Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.11.2010, Az.: 8 LA 26/10
Antrag auf Zulassung der Berufung; Beweiswürdigung; Posttraumatische Belastungsstörung; PTBS; Retraumatisierung; Sachaufklärung; Sachaufklärungspflicht; Tatsachenfeststellung; Trauma; Traumatisierung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.11.2010
- Aktenzeichen
- 8 LA 26/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 41815
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:1118.8LA26.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Göttingen - 03.12.2009 - AZ: 4 A 109/05
Rechtsgrundlagen
- AufenthG 25 V
- AufenthG 5 I Nr 1
- AufenthG 5 I Nr 4
- AufenthG 5 III 2
- AufenthG 60 VII 1
- VwGO 124 II Nr 1
- VwGO 124 II Nr 5
- VwGO 86
Gründe
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18. September 2001 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2005 verpflichtet hat, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen, hat keinen Erfolg.
Die Beklagte hat ihren Antrag auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) und des Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (2.) gestützt. Diese Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt worden und liegen im Übrigen nicht vor.
1. Die Zulassung der Berufung rechtfertigende ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. Senatsbeschl. v. 19.8.2009 - 8 LA 197/09 -; BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163, 1164). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).
Die Beklagte wendet gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, der Kläger leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) infolge einer in Kroatien erlittenen Traumatisierung, aus welcher sich eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers im Fall seiner Abschiebung ergebe.
Die Schilderungen des Klägers zu den angeblichen Granatangriffen als traumatisierendem Ereignis seien entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts unglaubhaft. Denn diese seien durch den Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erfolgt. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger das Gericht, wie zuvor andere Beteiligte, belogen und sich die geschilderten Angriffe schlicht ausgedacht habe. Nichts anderes ergebe sich daraus, dass die Schilderungen des Klägers mit historisch belegten Ereignissen in der Region, in der das Haus des Klägers steht, in Einklang zu bringen seien. Denn es sei nicht belegt, dass sich der Kläger zu jener Zeit auch tatsächlich in der Region aufgehalten habe. Auch die vorgelegten Fotos und die Bescheinigung der Gemeinde C. vom 27. Oktober 1993 belegten den behaupteten Granateinschlag nicht. Die Fotos zeigten vielmehr nur ein beschädigtes Dach. Bei einem Granatbeschuss hätte das Haus weitaus stärkere Beschädigungen aufweisen müssen. Die Echtheit der Bescheinigung der Gemeinde C. müsse bezweifelt werden. Zudem sei unklar, wie der Kläger an diese gelangt sei. Der Kläger selbst sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch unglaubwürdig. Denn er habe mehrfach nachweislich falsche Angaben gemacht. So habe man ihm noch im Jahre 1999 eine schwere Hals- und Lendenwirbelsäulenerkrankung bescheinigt. Zwei Jahre später sei er dagegen bei Außenputz- und Malerarbeiten auf dem Baugerüst in der 3. Etage eines Wohnhauses angetroffen worden. Weiter habe er im Jahre 2001 gegenüber dem Arzt D., gegenüber dem Gesundheitsamt und der Ausländerstelle der Beklagten und auch in einem gegen die beabsichtigte Abschiebung eingeleiteten Eilrechtsschutzverfahren vor dem Verwaltungsgericht E. angegeben, seine Mutter sei 1992 von Serben verschleppt und getötet worden und sein Haus sei dem Erdboden gleich gemacht worden. Im Jahr 2009 habe er gegenüber dem Diplom-Psychologen F. und auch gegenüber dem Verwaltungsgericht indes angegeben, seine Mutter sei bereits 1988 verstorben, von dem Erbe habe er ein Haus erworben, das später durch Granattreffer lediglich beschädigt worden sei. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts könnten diese Falschangaben auch nicht auf Verständigungsprobleme des Klägers zurückgeführt werden, denn dieser habe die falschen Angaben in verschiedenen Situationen, gegenüber verschiedenen Beteiligten und über lange Zeiträume hinweg aufrecht erhalten.
Ungeachtet des mangelnden Nachweises eines traumatisierenden Ereignisses habe das Verwaltungsgericht auch zu Unrecht eine PTBS in der Person des Klägers angenommen. So habe der Kläger nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Jahre 1992 keinen Asylantrag gestellt und bis zum Jahr 2001 gegenüber der Ausländerbehörde auch keine Traumatisierung geltend gemacht. Aus Attesten des Herrn G. vom 29. Oktober 1999 und 20. Januar 2000 ergebe sich vielmehr, dass die beim Kläger bestehenden psychischen Einschränkungen auf orthopädische Erkrankungen zurückzuführen seien. Anhaltspunkte für traumatisierende Ereignisse als Krankheitsauslöser ergäben sich aus diesem Attest nicht. Zu diesem Ergebnis sei auch eine amtsärztliche Untersuchung durch Herrn H. gelangt. Mit diesen ärztlichen Einschätzungen habe sich das Verwaltungsgericht gar nicht auseinandergesetzt. Es habe sich vielmehr nur auf die eine PTBS diagnostizierenden Stellungnahmen der Herren I., D. und J. sowie der im K. Fachklinikum E. Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität E. - Psychiatrische Institutsambulanz - tätigen Frau L. und des Diplom-Psychologen Herrn F. bezogen. Gegen die Richtigkeit der dort getroffenen Feststellungen sprächen gewichtige Argumente. So seien die Stellungnahmen der Herren I., D. und H. von einem traumatisierenden Ereignis ausgegangen, das nachweislich nicht stattgefunden habe. Das ärztliche Attest des K. Fachklinikums genüge zudem den an ein ärztliches Gutachten zum Nachweis einer PTBS zu stellenden Anforderungen nicht. So hätten die erstellenden Ärzte eine Aussage des Klägers zum tatsächlichen traumatisierenden Ereignis weder selbst eingeholt noch auf ihre Glaubhaftigkeit hin überprüft, sondern die Angaben des Klägers ungeprüft als wahr unterstellt, teilweise sogar in unzulässiger Weise von der diagnostizierten Traumatisierung auf das traumatisierende Ereignis geschlossen. Die Klärung der Aussageentstehung und Aussageentwicklung sei, gerade wenn wie hier das ärztliche Attest vom Therapeuten selbst stamme, aber wesentlicher Bestandteil einer ärztlichen Begutachtung. Die Stellungnahme sei zudem nicht unter Anwendung eines anerkannten Diagnoseschemas erstellt worden und beinhalte keine detaillierte und nachvollziehbare Stellungnahme zum methodischen Vorgehen, zu Ursachen und Auswirkungen der PTBS, zur getroffenen Diagnose und zum weiteren Behandlungsverlauf. Es sei auch nicht erkennbar, wie die Ärzte angesichts der Verständigungsschwierigkeiten mit dem die deutsche Sprache nur rudimentär beherrschenden Kläger überhaupt zu der Diagnose PTBS gelangt seien. Die beim Kläger festgestellten Krankheitssymptome (wiederkehrende Flashbacks, Ein- und Durchschlafstörungen, Alpträume, Reizbarkeit, latente Suizidalität, Herzrasen, Panikattacken, Schweißausbrüche u.a.) könnten auch darauf zurückzuführen sein, dass dieser die Medikamente Opipramol 50mg und Melperon 100mg einnehme. Denn die Nebenwirkungen dieser Medikamente entsprächen den beim Kläger festgestellten Symptomen. Schließlich fehle in der Stellungnahme jedwede Erklärung für den langen zeitlichen Abstand zwischen dem traumatisierenden Ereignis und der Geltendmachung der PTBS durch den Kläger.
Könne folglich eine PTBS nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, bestünde bei einer Rückkehr des Klägers in sein Heimatland auch keine Gefährdung seiner Gesundheit. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr einer Retraumatisierung sei auch für sich nicht nachzuvollziehen. Denn der traumatisierende Bürgerkrieg in Kroatien oder Bosnien-Herzogowina sei seit langem beendet. Zudem könne den ärztlichen Attesten nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden, dass eine etwaige Retraumatisierung des Klägers eine akute Suizidgefahr begründen würde.
Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht eine PTBS in der Person des Klägers und eine daran anknüpfende Gefahr der Retraumatisierung annehmen würde, sei zu berücksichtigen, dass die (Fortdauer der) Krankheit im wesentlichen durch den Kläger selbst verschuldet und daher die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 3 und 4 AufenthG ausgeschlossen sei. Denn wenn der Kläger schon seit seiner Einreise im Jahr 1992 an einer PTBS erkrankt gewesen wäre, hätte es ihm oblegen, sich rechtzeitig in ärztliche Behandlung zu begeben. Dies habe er aber erst im Jahr 2001 getan und so wesentlich dazu beigetragen, dass die Krankheit nicht behandelt und bisher nicht geheilt worden sei.
Schließlich habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen, das Ermessen der Beklagten sei dahingehend reduziert, von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG absehen zu müssen.
Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zwar auch dann anzunehmen, wenn erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt werden, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens als ungewiss erscheint (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NdsVBl. 2000, 244, 245). Bezieht sich - wie hier hinsichtlich des Vorliegens eines traumatisierenden Ereignisses, einer PTBS und einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit durch eine Retraumatisierung - das diesbezügliche Vorbringen auf Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts und wird dabei die diesem obliegende Tatsachenwürdigung in Frage gestellt, kommt eine Zulassung der Berufung aber nicht schon dann in Betracht, wenn der erkennende Senat die vom Verwaltungsgericht nach zutreffenden Maßstäben gewürdigte Sachlage im Rahmen einer eigenen Tatsachenwürdigung möglicherweise anders beurteilen könnte als das Verwaltungsgericht. Denn sonst wäre die Berufung gegen Urteile, die auf Grund einer Tatsachenwürdigung ergangen sind, regelmäßig nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, was mit Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkung nicht vereinbar wäre (vgl. Sächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2010 - 3 B 197/07 -, juris Rn. 2; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.1.2001 - 4 L 2401/00 -, juris Rn. 4). Eine Würdigung von Tatsachen durch die Vorinstanz kann deshalb nur mit Erfolg angegriffen werden bei Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder wenn sie offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich ist (vgl. Senatsbeschl. 14.4.2010 - 8 LA 36/10 -; Bayerischer VGH, Beschl. v. 29.7.2009 - 11 ZB 07.1043 -, juris Rn. 9).
Solche für die Zulassung der Berufung relevanten Fehler bei der Würdigung der festgestellten Tatsachen hat die Beklagte hier nicht aufzuzeigen vermocht.
Soweit die Beklagte die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen eines traumatisierenden Ereignisses unter Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit des Klägers und die Unglaubhaftigkeit seiner Aussage in Zweifel zieht, ersetzt sie lediglich die gerichtliche durch eine eigene Tatsachenwürdigung, ohne aber eine Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen oder eine sachwidrige und damit willkürliche Tatsachenfeststellung darzulegen. Auch das Verwaltungsgericht hat sich in den Gründen der angefochtenen Entscheidung eingehend mit der Glaubwürdigkeit des Klägers und der Glaubhaftigkeit seiner Aussage, insbesondere den offenen Widersprüchen zu früheren Einlassungen gegenüber Ärzten und der Beklagten, auseinandergesetzt. Es ist aber zu der nach den Entscheidungsgründen plausiblen eigenen Überzeugung gelangt, der Kläger habe die von ihm geschilderten zahlreichen Granateinschläge ("Granatregen") in der Nähe seines Hauses an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina tatsächlich erlebt und hierin sei ein traumatisierendes Ereignis zu sehen. Mit den hiergegen erhobenen Einwänden, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger das Gericht, wie zuvor andere Beteiligte, belogen und sich die geschilderten Angriffe schlicht ausgedacht habe, es sei nicht belegt, dass sich der Kläger zur fraglichen Zeit tatsächlich in der Region aufgehalten und sein Haus von den Granateinschlägen betroffen gewesen sei, und die Widersprüche zu früheren Einlassungen des Klägers seien nicht allein mit Verständigungsschwierigkeiten zu erklären, kritisiert die Beklagte lediglich das Ergebnis der gewonnenen richterlichen Überzeugung. Ihr Zulassungsvorbringen ist insoweit aber nicht geeignet, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene umfassende Bewertung der Aussage des Klägers in Frage zu stellen. Letztlich ist es nur darauf gerichtet, dass der Senat die Sachlage nach einer eigenen Beweisaufnahme möglicherweise anders beurteilen könnte als das Verwaltungsgericht. Dies reicht für die Annahme ernstlicher Zweifel aber nicht aus.
Aus dem Zulassungsvorbringen der Beklagten kann auch nicht entnommen werden, dass das vom Verwaltungsgericht festgestellte Vorliegen einer auf dem traumatisierenden Ereignis beruhenden PTBS auf einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen beruht oder sachwidrig und damit willkürlich ist.
Soweit die Beklagte gegen die Richtigkeit der vom Kläger eingeholten (fach-)ärztlichen Stellungnahmen geltend macht, diese hätten die Aussage des Klägers zum Vorliegen eines traumatisierenden Ereignisses ungeprüft als wahr unterstellt und teilweise sogar in unzulässiger Weise von der diagnostizierten Traumatisierung auf das traumatisierende Ereignis geschlossen, verkennt sie, dass sich das Verwaltungsgericht insoweit gerade nicht auf die Feststellungen der ärztlichen Atteste gestützt hat. Es hat vielmehr, wie es seine Aufgabe ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.1.2005 - 21 A 3093/04.A -, juris Rn. 13; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 14.10.2002 - 4 L 200/02 -, juris Rn. 3), die Behauptungen des Klägers zum tatsächlichen Vorliegen eines traumatisierenden Ereignisses im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände, der eigenen Sachkunde und der allgemeinen Lebenserfahrung selbstverantwortlich überprüft und hierzu, wie dargestellt, eine nachvollziehbare eigene Überzeugung gewonnen.
In gleicher Weise hat sich das Verwaltungsgericht mit den in den vorliegenden (fach-)ärztlichen Stellungnahmen enthaltenen Diagnosen auseinandergesetzt und eine eigene Überzeugung zum Vorliegen einer PTBS beim Kläger gewonnen. Dabei hat es zutreffend auf die Kriterien nach der von der WHO herausgegebenen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision - ICD-10 - (zitiert nach: www.dimdi.de, Stand: 16.11.2010), dort Katalog F 43.1, abgestellt. Zur Überprüfung dieser Kriterien hat das Verwaltungsgericht sich im Wesentlichen auf die Stellungnahmen vom 9. November 2009 und 25. November 2009 der im K. Fachklinikum E. Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität E. - Psychiatrische Institutsambulanz - tätigen und den Kläger bereits seit Oktober 2008 engmaschig behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie L. und des Diplom-Psychologen F. bezogen. Aus diesen Stellungnahmen ergibt sich explizit die Diagnose einer den Kriterien des ICD-10: F 43.1 entsprechenden PTBS. Der Einwand der Beklagten, die ärztliche Stellungnahme sei nicht unter Anwendung eines anerkannten Diagnoseschemas erstellt worden, geht daher fehl. Die Diagnose ist ausweislich der ärztlichen Stellungnahmen gerade nach den Kriterien des ICD-10 gestellt worden. Aus den ärztlichen Stellungnahmen ergeben sich entgegen der Behauptung der Beklagten auch ausreichende Angaben zum methodischen Vorgehen (vgl. Stellungnahmen v. 9.11.2009, S. 1 und 3, und v. 25.11.2009, S. 1 f.), zu Ursachen und Auswirkungen der beim Kläger diagnostizierten PTBS (vgl. Stellungnahme v. 9.11.2009, S. 2 f.), zum weiteren Behandlungsverlauf (vgl. Stellungnahme v. 9.11.2009, S. 4) und zu den Auswirkungen der Verständigungsschwierigkeiten mit dem Kläger auf die getroffene Diagnose (vgl. Stellungnahme v. 9.11.2009, S. 4).
Durchgreifende Bedenken gegen die Richtigkeit der ärztlichen Stellungnahme vom 9. November 2009 und der darauf aufbauenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts ergeben sich entgegen der Annahme der Beklagten auch nicht aus einer mangelnden Ausein-andersetzung mit dem großen zeitlichen Abstand zwischen dem traumatisierenden tatsächlichen Geschehen und dem Geltendmachen der PTBS. Zutreffend ist zwar, dass die Symptome der PTBS dem Trauma regelmäßig mit einer Latenz von wenigen Wochen bis Monaten folgen (vgl. ICD-10: F 43.1 Satz 6). Zum einen ist es aber ein Wesensmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung, dass sich die Reaktion auf das belastende Ereignis nur protrahiert einstellt (vgl. ICD-10: F 43.1 Satz 1) und sich die Symptomatik durchaus erst mit mehrjähriger Verzögerung einstellen kann (sog. late-onset PTSD, vgl. Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, Leitlinien Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik, Posttraumatische Belastungsstörung, zitiert nach: http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/051-010.htm, Stand: 16.11.2010). Zum anderen kommt es nicht auf den zeitlichen Abstand zwischen dem traumatisierenden Ereignis und dem Geltendmachen bzw. Erkennen einer PTBS an, sondern dem Auftreten der Symptome. Diese sind, worauf auch das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, aber deutlich vor der in der ärztlichen Stellungnahme vom 9. November 2009 getroffenen Diagnose aufgetreten. Hinzu kommt, dass die beim Kläger diagnostizierte PTBS offenbar durch eine das Erkennen der PTBS erschwerende Symptomatik einer depressiven Störung nach ICD-10: F 32 überlagert wird (vgl. Stellungnahme v. 9.11.2009, S. 3 f.).
Wenn die Beklagte der ärztlichen Stellungnahme vom 9. November 2009 schließlich entgegen hält, die beim Kläger festgestellten Krankheitssymptome (wiederkehrende Flashbacks, Ein- und Durchschlafstörungen, Alpträume, Reizbarkeit, latente Suizidalität, Herzrasen, Panikattacken, Schweißausbrüche u.a.) könnten auch auf Nebenwirkungen der vom Kläger eingenommenen Medikamente zurückzuführen sein, handelt es sich um eine bloße Vermutung, die die Richtigkeit der ärztlichen Aussagen nicht ernsthaft in Frage stellen kann.
Die Richtigkeit der damit vom Verwaltungsgericht in nachvollziehbarer Weise getroffenen Feststellung, beim Kläger liege eine PTBS vor, wird auch nicht durch die Einwände der Beklagten gegen die weiteren ärztlichen Stellungnahmen in Zweifel gezogen.
Die Beklagte selbst weist zutreffend darauf hin, dass sich die Stellungnahmen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie G. vom 29. Oktober 1999 (Bl. 211 Verwaltungsvorgänge der Beklagten - VV -) und vom 20. Januar 2000 (Bl. 227 VV) nicht näher mit dem Vorliegen traumatisierender Ereignisse befassen, sondern nur ein "ausgeprägtes ängstlich-depressives Syndrom infolge massiver Belastungssituation mit Fixierung auf sein schwerwiegendes Beschwerdebild" bescheinigen. Hieraus kann nicht der Schluss gezogen werden, das Vorliegen einer PTBS sei überprüft und verneint worden. Einer eingehenden Auseinandersetzung mit diesen ärztlichen Stellungnahmen bedurfte des daher in der angefochtenen Entscheidung nicht.
Gleiches gilt für die Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie J., Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Beklagten, vom 28. Februar 2000 (Bl. 230 VV). In dieser hatte J. zwar darauf hingewiesen, eine Zugehörigkeit zum Kreis der traumatisierten Personen nicht zu sehen. Diese Auffassung hat Herr H. in der Folge aber offensichtlich revidiert. So hat er in seiner weiteren Stellungnahme vom 12. Juni 2002 (Bl. 404 VV) zwar nicht das Vorliegen einer PTBS positiv festgestellt, aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die psychischen Erkrankungen des Klägers durchaus auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland zurückzuführen sein können und bei einer Rückkehr dorthin die Gefahr einer Retraumatisierung nicht auszuschließen ist.
Der weiter von der Beklagten erhobene Einwand, die ärztlichen Stellungnahmen des Herrn D. vom 23. Oktober 2001 (Bl. 371 VV) und vom 21. Dezember 2001 (Bl. 379 VV) und darauf aufbauend des Herrn H. vom 12. Juni 2002 (Bl. 404 VV) und des Herrn I. vom 20. April 2007 (Bl. 524 VV) und vom 15. November 2007 (Bl. 549 VV) seien im wesentlichen noch von einem traumatisierenden Ereignis, hier dem Verschleppen und Töten seiner Mutter, ausgegangen, das nachweislich nicht stattgefunden habe, ist für sich zwar zutreffend, hat aber keinen Einfluss auf die Richtigkeit der Feststellungen im angefochtenen Urteil. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Feststellung maßgeblich auf die Stellungnahmen der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie M. und des Diplom-Psychologen F. vom 9. November 2009 und 25. November 2009 gestützt, die auch das vom Verwaltungsgericht letztlich festgestellte traumatisierende Ereignis zugrunde gelegt hatten. Die Stellungnahmen der übrigen Ärzte sind ausweislich der Gründe der angefochtenen Entscheidung lediglich ergänzend zur Frage des Vorliegens von Symptomen einer PTBS beim Kläger herangezogen und im Hinblick auf das zugrunde gelegte traumatisierende Ereignis kritisch gewürdigt worden. Dabei hat das Verwaltungsgericht zudem zutreffend festgestellt, dass schon in der Stellungnahme des Herrn D. vom 23. Oktober 2001 (Bl. 371 VV) die auch in der mündlichen Verhandlung vom Kläger geschilderten Beschädigungen des Hauses ("das Haus dem Erdboden gleich gemacht worden") im Ansatz erwähnt worden sind.
Neben der danach nicht zu beanstandenden Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kläger leide an einer durch die dargestellten Kriegsereignisse verursachten PTBS, ist auch die angenommene Gefahr eine Retraumatisierung und daraus folgenden akuten Suizidalität nach dem Zulassungsvorbringen der Beklagten keinen ernstlichen Richtigkeitszweifeln ausgesetzt. So wird in der Stellungnahme der Frau L. und des Diplom-Psychologen F. vom 25. November 2009 die Gefahr einer Retraumatisierung bei einer Rückkehr in das Heimatland ausdrücklich beschrieben. In deren weiterer Stellungnahme vom 9. November 2009 wird auf die schon derzeit bestehende latente Suizidalität des Klägers und deren mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" eintretende Verschlimmerung bei Rückkehr in das Heimatland hingewiesen. Gleiches ergibt sich aus der Stellungnahme des Herrn I. vom 20. April 2007 (Bl. 524 VV), die auf die Gefahr einer akuten Suizidalität bei Rückkehr des Klägers in sein Heimatland hinweist. Allein der Umstand, dass die Beklagte die unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse gewonnene Überzeugung des Verwaltungsgerichts nicht teilt, begründet nach den eingangs dargestellten Maßstäben keine Richtigkeitszweifel. Der weitergehende Hinweis der Beklagten auf mögliche ärztliche Maßnahmen zur Verhinderung eines Suizids im Rahmen der eigentlichen Abschiebung geht fehl. Denn insoweit verkennt die Beklagte, dass die Gefahr der Suizidalität hier nicht maßgeblich aus dem Abschiebungsvorgang als solchem resultiert, sondern aus der Abschiebungsfolge, also der Rückkehr des Klägers in sein Heimatland (vgl. zur Abgrenzung Senatsbeschl. v. 25.5.2010 - 8 ME 83/10 -). Der so begründeten Suizidgefahr ist regelmäßig nicht durch medizinische Maßnahmen während des bloßen Abschiebungsvorgangs zu begegnen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten steht auch § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Danach darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt nach Satz 4 der Vorschrift insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Danach soll ein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nur den Ausländern zugute kommen, die nicht ausreisen können, nicht aber denen, die nicht ausreisen wollen. Dem persönlichen Verhalten des Ausländers kommt somit insbesondere im Hinblick auf die gesetzlichen Mitwirkungs- und Initiativpflichten (vgl. § 82 Abs. 1 AufenthG) eine wichtige Bedeutung zu. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kommt demnach nicht in Betracht, wenn der Ausländer die Situation der Nichtausreise entweder vorsätzlich oder zurechenbar herbeigeführt oder zumutbare Handlungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses unterlassen hat. Eine solche Situation liegt hier nicht vor. Die festgestellte Erkrankung des Klägers ist von diesem offensichtlich weder vorsätzlich noch zurechenbar herbeigeführt worden. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger ihm zumutbare Handlungen zur Beseitigung der Erkrankung schuldhaft nicht (rechtzeitig) ergriffen hat. Der Kläger befindet sich wegen der dargestellten Symptome nachweislich jedenfalls seit 1999 in ärztlicher Behandlung. Dass diese bisher nicht zur Heilung geführt hat, ist dem Kläger nicht vorzuwerfen. Die Verständigungsschwierigkeiten des Klägers mögen eine gebotene psychotherapeutische Behandlung erschweren. Entgegen den Behauptungen der Beklagten haben sie eine solche aber nicht vereitelt. Hiergegen spricht schon die mehr als ein Jahr währende engmaschige Behandlung durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie L. und den Diplom-Psychologen F..
Schließlich ergeben sich hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht angenommenen Reduzierung des nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten Ermessens, vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abzusehen, keine ernstlichen Richtigkeitszweifel. Die Auffassung der Beklagten, es könne nur von einzelnen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abgesehen werden, trifft nicht zu. Diese Einschränkung widerspricht schon dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach "von der Anwendung der Absätze 1 und 2" abgesehen werden kann. Das danach eröffnete Ermessen ist sowohl mit Blick auf die Regelung in § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Abschiebung - wie hier - seit 18 Monaten ausgesetzt ist, als auch in Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegendes Einzelfalls "auf Null" reduziert. Hinsichtlich der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sind dabei die festgestellte Erkrankung und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten für der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich der weiteren Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG ist zu berücksichtigen, dass der Kläger jedenfalls bis zum 30. August 2006 seiner Passpflicht genügt hat und die Identität des Klägers geklärt ist, hierzu die Vorlage eines gültigen Passes mithin nicht erforderlich und das öffentliche Interesse an der Passbeschaffung jedenfalls im Rahmen der hier erstrebten Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen als eher gering zu gewichten ist (vgl. Senatsbeschl. v. 28.10.2010 - 8 LA 229/09 -).
2. Die Berufung kann auch nicht wegen eines nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO maßgeblichen, der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene verwaltungsgerichtliche Entscheidung beruhen kann, zugelassen werden.
Die Beklagte macht insoweit eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht geltend. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht auf die bereits vorliegenden ärztlichen Atteste beschränken dürfen, sondern hätte ein weiteres Gutachten eines neutralen Facharztes für Psychiatrie zur Frage, ob der Kläger an einer PTBS erkrankt sei, einholen müssen.
Wird ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend gemacht, muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 30.4.2009 - 4 LA 129/08 -, juris Rn. 17).
Diese Voraussetzungen erfüllt das Zulassungsvorbringen der Beklagten nicht.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 3. Dezember 2009 hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf die nun geforderte Einholung eines weiteren Gutachtens eines neutralen Facharztes für Psychiatrie zur Frage, ob der Kläger an einer PTBS erkrankt sei, nicht hingewirkt. Schon aus diesem Grund greift die Verfahrensrüge der mangelnden Sachaufklärung hier nicht durch.
Darüber hinaus musste sich dem Verwaltungsgericht angesichts der eigenen umfangreichen und zur Entscheidungsfindung ausreichenden Sachverhaltsermittlung eine weitere Sachverhaltsaufklärung, wie sie hier von der Beklagten gefordert wird, auch nicht aufdrängen.