Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 03.06.2020, Az.: 1 B 47/20

Aufsichtsrat; Berechnung; Demokratieprinzip; demokratische Legitimation; Entsendung; Fraktion; ganze Zahl; Gesellschaftsrecht; Gesellschaftsvertrag; gesetzlich begründete Zuständigkeit; GmbH; Gruppe; kommunale Eigengesellschaft; Kommunalverfassungsrecht; Kommunalverfassungsstreit; Legitimationskette; Lokalproporz; Minderheitenschutz; Neubesetzung; Parteienproporz; Vertretung; Vorrang; Vorwegnahme der Hauptsache

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
03.06.2020
Aktenzeichen
1 B 47/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71797
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Neubesetzung eines Aufsichtsrates einer kommunalen Eigengesellschaft nach Änderung des Stärkeverhältnisses im kommunalen Vertretungsorgan besteht nach § 71 Abs. 9 Satz 2 i.V.m. Satz 4 NKomVG.

2. Den kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen aus § 71 Abs. 9 Satz 2 und Satz 4 i.V.m. Abs. 6 i.V.m. Abs. 2, 3 und 5 NKomVG ist bei der Aufsichtsratsbesetzung gegenüber abweichenden Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag der Vorrang einzuräumen.

3. Der Vorrang des Kommunalverfassungsrechts ergibt sich aus der mit Einführung des § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG normierten Pflicht der kommunalen Vertretung zur Entsendung der Aufsichtsratsmitglieder und der damit vom Gesetzgeber bezweckten Einflussstärkung der Kommune, aus dem mit der Regelung des § 71 NKomVG verfolgten Minderheitenschutz sowie aus dem Gebot hinreichender demokratischer Legitimation.

4. Der mit der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Oktober 1988 – 2 OVG A 202/87 – geprägte Maßstab kann auf die geltenden, ausdifferenzierteren Regelungen des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes, insbesondere wegen der Regelung des § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG, nicht länger übertragen werden.

5. § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG enthält eine gesetzlich begründete Pflicht für die kommunale Vertretung zur Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern, welche den Anwendungsbereich des sog. Parteienproporzes aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG eröffnet. Der vorrangige Parteienproporz aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG kann nicht durch Gesellschaftsvertrag, sondern nur im Wege eines einstimmigen Beschlusses der kommunalen Vertretung gemäß § 71 Abs. 10 NKomVG abbedungen werden.

6. Hier: Ein durch Gesellschaftsvertrag bestimmter Lokalproporz kann nicht den Parteienproporz aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG bei der Aufsichtsratsbesetzung einer kommunalen GmbH verdrängen.

7. § 71 Abs. 2 Satz 4 NKomVG ist auch auf solche Fraktionen und Gruppen anwendbar, die bei der Berechnung nach § 71 Abs. 2 Satz 2 NKomVG keine ganze Zahl erreicht haben.

Tenor:

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die in § 9 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages der F.. vom 5. März 2013 für H., A-Stadt, I. und J. zugewiesenen acht Sitze im Aufsichtsrat der F.. nach dem bestehenden Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen des Antragsgegners neu zu besetzen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 10.000 €.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Neubesetzung des Aufsichtsrates einer kommunalen Eigengesellschaft.

Die Antragstellerin ist eine dem Antragsgegner – dem F. – zugehörige Gruppe, in welcher sich drei der insgesamt 33 Ratsmitglieder zusammengeschlossen haben. Der Zusammenschluss wurde mit Schreiben vom 27. Dezember 2016 gegenüber der Bürgermeisterin der K. bekannt gegeben.

Der Antragsgegner ist das Vertretungsorgan der K.. Diese Gemeinde wurde mit Wirkung zum L.. Januar 2015 gebildet und löste als Einheitsgemeinde die Samtgemeinde M. sowie die ihr angehörenden Mitgliedsgemeinden A-Stadt, H., N. und J. ab. Die Bildung der Einheitsgemeinde wurde durch den „Gebietsänderungsvertrag zur Bildung einer Einheitsgemeinde als Rechtsnachfolgerin der Samtgemeinde M. und der Mitgliedsgemeinden A-Stadt, H., N. und J.“ vom O.. März 2014 (im Folgenden: Gebietsänderungsvertrag) geregelt. Nach § 3 Abs. 1 des Gebietsänderungsvertrages ist die Einheitsgemeinde Rechtsnachfolgerin der Samtgemeinde M. sowie ihrer bisherigen Mitgliedsgemeinden. § 6 Abs. 2 UAbs. 2 des Gebietsänderungsvertrages lautet wie folgt:

„[…] Die Einheitsgemeinde wird auch die vertraglichen Regelungen in den Gesellschaften, an denen die bisherigen Mitgliedsgemeinden beteiligt sind, weiter beachten und einhalten (Anlage: Protokollnotiz).“

Dem von allen Bürgermeistern der Mitgliedsgemeinden sowie vom Samtgemeindebürgermeister unterzeichneten Gebietsänderungsvertrag wurde eine Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 des Gebietsänderungsvertrages angefügt. Die Protokollerklärung wurde unterschrieben von den Bürgermeistern der Mitgliedsgemeinden H. und N. In der Protokollerklärung wurde bezüglich der F.. (im Folgenden: GmbH) u.a. Folgendes erklärt:

„Zu beachten und einzuhalten ist, dass zur Kontrolle und Steuerung der G. ein Aufsichtsrat eingerichtet ist. Der Aufsichtsrat ist paritätisch mit der gleichen Anzahl von Mitgliedern aus H., A-Stadt, I. und J. sowie Vertretern von Betrieben aus der Fremdenverkehrswirtschaft besetzt. Das Vorschlagsrecht der Einheitsgemeinde zur Besetzung der Sitze im Aufsichtsrat, mit Ausnahme der Vertreter von Betrieben aus der Fremdenverkehrswirtschaft, wird bezogen auf H., I. und J. durch den jeweiligen Ortsrat ausgeübt.“

Für den weiteren Inhalt des Gebietsänderungsvertrages wird auf Bl. 42 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die in der Protokollerklärung angeführte GmbH wurde mit Gesellschaftsvertrag vom P.. März 2013 (im Folgenden: Gesellschaftsvertrag) gegründet. Der Gesellschaftsvertrag weist als Gesellschafter die damaligen Mitgliedsgemeinden H., A-Stadt, I. und J. aus. Als Gesellschaftsorgan wurde gemäß § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages neben der Geschäftsführung und der Gesellschafterversammlung auch ein Aufsichtsrat bestellt. In § 9 Abs. 1 und Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages wurde bezüglich der Zusammensetzung und Amtsdauer des Aufsichtsrates Folgendes geregelt:

„1. Der Aufsichtsrat besteht aus 11 Mitgliedern. Davon entfallen:
2 Sitze auf die H.
2 Sitze auf die A-Stadt
2 Sitze auf die Gemeinde I.
2 Sitze auf die J.
2 Sitze auf den Q. e.V. (R.)
1 Sitz auf den Bürgermeister der Samtgemeinde M.
[…]
2. Die Aufsichtsratsmitglieder der Gemeinden H., A-Stadt, I. i. O. und J. werden für die Dauer der Wahlperiode von den Räten der Gesellschafter entsandt.
Die Aufsichtsratsmitglieder für den R. e.V. entsendet dieser.
Aufsichtsratsmitglieder können durch die entsprechenden Gremien während der Wahlperiode abberufen und durch andere Personen ersetzt werden.
Für den Fall einer anderen kommunalverfassungsrechtlichen Organisation der S. muss das Vertretungsverhältnis weiterhin gemäß § 9 Abs. 1 gewährleistet bleiben. Das Vorschlagsrecht der Gemeinden wird dann ausgeübt durch den Ortsrat oder den Rat mit Zustimmung des jeweiligen Ortsvorstehers.“

Mit Beschluss des Antragsgegners vom T. Juli 2015 wurden für die aktuelle Wahlperiode, welche am U. 2021 endet, in den Aufsichtsrat der GmbH eine Vertreterin für die Bürgermeisterin der V. A-Stadt sowie jeweils zwei Vertreterinnen und Vertreter für A-Stadt, H., I., J. und den R. e.V. entsandt. Nach Ausscheiden eines für H. entsandten Aufsichtsratsmitglieds ist der Aufsichtsrat zurzeit nur noch mit zehn Mitgliedern besetzt.

Erstmals im Jahr 2017 und erneut mit Schreiben vom 12. Mai 2019 beantragte die Antragstellerin die Neubesetzung des Aufsichtsrates der GmbH. Dazu führte sie aus, dass der Aufsichtsrat der GmbH nach § 71 Nds. Kommunalverfassungsgesetz (im Folgenden: NKomVG) hinsichtlich der der V. A-Stadt zustehenden acht Sitze nach dem Parteienproporz des Antragsgegners neubesetzt werden müsse. Auf die SPD-Fraktion würden vier Sitze, auf die H. -Fraktion zwei Sitze, auf die I. -Fraktion ein Sitz und auf die Antragstellerin ebenfalls ein Sitz entfallen. Der Antrag wurde in der Sitzung des Antragsgegners vom W. Juni 2019 mit acht Ja-Stimmen, vier Enthaltungen und 16 Gegenstimmen abgelehnt.

Am 4. Februar 2020 hat die Antragstellerin beim beschließenden Gericht den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

Zur Antragsbegründung führt sie aus, dass sie gegenüber dem Antragsgegner einen Anspruch auf Neubesetzung des Aufsichtsrates der GmbH aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG habe. Der Antragsgegner müsse bei der Entsendung der Aufsichtsratsmitglieder der GmbH das Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen im Rat und ein von ihr benanntes Ratsmitglied berücksichtigen. Das Stärkeverhältnis müsse nicht nur bei der erstmaligen Besetzung des Aufsichtsrates, sondern auch bei Veränderung des Stärkeverhältnisses während einer Wahlperiode bedeutsam sein.

Der Gesellschaftsvertrag der GmbH stehe dem nicht entgegen, da dieser dem Kommunalverfassungsrecht nicht vorrangig sei. Der Gesellschaftsvertrag treffe keine explizite Regelung zu der Frage, was gelten solle, wenn die bisherigen Gesellschafterkommunen zu einer Einheitsgemeinde zusammengeschlossen würden. Die Regelung in § 9 Abs. 4 – gemeint ist offenbar § 9 Abs. 2 UAbs. 4 – des Gesellschaftsvertrages sei sprachlich ungenau. Es müsse aber davon ausgegangen werden, dass damit die nunmehr vollzogene Organisation als Einheitsgemeinde in den Blick genommen worden sei. Durch die Gebietsänderung sei die V. A-Stadt Rechtsnachfolgerin der Gesellschaftergemeinden geworden, sodass die vertragliche Regelung nunmehr so zu lesen sei, dass der Rat der V. A-Stadt, d.h. der Antragsgegner, die Aufsichtsratsmitglieder entsende. Diese Entsendung durch den Antragsgegner müsse nach § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG erfolgen. § 71 Abs. 6 NKomVG ordne einen partiellen Vorrang vor dem Gesellschaftsrecht an, der sich aus dem Wortlaut, dass die Vertretung die dort genannten Stellen zu besetzen hat, ergebe. Da im vorliegenden Fall mit Ausnahme der Aufsichtsratsmandate des R. e.V. der Antragsgegner die Aufsichtsratsmitglieder zu entsenden habe, sei der Anwendungsbereich des § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG eröffnet. Würde das Gesellschaftsrecht als vorrangig erachtet werden, wäre das Landesrecht zur Disposition des Gesellschaftsvertrages gestellt und der Antragsgegner könne mit einfacher Mehrheit selbst festlegen, ob und in welchem Umfang er an die Vorgaben des NKomVG gebunden sei. Dies würde aber den Grundgedanken der Spiegelbildlichkeit und des Minderheitenschutzes aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG zuwiderlaufen. Träger öffentlicher Verwaltung dürften sich nach der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht nicht vollständig den Bindungen des öffentlichen Rechts entziehen. Die kommunalverfassungsrechtlichen Vorgaben an die Organisation privatrechtlicher Gesellschaften würden das Demokratieprinzip sichern, seien bindend und nicht abdingbar. Auch bei kommunalen Unternehmen sei eine ununterbrochene Legitimationskette notwendig und der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit könne nicht ohne zwingende Gründe abbedungen werden. Für den Vorrang des Gesellschaftsrechts werde neben eindeutigen Regeln im Gesellschaftsvertrag vorausgesetzt, dass bei Abweichen vom Grundsatz der Spiegelbildlichkeit ein Rechtfertigungsgrund in der Pluralität der Gesellschafter liege. Bei einer Einheitsgemeinde seien die Abgeordneten aber nicht Vertreter der einzelnen Ortschaften, sondern müssten das Gesamtinteresse der Einheitsgemeinde im Blick haben, sodass für einen Lokalproporz kein Raum sei.

Aus demselben Grund könne auch nicht der Gebietsänderungsvertrag als rangniedere Regelung das vorrangige Kommunalverfassungsrecht einschränken. Im Übrigen sei durch den Gebietsänderungsvertrag keine wirksame Änderung des Gesellschaftsvertrages erfolgt, da es an der für die Änderung eines Gesellschaftsvertrages notwendigen notariellen Beurkundung und Handelsregistereintragung fehle. Zudem komme der Protokollnotiz als Anlage des Gebietsänderungsvertrages keine rechtliche Verbindlichkeit zu, da diese nicht dem Schriftformerfordernis genüge. Es würden die Unterschriften des Samtgemeindebürgermeisters sowie der Bürgermeister zweier Mitgliedsgemeinden fehlen. Auch sei die Protokollnotiz nicht Gegenstand der Beratungen in den jeweiligen Gemeinderäten gewesen. Dies sei aber notwendig, da die Entscheidung nicht etwa als Geschäft der laufenden Verwaltung bei den jeweiligen Hauptverwaltungsbeamten gelegen habe. Des Weiteren müssten auch „externe“ Vertragsbestandteile wie die Protokollnotiz dem Schriftformgebot entsprechen, und nach dem Gebot der Urkundeneinheit sei zu fordern, dass alle zur Vertragsurkunde gehörenden Bestandteile unterschrieben werden müssten.

Die Besetzung des Aufsichtsrates müsse nach der Berechnung aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG erfolgen. Nach dieser Berechnung komme der Antragstellerin nach Abs. 2 Satz 3 zwar zunächst kein Sitz zu, da sich für sie nach dem Verhältnis der zu vergebenden Aufsichtsratssitze zum Parteienproporz keine ganze Zahl ergebe. Der Mandatsanspruch ergebe sich aber aus Abs. 2 Satz 4, wonach bei weiteren zu vergebenden Aufsichtsratssitzen auf die höchste Nachkommastelle abzustellen sei. Bei dieser Verteilung würde der Antragstellerin auch ein Sitz zustehen, obwohl sie vorher keine ganze Zahl erreicht habe. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von Abs. 2 Satz 4 auf Fraktionen oder Gruppen, die zunächst eine ganze Zahl erreicht hätten, lasse sich weder dem Wortlaut noch dem Zusammenhang mit Abs. 2 Satz 3 entnehmen.

Selbst wenn eine Entsendung nicht nach § 71 NKomVG, sondern nach den gesellschaftsrechtlichen Regeln erfolgen müsse, seien die vertraglichen Regelungen unklar. § 9 Abs. 4 – gemeint ist offenbar § 9 Abs. 2 UAbs. 4 – des Gesellschaftsvertrages räume den Ortsräten ein Vorschlagsrecht ein, wogegen der Gesellschaftsvertrag im Übrigen den früheren Gemeinden ein Entsendungsrecht zugestehe. Es bleibe offen, ob ein Vorschlagsrecht, ein Benennungsrecht oder ein Entsendungsrecht für die Ortsräte bestehe.

Schließlich liege ein für das Eilverfahren notwendiger Anordnungsgrund vor. Die Hauptsache könne nicht abgewartet werden, da im Herbst 2021 die Kommunalwahlperiode ablaufe und die der Antragstellerin zustehenden organschaftlichen Rechte auf Vertretung im Aufsichtsrat der GmbH für den Rest der derzeitigen Wahlperiode dauernd oder endgültig vereitelt würden.

Die Antragstellerin beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die von ihm in den Aufsichtsrat der X. mbH entsandten Aufsichtsratsmitglieder mit Ausnahme der Bürgermeisterin und der vom Verein Y. e.V. nominierten Aufsichtsratsmitglieder abzurufen und die acht Sitze im Aufsichtsrat entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen in der Vertretung neu zu besetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er führt aus, dass sich ein Anspruch der Antragstellerin auf ein Mandat im Aufsichtsrat der GmbH weder aus vertraglichen noch aus kommunalverfassungsrechtlichen Regelungen ergebe.

Maßgebend für die Verteilung der Mandate im Aufsichtsrat sei vorrangig § 9 des Gesellschaftsvertrages i.V.m. § 6 Abs. 2 UAbs. 2 des Gebietsänderungsvertrages. In der Rechtsprechung sei ein Vorrang des Gesellschaftsrechts anerkannt, der auch nach Neueinführung des § 71 Abs. 6 NKomVG gelte. Das Wortlautargument der Antragstellerin greife nicht und bewege sich am Rande eines Zirkelschlusses. Der Begriff hat in § 71 Abs. 6 NKomVG regele nicht die Vorrangfrage zwischen Gesellschaftsvertrag und Kommunalverfassungsrecht. Die damit von der Antragstellerin vorausgesetzte Entscheidungskompetenz kraft NKomVG anstelle des Gesellschaftsvertrages sei aus Sicht der Antragstellerin gerade fraglich, womit diese voraussetze, was sie beweisen möchte. Die Lehre vom Verwaltungsprivatrecht stehe der Anwendung des Gesellschaftsvertrages nicht entgegen. Die Aufsichtsratsmitglieder seien nach dem Gesellschaftsvertrag demokratisch legitimiert, und eine Flucht ins Privatrecht finde nicht statt. § 9 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages stelle demokratische Legitimation – auch für den Fall der Rechtsnachfolge einzelner Gemeinden – sicher. Der Vorrang des Gesellschaftsvertrages ergebe sich auch daraus, dass bei einer GmbH nach § 52 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (im Folgenden: GmbHG) keine gesetzliche Pflicht der Gesellschafter zur Schaffung eines Aufsichtsrates bestehe, sondern dafür der Wortlaut des Gesellschaftsvertrages maßgeblich sei. Ebenso normiere das NKomVG keine Pflicht zur Schaffung eines Aufsichtsrates bei einer GmbH.

Der Antragsgegner habe die Vereinbarungen des Gesellschaftsvertrages und des Gebietsänderungsvertrages eingehalten. Auch sei die Protokollnotiz wirksam und vollwertiger Bestandteil des Gebietsänderungsvertrages. Durch den Klammerzusatz in § 6 Abs. 2 UAbs. 2 des Gebietsänderungsvertrages werde uneingeschränkt auf das Protokoll verwiesen und dieses damit vollständig in die Vertragsinhalte inkorporiert. Der Gebietsänderungsvertrag mit dem inkorporierten Verweis auf das Protokoll sei von sämtlichen Bürgermeistern bzw. dem Samtgemeindebürgermeister unterschrieben worden und genüge damit den Formvorschriften. Dementsprechend seien die Aufsichtsratsmitglieder nach dem in § 9 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages festgelegten Lokalproporz entsandt worden. Ein Parteienproporz würde der Gesellschaftsvertrag oder der Gebiebs-änderungsvertrag nicht vorsehen. Nach § 9 Abs. 2 UAbs. 4 des Gesellschaftsvertrages, welcher hier einschlägig sei, müsse das Vertretungsverhältnis nach dem Lokalproporz weiterhin gewährleistet bleiben. Den Ortsräten käme ein Vorschlagsrecht zu, was diese vor dem Entsendungsbeschluss vom T. Juli 2015 auch wahrgenommen hätten. Den Entsendungsbeschluss habe der Antragsgegner mehrheitlich gefasst und damit den Aufsichtsratsmitgliedern eine demokratische Legitimation verliehen.

Ferner ergebe sich aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 NKomVG kein Anspruch auf Ab- und Neuberufung der Aufsichtsratsmitglieder. Die Antragstellerin übersehe die gesetzliche Berechnungsmethode für Mandatsverteilungen aus § 71 Abs. 2 Satz 3 NKomVG. Danach erhalte jede Fraktion oder Gruppe zunächst so viele Sitze, wie sich für sie ganze Zahlen ergebe. Dabei würde der Antragstellerin – weder bei Berücksichtigung des Mandates der Bürgermeisterin noch bei Hinausrechnung dieses Mandates – kein nach Zahlen ganzes Mandat zustehen. Die nachfolgenden Regelungen in § 71 Abs. 2 NKomVG würden nur auf solche Fraktionen und Gruppen anwendbar seien, welche überhaupt eine ganze Zahl erreicht hätten.

Schließlich liege kein Anordnungsgrund vor, da in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren eine Entscheidung in der Hauptsache ergehen könne. Zudem würde die Hauptsache in unzulässiger Weise vorweggenommen. Die bei Stattgabe des Eilantrages vorzunehmende Neubesetzung des Aufsichtsrates bedeute einen tiefen Eingriff in das Mitbestimmungsrecht des Antragsgegners. Die Antragstellerin habe bereits in der Abstimmung vom T. Juli 2015 die Möglichkeit gehabt, ein Mitglied aus ihren Reihen in den Aufsichtsrat zu entsenden und sei dabei von der Mehrheit demokratisch überstimmt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg. Er ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Der Antrag ist zulässig.

Der Antrag nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (im Folgenden: VwGO) ist statthaft. Es liegt ein sog. Kommunalverfassungsstreit vor, welcher dadurch gekennzeichnet ist, dass Organe oder Organteile über den Bestand und die Reichweite inter- oder innerorganschaftlicher Rechte streiten (siehe VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 26.3.2020 – 1 S 424/20 –, juris Rn. 32; Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl., Rn. 699; Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl., S. 673). Im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der – hier durch die Antragstellerin ohne Hauptsacheverfahren erhobene und auf Neubesetzung des Aufsichtsrates gerichtete – Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes nach § 123 VwGO statthaft (siehe VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 26.3.2020 – 1 S 424/20 –, juris Rn. 31 f.; VG Göttingen, Beschl. v. 29.11.2012 – 1 B 191/12 –, juris Rn. 28; Beschl. v. 20.4.1999 – 1 B 1018/99 –, juris Rn. 20; zur statthaften Klageart im Hauptsacheverfahren siehe: VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 18.3.2019 – 1 S 1023/18 –, juris Rn. 38; Nds. OVG, Urt. v. 4.12.2013 – 10 LC 64/12 –, juris Rn. 28; Wefelmeier, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 54 NKomVG Rn. 24).

Die Antragstellerin ist auch entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits muss es sich bei der von der Antragstellerin als verletzt gerügten Rechtsposition um ein durch das Innenrecht eingeräumtes, dem antragstellenden Organ oder Organteil zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesenes wehrfähiges subjektives Organrecht handeln. Geht es um die Verletzung organschaftlicher Mitwirkungsrechte, setzt die Antragsbefugnis voraus, dass ein subjektives Organrecht des antragstellenden Organs oder Organteils unmittelbar nachteilig betroffen wird (Nds. OVG, Beschl. v. 3.7.2014 – 10 ME 38/14 –, juris Rn. 12; Urt. v. 31.10.2013 – 10 LC 72/12 –, juris Rn. 63). Die Antragstellerin macht als eine nach § 57 NKomVG mit eigenen organschaftlichen Rechten ausgestattete Gruppe geltend, dass ihr Recht aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG auf Benennung eines ihr zustehenden Aufsichtsratssitzes der GmbH durch den Beschluss des Antragsgegners vom W.. Juni 2019, womit dieser die beantragte Neubesetzung des Aufsichtsrates abgelehnt hat, beeinträchtigt worden sei (siehe Nds. OVG, Urt. v. 12.10.1988 – 2 OVG A 202/87, n. v., S. 8; VG Göttingen, Beschl. v. 29.11.2012 – 1 B 191/12 –, juris Rn. 28; vgl. auch VG Hannover, Beschl. v. 1.4.2014 – 1 B 3147/14 –, juris Rn. 55).

Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

2. Der Antrag ist auch begründet.

Einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis sind nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (sog. Anordnungsanspruch) und der Grund für eine notwendige vorläufige Regelung (sog. Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (im Folgenden: ZPO)).

Die Antragstellerin hat sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs (a.) als auch eines Anordnungsgrundes (b.) glaubhaft gemacht.

a. Die Antragstellerin hat gegenüber dem Antragsgegner einen Anspruch auf Neubesetzung des Aufsichtsrates der GmbH nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen aus § 71 Abs. 9 Satz 2 i.V.m. Satz 4 NKomVG.

Nach § 71 Abs. 9 Satz 2 NKomVG muss ein Ausschuss neu besetzt werden, wenn seine Zusammensetzung nicht mehr dem Verhältnis der Stärke der Fraktionen und Gruppen der Vertretung entspricht und ein Antrag auf Neubesetzung gestellt wird. Gemäß § 71 Abs. 9 Satz 4 NKomVG gilt diese Regelung entsprechend für die Besetzung der in § 71 Abs. 6 genannten Stellen. Solche Stellen umfassen nach § 71 Abs. 6 NKomVG mehrere unbesoldete Stellen gleicher Art, die die Vertretung zu besetzen oder ihre Besetzung vorzuschlagen hat. Unter die Regelung des § 71 Abs. 6 NKomVG fällt u.a. die Besetzung von Stellen im Aufsichtsrat einer Kapitalgesellschaft (siehe VG Göttingen, Beschl. v. 20.4.1999 – 1 B 1018/99 –, juris Rn. 26; Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 148).

Vorliegend ist die Neubesetzung des Aufsichtsrates der GmbH als Kapitelgesellschaft erforderlich, weil sich das Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen des Antragsgegners nachträglich geändert hat. Da der Zusammenschluss der drei Ratsmitglieder Z., AA. und AB. zu der Gruppe AC., d.h. der Antragstellerin, erst mit Schreiben vom 27. Dezember 2016 gegenüber der Bürgermeisterin der V. A-Stadt bekannt gegeben wurde, ist von einer Gründung der Antragstellerin zeitlich nach dem Entsendungsbeschluss des Antragsgegners vom T. Juli 2015 auszugehen. Mit Gründung der Antragstellerin hat sich das Stärkeverhältnis gegenüber dem Stärkeverhältnis zum Beschlusszeitpunkt geändert. Auch hat die Antragstellerin den nach § 71 Abs. 9 Satz 2 NKomVG erforderlichen Antrag auf Neubesetzung (nochmals) am 12. Mai 2019 gestellt.

Als Folge der nachträglichen Veränderung des Stärkeverhältnisses und des gestellten Antrages besteht ein Anspruch der Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner auf Neubesetzung des Aufsichtsrates der GmbH entsprechend dem geänderten Stärkeverhältnis.

Die vertraglichen Regelungen des Gesellschaftsvertrages bzw. des Gebietsänderungsvertrages stehen diesem Anspruch nicht entgegen, da diese nicht vorrangig anzuwenden sind (aa.). Die Neubesetzung bestimmt sich nach den Regeln des § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2, 3 und 5 NKomVG, d.h. die Besetzung hat nach dem von den Beteiligten als Parteienproporz bezeichnetem Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen der Vertretung zu erfolgen. Die Antragstellerin kann nach diesen Besetzungsregeln für sich einen Sitz in dem Aufsichtsrat der GmbH beanspruchen (bb.).

aa. Die Bestimmungen aus dem Gesellschaftsvertrag bzw. dem Gebietsänderungsvertrag sind nicht anzuwenden, da den Regelungen in § 71 Abs. 9 Satz 2 und Satz 4 i.V.m. Abs. 6 i.V.m. Abs. 2, 3 und 5 NKomVG der Vorrang einzuräumen ist.

Der Gesellschaftsvertrag eröffnet in § 9 Abs. 2 UAbs. 3 die Möglichkeit, dass Aufsichtsratsmitglieder durch die entsprechenden Gremien während der Wahlperiode abberufen und durch andere Personen ersetzt werden können. Eine wie von der Antragstellerin begehrte und in § 71 Abs. 9 Satz 2 und Satz 4 NKomVG normierte Neubesetzung nach Änderung des Stärkeverhältnisses in dem Vertretungsorgan ist im Gesellschaftsvertrag nicht vorgesehen. Ob eine Neubesetzung nach Änderung des Stärkeverhältnisses nach diesen Normen vorgenommen werden kann, bestimmt sich nach dem Rangverhältnis zwischen Gesellschaftsvertrag bzw. Gesellschaftsrecht und dem Kommunalverfassungsrecht. In welchem Verhältnis der Gesellschaftsvertrag bzw. das Gesellschaftsrecht zu den Regelungen des Kommunalverfassungsrechts steht, ist nicht normiert. Für den vorliegenden Fall der begehrten Neubesetzung des Aufsichtsrates entnimmt das beschließende Gericht den Vorrang des § 71 Abs. 9 Satz 2 und Satz 4 i.V.m. Abs. 6 i.V.m. Abs. 2, 3 und 5 NKomVG, d.h. die Möglichkeit einer Neubesetzung nach dem sog. Parteienproporz, einer Bewertung der kommunalverfassungsrechtlichen sowie der gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen.

Das Kommunalverfassungsrecht normiert in §§ 136 ff. NKomVG Vorgaben für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen in Unternehmen und Einrichtungen. In § 137 NKomVG wird den Kommunen ermöglicht, Unternehmen in einer Rechtsform des Privatrechts zu führen bzw. sich daran zu beteiligen. Dabei muss die Kommune einen angemessenen Einfluss, insbesondere im Aufsichtsrat oder in einem entsprechenden Überwachungsorgan, erhalten und diesen durch Gesellschaftsvertrag, durch Satzung oder in anderer Weise sichern (§ 137 Abs. 1 Nr. 6 NKomVG). Diese Vorgabe wird konkretisiert durch § 138 Abs. 3 Satz 1 NKomVG, wonach die Kommune verpflichtet ist, bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages einer Kapitalgesellschaft darauf hinzuwirken, dass ihr das Recht eingeräumt wird, Mitglieder in einen Aufsichtsrat zu entsenden. Gemäß § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG entscheidet die Vertretung über die Entsendung dieser Mitglieder.

Letztgenannte Vorschrift enthält eine gesetzlich begründete Zuständigkeit für die kommunale Vertretung zur Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern (siehe Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 148). Diese Zuständigkeitsnorm enthält zwar keine Vorgaben für das Verfahren der Entsendung, eröffnet aber den Anwendungsbereich des § 71 Abs. 6 NKomVG (siehe VG Göttingen, Beschl. v. 29.11.2012 – 1 B 191/12 –, juris Rn. 32; Beschl. v. 20.4.1999 – 1 B 1018/99 –, juris Rn. 26; Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 148; Wefelmeier, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 138 NKomVG Rn. 42; Ipsen, NdsVBl. 2015, 121 (126)). Nach § 71 Abs. 6 NKomVG sind die Absätze 2, 3 und 5 von § 71 NKomVG entsprechend anzuwenden, wenn die Vertretung in anderen Fällen, d.h. außerhalb der Ausschussbesetzung, mehrere unbesoldete Stellen gleicher Art zu besetzen oder ihre Besetzung vorzuschlagen hat. Wie dargelegt, ist davon die Besetzung von Aufsichtsratsstellen bei einer Kapitalgesellschaft umfasst.

Dabei geht das beschließende Gericht davon aus, dass die Regelungen des § 71 NKomVG nicht durch den Gesellschaftsvertrag abbedungen werden können, indem einerseits die Neubesetzung nach Änderung des Stärkeverhältnisses des Antragsgegners überhaupt nicht eingeräumt wird und andererseits die Besetzung nach dem sog. Parteienproporz durch den sog. Lokalproporz aus § 9 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages ersetzt wird (so auch VG Göttingen, Beschl. v. 29.11.2012 – 1 B 191/12 –, juris Rn. 35; Wefelmeier, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 138 NKomVG Rn. 42; in die gleiche Richtung VG Göttingen, Beschl. v. 20.4.1999 – 1 B 1018/99 –, juris Rn. 29; Meyer, KommJur 2005, 121 ff.). Soweit vertreten wird, dass eine abweichende gesellschaftsvertragliche Regelung möglich und vorrangig sein soll (so VG Oldenburg, Beschl. 15.12.2014 – 1 B 2827/14 –, n.v., S. 6; Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 165; Thiele, NKomVG, S. 217, 434 f.), folgt das Gericht dieser Ansicht nicht.

Dabei verkennt das beschließende Gericht nicht die von der zuletzt genannten Auffassung und von den Beteiligten herangezogene Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Oktober 1988 (Nds. OVG, Urt. v. 12.10.1988 – 2 OVG A 202/87, n. v.). Nach Ansicht des Gerichts kann der mit dieser Entscheidung geprägte Maßstab auf das geltende Kommunalverfassungsrecht nicht länger übertragen werden.

In der benannten Entscheidung hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht der Regelung im Gesellschaftsvertrag den Vorrang gegenüber der kommunalverfassungsrechtlichen Regelung des § 51 Abs. 6 Nds. Gemeindeordnung (im Folgenden: NGO) eingeräumt. Zwar entspricht die in jenem Verfahren maßgebliche Bestimmung des § 51 Abs. 6 NGO (in der Fassung vom 22.6.1982 (Nds.GVBl. 1982, 229; geändert durch Nds.GVBl 1986, 140 und 323) weitestgehend dem geltenden § 71 Abs. 6 NKomVG. Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht den Vorrang der vertraglichen Regelung damit begründet, dass sich die NGO einer ausdrücklichen Regelung über die Besetzung von Aufsichtsratsposten enthält und das Besetzungsrecht für die Vertretung lediglich gesellschaftsvertraglich begründet wurde (Nds. OVG, Urt. v. 12.10.1988 – 2 OVG A 202/87, n. v., S. 10 f.). Nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts kann diese gesellschaftsvertragliche Befugnis keine Pflicht des Kommunalorgans begründen, sodass der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 6 NGO nicht unmittelbar eröffnet ist, diese Bestimmung aber in Zweifelsfällen als Auffangregelung subsidiär herangezogen werden kann, wenn die vorrangigen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages nicht Abweichendes bestimmen (Nds. OVG, Urt. v. 12.10.1988 – 2 OVG A 202/87, n. v., S. 12 f.).

Diese Annahme ist nach Ansicht des beschließenden Gerichts auf das geltende NKomVG nicht übertragbar. Die der Entscheidung zugrundliegende Gesetzeslage weicht von den geltenden kommunalverfassungsrechtlichen Bestimmungen soweit ab, dass die vom Oberverwaltungsgericht herangezogene Begründung zum Vorrang des Gesellschaftsvertrages nicht (mehr) greift. Dies begründet sich in den im Vergleich zur NGO in der Fassung von 1986 ausdifferenzierteren geltenden Bestimmungen der §§ 136 ff. NKomVG. Die Vorschrift des § 138 Abs. 3 NKomVG lässt den Vorrang des Gesellschaftsvertrages nicht zu. Die Befugnis der kommunalen Vertretung zur Entsendung der Aufsichtsratsmitglieder ist gerade nicht – wie noch im Verfahren des Oberverwaltungsgerichts – nur durch den Gesellschaftsvertrag, sondern nunmehr durch § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG gesetzlich begründet. Der Gesellschaftsvertrag kann diese gesetzlich begründete Zuständigkeit lediglich umsetzen (siehe VG Göttingen, Beschl. v. 29.11.2012 – 1 B 191/12 –, juris Rn. 35). Die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dass die gesellschaftsvertragliche Bestimmung eine Pflicht des Kommunalorgans nicht begründen konnte und damit der Anwendungsbereich des § 51 Abs. 6 NGO nicht eröffnet wurde, ist nach Einführung des § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG auf die aktuelle Rechtslage gerade nicht mehr übertragbar. Es handelt sich nunmehr um eine durch das Kommunalrecht begründete Pflicht des Vertretungsorgans. Diese Pflicht lässt sich dem Wortlaut entnehmen, welcher ohne (vertragliche) Abweichungsmöglichkeit bestimmt, dass die Vertretung über die Entsendung entscheidet. Damit grenzt sich § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG begrifflich eindeutig von Satz 1 ab, welcher mit der Verpflichtung auf ein Hinwirken der Rechtseinräumung lediglich eine Obliegenheit für die Kommune normiert, einen Spielraum für vertragliche Abweichungen aber zulässt.

Zwar erkennt das beschließende Gericht, dass sich eine Kommune den Regelungen des § 138 Abs. 3 Satz 2 und § 71 Abs. 6 NKomVG auch vollständig entziehen kann, wenn es sich – wie vorliegend – um eine GmbH mit einem nur fakultativen Aufsichtsrat handelt und daher durch den Gesellschaftsvertrag überhaupt kein Aufsichtsrat bestellt werden müsste (siehe dazu auch Nds. OVG, Urt. v. 12.10.1988 – 2 OVG A 202/87, n. v., S. 15). Bereits die auf der damaligen Rechtslage basierende Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dass es aus kommunalrechtlicher Sicht unbedenklich sei, wenn der Gesellschaftsvertrag einer als GmbH geführten Eigengesellschaft einen Aufsichtsrat überhaupt nicht vorsehe oder wenn ein solcher vom Verwaltungsausschuss der Gemeinde zu bestellen oder durch Wahlbeschluss der Gesellschafterversammlung einzusetzen wäre und dadurch der Rat von der Bestellung des Aufsichtsrates ganz ausgeschlossen werden könne, lässt sich im Hinblick auf die Regelungen in § 138 Abs. 3 NKomVG nicht aufrecht erhalten. Für das beschließende Gericht folgt hieraus, dass, wenn die Kommune sich für die Bestellung eines Aufsichtsrates entscheidet, sie sich damit an die gesetzlich normierten Folgen bindet. Dies bedeutet, dass für die kommunale Vertretung nach § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG ein Entsendungsrecht unabhängig von den gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen begründet und in der Folge der Anwendungsbereich des § 71 Abs. 6 NKomVG eröffnet wird. Daraus resultiert sowohl die Besetzung des Aufsichtsrates nach dem sog. Parteienproporz (§ 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG) als auch dessen Neubesetzung bei nachträglicher Änderung des Stärkeverhältnisses in dem Vertretungsorgan (§ 71 Abs. 9 Satz 2 und Satz 4 i.V.m. Abs. 6 NKomVG).

Dass die Regelungen in § 71 NKomVG den Minderheitenschutz sichern, indem sie gewährleisten, dass das Stärkeverhältnis des Vertretungsorgans sowohl in den Ausschüssen als auch bei der Besetzung anderer Stellen i.S.v. Absatz 6 abgebildet wird (vgl. VG Göttingen, Beschl. v. 29.11.2012 – 1 B 191/12 –, juris Rn. 35; Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 5), stützt dieses Ergebnis. Indem § 71 Abs. 6 NKomVG durch die Verweisung auf Absatz 2 auch außerhalb der Ausschussbesetzung das Stärkeverhältnis als maßgeblich normiert, wird dem Minderheitenschutz eine besondere Bedeutung beigemessen. Dessen hoher Stellenwert zeigt sich auch daran, dass ein Abweichen von den Vorgaben des § 71 Abs. 2, 3, 4, 6 und 8 NKomVG nach dessen Absatz 10 einen einstimmigen Beschluss der Vertretung voraussetzt. Die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts im Urteil vom 12. Oktober 1988, dass das Kommunalverfassungsrecht nicht durchgängig eine möglichst minderheitenfreundliche Gestaltungsmöglichkeit vorsieht (Nds. OVG, Urt. v. 12.10.1988 – 2 OVG A 202/87, n. v., S. 17), steht dem nicht entgegen. Zwar nimmt § 71 Abs. 6 NKomVG auch weiterhin keine Verweisung auf das sog. Grundmandat nach § 71 Abs. 4 NKomVG vor. Allerdings wurden nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts die Rechte von Fraktionen und Gruppen gestärkt, und das vom Oberverwaltungsgericht zur Begründung in Bezug genommene Beispiel des § 40 Abs. 3 Satz 3 NGO in der Fassung von 1986 greift nicht mehr. Die darin normierten Auskunfts- und Kontrollrechte wurden im Jahr 1996 aus Gründen des Minderheitenschutzes auf Fraktionen und Gruppen ausgeweitet (siehe § 40 Abs. 3 Satz 4 NGO in der Fassung vom 22.8.1996 (Nds. GVBl. 1996, 382); Begründung zum Gesetzesentwurf, LT-Drs. 13/1450, S. 106 f. mit Verweis auf die Empfehlungen der Enquete-Kommission, LT-Drs. 12/6280, S. 32).

Für das vorliegend zugrunde gelegte Verständnis spricht zudem die gesetzgeberische Intention hinter den im Verhältnis zur NGO in der Fassung von 1986 detaillierteren Normen für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen. Würde vertraglich ein von § 71 Abs. 6 NKomVG abweichendes Besetzungsverfahren und der Ausschluss der Neubesetzung nach § 71 Abs. 9 NKomVG möglich sein, würde der mit § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG beabsichtigten Einflussstärkung der Kommune nicht entsprochen. Diese Regelung wurde im Jahr 1996 durch den damaligen § 111 Abs. 3 Satz 2 NGO eingeführt. Mit Einführung des § 111 Abs. 3 NGO sollte die Vertretung der Kommunen in Unternehmen, welche in Rechtsformen des Privatrechts betrieben werden, klarer geregelt und die bisherigen Vorschriften entsprechend den praktischen Erfahrungen aus der Vergangenheit – z.B. der unzureichenden Vertretung der Kommune in den Organen der Gesellschaft – neu gefasst werden (Begründung zum Gesetzesentwurf, LT-Drs. 13/1450, S. 97, 118 f.). Die ausdifferenzierteren Regeln zur kommunalen Betätigung in bzw. durch privatrechtliche Unternehmen sollten den kommunalen Einfluss, u.a. durch die Einflusswahrung, stärken (Begründung zum Gesetzesentwurf, LT-Drs. 13/1450, S. 118). Damit wird deutlich, dass das Kommunalverfassungsrecht bei der wirtschaftlichen Betätigung in privatrechtlichen Unternehmen darauf ausgerichtet wurde, den Kommunen angemessenen Einfluss einzuräumen. Wird diese Einflusswahrung durch ein gesetzlich begründetes Entsendungsrecht – wie hier in § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG – umgesetzt, wird dadurch die Bedeutung dieses Entsendungsrechts herausgestellt. Dieser hervorgehobenen Bedeutung würde es nicht entsprechen, wenn die sich daran anknüpfende gesetzliche Folge, d.h. die Anwendung von § 71 Abs. 6 NKomVG, nicht zwingend wäre, sondern durch gesellschaftsvertragliche Bestimmungen abbedungen werden könnte.

Denn eine Kommune sichert sich den nötigen Einfluss in erster Linie durch die Besetzung der Gesellschaftsorgane mit kommunalen Vertretern, die von ihr entsandt werden und über die die Kommune die Entscheidungen der Gesellschaft beeinflussen sowie deren Handeln kontrollieren kann. Das Erfordernis hinreichender Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten einer Kommune folgt aus dem in Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) verankerten Demokratieprinzip. Auch in den Formen des Privatrechts ist zu beachten, dass staatliches Handeln demokratisch legitimationsbedürftig ist. Entscheidungen des kommunalen Unternehmens müssen sich durch eine ununterbrochene Legitimationskette auf die gewählte Volksvertretung zurückführen lassen (Nds. OVG, Beschl. v. 8.4.2020 – 10 ME 61/20 –, n.v., S. 7 f. m. w. N.).

Diesem Gebot hinreichender demokratischer Legitimation dient es, wenn die (Neu-)Besetzung des Aufsichtsrates eines kommunalen Unternehmens anhand der Bestimmungen aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2, 3, und 5 NKomVG erfolgt. Die Entscheidungen der kommunalen Vertreter in einer Gesellschaft müssen demokratisch legitimiert sein, was wiederum eine dem Demokratieprinzip gerecht werdende Entsendung voraussetzt (Meyer, KommJur 2005, 121 (126)). Würde die Möglichkeit von abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regeln eröffnet sein, bestünde die Gefahr, dass der Gesellschaftsvertrag das gesetzlich eingeräumte Entsendungsrecht nach § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG aushöhlt, indem zwar die Entsendung durch die Vertretung gewährleistet wird, vertragliche Vorgaben den Spielraum der Vertretung bei der Besetzung aber – wie hier durch den nach § 9 Abs. 2 UAbs. 4 des Gesellschaftsvertrages geltenden Lokalproporz mit dem Vorschlagsrecht der Ortsräte – (nahezu) beseitigen. Der Vertretung würde lediglich die Rolle eines „ausführenden Organs“ zukommen. Der durch die Regelungen der §§ 136 ff. NKomVG bezweckte Einfluss der Kommunen würde konterkariert werden. Erfolgt die (Neu-)Besetzung hingegen nach § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG wird das Stärkeverhältnis der gewählten Volksvertreter abgebildet und der Kommune bzw. den jeweiligen Fraktionen und Gruppen ein Einfluss durch das Benennungsrecht aus § 71 Abs. 2 Satz 7 NKomVG ermöglicht.

Diesem aus den kommunalverfassungsrechtlichen Normen zu entnehmenden Vorrang des § 71 NKomVG steht auch nicht die vom Antragsgegner herangezogene Bestimmung des § 52 Abs. 1 GmbHG entgegen. Aus dieser Norm lässt sich kein Rangverhältnis des Gesellschaftsvertrages zum Kommunalverfassungsrecht ableiten. Nach dieser Vorschrift sind für den Fall, dass nach dem Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bestellen ist, bestimmte Vorschriften nach dem Aktiengesetz entsprechend anzuwenden, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist. Diese Anordnung subsidiärer Geltung ausgewählter Vorschriften aus dem Aktiengesetz dient lediglich dazu, einen Mindeststandard an Rechtsklarheit für die Tätigkeit des Aufsichtsrates zu schaffen (Peres, in: Saenger/Inhester, GmbHG, 4. Aufl., § 52 Rn. 2). Die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrates soll sichergestellt werden, falls hinsichtlich einzelner Regelungspunkte keine gesellschaftsvertraglichen Regelungen getroffen wurden (Giedinghagen, in: Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, 3. Aufl., § 52 Rn. 4; Schnorbus, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl., § 52 Rn. 3). Dass durch § 52 Abs. 1 GmbHG ein Vorrangverhältnis des Gesellschaftsvertrages gegenüber kommunalrechtlichen Bestimmungen, welche überwiegend zeitlich nach dem im Jahr 1966 neugefassten § 52 Abs. 1 GmbHG (siehe BGBl. I 1965, 1185) erlassen wurden, normiert werden sollte, ist hingegen nicht ersichtlich. Vielmehr sind mit dem Kommunalverfassungsrecht, wie in § 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG, kommunale Pflichten ausdrücklich geschaffen worden, die – im Gegensatz zu § 52 GmbHG – keine gesellschaftsvertragliche Abweichungsmöglichkeit vorsehen.

bb. Der Antragstellerin steht nach der Regelung des § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG auch ein Sitz im Aufsichtsrat der GmbH zu.

Nach § 71 Abs. 2 Satz 2 NKomVG werden die Sitze entsprechend dem Verhältnis der Mitgliederzahl der einzelnen Fraktionen oder Gruppen zur Mitgliederzahl aller Fraktionen und Gruppen verteilt. Dabei erhält in einem ersten Schritt jede Fraktion oder Gruppe zunächst so viele Sitze, wie sich für sie ganze Zahlen ergeben (§ 71 Abs. 2 Satz 3 NKomVG). Sind danach noch Sitze zu vergeben, so sind diese Sitze in einem zweiten Schritt in der Reihenfolge der höchsten Zahlenbruchteile, die sich bei der Berechnung nach Satz 2 ergeben, auf die Fraktionen und Gruppen zu verteilen (§ 71 Abs. 2 Satz 4 NKomVG).

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners erhält die Antragstellerin nach § 71 Abs. 2 Satz 4 NKomVG einen Sitz in dem Aufsichtsrat der GmbH. Dem liegt folgende Berechnung zugrunde:

Die nach § 71 Abs. 2 Satz 2 NKomVG maßgebliche Mitgliederzahl aller Fraktionen und Gruppen ist mit 30 zu bestimmen. Denn von den 33 Mitgliedern des Antragsgegners gehören AD. Mitglieder der J. -Fraktion, AE. Mitglieder der H. -Fraktion, AF. Mitglieder der I. -Fraktion und drei Mitglieder der Antragstellerin an. Zwei Ratsmitglieder sowie die dem Antragsgegner zugehörige Bürgermeisterin der V. A-Stadt gehören weder einer Fraktion noch einer Gruppe an. Fraktions- bzw. gruppenlose Mitglieder sind bei der Mitgliederzahl aller Fraktionen und Gruppen nicht mit einzuberechnen (Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 31 f.; Schwind, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, 3. Aufl., § 71 Rn. 12; Thiele, NKomVG, S. 213).

Die Mitgliederzahl aller Fraktionen und Gruppen ist ins Verhältnis zur jeweiligen Fraktionsgröße bzw. Gruppengröße zu setzen und mit der Anzahl der zu verteilenden Sitze im Aufsichtsrat zu multiplizieren (siehe Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 30; Schwind, in: Blum/Häusler/Meyer, NKomVG, 3. Aufl., § 71 Rn. 12).

Der Antragsgegner hat als Vertretungsorgan der V. A-Stadt durch deren Rechtsnachfolge aus § 3 Abs. 1 des Gebietsänderungsvertrages nach § 9 Abs. 2 UAbs. 1 des Gesellschaftsvertrages insgesamt neun Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Die dem K. e.V. zustehenden zwei Sitze im Aufsichtsrat entsendet dieser selbst (§ 9 Abs. 2 UAbs. 2 des Gesellschaftsvertrages). Unabhängig von der Anwendbarkeit der Regelung in § 9 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages, wonach ein Sitz auf den Bürgermeister der früheren Samtgemeinde M. entfällt, welcher nach Rechtsnachfolge durch die Einheitsgemeinde der Bürgermeisterin der V. A-Stadt zustehen würde, entfällt auf letztere bereits ipso iure nach § 138 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 NKomVG ein Sitz. Die verbleibenden acht Sitze im Aufsichtsrat sind auf die Fraktionen und Gruppen zu verteilen. Nach Multiplikation mit dem jeweiligen Verhältnis von Fraktions- bzw. Gruppenstärke zur Mitgliederzahl aller Fraktionen und Gruppen ergeben sich für die J. -Fraktion vier Sitze, für die H. -Fraktion sowie die I. -Fraktion jeweils ein Sitz nach ganzen Zahlen (§ 71 Abs. 2 Satz 3 NKomVG). Die Antragstellerin erhält nach Satz 3 keinen Sitz, weil sie keine ganze Zahl erreicht. Die zwei verbleibenden Sitze im Aufsichtsrat werden auf die CDU-Fraktion sowie die Antragstellerin verteilt, da sich für diese nach § 71 Abs. 2 Satz 4 NKomVG die höchsten Zahlenbruchteile aus der Berechnung nach Satz 2 ergeben (CDU-Fraktion 26/30; Antragstellerin 24/30).

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners steht der Antragstellerin dieser Sitz auch zu, obwohl letztere keine ganze Zahl i.S.v. § 71 Abs. 2 Satz 3 NKomVG erreicht hat. Ein – wie von dem Antragsgegner geltend gemachter – begrenzter Anwendungsbereich von § 71 Abs. 2 Satz 4 NKomVG auf Fraktionen und Gruppen, die bei der Berechnung nach Satz 2 eine ganze Zahl erreicht haben, ergibt sich weder aus dem Wortlaut von § 71 Abs. 2 Satz 4 NKomVG noch aus dem Zweck des mit § 71 Abs. 2 NKomVG normierten Verfahrens. Der Wortlaut von Satz 4 stellt vielmehr nur auf die höchsten Zahlenbruchteile, die sich bei der Berechnung nach Satz 2 ergeben, ab. Zu den ganzen Zahlen aus Satz 3 verhält sich die Regelung hingegen nicht. Eine Bedingung, in der Art, dass Satz 4 nur für die Fraktionen und Gruppen greift, welche die Voraussetzungen von Satz 3 erfüllen, wird nicht normiert. Auch in der Praxis erfolgt eine solche Begrenzung nicht (siehe Beispiele bei Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 31 und bei Thiele, NKomVG, S. 215). Für einen weiten Anwendungsbereich des Satz 4 spricht vielmehr der Sinn und Zweck von § 71 Abs. 2 NKomVG. Mit der Vorschrift wurde das sog. Hare/Niemeyer Verfahren normiert, welches eingeführt wurde, um die Repräsentation von kleineren Gruppen gegenüber dem vormals geltenden sog. Höchstzahlenverfahren nach d’Hondt zu ermöglichen (siehe Menzel, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, 50. EL, § 71 NKomVG Rn. 2). Die Berücksichtigung von Fraktionen und Gruppen, die keine ganze Zahl erreicht haben, wird diesem Zweck gerade gerecht. Eine Begrenzung würde dieser Intention hingegen zuwiderlaufen.

b. Ferner hat die Antragstellerin die Tatsachen für einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Anordnungsgrund ist gleichzusetzen mit einem spezifischen Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes, welches sich regelmäßig aus einer besonderen Dringlichkeit der Rechtsschutzgewährung ergibt, also aus der besonderen Eilbedürftigkeit im Hinblick auf eine ansonsten drohende Verletzung oder Erschwerung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Nds. OVG, Beschl. v. 29.3.2019 – 13 ME 519/18 –, juris Rn. 18; Beschl. v. 3.1.2017 – 5 ME 157/16 –, juris Rn. 18 m. w. N.; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL, § 123 Rn. 81 m. w. N.). Nicht ausreichend ist der bloße, mit dem Hauptsacheverfahren verbundene zeitliche Nachteil. Vielmehr bedarf es eines spezifischen Interesses an einer vorläufigen Regelung, welches sich vom allgemeinen Interesse an einem baldigen Verfahrensabschluss abhebt (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 25.6.1993 – 2 M 53/92 –, LKV 1994, 65 [OVG Thüringen 23.07.1993 - 2 EO 82/93]; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL, § 123 Rn. 81). Festzustellen sind konkrete Nachteile des Antragstellers, welche in der Zeit bis zur Hauptsacheentscheidung eintreten können, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird (Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL, § 123 Rn. 80b; vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 8.10.2014 – 7 MS 52/14 –, juris Rn. 79; Beschl. v. 25.7.2014 – 13 ME 97/14 –, juris Rn. 7). Als wesentliche Nachteile sind dabei u.a. solche Nachteile einzustufen, die selbst bei einem Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr rückgängig zu machen sind (Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL, § 123 Rn. 80b; vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.4.2010 – 1 S 2810/09 –, juris Rn. 17).

Ein solcher, hinreichend gewichtiger Nachteil liegt für die Antragstellerin in der Vereitelung des ihr zustehenden Anspruchs auf Neubesetzung aus § 71 Abs. 9 Satz 2 und Satz 4 NKomVG sowie ihres Mitwirkungs- und Benennungsrechts aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2, 3 und 7 NkomVG. Dabei kommt es – entgegen der Ansicht des Antragsgegners – nicht darauf an, ob bis zum Ende der aktuellen Kommunalwahlperiode am AG. 2021 eine Entscheidung in einem – noch zu erhebenden – Hauptsacheverfahren ergehen könnte. Denn die Rechtsbeeinträchtigung des Mitwirkungs- und Benennungsrechts der Antragstellerin ist, da die Tatsachen für einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht wurden, bereits eingetreten und dauert fortwährend an. Diese Rechtsbeeinträchtigung kann auch nicht nachträglich nach einer Entscheidung in der Hauptsache rückgängig gemacht werden.

Dieser Rechtsbeeinträchtigung steht auch nicht der Einwand des Antragsgegners entgegen, dass die Antragstellerin bereits bei der Abstimmung über die Entsendung der aktuellen Aufsichtsratsmitglieder im Juli 2015 mitgewirkt habe und demokratisch überstimmt worden sei. Das Mitwirkungs- und Benennungsrecht sowie der Anspruch auf Neubesetzung der Antragstellerin sind für diese erst mit ihrer Gründung, d.h. mit dem Zusammenschluss der drei Ratsmitglieder, entstanden. Da der Zusammenschluss erst mit Schreiben vom 27. Dezember 2016 gegenüber der Bürgermeisterin der V. A-Stadt bekannt gegeben wurde, ist von einer Gründung der Antragstellerin zeitlich nach der Abstimmung über die zu entsendenden Aufsichtsratsmitglieder auszugehen. Eine Mitwirkung war ihr im Juli 2015 noch nicht möglich. Vielmehr hat sich durch die Gründung der Antragstellerin das Stärkeverhältnis der Fraktionen und Gruppen i.S.v. § 71 Abs. 9 Satz 2 NKomVG nachträglich verändert, sodass erst in diesem Zeitpunkt ein Mitwirkungs- und Benennungsrecht aus § 71 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 NKomVG für die Antragstellerin entstanden ist. Diese hat den ersten Antrag auf Neubesetzung des Aufsichtsrates auch bereits kurz nach ihrer Gründung im Januar 2017 gestellt.

Die Eilbedürftigkeit wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Antragstellerin den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erst im Februar 2020 gestellt hat, obwohl der Antragsgegner den (zweiten) Antrag auf Neubesetzung des Aufsichtsrates der GmbH schon im Juli 2019 abgelehnt hat und durch dieses verzögerte gerichtliche Betreiben eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht mehr ergehen könnte. Zwar kann die Dringlichkeit eines Begehrens fehlen, wenn der Antragsteller das Eilverfahren nur zögerlich betrieben hat (siehe Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 123 Rn. 84; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL, § 123 Rn. 87a m. w. N.). Ein solcher Ausschluss der Eilbedürftigkeit wird aber nur in Fällen angenommen, in denen selbst der Erlass einer einstweiligen Anordnung zu spät käme, nicht hingegen die Klageerhebung (Nds. OVG, Beschl. v. 2.3.2017 – 10 ME 4/17 –, juris Rn. 18). Da der Antrag nach § 123 VwGO vorliegend von der Antragstellerin noch rechtzeitig vor dem Ablauf der Kommunalwahlperiode gestellt worden ist, ist eine Neubesetzung des Aufsichtsrates der GmbH auch noch realisierbar.

Der Anordnungsgrund ist – entgegen der Ansicht des Antragsgegners – auch nicht wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache ausgeschlossen.

Solchen, die Hauptsache vorwegnehmenden Anträgen im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nur ausnahmsweise dann stattzugeben, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen (BVerwG, Beschl. v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 –, juris Rn. 5 m. w. N.). Diese Grundsätze sind auch auf Anträge nach § 123 VwGO im sog. Kommunalverfassungsstreit anzuwenden. Dass die Beteiligten insoweit nicht um die Durchsetzung von Grundrechten, sondern „nur“ um die von „wehrfähigen, eigenständigen“ Innenrechten streiten, rechtfertigt es nicht, insoweit weitergehende Anforderungen zu stellen und zusätzlich ein besonderes Interesse der betroffenen Kommune zu verlangen. Damit würde der effektive Rechtsschutz bei der Durchsetzung von Innenrecht verfehlt werden (so Nds. OVG, Beschl. v. 3.12.2015 – 10 ME 46/15 –, n. v., S. 4 f.; VG Oldenburg, Beschl. v. 26.1.2018 – 3 B 8299/17 –, juris Rn. 10; VG Stade, Beschl. v. 4.1.2018 – 1 B 3431/17 –, juris Rn. 84; a. A.: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 29.11.2012 – 15 B 1308/12 –, juris Rn. 8; Beschl. v. 20.7.1992 – 15 B 1643/92 –, juris, Rn. 48). Wie bereits dargelegt, kann die fortwährende Rechtsbeeinträchtigung des der Antragstellerin zukommenden Mitwirkungs- und Benennungsrecht nach einer Entscheidung in der Hauptsache nicht nachträglich beseitigt werden. Die Mitwirkung mittels eines der Antragstellerin zustehenden Sitzes im Aufsichtsrat der GmbH kann nach der Hauptsacheentscheidung nicht nachgeholt werden.

3. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich der Höhe nach an Ziff. 22.7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.). Da die Entscheidung das Hauptsacheverfahren vorwegnimmt, war der Streitwert in voller Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts festzusetzen (Ziff. 1.5 Satz 2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).