Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 27.09.2011, Az.: VgK-40/2011
Rechtmäßigkeit der Beschränkung eines Angebotsgegenstandes im Rahmen eines Vergabeverfahrens; Notwendigkeit der Zurückversetzung eines Ausschreibungsverfahren in den Stand vor der Aufforderung zur Angebotsabgabe; Anforderungen an die Geltendmachung einer Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 27.09.2011
- Aktenzeichen
- VgK-40/2011
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 30144
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 98 Nr. 4 GWB
- § 100 Abs. 1 GWB
- § 107 Abs. 2 GWB
- § 127 GWB
In dem Nachprüfungsverfahren der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx, - Antragstellerin - g
egen das Land Niedersachsen, vertreten durch die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Geschäftsbereich xxxxxx, - Antragsgegnerin -
wegen VOB-Vergabeverfahren "BAB xxxxxx, Grunderneuerung der Fahrbahn von xxxxxx bis
xxxxxx, hier: passive Schutzeinrichtungen xxxxxx, km xxxxxx bis km xxxxxx"
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Wesemann, die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und den ehrenamtlichen Beisitzer Herrn Dipl.-Ing. Roloff auf die mündliche Verhandlung vom 06.09.2011 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Antragsgegnerin wird bei fortgesetzter Beschaffungsabsicht verpflichtet, das Ausschreibungsverfahren in den Stand vor der Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen.
- 2.
Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.
- 3.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen. Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Entrichtung der Kosten befreit.
- 4.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.
Begründung
I.
Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Geschäftsbereich xxxxxx, führt die Grunderneuerung der Bundesautobahn xxxxxx zwischen der Bundesgrenze zu den xxxxxx und dem Autobahnkreuz xxxxxx aus. Im Rahmen des zweiten Bauabschnittes wurde die Demontage und Montage der Fahrzeugrückhaltesysteme (FRS) aus Stahl für den Mittelstreifen im xxxxxx 2011 ausgeschrieben. Das zu montierende Material ist überwiegend zu liefern. Die Ausschreibung der zu liefernden Systeme erfolgt anhand des Standardleistungskataloges 829 (Stand: 02/11). Die Baubeschreibung enthält unter Ziffer 3.5 "Stoffe, Bauteile" folgende Hinweise:
"Für die Herstellung der passiven Schutzeinrichtungen sind die Herstellervorgaben sowie die durchgeführten Prüfungen nach DIN EN 1317 zu beachten.
Im Weiteren sind die Anforderungen des Einsatzfreigabeverfahrens zur Einsatzfreigabeliste maßgebend. Es sind solche Systeme anzubieten, für die eine Einsatzfreigabe für den jeweiligen Einsatzbereich vorliegt. Maßgebend ist die Einsatzfreigabeliste im Stand des Submissionstermins."
Als technische Vertragsbedingungen werden unter Ziffer 5 der Baubeschreibung u.a. genannt:
"Einsatzfreigabeverfahren für Fahrzeug-Rückhaltesysteme in Deutschland, BASt, Stand: 01.10.2009
Einsatzfreigabeliste für Fahrzeug-Rückhaltesysteme in Deutschland, BASt (Stand: Eröffnungstermin)"
Unter den Pos. 00.03.0001, 00.03.0002 und 00.03.0005 werden die Herstellung von Schutzeinrichtungen im Mittelstreifen auf einer Länge von 12.050 m, die Herstellung der Schutzeinrichtung auf Brücken und Stützwänden auf 130 m Länge und die Herstellung von 10 Übergangskonstruktionen an das vorhandene Fahrzeugrückhaltesystem ausgeschrieben.
Bei allen drei Positionen werden Schutzeinrichtungen bzw. Übergangskonstruktionen verlangt, welche in die BASt-Einsatzfreigabeliste (Stand: Eröffnungstermin) aufgenommen sind.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 06.07.2011 wurde von der Antragstellerin zu den Vergabeunterlagen folgende Bieteranfrage gestellt bzw. Beanstandung vorgetragen:
"Die Formulierung in Ziffer 3.5 in Verbindung mit Ziffer 5 der Baubeschreibung wird diesseits so verstanden, dassausschließlich solche Systeme zur Wertung zugelassen werden, die in der Einsatzfreigabeliste der BASt mit Stand des Submissionstermins gelistet sind und nicht gelistete Systeme auch nicht unter Beifügung von noch zu definierenden Ersatznachweisen zugelassen sind."
Die Antragstellerin bat diesbezüglich um Klarstellung und rügte für den Fall, dass ihre Annahme der ausschließlichen Zulassung in der Einsatzfreigabeliste ausgeführter Systeme zutreffend sein sollte, einen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot. Hierzu trug sie vor, es könne sich in diesem Fall nicht um eine zulässige Produktbeschränkung handeln, denn diese ergebe sich nicht aus den spezifischen Erfordernissen der Ausschreibung. Mit einem Ausschluss anderer als in der Einsatzfreigabeliste aufgeführter Konstruktionen werde der mit der DIN EN 1317 und der RPS 2009 angelegte konstruktionsoffene Wettbewerb durch intransparente nationale Kriterien unterlaufen. § 7 Abs.4 Nr. 1 Satz 2 VOB/A verlange, dass die Bezugnahme auf nationale Spezifikationen stets mit dem Zusatz "oder gleichwertig" zu versehen ist. Bietern, die andere Konstruktionen anbieten wollen, müsse der Alternativbeweis nach Maßgabe von der Vergabestelle vorzugebender transparenter Kriterien möglich bleiben. Ein Alternativbeweis sei bereits im Hinblick auf die Bearbeitungsdauer der BASt und die Erscheinungstermine ihrer Einsatzfreigabelisten geboten, auf die der Bieter keinen Einfluss habe.
Mit Schreiben vom 07.07.2011 hat die Antragsgegnerin den Submissionstermin auf den 28.07.2011 und das Ende der Zuschlagsfrist auf den 08.09.2011 verschoben.
Mit Schreiben vom 10.07.2011 erinnerte die Antragstellerin an die Beantwortung ihrer Bieteranfrage bzw. Antwort auf ihre Rüge vom 06.07.2011.
Mit Schreiben vom 19.07.2011 informierte die Antragsgegnerin die Bieter darüber, dass die Ausschreibung noch einmal in einigen Bereichen geändert wird und sie in den nächsten Tagen neue Ausschreibungsunterlagen erhalten würden.
In ihrer Rügeantwort vom 25.07.2011 teilte sie der Antragstellerin mit, dass ihre Nachfrage bzw. Rüge und der hierin enthaltene Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung Anlass für eine Überprüfung der Vergabeunterlagen gegeben habe. Hiernach seien zwar einige Änderungen vorgenommen worden, die von der Antragstellerin beanstandeten Regelungen seien aber unverändert beibehalten worden. Auch die überarbeiteten Vergabeunterlagen sähen also vor, nur Systeme zuzulassen, die in die Einsatzfreigabeliste der BASt aufgenommen sind. Die Rüge wegen Verstoßes gegen den Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot wies sie als unbegründet zurück.
Mit Schreiben vom 27.07.2011 an die Antragsgegnerin teilte die Antragstellerin mit, dass sie ihre Rüge aufrecht hält. Im Hinblick auf die mitgeteilte Ablehnung zur entsprechenden Änderung der Vergabeunterlagen kündigte sie ein Nachprüfungsverfahren an.
Die überarbeiteten Vergabeunterlagen wurden mit Aufforderung zur Angebotsabgabe vom 29.07.2011 an die Bieter versandt.
Mit Schriftsatz vom 09.08.2011 wandte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer. Unter Hinweis auf den Beschluss der VK Sachsen vom 04.05.2011, AZ. 1/SVK/010-11, und Bezugnahme auf ihre Rüge trägt sie vor, das Vergabeverfahren verletze sie in ihren Bieterrechten, weil es gegen den Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot verstoße. Die von ihr gerügte Beschränkung auf in der Einsatzfreigabeliste des BASt gelistete Systeme beeinträchtige ihre Chancen auf den Zuschlag, da sie hierdurch an der Abgabe eines Angebotes mit einem wirtschaftlicheren Alternativprodukt gehindert werde. Die Antragsgegnerin verkenne den Wettbewerbsgrundsatz bzw. das Gebot zu produkt- und konstruktionsneutraler Ausschreibung, wenn sie meine, es genüge, statt des bisher ausgeschriebenen Produktes "xxxxxx" lediglich eine erweiterte Produktpalette zuzulassen.
Die beanstandete Einschränkung verstoße gegen § 7 Abs. 8 Satz 1 VOB/A, denn sie lasse sich nicht aus Erfordernissen des konkreten Beschaffungsvorhabens herleiten. Sie lasse sich nicht mit der Vermeidung eines Mehrbedarfs an Mitarbeiterschulung rechtfertigen, führe nicht zu Vorteilen bei der Ersatzteilbeschaffung und sei auch nicht erforderlich, um die notwendige Kompatibilität sicherzustellen.
Die Antragsgegnerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf das ARS 28/2010 des BMVBS berufen. Abgesehen davon, dass Vergabehandbuch, Standardleistungskatalog und die Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau als verwaltungsinterne Vorschriften dem europäischen und dem nationalen Vergaberecht untergeordnet sind, führe ihre Beachtung auch nicht zwingend zu der hier streitbefangenen Produktbeschränkung.
Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, sie wolle mit dieser Einschränkung - auftragsunabhängig - die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik sicherstellen, sei darauf hinzuweisen, dass die DIN EN 1317 und ihre Umsetzung durch die Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS) 2009 einen europaweit einheitlichen Standard sicherstelle. Entsprechende Konformitätsbescheinigungen zugelassener Prüfinstitute machten eine zusätzliche nationale Bestätigung entbehrlich. Sollte die Antragsgegnerin bei deren Verifizierung Probleme haben, müsse sie hierzu sachverständige Unterstützung in Anspruch nehmen. Sofern die Antragsgegnerin begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit anderer notifizierter Prüfinstitute habe, sei sie gehalten, ein Verfahren gemäß Artikel 21 Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG anzustrengen.
Die Bezugnahme auf die Einsatzfreigabeliste der BASt, mit der die Antragsgegnerin zusätzlich die Erfüllung der Kriterien eines Einsatzfreigabeverfahrens in das Vergabeverfahren einführe, stelle eine technische Spezifikation i.S. von Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/106/EWG dar, die ohne Notifizierung nicht zulässig sei.
Ohnehin müsse im Fall einer solchen Bezugnahme gemäß § 7 Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 VOB/A der Alternativbeweis anhand vom Auftraggeber vorzugebender transparenter Kriterien möglich bleiben. Dies sei im Hinblick auf die Bearbeitungsdauer eines Einsatzfreigabeverfahrens bei der BASt und die zeitlich nicht einschätzbaren Aktualisierungen der Einsatzfreigabeliste auch erforderlich. Sie habe für ihre Produkte entsprechende Anträge gestellt, die noch nicht abschließend bearbeitet worden sind. Sie habe Anlass für Zweifel, dass die BASt tatsächlich alle zur Prüfung vorgelegten Konstruktionen mit gleichem Maßstab prüfe und vermute, dass einzelnen Konstruktionen anderer Anbieter ohne erkennbaren Grund Erleichterungen eingeräumt würden. Die BASt könne über die Bearbeitungsdauer einzelne Anbieter über einen unabsehbaren Zeitraum vom deutschen Markt fernhalten.
Die Schutzeinrichtungen und Übergangskonstruktionen, die sie anbieten wolle, dürften in den Mitgliedsstaaten der EU ungehindert in den Verkehr gebracht werden, da sie den Anforderungen der EN 1317 entsprechen und über eine CE-Kennzeichnung verfügen. Sie entsprächen auch den Vorgaben der RPS 2009. Es sei nicht zu erwarten, dass das für Wartung, Abnahme und Bauüberwachung zuständige Personal im Falle des Einsatzes ihrer aus einer geringen Anzahl von Bauteilen bestehenden Stahlkonstruktion überfordert sein werde, ein höherer Wartungsaufwand entstehe oder Verzögerungen wegen fehlender Ersatzteile entstehen. Die Nichteinräumung einer Möglichkeit zum Alternativbeweis verstoße gegen Artikel 23 der RL 2004/18/EG und damit gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht.
Die Antragstellerin beantragt
- 1.
den Antragsgegner zu verpflichten, im antragsgegenständlichen Vergabeverfahren auf der Grundlage der angefochtenen Ausschreibungsunterlagen keinen Zuschlag zu erteilen und festgestellte Mängel unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu heilen. Da von einem fortbestehenden Beschaffungsbedarf ausgegangen werden kann, kommen eine Zurücksetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe oder eine Neuausschreibung nach Aufhebung in Betracht, jeweils unter Aufgabe der Forderung nach Aufnahme in die Einsatzfreigabeliste der BASt;
- 2.
die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 128 Abs. 4 GWB für erforderlich zu erklären;
- 3.
dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Auftraggeberin beantragt,
- die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen.
Sie hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet.
Die von der Antragstellerin beanstandete Regelung stelle keine unzulässige Produktbeschränkung gemäß § 7 Abs. 8 VOB/A dar. Ein Auftraggeber sei in der Wahl des zu beschaffenden Gegenstandes grundsätzlich frei. Allenfalls dürfte geprüft werden, ob es sachliche Gründe gibt, die seine Wahl rechtfertigen. Im vorliegenden Fall sei die beanstandete Einschränkung zulässig, da durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. So sei im Falle des Verzichts auf diese Einschränkung eine Prüfung alternativer Nachweise erforderlich, die nicht ohne erhöhten Aufwand möglich wäre. Das benötigte Rückhaltesystem muss die DIN EN 1317 erfüllen. Als Auftraggeberin könne sie die Konformität der angebotenenSysteme mit dieser Norm nicht selbst überprüfen.
Mit dem allgemeinen Rundschreiben Straßenbau 28/10 würden die Landesverwaltungen ausdrücklich angewiesen, nur die in der Einsatzfreigabeliste aufgeführten Systeme zuzulassen. Im Ergebnis werde hierbei eine Prüfung der angebotenen Systeme vorweggenommen und bei der Bundesanstalt für Straßenwesen zentralisiert. Dies habe den Vorteil, dass sich der Prüfaufwand der Vergabestellen reduziere und die Vereinheitlichung und Qualitätssicherung abgesichert sei. Bei Zulassung in der Einsatzfreigabeliste nicht gelisteter weiterer Systeme sei zu erwarten, dass eventuelle Preisvorteile durch einen höheren Prüfungs- und Schulungsaufwand aufgezehrt werden. Die Beschränkung auf Produkte der Einsatzfreigabeliste stelle keine Beschränkung auf spezifische Produkte dar, denn diese Liste enthalte eine ausreichende Anzahl von Systemen, so dass trotz einer solchen Einschränkung der Wettbewerb sichergestellt sei. Die Einsatzfreigabeliste diene nicht dem Schutz deutscher Anbieter. Die Kriterien des Einsatzfreigabeverfahrens beschränkten sich auch nicht auf Prüfung des Nachweises der Konformität mit der DIN EN 1317, sondern es werde festgestellt, ob ein Produkt dem Bedarf der Straßenbauverwaltung entspricht. Das positive Ergebnis des Einsatzfreigabeverfahrens der BASt ersetze andernfalls erforderliche umfangreiche Abstimmungsprozesse zwischen den Straßenbauverwaltungen der Bundesländer. Es sei einem Auftraggeber nicht verwehrt, sich bei der Bestimmung seines Beschaffungsbedarfs einer Beratung durch Sachverständige oder einer zentralen Entscheidung durch eine fachlich wesentlich besser qualifizierte öffentliche Einrichtung zu bedienen.
Die BASt habe den Katalog der zur Einsatzfreigabe geforderten Kriterien, zu denen u.a. die Kompatibilität zu den im Bestand befindlichen Systemen, Erklärungen zum Patentschutz und zu Reparaturen, Systembeschreibung und Einbauanleitung gehören, vollständig veröffentlicht. Die Forderung der Antragstellerin nach der Möglichkeit eines Alternativbeweises gehe ins Leere, weil es sich bei den zusätzlichen Kriterien nicht um isoliert überprüfbare technische Anforderungen, sondern um Fragen des konkreten Bedarfes handele, über die nur der Auftraggeber bzw. zentralisiert die BASt im Rahmen des Einsatzfreigabeverfahrens entscheiden könne. Soweit in der aktuellen Rechtsprechung der VK Sachsen die Auffassung vertreten werde, die Kriterien des Einsatzfreigabeverfahrens seien in die Ausschreibung zu übernehmen, würde dies dazu führen, dass - vermutlich unter Inanspruchnahme der Hilfe der BAST - dieselbe Prüfung im Vergabeverfahren unter den strengen Regeln des Vergaberechts durchzuführen wäre.
Die Antragstellerin habe bislang nicht substantiiert dargelegt, dass das System, welches sie anbieten wolle, die Kriterien eines Einsatzfreigabeverfahrens erfüllt. Wäre ihr ein solcher Nachweis möglich, hätte sie die Aufnahme in die Einsatzfreigabeliste beantragen können. Ihr Vorwurf, das Prüfverfahren der BASt sei intransparent und widersprüchlich, werde, da die Antragstellerin hierzu nicht konkret vorgetragen habe, als unsubstantiiert zurückgewiesen.
Soweit die Antragstellerin einen Verstoß gegen § 7 Abs. 4 - 6 VOB/A beanstandet, sei anzumerken, dass diese Vorschrift nicht einschlägig ist, da die Einsatzfreigabeliste keine nationale Norm, sondern lediglich ein Produktkatalog ist.
Die Antragstellerin könne sich auch nicht im Sinne des § 2 Abs. 2 VOB/A als Bieterin diskriminiert fühlen, da sie einige der in der Einsatzfreigabeliste aufgeführten Produkte verwenden kann und dies in anderen Vergabeverfahren auch tue.
Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 06.09.2011 gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 28.09.2011 verlängert.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 06.09.2011 Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin ist nicht berechtigt, den Angebotsgegenstand auf die in der Einsatzfreigabeliste der BASt enthaltenen Rückhaltesysteme zu beschränken.
1. Anzuwenden ist vorliegend das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung. Gemäß § 6 der Vergabeverordnung in der Fassung vom 12.05.2011 (VGV) ist die VOB/A in der Fassung vom 31. Juli 2009 zu beachten.
2. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Das Land Niedersachsen, vertreten durch die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr - Geschäftsbereich xxxxxx -, führt das beanstandete Vergabeverfahren im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung gem. Artikel 85 GG für die Bundesrepublik Deutschland - Straßenbauverwaltung - durch. Das Land ist öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 4 GWB. Gemäß § 100 Abs. 1 GWB gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Der Wert des streitbefangenen Auftrags "Demontage und Montage von Fahrzeug-Rückhaltesystemen" beträgt xxxxxx EUR netto nach der Schätzung des Antragsgegners vom 27.05.2011. Er ist Teil des 2. Bauabschnittes mit Aufträgen im Wert von xxxxxx EUR netto (Ziff. 1.9 des Vergabevermerks). Diese Auftragswerte überschreiten die maßgeblichen Schwellenwerte in § 2 Nr. 3 und 6 der Vergabeverordnung (VgV), sodass die Zuständigkeit der Vergabekammer gegeben ist.
2.a. Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB auch ohne Abgabe eines Angebotes antragsbefugt, da sie als Bewerberin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie vorträgt, dass der Antragsgegner die anzubietenden Schutzsysteme zu Unrecht auf die Schutzsysteme nach BASt-Einsatzfreigabeliste (Stand Eröffnungstermin der Angebote) begrenzt hat; sie mithin mit ihren dort nicht bzw. noch nicht zum Eröffnungstermin gelisteten Systemen kein taugliches Angebot abgeben darf.
Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das den Nachprüfungsantrag stellende Unternehmen ein durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 52). Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Byok/ Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 954). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig vorgetragen, dass sie bei aus ihrer Sicht vergaberechtskonformer Ausschreibung eine Chance auf den Zuschlag hätte.
Die Chance auf einen Zuschlag setzt regelmäßig voraus, dass ein taugliches Angebot abgegeben wurde. Daran fehlt es hier. Nach herrschender Meinung in der Vergaberechtsprechung kann nur ausnahmsweise eine Antragsbefugnis trotz unterlassener Angebotsabgabe in Betracht kommen, wenn der Antragsteller gerade vorträgt, durch den gerügten Vergaberechtsverstoß an der Abgabe oder sogar an der Erstellung des Angebotes gehindert zu sein, wobei dann den Antragsteller eine erhöhte Darlegungs- und Beweislast trifft und er substantiiert darlegen muss, an der Angebotseinreichung gerade durch das vergaberechtswidrige Verhalten des Antragsgegners gehindert worden zu sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.01.2009 -Verg 59/08-, OLG Dresden, Beschluss vom 04.07.2008 - WVerg 3/08 -, Beschluss vom 29.10.2009 - WVerg 10/08).
Unstreitig werden die anzubietenden Produkte, mithin der Auftragsgegenstand, auf die in der Baubeschreibung in der sog. Einsatzfreigabeliste befindlichen begrenzt.
Die Fassung der Einsatzfreigabeliste der BASt zum geplanten Eröffnungstermin am xxxxxx.2011, die nach Recherche der Kammer der Einsatzfreigabeliste vom 01.03.2011 entspricht, enthält vier Produkte der Antragstellerin unter dem Produktnamen xxxxxx in der Aufhaltestufe H1. Mit Produkten der in der Ausschreibung geforderten Mindestaufhaltestufe H2 ist die Antragstellerin nicht gelistet. Sollte sie also im Übrigen ausschreibungskonform anbieten, muss das Angebot nach den Ausschreibungsbedingungen aus formellen Gründen zurückgewiesen werden, weil die Produkte nicht in der maßgeblichen Einsatzfreigabeliste aufgeführt sind. Ob diese Produkte die Ausschreibungsbedingungen materiell erfüllen, würde nicht geprüft werden.
Der Antragsgegner hat Nebenangebote nicht zugelassen, so dass die Antragstellerin auch über diesen Weg ihre Produkte nicht anbieten kann.
Nach der Rechtsauffassung der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt, welche Gründe die Produktbeschränkung rechtfertigen.
Nach der Darstellung der Antragstellerin droht ihr durch die behauptete Rechtsverletzung auch ein Schaden zu entstehen. Im Hinblick auf die Funktion des Nachprüfungsverfahrens, den Primärrechtsschutz zu gewährleisten, ist ein Schaden im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB dann gegeben, wenn durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß und die damit einhergehende Rechtsverletzung die Aussicht des Antragstellers, den Zuschlag zu erhalten, zumindest verschlechtert worden sein könnte (BVerfG, Beschluss vom 29.07.2004, - 2 BvR 2248/03 -. Dabei reicht es grundsätzlich aus, dass nach der Darstellung eines Antragstellers eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 26.09.2006 - X ZB 14/06 -. Dies ist vorliegend der Fall. Der drohende Schaden liegt im Verlust der Zuschlagchance. Denn die Antragstellerin könnte sich möglicherweise mit einem gleichwertigen Angebot, dessen Konstruktionen alle erforderlichen technischen Spezifikationen erfüllen, an der Ausschreibung beteiligen, wenn die behauptete Vergaberechtsverletzung, nur Konstruktionen zuzulassen, die in der Einsatzfreigabeliste aufgeführt sind, behoben würde. Die Chance auf einen Zuschlag ist aber auch dann nicht gegeben, wenn das Angebot bereits formell auszuschließen wäre, weil der Antragsgegner die Produkte ausgeschlossen hat, die der Antragsteller anbieten will.
2.b. Das Rechtsschutzbedürfnis würde der Antragstellerin allerdings fehlen, sollte sie nicht in der Lage sein, ein Angebot im Übrigen abgeben zu können. Sollte die Antragstellerin mithin nicht in der Lage sein, die streitige formale Hürde weggedacht, ein materiell taugliches Angebot abgeben können, kann sie auch kein Interesse am Auftrag haben. Aus dem Umstand heraus, dass die Antragstellerin mit xxxxxx Produkten in der Einsatzfreigabeliste aufgeführt, sie Mitglied in der Gütegemeinschaft Stahlschutzplanken e.V. ist, die Antragsgegnerin die in Rede stehende Fähigkeit nicht in Abrede gestellt hat und offensichtlich am Markt intensiv vertreten ist, hat die Kammer keinen Zweifel, dass die Antragstellerin ein taugliches Angebot abgeben könnte; mithin das Interesse am Auftrag hat.
Es ist im Übrigen auch nicht erforderlich, dass ein Antragsteller auch schlüssig darlegt, dass er bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, S. 24).
2.c. Die Antragstellerin ist auch ihrer "Pflicht" gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber der Auftraggeberin unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2002, Az.: Verg 9/02). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat die Antragstellerin die vermeintlichen Vergaberechtsverstöße rechtzeitig gerügt; sie ist nicht präkludiert. Es kann hier dahinstehen, ob § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB unwirksam ist, denn auch nach den präziseren Bestimmungen der folgenden Nummern 2 bis 4 ist die Antragstellerin nicht präkludiert. Der gerügte Fehler war nicht in der Bekanntmachung (Nr. 2), sondern in den Vergabeunterlagen erkennbar (Nr. 3) und wurde rechtzeitig vor Angebotseröffnung gerügt. Ebenso hat die Antragstellerin die Frist zwischen der Nichtabhilfeerklärung und Nachprüfungsantrag nach Nr. 4 eingehalten.
Der Nachprüfungsantrag ist somit zulässig.
3. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung der Auftraggeberin, nur die Produkte der Einsatzfreigabeliste zum Stand vom 01.03.2011 zulassen zu wollen, in ihren Rechten gemäß §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt. Die Antragsgegnerin hat nicht darlegen können, dass diese Einschränkung mit §§ 7 Abs. 8 und 2 Abs. 2 VOB/A vereinbar ist. Für eine Ausnahme i. S. des § 7 Abs. 8 Satz 1 VOB/A im Einzelfall sind - vor Ausschreibung - die mit der Beschränkung des Auftragsgegenstands einhergehenden Vorteile gegen die wettbewerblichen Nachteile abzuwägen. Die Abwägungsentscheidung ist zu begründen und in der Vergabeakte zu dokumentieren.
3.a. Soweit es um die Bestimmung des Auftragsgegenstandes geht, ist die Antragsgegnerin grundsätzlich frei. Sie hat grundsätzlich die volle Planungs- und Vertragsfreiheit bei der von ihr gewünschten Bauleistung. (vgl. v. Wietersheim in Ingenstau 17. Aufl. Rdnr. 41 zu§ 8 VOB/A)
Die Grenzen dieser Freiheit sind neben der Wirtschaftlichkeit der Beschaffung und ggf. öffentlich-rechtlichen Anforderungen durch§ 2 Abs.2 VOB/A gezogen. Die Beurteilung der zuletzt genannten Beschränkung liegt in der Zuständigkeit der angerufenen Vergabekammer. Die Antragsgegnerin darf durch § 2 Abs.2 VOB/A bei der Vergabe von Bauleistungen kein Unternehmen diskriminieren. Dieses Verbot gehört seit Bestehen der VOB zu den grundlegenden Prinzipien des Vergaberechts. Gerade die Verwirklichung des Wettbewerbsprinzips nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 VOB/A setzt zwingend voraus, dass allen Unternehmen die gleichen Chancen eingeräumt werden und nicht eines oder mehrere von ihnen ohne sachliche und nicht nachvollziehbare Gründe bevorzugt oder benachteiligt werden (ebenso Art. 2 der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) vom 31.03.2004). Daneben folgt das Gebot, alle Teilnehmer am Wettbewerb gleich zu behandeln aus Art. 3 GG, weil die Grundrechte nach allgemeiner Auffassung auch fiskalische Hilfsgeschäfte der öffentlichen Verwaltung wie z.B. die öffentliche Bauvergabe erfassen.
Die Gleichbehandlung erfordert u.a. auch die Beachtung des Gebotes zur produktneutralen Ausschreibung. (vgl. Schranner in Ingenstau a.a.O. Rdnr. 79 zu § 2 VOB/A).
Verbunden mit dem in § 97 Abs. 7 GWB verankerten Anspruch der Unternehmen auf Einhaltung des Vergaberechts, folgt daraus das Recht der Antragstellerin am offenen Verfahren teilnehmen zu können.
3.b. Die Bestimmung in § 7 Abs. 8 Satz 1 VOB/A
"(...) darf in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden. (...)"
lässt jedoch Ausnahmen zu.
Die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Begünstigungsausschluss werden im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt. Die Antragsgegnerin hat den Auftragsgegenstand vergaberechtswidrig auf diejenigen Produkte der Einsatzfreigabeliste der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) beschränkt.
Die Einsatzfreigabeliste wird von der BASt herausgegeben. Die BASt ist als eine Einrichtung des Bundes der Antragsgegnerin fachlich über das BMVBS zur Anweisung berechtigt und mithin der Antragsgegnerin zuzurechnen. Die BASt beschreibt ihre Tätigkeit in den Erläuterungen zur Einsatzfreigabeliste vom 17.01.2011 wie folgt:
"Mit der Einführung der Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeugrückhaltesysteme (RPS 2009) sollen in Deutschland nur noch nach DIN EN 1317 positiv geprüfte Fahrzeug-Rückhaltesysteme eingesetzt werden. Um sowohl für die Auftraggeber und Anwender - also die Straßenbauverwaltungen der Länder - als auch für die Auftragnehmer - also die Industrie - weiterhin ein funktionierendes Gesamtsystem in Deutschland zu behalten, wurde ein Einsatzfreigabeverfahren für Fahrzeug-Rückhaltesysteme in Deutschland entwickelt."
In den Erläuterungen vom 01.10.2009 ist zusätzlich vermerkt:
"Außerdem ist es nicht zuletzt auch im Sinne der Sicherheit wichtig, dass das Gesamtsystem bezogen auf Verfügbarkeit, Qualität, Fertigung, Reparatur und Ersatz sowie Ausschreibung und Vergabe für alle Beteiligten umsetzbar bleibt. D.h. beispielsweise, dass eine Vielzahl von konstruktiv unterschiedlichen Systemen nicht zielführend ist."
Mithin gelangen in die Einsatzfreigabeliste nicht alle Systeme, die der DIN EN 1317 entsprechen bzw. deren Konformität mit dem CE-Zeichen nachgewiesen ist. Die BASt trifft daraus eine Auswahl, indem sie bestimmte Systeme einer bestimmten Produktion aufnimmt.
Begrenzt nun, so wie im vorliegenden Fall, diese Liste die zum Angebot zugelassenen Systeme, so gerät diese Einschränkung in Konflikt mit den Vorgaben des § 7 Abs. 8 Satz 1 VOB/A, indem in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Produktion verwiesen werden darf.
Unter besonderen Voraussetzungen kann eine Ausnahme hiervon gerechtfertigt sein. Nach der Entscheidung des EuGH vom 15.10.2009, Rs. C-275/08, Datenzentrale Baden- Württemberg, hat der Auftraggeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass europaweit kein anderes Unternehmen/Produkt existiert, das auf der Basis gesicherter Erkenntnis zur Auftragserfüllung in der Lage ist bzw. den Bedarf des Auftraggebers erfüllen kann.
Hier hat die Antragsgegnerin dargelegt, dass sie keine eigenen Markterkundungsaktivitäten entfaltet, sondern durch internen Erlass zur Verwendung der Einsatzfreigabeliste verpflichtet ist; mithin macht sich die Antragsgegnerin die Begründung der BASt zur Einsatzfreigabeliste zueigen.
Das Einsatzfreigabeverfahren erfüllt aber in mehrfacher Hinsicht nicht die Vorgaben des EuGH a.a.O.
Zunächst müsste die BASt Markterkundung betreiben, um gesichert zu klären, ob ein in der Liste nicht enthaltenes Produkt den Anforderungen genügen könnte. Dem steht bereits entgegen, dass die BASt nach einem Antragsverfahren arbeitet und die beantragten Produkte einer eigenen Prüfung unterzieht, um sie auf die Liste zu setzen oder abzulehnen. Die hier notwendige Markterkundung der vergebenden Stelle ist nicht festzustellen. Diese Feststellung wird auch durch den Vortrag der Antragstellerin gestützt, wonach ihr Antrag auf Aufnahme ihrer die Anforderungen der in Rede stehenden Ausschreibung erfüllenden Produkte in die Einsatzfreigabeliste bereits vor zwei Jahren gestellt wurde.
3.c. " Soweit nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, darf in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder (...) verwiesen werden."
Fraglich ist hiernach, ob das o.g. Verbot zurücktreten muss, weil die Ausnahme durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist.
Das Gebot der neutralen Ausschreibung ist in mehrfacher Hinsicht mit der Übernahme der Regelungen des Art. 23 der Vergabekoordinierungsrichtlinie gelockert worden. Wie schon in der Vorfassung kann von diesem Gebot abgewichen werden, wenn der Auftragsgegenstand, also die Art der geforderten Bauleistung, es rechtfertigt.
Dabei genügt es allerdings, dass sich die Ausnahme aus den genannten Gesichtspunkten rechtfertigen lässt, also sachlich vertretbar ist (vgl. Kratzenberg in Ingenstau a.a.O. Rdnr. 83 zu § 7 VOB/A mit weiteren Nachweisen, darunter OLG Frankfurt 28.10.2003 - 11 Verg 9/03 - IBR 2004/90: Entscheidend ist vielmehr, ob aufgrund der von dem Antragsgegner geltend gemachten besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls ein legitimes Interesse des Antragsgegners anzuerkennen ist, ein bestimmtes Produkt, nämlich vorliegend des Herstellers XXXX, vorzuschreiben.)
Jedenfalls ist es allein entscheidend, ob die jetzt geplante Bauleistung es rechtfertigt, nur die in der Einsatzfreigabeliste aufgeführten Produkte zu verlangen. Ausschlaggebendes Merkmal sind dabei die jeweils maßgebenden technischen und gestalterischen Anforderungen, sowie die spätere Nutzung, und es ist allein wesentlich, ob diese Anforderungen eine Ausnahme in der angegeben Hinsicht rechtfertigen.
Es bedarf also einer Entscheidung der vergebenden Stelle im Einzelfall und unter Abwägung der Argumente zugunsten der Produktneutralität gegen die der notwendigen Beschränkung. Eine solche Entscheidung ist im Übrigen als Ermessensentscheidung im Nachprüfungsverfahren nur eingeschränkt prüfbar.
Nach Maßgabe der Vergabeakte und dem Vortrag der Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren fehlt es im vorliegenden Fall an dieser Entscheidung.
Der Vergabevermerk muss den Begünstigungsausschluss tragen. Er ist individuell für die in Rede stehende Vergabe zu fertigen; mithin hat er die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Daran fehlt es hier, denn die Forderung, es dürfen nur Produkte der Einsatzfreigabeliste zum Stand der Angebotseröffnung angeboten werden, lässt jeden Bezug zur konkreten Bauaufgabe vermissen. Der Begünstigungsausschluss ist nicht begründet.
Die Antragsgegnerin hat an keiner Stelle der Vergabeakte eine abwägende projektbezogene Begründung niedergelegt, mithin liegt ein Fall des Ermessennichtgebrauchs vor. Die vergebende Stelle war sich nicht bewusst, dass sie ihr Ermessen auch ausüben muss. Die administrative Weisung des BMVBS, nur die Produkte aus der Einsatzfreigabeliste auszuschreiben, Richtlinien für den passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeugrückhaltesysteme (RPS 2009) in Verbindung mit dem Rundschreiben des BMVBS zur Bekanntgabe der Richtlinien, kann die Ermessenausübung der Antragsgegnerin nicht ersetzen. Nur die vergebende Stelle kann im Einzelfall beurteilen, welche der o.g. Merkmale es rechtfertigen, den Angebotsgegenstand im Hinblick auf die ausgeschriebene Leistung einzuschränken.
Soweit im Nachprüfungsverfahren von der Antragsgegnerin Gründe der Lagerhaltung, Bedienung, Übergangssysteme und der Verweis auf die Begründung der BASt vorgetragen werden, ist zu entscheiden, ob damit die Ausnahme begründet ist.
Abgesehen davon, dass den nachgeschobenen Gründen der Bezug, mithin die o.g. Abwägung, zum vorliegenden Einzelfall fehlt, ist die unvollständige notwendige zeitnahe Dokumentation (Vergabevermerk) ohne Rücksetzung nicht heilbar.
3.e. Mit BGH Beschluss vom 08.02.2011 - X ZB 4/10 - müssen unvollständige Vergabevermerke mit Wiederholungen der Verfahrensschritte im Nachprüfungsverfahren nachgebessert werden, insoweit sie vielmehr den Fällen vorbehalten bleiben, in denen zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. Eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung ist u.a. dann gewährleistet, soweit Unternehmen im Sinn von § 2 Abs. 2 VOB/A nicht diskriminiert und gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VOB/A Wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen bekämpft werden. Die Beschränkung auf einzelne Produkte diskriminiert nicht nur diejenigen Unternehmen, deren gleich- oder höherwertigen Produkte nicht in den Kreis aufgenommen sind, sondern die Begrenzung kann Preisabsprachen, mithin die Kartellbildung, unter den begünstigten Unternehmen fördern. Auch in der jüngeren Vergangenheit finden sich dafür, von der Europäischen Union mit Bußgeldern in erheblicher Höhe belegte Beispiele.
Im Übrigen bewirkt die Begrenzung der Produkte grundsätzlich, dass technologisch neuere und hochwertigere Produkte keinen Zugang und mithin auch keine Nutzung erhalten. Im Einsatzbereich der Fahrzeugrückhaltesysteme wird dies noch dadurch verstärkt, dass die Antragsgegnerin neben den Kommunen das Nachfragemonopol für Fahrzeugrückhaltesysteme im Bundesgebiet innehat. Ein offener internationaler Systemwettbewerb ist daher nicht nur zu begrüßen, sondern notwendig.
Die Antragsgegnerin wird auch dies im insoweit neu zu fertigenden Vergabevermerk in die beschriebene individuelle Abwägung aufnehmen müssen.
3.f. Die Nachprüfbarkeit der Abwägung, mithin der hier noch zu vollziehenden Ermessensausübung, ist begrenzt. Die abgewogene und begründete, an sach- und aufgabenbezogenen Kriterien orientierte Beschaffungsentscheidung ist als Folge des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers grundsätzlich hinzunehmen und inhaltlich nicht auf Vertretbarkeit, Nachvollziehbarkeit, oder erst recht auf Richtigkeit, sondern nur daraufhin zu kontrollieren, ob sie auf sach- und auftragsbezogenen Gründen beruht. vgl. OLG Düsseldorf u.a. 15.06.2010 - VII- Verg 10/10. Allerdings muss dem, dem OLG Celle 22.05.2008, 13 Verg 1/08, folgend, ein Überblick über die am europäischen Markt befindlichen technischen Lösungen und Alternativen vorausgehen. Hernach ist von der vergebenden Stelle festzustellen, warum diese technischen Lösungen nicht geeignet erscheinen.
3.g. Soweit die Antragstellerin die Einsatzfreigabeliste der BASt als produktbezogene Präqualifikation für unzulässig hält, kann dem nicht gefolgt werden. Es ist einem Auftraggeber nicht verwehrt, auch im Vorfeld der Ausschreibungen Produkte zu prüfen. Insbesondere dann, wenn an die Produkte Sicherheitsanforderungen zu stellen sind, die wie hier eine aufwändige Testreihe erfordern. Jedoch sind in den Ausschreibungen die Produkte grundsätzlich über die Präqualifikation hinaus offen auszuschreiben. Die angebotenen präqualifizierten und nicht präqualifizierten Produkte sind sodann im Rahmen der Angebotsprüfung auf die Einhaltung der Ausschreibungsbedingungen zu untersuchen.
3.h. Soweit die Antragstellerin die Behinderung eines fairen Wettbewerbs auf dem europäischen Binnenmarkt rügt, ist dieser im Rahmen des § 7 VOB/A hinreichend gewährleistet, wenn eine besondere, auf den Einzelfall bezogene und abwägende Begründung die Ausnahme des § 7 Abs.8 Satz 1 VOB/A trägt.
3.i. Soweit die Antragsgegnerin die Produktbeschränkung mit der fehlenden Kapazität bei der Ersatzteilhaltung und Montage begründet, nimmt die Begründung die Umstände des Einzelfalls nicht auf und kann in ihrer Pauschalität die Diskriminierung nicht aufwiegen.
3.j. Soweit die Antragstellerin zur Ersatzteilhaltung, Montage, Schulungsaufwand und Erfüllung der DIN EN 1317, der RPS 2009 und der CE-Konformität vorträgt, brauchte die Kammer dies nicht zu würdigen, weil bereits die Ausübung des Ermessens der Antraggegnerin nicht festzustellen war und mithin eine Überprüfung der Ermessensentscheidung unmöglich wurde. Sollte die Antragsgegnerin ihre Beschaffungsabsicht fortsetzten, wird sie die von der Antragstellerin vorgetragenen Argumente in ihrer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen haben.
3.k. Soweit die Antragstellerin eine Auskunft der BASt über den Stand der dort anhängigen Prüfung ihrer Produkte begehrt, ist dies für die hier zu treffende Entscheidung nicht von Bedeutung, weil die BAST insoweit lediglich eine Präqualifizierung durchführt.
3.l. Soweit die Antragsgegnerin meint, der weite Beurteilungsspielraum bei der Auswahl der
zu beschaffenden Gegenständen schließe auch die Freiheit der Beschränkung ausgeschriebener Produkte ein, kann dem nicht gefolgt werden. Aus Sicht des Vergaberechts ist einen haushaltswidrige, dem Gebot der Wirtschaftlichkeit nicht folgende Beschaffung nicht zu besanstanden. Soweit jedoch die Grundrechte des wettbewerblichen Verfahrens missachtet werden, mithin die Bestimmungen über das Vergabeverfahren nicht eingehalten werden, erwächst daraus nach § 97 Abs.7 GWB der Anspruch der Wettbewerbsteilnehmer auf die Nichtdiskriminierung ihrer Produkte. Mithin ist jede Beschränkung, mit der von den grundsätzlichen Vorgaben des § 7 Abs. 8 VOB/A für technische Spezifikationen abgewichen wird, zu begründen.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw. in Ausnahmefällen 50.000 Euro beträgt.
Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR brutto. Dieser Betrag entspricht der von der Antragsgegnerin geschätzten Auftragssumme und damit ihrem Interesse am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer unter Berücksichtigung der am 24.04.2009 in Kraft getretenen Änderung des§ 128 Abs. 2 GWB fortgeschriebenen Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der zurzeit gültigen Fassung vom 01.01.2003. Nach dieser Tabelle wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.
Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.
Die Auftraggeberin ist jedoch von der Entrichtung ihres Kostenanteils gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. VwKostG von der Kostentragungspflicht befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04).
Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.
Die Auftraggeberin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.