgrund einer Erkenntnis eigener Pflichtverletzungen.

52

Da es sich um ein VOF-Vergabeverfahren handelt, sei der Antragstellerin mit der Beendigung des Verfahrens auch kein Schadensersatzanspruch entstanden.

53

Die Beigeladene beantragt

  • den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

  • die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für die Beigeladene als notwendig zu erklären;

  • der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen aufzuerlegen.

54

Sie unterstützt den Vortrag der Antragsgegnerin und vertritt die Auffassung, der Nachprüfungsantrag könne nicht erfolgreich sein, da die Antragstellerin keinen Verstoß gegen bieterschützende Vergabevorschriften dargelegt habe und daher nicht in ihren Rechten verletzt sei.

55

Die Antragsgegnerin habe das Vergabeverfahren ordnungsgemäß nach den bekannt gegebenen Vorgaben durchgeführt. Soweit die Antragstellerin im Nachhinein die Bewertungsmatrix beanstande, sei sie hiermit präkludiert.

56

Es treffe nicht zu, dass die Antragsgegnerin seit den 80er Jahren lediglich die Beigeladene beauftrage. Auch gebe es keine vergaberechtlich relevanten wirtschaftlichen Verknüpfungen oder Abhängigkeiten zwischen dem Architekten xxxxxx und der Beigeladenen. Im streitgegenständlichen Vergabeverfahren sei Herr Architekt xxxxxx nicht für die Beigeladene tätig. Herr xxxxxx sei zwar gelegentlich von der Beigeladenen beauftragt worden. Als freier Architekt stehe er hierbei aber nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis.

57

Die Tatsache, dass die Antragstellerin die Beteiligung des Architekten xxxxxx auf Auftraggeberseite erst im Mai 2011 beanstandet habe, obwohl sie bereits am 20.01.2011 hiervon Kenntnis erhielt, lasse darauf schließen, dass sie ihren Vortrag - im Glauben an eine Beauftragung - zurückgehalten habe.

58

Einen Grund, die Beigeladene vom Vergabeverfahren auszuschließen, gebe es nicht.

59

Gleichwohl habe sie Verständnis für die Entscheidung der Antragsgegnerin zur vollständigen Wiederholung des Verfahrens und werde sich - unter Aufgabe ihrer Rechtsposition im vorliegenden Verfahren - an dem neuen Verfahren beteiligen.

60

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.

61

II.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin hat gegen das Mitwirkungsverbot aus§ 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV verstoßen. Dabei ist von konkreten negativen Auswirkungen des Verstoßes zu Lasten der Antragstellerin auszugehen, so dass das Vergabeverfahren zu beenden war. Der Antragsgegnerin ist es im nunmehr beendeten Vergabeverfahren nicht gelungen darzulegen, dass die Voreingenommenheitsvermutung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV, die sich aus der Beauftragung des Architekturbüros xxxxxx mit der Begleitung des Vergabeverfahrens ergeben hat, nicht einschlägig ist. Diese Situation beruht maßgeblich darauf, dass sie das Gebot einer ordnungsgemäßen Dokumentation aus § 12 VOF verletzt hat. Auch das Gebot der Nichtdiskriminierung bzw. Gleichbehandlung aus§ 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VOF hat die Antragsgegnerin missachtet, indem sie keine Maßnahmen getroffen hat, um den Wissensvorsprung der Beigeladenen auszugleichen, sowie durch fehlerhafte Bewertung der Angebote. Dadurch war die Antragstellerin im Zeitpunkt der Einlegung des Nachprüfungsantrags im Sinne der §§ 97 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 7 GWB, § 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt.

62

1.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig.

63

Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag war im Zeitpunkt der Antragstellung zulässig. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um eine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der ausgeschriebene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem.§ 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oderüberschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei der ausgeschriebenen Leistung handelt es sich um freiberufliche Dienstleistungen im Sinne des § 1 VOF betreffend die Beauftragung eines/einer Sanierungsbeauftragten für das Sanierungsgebiet xxxxxx und damit um einen Dienstleistungsauftrag, für den gemäß § 2 Nr. 2 der Vergabeverordnung (VgV) ein Schwellenwert von 193.000 EUR gilt. Die Angebote weisen lediglich Stundensätze auf, ein Mengengerüst war nicht vorgegeben. Die Stadt xxxxxx hat die Leistungen für einen Zeitraum von 9 Jahren ausgeschrieben und mit der Entscheidung für eine europaweite Ausschreibung das Verfahren einer vergaberechtlichen Nachprüfung zugänglich gemacht. Es ist zudem zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Wert des ausgeschriebenen Auftrags den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert erreicht. Das Vergabeverfahren war damit einer Nachprüfung durch die Vergabekammer grundsätzlich zugänglich.

64

Die Antragstellerin war auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hatte und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie u.a. vorträgt, dass die Antragsgegnerin gegen § 16 Abs. 1 VgV verstoßen habe, Fehler bei der Auswertung mit der Bewertungsmatrix begangen habe sowie ihre Dokumentationspflichten verletzt habe.

65

Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht zur rechtzeitigen Rüge gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB nachgekommen. Danach ist ein Antragsteller verpflichtet, vor Anrufung der Vergabekammer Verstöße gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren unverzüglich zu rügen. Die Antragsgegnerin hatte am 03.05.2011, zugestellt am 05.05.2011, der Antragstellerin die Information gemäß § 101 a GWB erteilt. Die Antragstellerin hatte mit Datum vom 10.05.2011 per Fax Vergabeverstöße gerügt, u.a. einen Verstoß gegen das Transparenzgebot wegen der Bildung von nicht bekannt gemachten Unterkriterien bei der Punktevergabe nach der Wertungsmatrix. Im Übrigen hat sich die Antragstellerin auf ihre bereits vorher erhobenen Rügen bezogen. Die nach Hinzuziehung anwaltlicher Hilfe erhobenen Rügen erfolgten spätestens innerhalb von 5 Tagen und somit rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.

66

Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag war somit zulässig.

67

Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gem. § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB ist weiterhin, dass sich das Nachprüfungsverfahren vor Entscheidung der Vergabekammer erledigt hat. Dies ist vorliegend der Fall. § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB spricht von einer Erledigung durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder von einer Erledigung in sonstiger Weise.

68

Das Nachprüfungsverfahren hat sich durch Aufhebung bzw. durch den Beschluss auf erneute Einleitung gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB erledigt. Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 28.06.2011 mitgeteilt, dass sie das Vergabeverfahren aufhebe und ohne Beteiligung des Architekturbüros wiederholen werde. Daraufhin hat auch die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 29.06.2011 erklärt, dass hinsichtlich des Primärrechtsschutzes Erledigung in der Hauptsache eingetreten sei, sie das Nachprüfungsverfahren nunmehr als Fortsetzungsfeststellungsverfahren nach § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB fortsetzen möchte. Sie beantragt nunmehr festzustellen, dass sie zum Zeitpunkt der Einlegung des Nachprüfungsantrags in ihren Rechten verletzt war. Mit diesem Antrag hat sie das ursprüngliche Nachprüfungsverfahren auf ein Fortsetzungsfeststellungsverfahren umgestellt.

69

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB setzt nach überwiegender Auffassung jedoch als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein Feststellungsinteresse voraus (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 02.03.2005; Az. Verg. 70/04; Kulartz, Kus, Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Auflage 2009, § 114 Rn. 75). Dieses Interesse ergibt sich für einen Antragsteller häufig aus der Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches, da die Entscheidung der Vergabekammer für einen solchen Sekundäranspruch gem. § 124 GWB ausdrücklich Bindungswirkung entfaltet. Ferner ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse immer dann in Betracht zu ziehen, wenn eine (konkrete) Wiederholungsgefahr in Bezug auf einen nach Auffassung des Antragstellers vor Erledigung begangenen Vergabeverstoß zu besorgen ist (Kulartz, Kus, Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Auflage 2009, § 114 Rn. 76 ff, 83).

70

Die Antragsstellerin behält sich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vor. Da lediglich 2 Bieter am Verfahren beteiligt waren und das Verfahren das Stadium kurz vor Erteilung des Zuschlags erreicht hatte, bestand eine echte Chance auf Zuschlagserteilung, so dass insoweit ein Feststellungsinteresse besteht. Wegen der unklaren Bewertungsmatrix betreffend die Stundensätze sowie der fehlerhaften Bewertung der Vor-Ort-Präsenz nach der Bewertungsmatrix (s. dazu im Einzelnen unten zu 2.) hätte die Antragstellerin möglicherweise sogar an 1. Stelle gelegen.

71

Auch ein Feststellungsinteresse wegen konkreter Wiederholungsgefahr ist gegeben. Es scheidet nur dann aus, wenn kein Anlass für die Befürchtung besteht, dass die Vergabestelle im streitgegenständlichen Vergabeverfahren einen Vergaberechtsverstoß wiederholt, der möglicherweise Rechte der Antragstellerin verletzt. Die Antragsgegnerin hat zwar in Aussicht gestellt, dass die Ausschreibung erneut von Anbeginn ohne Beteiligung des Architekturbüros xxxxxx durchgeführt werden wird. Sie hat sich aber weiterhin keine Gedanken gemacht, wie der vorliegende Wissensvorsprung der Beigeladenen auszugleichen ist (siehe dazu unten).

72

Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist allerdings nicht auf diese beiden Fallkonstellationen beschränkt. Vielmehr genügt darüber hinaus jedes nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (Gause, in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 2. Auflage 2011, § 114 GWB Rn. 12; Byok, in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage 2005, § 114 GWB, Rdnr. 1078). Vorliegend ergibt sich ein in diesem Sinne anzuerkennendes wirtschaftliches Interesse der Antragstellerin aus der Tatsache, dass die Antragstellerin durch die Erledigung des Nachprüfungsverfahrens aufgrund des Regelungsgehaltes des § 128 Abs. 3 S. 5 GWB möglicherweise ihre eigenen Rechtsanwaltskosten selbst tragen müsste, wenn sie keinen Fortsetzungsfeststellungsbeschluss der Vergabekammer herbeiführt. Das OLG Naumburg hält die Regelung des § 128 Abs. 3 S. 5 GWB, nach der bei der zu treffenden Ermessensentscheidung i. d. R. die Erfolgsaussichten im Nachprüfungsverfahren ohne die Erledigung maßgeblich sind, nicht auf die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für übertragbar. Wegen der insoweit von den Beschlüssen des OLG Düsseldorf und OLG Dresden abweichenden Auffassung hat das OLG Naumburg die Frage dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (OLG Naumburg, Beschluss v. 14.04.2011, Az. 2 Verg 2/11).

73

Die Antragstellerin kann angesichts dieser Rechtsunsicherheit die für sie negative Kostenfolge des § 128 GWB daher sicher nur im Wege eines stattgebenden Fortsetzungsfeststellungsbeschlusses abwenden.

74

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist daher zulässig.

75

2.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist auch begründet.

76

Die Antragsgegnerin hat gegen das Mitwirkungsverbot aus § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV verstoßen. Dabei ist von konkreten negativen Auswirkungen des Verstoßes zu Lasten der Antragstellerin auszugehen, so dass das Vergabeverfahren zu beenden war. Der Antragsgegnerin ist es im nunmehr beendeten Vergabeverfahren nicht gelungen darzulegen, dass die Voreingenommenheitsvermutung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV, die sich aus der Beauftragung des Architekturbüros xxxxxx mit der Begleitung des Vergabeverfahrens ergeben hat, nicht einschlägig ist. Diese Situation beruht maßgeblich darauf, dass sie das Gebot einer ordnungsgemäßen Dokumentation aus § 12 VOF verletzt hat. Zudem liegen Verstöße gegen § 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VOF vor. Die Antragsgegnerin hat das Verbot der Diskriminierung missachtet, indem sie darauf verzichtet hat, Wissensvorsprünge der Beigeladenen auszugleichen. Auch hat sie die Antragstellerin durch willkürliche und fehlerhafte Bewertung der Angebote diskriminiert. Dadurch war die Antragstellerin im Zeitpunkt der Einlegung des Nachprüfungsantrags im Sinne der §§ 97 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 7 GWB, § 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt.

77

Gemäß § 16 Abs. 1 VgV dürfen u.a. als Beauftragter oder als Mitarbeiter eines Beauftragten eines Auftraggebers bei Entscheidungen in einem Vergabeverfahren für einen Auftraggeber als voreingenommen geltende natürliche Personen nicht mitwirken, soweit sie in diesem Verfahren einen Bieter oder Bewerber beraten oder sonst unterstützen oder als gesetzlicher Vertreter oder nur in dem Vergabeverfahren vertreten. Diese Regelung ist eine Konkretisierung des mit dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgebot in engem Zusammenhang stehenden Neutralitätsgebots. Der das gesamte Vergaberecht bestimmende Gleichbehandlungsgrundsatz erfordert es sicherzustellen, dass für den Auftraggeber nur Personen tätig werden, deren Interessen weder mit denen eines Bieters noch mit den Interessen eines Beauftragten des Bieters verknüpft sind. Als voreingenommen in diesem Sinne gelten der Bieter und der Bewerber, die ihn in diesem Verfahren vertretenden oder beratenden Personen (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VgV) sowie deren nähere Verwandte (§ 16 Abs. 2 VgV). Bei diesen Personen wird unwiderleglich vermutet, dass sie voreingenommen sind. Sie können nicht "neutral" sein (vgl. Marx in: Müller-Wrede, VOL/A, 1. Auflage,§ 16 VgV, Rdnr. 1 ff; Beurskens in: Hattig/Maibaum, Praxiskommentar Kartellvergaberecht, § 16 VgV, Rdnr. 3; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht 2010, Stand: 23.12.2010,§ 16 VgV, Nr. 2). Der Neutralitätsgrundsatz als Ausfluss des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß § 97 Abs. 2 GWB bindet die öffentliche Hand auch dann, wenn es um die Auftragsvergabe in privatrechtlichen Formen geht.

78

Der Tatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV umfasst Personen, die den Bieter selbständig beraten oder unterstützen (z.B. Beratungsunternehmen, Rechtsanwälte), nicht dagegen Personen, die als Bedienstete für den jeweiligen Auftraggeber tätig sind. § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV kann nur für solche Mitarbeiter des Auftraggebers gelten, die unabhängig von ihrer Einbindung in die Struktur des Auftraggebers beratend oder unterstützend für einen Bieter oder Bewerber tätig sind (vgl.OLG Celle, Beschluss vom 09.04.2009 - 13 Verg 7/08; Weyand, a.a.O., § 16 VgV, Nr. 2).

79

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es für einen Auftraggeber zulässig und häufig unumgänglich ist, sich die notwendigen Kenntnisse für eine ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung eines Vergabeverfahrens durch die Einschaltung eines fachkundigen Dritten zu verschaffen, sofern die Auftraggeber nicht selbst personell über das notwendige Know-how verfügen (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 18.12.2003, Az.: 13 Verg 22/03, m.w.N.). Üblich ist daher z.B. die Beauftragung eines externen Ingenieurbüros.

80

Die Antragsgegnerin hat das Architekturbüro xxxxxx damit beauftragt, das Vergabeverfahren für sie zu begleiten. Das Architekturbüro war nach dem insoweit unwidersprochenen Vortrag der Antragstellerin in der Vergangenheit häufig und umfangreich für die Beigeladene tätig, so dass von einer dauerhaften geschäftlichen Beziehung auszugehen ist. Es ist damit eine "sonstige Unterstützung" der Beigeladenen i.S.v. § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV in diesem Verfahren zu vermuten. Der Tatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV ist folglich erfüllt und ein Mitwirkungsverbot gilt. Spätestens bei der schriftlich gestellten Nachfrage der Antragstellerin vom 21.01.2011, ob aus wettbewerbsrechtlichen Gründen sichergestellt sei, dass Beauftragte der Vergabestelle den Bestimmungen des Verpflichtungsgesetzes und i. S. des § 4 Abs. 2 VOF, dass keine Unternehmen beauftragt seien, die mit zu erwartenden Bewerbern wirtschaftlich eng verflochten seien, hätte die Antragsgegnerin sich mit der Frage der Voreingenommenheit befassen müssen. Dies hat sie unterlassen. Die Antragsgegnerin beruft sich in der Antragserwiderung auf den mit dem Architekten xxxxxx geschlossenen Vertrag, mit dem er sich verpflichtet habe, keine Aufträge von potentiellen Bietern anzunehmen. Außerdem hält sie Tätigkeiten außerhalb dieses Vergabeverfahrens, die zudem bereits beendet sind, nicht für relevant. Damit liegt sie hier nicht richtig. Zwar erfordert § 16 Abs. 1 Nr. 2 VgV die Beratung oder sonstige Unterstützung eines Bieters "in diesem Verfahren".

81

Ein Auftraggeber muss aber sicherstellen, dass der herangezogene Dritte weder unmittelbar noch mittelbar an der Vergabe beteiligt ist. Es dürfen also im Einzelfall keine Umstände vorliegen, aufgrund derer der Dritte dazu neigen kann, die mit der Vergabe zusammenhängenden Fragen nicht frei von subjektiven Interessen zu betrachten. Der Auftraggeber hat dafür Sorge zu tragen, dass nicht einzelne Angebote bei der Vergabeentscheidung aufgrund eigener wirtschaftlicher Interessen der bei der Vergabe einbezogenen sachkundigen Personen bevorzugt werden (vgl. VK Lüneburg, Beschluss v. 06.09.2004, Az. 203-VgK-39/2004). Dafür bietet der vorliegende Sachverhalt indessen mehrere Anhaltspunkte.

82

Denn in der hier zu beurteilenden Situation ergibt sich der notwendige Bezug zum streitbefangenen Vergabeverfahren zum Einen aus der dauerhaften Geschäftsbeziehung zwischen dem die Antragsgegnerin beratenden Architekturbüro und der Beigeladenen. Zum Anderen fällt die außergewöhnlich enge Verbindung zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ins Gewicht. Denn die Beigeladene ist seit vielen Jahren mit Sanierungsaufgaben bei der Antragsgegnerin betraut. So ist sie als Sanierungsträger für 3 Sanierungsgebiete tätig und hält unter anderem Bürgersprechstunden im Rathaus der Antragsgegnerin ab.

83

Die Vermutung der Voreingenommenheit ist in den Fällen der Nr. 2 unwiderlegbar (Rechten in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, Kompaktkommentar, 2. Auflage 2011, S. 353, Rdnr. 35; VK Lüneburg, Beschluss v. 06.09.2004, Az. 203-VgK-39/2004).

84

Die Antragsstellerin hätte ihren Anspruch auf Einhaltung des Mitwirkungsverbots im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens auch durchsetzen können, weil nicht nur die unwiderlegbare Vermutung bestand, sondern auch von einer konkreten negativen Auswirkung zu ihren Lasten auszugehen war (vgl. zu diesem Erfordernis OLG Frankfurt am Main, Beschluss v. 11.05.2004, Az. 11 Verg 8/04, 11 Verg 09/04, 11 Verg 10/04; Beurskens in: Hattig/Maibaum, Praxiskommentar Kartellvergaberecht, 2010, § 16 VgV Rdnr. 7).

85

Die unzureichende Dokumentation in der Vergabeakte erlaubt es nicht nachzuvollziehen, wer für welche Entscheidungen verantwortlich war, so dass die Behauptung der Antragstellerin, das Architekturbüro xxxxxx habe das Verfahren weitestgehend eigenverantwortlich durchgeführt, von der Antragsgegnerin nicht entkräftet werden kann. So hat zum Beispiel Herr xxxxxx die Wertungsmatrix bereits während des Teilnahmewettbewerbs auf Bieterfragen hin offensichtlich in Eigenregie geändert, indem er eine Email an die Antragstellerin sendete, die Antragsgegnerin lediglich "Cc" setzte. Es bleibt unklar, ob sich die Antragsgegnerin diese Änderung der Matrix mit Versendung der Angebotsunterlagen bewusst zu Eigen machte. Der Vergabeakte ist nicht zu entnehmen, wer die Angebotsprüfung durchgeführt hat. Angesichts der Dokumentationsmängel trägt die Beweislast dafür, dass keine konkrete negative Auswirkung eingetreten ist, die Antragsgegnerin.

86

Dokumentationsmängel weist die Vergabeakte nicht nur hinsichtlich der Einordnung der Tätigkeit des Architekturbüros xxxxxx auf, sondern auch darüber hinaus. Aus der Vergabeakte ist nicht erkennbar, ob, wann und ggf. mit welchen Unterlagen die Bieter zur Präsentation eingeladen wurden. Die Vergabeakte enthält keine Niederschriften über die Bieterpräsentationen. Es ist auch nicht erkennbar, welche Personen als Gremium zur Bewertung der Bietervorträge beteiligt waren.§ 12 VOF ist verletzt. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Vergabeakte nicht in einem neutralen Aktenordner der Antragsgegnerin, sondern in einem bedruckten Firmenordner der Beigeladenen geführt wurde, in dessen inneren Aktendeckel sich die Visitenkarten des Geschäftsführers und des Abteilungsleiters der Beigeladenen befanden.

87

Selbst wenn die Auffälligkeiten dieses Verfahrens nicht der Einflussnahme des Architekturbüros xxxxxx zuzuschreiben sein sollten, zeigt sich eine außergewöhnlich enge Verbindung zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen, die sich - durch Duldung oder eigenes Handeln der Antragsgegnerin - auf das Verfahren ausgewirkt hat.

88

Die Antragsgegnerin hat gegen § 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VOF verstoßen. Denn durch den Verzicht auf den Ausgleich von Wissensvorsprüngen der Beigeladenen und durch Fehler bei der Bewertung der Angebote wurde das Gebot der Gleichbehandlung der Bieter missachtet.

89

Die Beigeladene ist bzw. war als Sanierungsträger für 3 Sanierungsgebiete tätig und hat für das Sanierungsgebiet "xxxxxx", dessen Sanierungsträgerschaft vorliegend vergeben werden soll, die Vorbereitenden Untersuchungen "xxxxxx" erstellt. Die Vergabeakte lässt nicht ansatzweise erkennen, dass die Antragsgegnerin, die zweifellos mit einer Bewerbung der Beigeladenen rechnen musste, Überlegungen dazu angestellt hat, wie eine wegen des offensichtlichen Wissensvorsprungs der Beigeladenen zu besorgende Wettbewerbsverfälschung zu vermeiden ist. Die Vergabeunterlagen waren hierzu nicht geeignet. Den Bietern wurden - mit Ausnahme eines Lageplanes - keinerlei Unterlagen zur Information über das Sanierungsgebiet und die örtlichen Bedingungen für die Auftragsdurchführung zur Verfügung gestellt, sie haben auch die Vorbereitenden Untersuchungen nicht erhalten. Es ist zu unterstellen, dass die Beigeladene aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeiten für die Antragsgegnerin auch mit deren Erwartungen an die Auftragserfüllung vertraut ist. Die Bewertungsmatrix hat diesen Wissensvorsprung nicht ausgeglichen. Die sehr vagen Hinweise zur Punktevergabe - "gute Erläuterung", "Standard", "wenig Aussage" - geben den Bietern keine Orientierung für die Erstellung eines erfolgreichen Angebotes.

90

Zunächst lässt die Bewertungsmatrix beim Kriterium 01.01 die tatsächliche Bewertung der Stundensätze im Unklaren, so dass unzulässige Spielräume bei der Bepunktung entstehen, mit denen die Angebote der Beteiligten jeweils bevorzugt bzw. benachteiligt bewertet werden können.

91

Im Einzelnen: Die Vergabeunterlagen unterscheiden zwischen dem Stundensatz Projektleitung und dem Stundensatz Sachbearbeitung. Mit bis zu 10 Punkten bewertet werden soll die Abweichung des Unternehmensstundensatzes vom Preismittelsatz. In welcher Weise der Stundensatz Projektleitung und der Stundensatz Sachbearbeitung als Unternehmensstundensatz Eingang in die Bewertung finden, wurde nicht bekannt gegeben. Nach Maßgabe der Bewertungsmatrix war für die Punktevergabe des Kriteriums 01.01 aus den angebotenen Stundensätzen ein Preismittelsatz zu bilden. Hiernach hat die Antragsgegnerin für die Antragstellerin zu bewertende Abweichungen von 0,9 und 0,95 und für die Beigeladene zu bewertende Abweichungen von 1,10 und 1,05 festgestellt. Für die Abweichungen der Stundensätze der Antragstellerin wurden in der Matrix durch Ankreuzen 7 und 6 Punkte notiert, für die Abweichungen der Stundensätze der Beigeladenen 3 und 4 Punkte. Welche Punktzahlen in die Wertung eingestellt wurden, ist nicht zu erkennen, denn statt der erreichten Punktzahlen wurden in die hierfür vorgesehene Spalte die angebotenen Stundensätze eingetragen. Für das Kriterium 01.01 wurden für die Antragstellerin im Ergebnis 1,3 Punkte und für die Beigeladene 0,7 Punkte in der Wertung berücksichtigt. Unterstellt, dass das Kriterium 01.01 entsprechend der bekannt gegebenen Bewertungsmatrix mit 20% in die Wertung eingegangen ist, hat die Antragsgegnerin nicht die Summe der erreichten Punkte, sondern - zu Ungunsten der Antragstellerin - deren Mittelwert für die Wertung gewichtet. Die Bewertungsmatrix eröffnet demnach Manipulationsmöglichkeiten hinsichtlich der Bewertung der Stundensätze, die mit 20% in die Gesamtbewertung eingehen und somit ohne Weiteres entscheidungserheblich sind. Das Gebot der Gleichbehandlung ist verletzt.

92

Abgesehen davon, dass bereits die mangelhaften Vorgaben der Ausschreibung ungeeignet waren, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, vermittelt die unzureichende Dokumentation den Eindruck, dass die Angebote nicht mit gleichem Maßstab gemessen wurden.

93

Beim Kriterium 02.03 "Vor-Ort-Präsenz/Sanierungsbüro" sind die in der Tabelle, Stand 28.03.2011, eingetragenen Unterschiede der Angebote, welche die bei der Angebotsprüfung gezogenen stichwortartigen Schlüsse und die unterschiedliche Bewertung rechtfertigen, nicht erkennbar. Sowohl die Beigeladene als auch die Antragstellerin sind nicht dauernd vor Ort und haben gleichermaßen Sanierungsbüros vor Ort mit regelmäßigen Sprechzeiten angeboten.

94

Beim Kriterium 02.04 "Einbeziehung vorhandener Gremien, Anwohner etc." wird die Abwertung des Angebotes der Antragstellerin damit begründet, dass das von ihr geplante Internetforum "unkontrollierte Blogs auf der Website ermöglicht, die im Gegensatz zur Wahrung kommunaler Interessen stehen."

95

Auch das Angebot der Beigeladene sieht die Einrichtung eines Internetforums für Betroffene und Interessierte vor. Die Problematik unkontrollierter Blogs wurde für das Angebot der Beigeladenen nicht thematisiert.

96

Schließlich gibt es weder im Angebot der Antragsstellerin noch in der Vergabeakte Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin sich nach 3 Jahren aus dem Beratungsangebot/Kerngeschäft zurückziehen werde. Dies aber hat die Antragsgegnerin sowohl beim Kriterium 02.03 als auch beim Kriterium 02.06 negativ bewertet.

97

Die Antragsgegnerin hat das Vergabeverfahren wegen der festgestellten Verstöße gegen Vergaberecht im Ergebnis zu Recht beendet.

98

III. Kosten

99

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 EUR, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

100

Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

101

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR brutto. Dieser Betrag entspricht dem Schwellenwert von 193.000 EUR zzgl. Mehrwertsteuer und damit dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag. Ein bezifferbarer Auftragswert steht nicht fest, lediglich die Tatsache, dass die Leistungen über einen Zeitraum von 9 Jahren zu erbringen sind.

102

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR(§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.

103

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR.

104

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

105

Die in Ziffer 3 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene, die eigene Anträge gestellt hat, unterlegen sind, so dass sie die Kosten je zur Hälfte zu tragen haben.

106

Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung ihres Kostenanteils gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).

107

Angesichts der Tatsache, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Nachprüfungsverfahren unterlegen sind, haben sie laut Ziffer 4 des Tenors gemäß § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin und damit die Anwaltskosten zu je 1/2 zu erstatten.

108

Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gemäß Ziffer 5 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.

109

Die Beigeladene wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den auf sie entfallenden Betrag von xxxxxx EUR unter Angabe des Kassenzeichens

110

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

111

xxxxxx.

IV. Rechtsbehelf

112

Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden. .

113

...

Dr. Raab
Rohn
Schulz