Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.07.2014, Az.: 10 ME 38/14

Gerichtliche Überprüfung einer mehrheitlich vom Kreistag beschlossenen Verlängerung der Amtszeit des Landrates

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.07.2014
Aktenzeichen
10 ME 38/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 21355
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0703.10ME38.14.0A

Fundstellen

  • DÖV 2014, 805
  • FStNds 2014, 529-532
  • KommJur 2014, 373-374
  • NdsVBl 2014, 285-286
  • NordÖR 2014, 461

Amtlicher Leitsatz

Weder einer Minderheitsfraktion/ gruppe noch einem einzelnen Kreistagsmitglied steht das Recht zu, die nach § 80 NKomVG mehrheitlich vom Kreistag beschlossene Verlängerung der Amtszeit des Landrates verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 1. Kammer - vom 1. April 2014 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Der Kreistag des Landkreises B. beschloss mehrheitlich am 9. Dezember 2013, dass

  • der Landrat Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit Nachbarkommunen aufnehmen solle,

  • nach § 80 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 NKomVG a. F. auf die Durchführung der Landratswahl bis zum 31. Oktober 2016 (zwei Jahre nach Ablauf der derzeitigen Amtszeit des Landrates) vorläufig verzichtet werde und

  • nach § 80 Abs. 5 Satz 7 NKomVG a. F. die Amtszeit des bisherigen Landrats bis zum 31. Oktober 2016 verlängert wird.

Die Antragsteller, eine Gruppe des Kreistages (Antragstellerin zu 1)) sowie ein Kreistagsabgeordneter (Antragsteller zu 2)), halten die beiden letztgenannten Beschlüsse für rechtswidrig und sehen sich dadurch in ihren Rechten verletzt.

Sie haben beantragt,

den Landrat als Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die o.a. beiden Beschlüsse vorläufig nicht zu vollziehen.

Das Verwaltungsgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 1. April 2014 (NdsVBl. 2014, 174 ff.) als unzulässig abgewiesen. Im kommunalen Organstreit müsse der jeweilige Antragsteller analog § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen können, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Hieran mangele es vorliegend bei beiden Antragstellern. Die angegriffenen Beschlüsse verletzten die Antragsteller nicht in eigenen, ihnen durch Gesetz eingeräumten Rechtspositionen.

Die der Antragstellerin zu 1) als Gruppe im NKomVG ausdrücklich eingeräumten Rechte seien durch die Beschlüsse nicht betroffen. Ein eigenes Abstimmungsrecht stehe der Gruppe nicht zu und könne von ihr auch nicht stellvertretend für ihre Mitglieder geltend gemacht werden. Ebenso wenig sei sie dadurch in eigenen Rechten verletzt, dass bei Rechtswidrigkeit der streitigen Beschlüsse der Antragsgegner nach Ablauf seiner regulären Amtszeit zu Unrecht als vermeintlicher Landrat weiterhin Mitglied des Kreistages sei. Die richtige Zusammensetzung des Kreistages könne von der Antragstellerin insoweit nicht erfolgreich im Kommunalverfassungsstreit gerügt werden.

Dem Antragsteller zu 2) stehe als wehrfähige Innenrechtsposition zwar das Stimmrecht zu. Es umfasse auch den Erfolgswert der Stimme als Kreistagsabgeordneter. Dieser Erfolgswert werde durch die streitigen Beschlüsse aber nicht beeinträchtigt. Denn auch im Falle der von den Antragstellern angestrebten Neuwahl eines Landrates werde dieser an Stelle des bisherigen Amtsinhabers Mitglied des Kreistages, so dass das Gewicht der Stimme des Antragstellers zu 2) in jedem Falle gleich bleibe. Dem Antragsteller stehe schließlich auch kein Anspruch zu, dass gerade eine bestimmte Person die Aufgaben des Landrates im Kreistag wahrnehme.

Es könne deshalb offen bleiben, ob die streitigen Beschlüsse angesichts der vom Antragsgegner erklärten Zustimmung zu seiner Amtszeitverlängerung überhaupt vollzugsbedürftig seien bzw. ein solcher Vollzug möglich sei.

Im Übrigen wäre der Antrag auch unbegründet, da die Regelungen in § 80 NKomVG a. F. über die Verlängerung der Amtszeit des Landrates bei laufenden Verhandlungen über einen kommunalen Zusammenschluss verfassungskonform und die gesetzlichen Voraussetzungen hier gegeben seien.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg, weil sich aus dargelegten und gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom Senat zu prüfenden Gründen keine Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung ergeben.

Es entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. zum Folgenden Urt. v. 31.10.2013 - 10 LC 72/12 -, NdsVBl. 2014, 102 ff., juris, Rn. 63, m. w. N.), dass der Antragsteller in einem Kommunalverfassungsstreitverfahren - wie hier - entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sein muss. Bei der vom Antragsteller als verletzt gerügten Rechtsposition muss es sich um ein durch das Innenrecht eingeräumtes, dem antragstellenden Organ oder Organteil zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesenes wehrfähiges subjektives Organrecht handeln. Geht es um die Verletzung organschaftlicher Mitwirkungsrechte, setzt die Antragsbefugnis voraus, dass ein subjektives Organrecht des antragstellenden Organs oder Organteils unmittelbar nachteilig betroffen wird.

Dass die streitigen Beschlüsse Organrechte der Antragsteller unmittelbar nachteilig betreffen, hat das Verwaltungsgericht mit der zuvor zusammengefasst wiedergegebenen Begründung zu Recht verneint. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich keine andere Bewertung.

Dies gilt zunächst für die Antragstellerin zu 1).

Sie räumt ein, dass ihr als Gruppe nach dem NKomVG kein eigenes Abstimmungsrecht zusteht.

Soweit sie sich stattdessen sinngemäß auf ungeschriebene Rechte beruft, die durch die streitigen Beschlüsse verletzt seien, kann ihr nicht gefolgt werden.

Die Möglichkeiten einer Minderheitenfraktion bzw. Gruppe als "Opposition" im Kreistag würden zwar gestärkt, wenn ihr die Befugnis zustünde, von ihr für rechtswidrig erachtete Sachbeschlüsse des Kreistages gerichtlich überprüfen lassen zu können. Eine dafür erforderliche Rechtsgrundlage besteht jedoch nicht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist das verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren bewusst kein objektives Beanstandungsverfahren, sondern dient der Durchsetzung subjektiver Rechte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.1.1994 - 7 B 224/93 -, NVwZ-RR 1994, 352; DVBl. 1994, 866; juris, Rn. 3)

Die Antragstellerin verweist weiterhin auf die dem Landrat im Kreistag zustehenden Vorbereitungs-, Teilnahme- und Rederechte sowie das ihm zustehende Einspruchsrecht, bei deren Wahrnehmung er jeweils Rechte der Antragstellerin "durchaus beeinträchtigen könne". Solche Befugnisse stehen hier jedoch nicht im Streit. Durch die streitigen Beschlüsse ist vom Antragsgegner nicht - wie erforderlich - unmittelbar etwa in Antragsrechte der Antragstellerin eingegriffen, sondern nur die Grundlage für eine Verlängerung seiner Amtszeit geschaffen worden.

Durch das von der Antragstellerin unterstellte ersatzlose Ausscheiden des Landrates als Mitglied des Kreistages mit dem Ende seiner regulären Amtszeit verändern sich auch nicht die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen. Denn die Besetzung der Ausschüsse richtet sich gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 NKomVG nach der Mitgliederzahl aller Fraktionen und Gruppen; Mitglieder einer Fraktion oder Gruppe können nach § 57 Abs. 1 NKomVG nur Abgeordnete sein. Der Landrat ist zwar kraft Amtes Mitglied des Kreistages, nicht aber Abgeordneter. Er kann damit nicht Mitglied einer Fraktion oder Gruppe im Kreistag sein, so dass sein etwaiges Ausscheiden aus dem Kreistag schon deshalb keinen Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse in den Ausschüssen hat.

Ebenso wenig ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen, dass die angegriffenen Beschlüsse den Antragsteller zu 2) in eigenen Rechten betreffen.

Dies gilt zunächst, soweit er eine Verletzung des Erfolgswertes seiner Stimme als Kreistagsabgeordneter rügt. Dabei kann offen bleiben, ob dem Verwaltungsgericht in der Annahme zu folgen ist, das Abstimmungsrecht eines Abgeordneten im Kreistag schließe auch den Erfolgswert seiner Stimme ein, beinhalte also das Recht, einen unter Beteiligung nicht abstimmungsberechtigter Personen erlassenen Beschluss erfolgreich anzugreifen. Selbst wenn man hiervon ausgeht, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, dass dieser Erfolgswert durch die Beschlüsse über die Amtszeitverlängerung beeinträchtigt wird. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Landrat nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 NKomVG kraft Amtes immer stimmberechtigtes Mitglied des Kreistages ist und mit seinem Ausscheiden nach Ablauf der Amtszeit nicht - wie vom Antragsteller geltend gemacht wird - eine potentiell zur Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Kreistag führende Vakanz eintritt. Dies gilt auch für den Fall, dass nach § 80 Abs. 5 Satz 7 NKomVG a. F. bzw. § 80 Abs. 4 Satz 5 NKomVG n. F. keine Verlängerung der Amtszeit des Landrates beschlossen wird. Denn anders als die Abgeordneten ist der Hauptverwaltungsbeamte nicht als Person, sondern kraft Amtes Mitglied des Kreistages. Im Falle seiner Verhinderung tritt deshalb keine Vakanz ein; vielmehr werden seine Aufgaben gemäß § 81 Abs. 3 NKomVG von seinem allgemeinen Stellvertreter wahrgenommen, soweit keine speziellere Vertretungsregelung im NKomVG eingreift (vgl. Thiele, NKomVG, 2011, § 80 Nr. 3).

Die demnach im Organstreitverfahren unzulässigen Anträge richten sich im Übrigen ohnehin gegen den falschen Antragsgegner. Ausschlaggebend für die Bestimmung des richtigen Antragsgegners ist die vom Antragsteller geltend gemachte Rechtsverletzung (vgl. Senatsurt. v. 4.12.2013 - 10 LC 64/12 - NdsVBl 2014, 164 ff.; NordÖR 2014, 236 ff. [OVG Niedersachsen 04.12.2013 - 10 LC 64/12]; juris, Rn. 29, m. w. N.). Die Rechtsverletzung soll hier in dem Beschluss des Kreistages liegen, die Amtszeit des Antragsgegners um maximal zwei Jahre zu verlängern. Die Verantwortung für diesen Beschluss trägt der Kreistag und nicht der Antragsgegner. Unabhängig von der vom Verwaltungsgericht aufgeworfenen Frage nach der Vollzugsbedürftig- und-fähigkeit des Beschlusses und der Tatsache, dass der Antragsgegner dem Beschluss über die Verlängerung seiner Amtszeit in der Sache bereits zugestimmt hat, steht ihm auch kein von den Antragstellern mit ihrem Antrag vorausgesetztes Recht auf schlichte Vollzugsverweigerung zu. Vielmehr regelt § 88 NKomVG abschließend, wie der Landrat als Hauptverwaltungsbeamter im öffentlichen Interesse auf einen für rechtswidrig erachteten Beschluss des Kreistages zu reagieren hat. Diese Norm sieht jedoch kein schlichtes Vollzugsverweigerungsrecht des Landrates vor.

Ob der Antragsteller zu 2) als Bürger überhaupt befugt ist, sich vor dem Verwaltungsgericht gegen die Verlängerung der Amtszeit des Antragsgegners zu wenden, kann offen bleiben. Jedenfalls wäre eine solcher Antrag nicht gegen den Antragsgegner als Organ, sondern gegen den Landkreis als Rechtsträger zu richten (vgl. Senatsurt. v. 31.10.2013, a.a.O., juris, Rn. 89).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 1.5 Satz 2, 22.7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).