Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.12.2013, Az.: 10 LC 64/12
Voraussetzungen für die Begrenzung des Rederechts eines Ratsmitgliedes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.12.2013
- Aktenzeichen
- 10 LC 64/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 50999
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:1204.10LC64.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 20.03.2012 - AZ: 1 A 2665/11
Rechtsgrundlagen
- § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO
- § 47 VwGO
Fundstellen
- DÖV 2014, 208
- FStNds 2014, 625-628
- KommJur 2014, 211-214
- NdsVBl 2014, 164-166
- NordÖR 2014, 236-239
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Leistungs oder Feststellungsklage eines Ratsmitgliedes gegen den Rat ist unzulässig, wenn sie sich gegen die Geschäftsordnung richtet, nach der ein Ratsmitglied zwar grundsätzlich zu einem Tagesordnungspunkt nur einmal reden darf, die Ratsvorsitzende aber Ausnahmen zulassen kann.
- 2.
Zu den Voraussetzungen für die Begrenzung des Rederechts eines Ratsmitgliedes
[Tatbestand]
Der dem beklagten Rat angehörende Kläger wendet sich gegen eine in der neuen Geschäftsordnung (§ 12 Abs. 6) enthaltene Begrenzung des Rederechts für Ratsmitglieder.
Der Beklagte hat 44 gewählte Abgeordnete aus neun Wahlvorschlägen. Der Kläger ist einziger Vertreter seiner Partei im Rat. Die neue, insoweit u.a. gegen die Stimme des Klägers beschlossene, im Ratsinformationssystem der Stadt Wilhelmshaven und entsprechend der Hauptsatzung im Internet bekanntgemachte Geschäftsordnung des Beklagten vom 2. November 2011 sieht in § 12 Abs. 5 und 6 Begrenzungen für die Redezeit und die Anzahl der Redebeiträge vor. Sie lauten wie folgt:
"(5) Die Redezeit beträgt grundsätzlich bis zu 5 Minuten, für die Begründung eines schriftlichen Antrages bis zu 10 Minuten. Die/der Ratsvorsitzende kann die Redezeit verlängern. Bei Widerspruch beschließt der Rat über die Verlängerung der Redezeit.
(6) Jedes Ratsmitglied darf grundsätzlich zu einem Beratungsgegenstand nur einmal sprechen; ausgenommen sind
a) das Schlusswort der Antragstellerin oder des Antragstellers unmittelbar vor der Abstimmung,
b) die Richtigstellung offenbarer Missverständnisse,
c) Anfragen zur Klärung von Zweifelsfragen,
d) Anträge und Einwendungen zur Geschäftsordnung
e) Wortmeldungen des Oberbürgermeisters gemäß Abs. 4.
Die/der Ratsvorsitzende kann im Einzelfall zulassen, dass ein Ratsmitglied mehr als einmal zu einer Sache sprechen darf. Bei Widerspruch entscheidet der Rat."
Der Kläger hat am 21. November 2011 Klage erhoben, die sich (nur) gegen die Einschränkungen des Rederechts in § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung richtet. Dadurch werde er in seinen Rechten als Ratsmitglied, speziell in seinem Rederecht verletzt. Wenn er schon die Begrenzung der Redezeit nach § 12 Abs. 5 Geschäftsordnung hinnehmen müsse, könne er nicht zusätzlich darauf beschränkt werden, nur einmal zu einem Gegenstand reden zu dürfen. Auch wenn der Beklagte kein Parlament sei, müssten die Regelungen für Parlamente entsprechend angewandt werden. Das Rederecht sei danach neben dem Stimmrecht das wichtigste Recht des Abgeordneten; es werde nicht nur durch begründende Rede, sondern auch durch verteidigende Gegenrede verwirklicht. Letzteres werde ihm auch gegenüber dem Oberbürgermeister sowie den Dezernenten als "Mehrheitsvertreter" verwehrt. Die Meinungsbildung im Rat sei ein dynamischer Prozess, auf den er mit einem nur einmaligen Redebeitrag nicht hinreichend einwirken könne. Zwar sehe die Geschäftsordnung Ausnahmen vor. Diese müssten jedoch von der Ratsvorsitzenden oder vom Rat genehmigt werden, womit nicht zu rechnen sei. Zudem seien die Entscheidungskriterien nicht benannt. Für die Redebegrenzung bestehe ohnehin keine Notwendigkeit, wie sich etwa in der fehlenden Anwendung des § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung in einzelnen Ausschüssen des Beklagten zeige. "Endlose" Ratssitzungen seien nicht zu befürchten, da nach § 10 Abs. 1 b) Geschäftsordnung weiterhin der Schluss der Debatte beantragt werden könne. Mit der beschlossenen Redebeschränkung würden außerdem Minderheiten benachteiligt. Er als Einzelabgeordneter sei gegenüber Fraktionen benachteiligt, weil diese über ihre verschiedenen Mitglieder durch Rede und Erwiderung auf den Fortgang der Beratung einwirken könnten, während er nur einmal an der Debatte teilnehmen dürfe. Diese Benachteiligung sei so auch von der Mehrheit beabsichtigt.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, § 12 Abs. 6 der am 2. November 2011 beschlossenen Geschäftsordnung nicht anzuwenden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger werde durch § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung nicht in seinen Rechten als Ratsmitglied verletzt. Da die Niedersächsische Kommunalverfassung keine verbindlichen Regelungen zum Rederecht enthalte, habe er in der Geschäftsordnung dazu Anordnungen treffen dürfen. Dies sei hier in Anlehnung an die Mustergeschäftsordnung des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes erfolgt. Danach sei anerkannt, dass nicht nur die Redezeit, sondern - wie hier - auch das Rederecht begrenzt werden könne. Ansonsten sei die Arbeitsfähigkeit des Rates beeinträchtigt. Der Kläger habe nach § 12 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 a) Geschäftsordnung generell das Recht, zu einem Gegenstand mehr als einmal das Wort zu ergreifen, soweit er von ihm eingebrachte Anträge begründen und sich zusätzlich in einem Schlusswort als Antragsteller mit den Redebeiträgen anderer Ratsmitglieder auseinandersetzen wolle. Wenn er - wie in der Vergangenheit - mehrere Anträge stelle, stünde ihm danach Redezeit für Stunden zu. In § 12 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 b) bis d) sehe die Geschäftsordnung weitere Ausnahmen vor. Darüber hinaus könne die Ratsvorsitzende nach § 12 Abs. 6 Satz 2 Geschäftsordnung ein Ratsmitglied im Einzelfall mehrfach zur Sache sprechen lassen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. März 2012 abgewiesen. Die Klage sei als Kommunalverfassungsstreitverfahren zwar zulässig, insbesondere zu Recht gegen den Beklagten, vertreten durch die Ratsvorsitzende, gerichtet. Die Klage sei aber unbegründet, da der Kläger durch die Redebeschränkungen in § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung nicht in seinen Rechten als Ratsmitglied verletzt werde. Dem Rat obliege die nähere Ausgestaltung dieses Rederechts in der Geschäftsordnung, soweit Einschränkungen zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Rates geboten seien und weiterhin alle Ratsmitglieder an den Ratsaufgaben beteiligt werden. Innerhalb dieses Rahmens habe der Rat einen großen Entscheidungsspielraum. Dieser sei vorliegend nicht überschritten worden. Der neue Rat der Stadt Wilhelmshaven bestehe aus Vertretern von neun Wahlvorschlägen mit entsprechenden Beteiligungsrechten, so dass er zur Aufrechterhaltung seiner Funktionsfähigkeit Begrenzungen des Rederechts habe einführen dürfen; andernfalls hätte eine zu befürchtende, auch durch Geschäftsordnungsanträge nicht zu verhindernde lange Dauer von Ratssitzungen die nur ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder überfordert. Der Beklagte habe sich bei der Begrenzung an dem Wahlergebnis orientieren und daher Mitgliedern größerer Fraktionen mehr Redezeit als dem Kläger als fraktionslosem Ratsmitglied einräumen dürfen; das ihm zustehende Mindestrederecht sei gewahrt. Ein vorbehaltloses generelles Recht auf Erwiderung gehöre nicht zu diesem Mindestmaß. Ob das Rederecht auch in den Ratsausschüssen im gleichen Umfang begrenzt würde, sei im Verhältnis zum Beklagten unerheblich.
Nach Zustellung des Urteils am 26. März 2012 hat der Kläger am 25. April 2012 die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt. Er hält auch nach gerichtlichem Hinweis einen Leistungs- bzw. Feststellungsantrag gegenüber dem Beklagten weiterhin für zulässig. Ein Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO sei nicht vorrangig, da es ihm ausschließlich um sein eigenes Rederecht gehe und dieses Recht durch § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung konkret gefährdet sei. In der Sache vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. Die neuen Regelungen in § 12 Abs. 5 und 6 Geschäftsordnung seien für das Ziel, Ratsdebatten nicht unnötig zu verlängern, theoretisch schon untauglich, da weiterhin jedem Ratsmitglied zu jedem Tagesordnungspunkt ein - wenn auch zeitlich begrenztes - Rederecht zustehe. Allerdings komme es tatsächlich allenfalls bei einzelnen Tagesordnungspunkten zu längeren Debatten, was auch für die ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder hinnehmbar sei. Dies zeige sich auch durch die Praxis in den Ausschüssen, die von § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung abweiche. Da § 12 Abs. 6 Satz 1 Geschäftsordnung in der praktischen Anwendung nur die fraktionslosen Ratsmitglieder treffe, handele es sich um eine unzulässige Regelung zu Lasten dieser Minderheit. Auch ihnen müsse bei Bedarf mindestens einmal die Gelegenheit zur Gegenrede eröffnet werden; durch § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung werde dies faktisch verhindert. Ihr geringerer Wahlerfolg rechtfertige eine Begrenzung auf einen einmaligen Redebeitrag nicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer - vom 20. März 2012 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, § 12 Abs. 6 der Geschäftsordnung in der Fassung vom 2. November 2011 auf ihn nicht anzuwenden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das Urteil und vertieft insoweit sein erstinstanzliches Vorbringen. Vorkehrungen gegen Redebeiträge aller fraktionsangehörigen Ratsmitglieder zu einem Tagesordnungspunkt habe er nicht treffen müssen, da eine solche Annahme lebensfremd sei. Das durchschnittliche "einfache" Ratsmitglied ergreife im Rat allenfalls zu den Tagesordnungspunkten das Wort, an deren Vorberatungen in den Ausschüssen es beteiligt gewesen sei. Außerdem verbiete sich eine Regelung, wonach je Fraktion nur ein einzelnes Mitglied zu einem Tagesordnungspunkt sprechen dürfe. Die notwendige Begrenzung des Rederechts benachteilige auch fraktionslose Ratsmitglieder nicht unangemessen. Dass ihnen eine geringere Redezeit als einer Fraktion zur Verfügung stehe, folge aus ihrem geringeren Wahlerfolg. Das gebotene Mindestrederecht für jedes Ratsmitglied werde durch § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung gewahrt. Die Norm ermögliche im Einzelfall auch die vom Kläger geforderte Gegenrede. Eine solche zweite Wortmeldung werde, wenn sie begründet sei, nicht willkürlich verhindert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte in diesem sowie dem in erster Instanz vorausgehenden Verfahren nach § 123 VwGO (1 B 2616/11) und der Beiakte A (Verwaltungsvorgänge) verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da sie bereits unzulässig (1) ist und im Übrigen auch unbegründet (2) wäre.
1) a) Mit der in der Verwaltungsgerichtsordnung im Einzelnen nicht ausdrücklich geregelten, aber u.a. in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO erwähnten allgemeinen Leistungsklage kann grundsätzlich ein Tun, Dulden oder Unterlassen der Exekutive verlangt werden. Dies gilt allerdings nicht für einen Anspruch auf Änderung oder Aufhebung einer untergesetzlichen Norm wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht (vgl. auch zum Folgenden: BVerwG, Urt. v. 28.6.2000 - 11 C 13.99 -, BVerwGE 111, 276, 278 f.; OVG Bremen, Urt. v. 28.3.2000 - 1 A 314/99 -, NVwZ-RR 2001, 378 ff. = NordÖR 2001, 20 ff.; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., 2010, § 42, Rn. 51; Happ, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., 2010, § 42, Rn. 62). Liegt ein solcher Verstoß vor, so ist die Norm - vorbehaltlich hier nicht einschlägiger Bestimmungen über die Unbeachtlichkeit oder Heilung von Fehlern (vgl. etwa § 10 Abs. 2 NKomVG) - unwirksam. Ihrer gerichtlichen Aufhebung oder Änderung bedarf es nicht. Gleiches gilt für einen gegen den Normgeber gerichteten Antrag auf Unterlassen ihrer Anwendung; unwirksame Normen sind nicht anzuwenden. Deshalb handelt es sich insoweit nur eine sprachliche Modifikation des Begehrens auf (deklaratorische) Aufhebung. Beim Streit um die Wirksamkeit der Norm kommt stattdessen nur ein Antrag nach § 47 VwGO gegen den Normgeber oder bei einer vollzugsbedürftigen Norm und einem konkreten Rechtsverhältnis ein Feststellungsantrag gegenüber der normanwendenden Behörde (vgl. zu diesem Klagegegner BVerwG, Urt. v. 23.8.2007 - 7 C 13.06 - NVwZ 2007, 1311 f., mit Anm. Neumann, jurisPR-BVerwG 23/2007 Anm. 4, m. w. N., sowie zu einer atypischen Klage unmittelbar gegen den Normgeber BVerwG, Urt. v. 28.1.2010 - 8 C 19.09 -, BVerwGE 136, 54 ff. mit Anm. Deiseroth, jurisPR-BVerwG 15/2010 Anm. 5) bzw. bei einem Innenrechtsstreit - wie hier - dem normanwendenden Organ in Betracht. Zu den Normen im vorgenannten Sinne gehört im Verhältnis zu Ratsmitgliedern auch die hier streitige Geschäftsordnung des Rates. Sie regelt im Innenverhältnis abstrakt-generell die Beziehungen zwischen den beteiligten Gemeindeorganen (vgl. Wefelmeier, KVR Nds, NKomVG, Stand: Juli 2013, § 54, Rn. 23, sowie Schwind, ebenda, § 69, Rn. 43).
Hieran gemessen ist der Antrag gegenüber dem Beklagten unzulässig, § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung (im Hinblick auf den Kläger oder allgemein) nicht anzuwenden.
Denn dieses Begehren wird auf die Unwirksamkeit der Norm wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht gestützt. Ob im Kommunalverfassungsstreitverfahren überhaupt eine Leistungsklage statthaft ist (vgl. Wefelmeier, a. a. O., § 54, Rn. 23 f.; Glaser, in Gärditz, VwGO, 2013, § 43, Rn. 53, 76; Sodan, a.a.O, § 42, Rn. 233, jeweils m. w. N.), kann deshalb offen bleiben.
Zudem dürfte sich das Unterlassungsbegehren auch gegen den falschen Beklagten richten. Die vom Kläger geltend gemachte Rechtsverletzung, die für die Bestimmung des Klagegegners ausschlaggebend ist (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 31.10.2013 - 10 LC 72/12 -, [...]; Wefelmeier, a.a.O., § 54, Rn. 35, m. w. N.), durch Anwendung des § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung, d.h. durch Versagung eines weiteren Rederechts, geht vorrangig nicht vom Rat, sondern von der Ratsvorsitzenden als insoweit eigenständigem Organ aus. Denn sie leitet nach § 63 Abs. 1 NKomVG die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen, sorgt für die Aufrechterhaltung der Ordnung und erteilt in Ausübung dieser Sitzungsgewalt nach § 69 NKomVG i. V. m. § 12 Abs. 1 Geschäftsordnung Ratsmitgliedern das Wort; andernfalls dürfen sie nicht sprechen. Nur im Streitfalle des § 12 Abs. 6 Satz 3 Geschäftsordnung kommt es insoweit zu einer Entscheidung des Beklagten.
1) b) Das Klagebegehren i. S. d. § 88 VwGO bliebe auch unzulässig, wenn man es - wie ursprünglich vom Kläger angekündigt - so verstünde, dass gegenüber dem Rat die Unwirksamkeit des § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung festgestellt werden soll. Denn eine solche Feststellung ist nur statthaft, wenn gegenüber der normanwendenden Behörde bzw. bei einem Innenrechtsstreit - wie hier - dem normanwendenden Organ bereits ein konkretes Rechtsverhältnis besteht und nicht nur abstrakt über die Wirksamkeit einer Norm gestritten wird (vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., 2012, § 43, Rn. 17, m. w. N.). Hieran fehlt es vorliegend aber. Denn der Kläger begehrt unabhängig vom Einzelfall die Feststellung der Unwirksamkeit des § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung wegen der darin enthaltenen Beschränkung auf ein einmaliges Rederecht. Ob es dabei bleibt oder ihm weitere Redemöglichkeiten eingeräumt werden, steht jedoch nicht vorab fest, sondern bedarf der Entscheidung nach Maßgabe des § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung im Einzelfall. Danach darf auch der Kläger ohne weiteres in den Fällen des Satzes 1, Halbsatz 2 a) bis c) nochmals zur Sache Stellung nehmen. Ob ihm darüber hinaus im Einzelfall ein Rederecht zusteht, entscheidet nach Satz 2 wiederum vorrangig die Ratsvorsitzende und nicht der Beklagte. Sie handelt dabei nicht nach freiem Ermessen, sondern hat gerade die vom Kläger betonten Grundsätze zu würdigen, d.h. das Gewicht und die Schwierigkeit des Verhandlungsgegenstandes sowie die Gesamtdauer der Aussprache, und darauf Bedacht zu nehmen, ob er gleichgerichtete politische Ziele wie andere (fraktionslose) Ratsmitglieder verfolgt und sich auch für diese äußert oder eigenständige, neue Argumente vortragen will (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.6.1989 - 2 BvE 1/88 -, BVerfGE 80, 188 ff. = DVBl 1989, 820 ff. = DÖV 1989, 719 ff. = NVwZ 1990, 253 f. = [...], Leitsatz 5, zum Umfang des Rederechts eines fraktionslosen Bundestagsabgeordneten). Dass die Ratsvorsitzende diese Aufgabe nicht sachgerecht ausübt oder es zu sachwidrigen Widersprüchen und Entscheidungen des Beklagten nach § 12 Abs. 6 Satz 3 Geschäftsordnung kommt, kann nicht unterstellt werden (vgl. BVerfG, a.a.O., [...], Rn. 128).
Bei dieser Sachlage, d.h. einem fehlenden konkreten Rechtsverhältnis gegenüber dem Beklagten, steht der Statthaftigkeit des Feststellungsantrages zudem der Vorrang eines Normenkontrollantrages nach § 47 VwGO i. V. m. § 7 Nds. AG VwGO entgegen (vgl. Sodan, a. a. O., § 43, Rn. 58). Soweit in der Rechtsprechung ein solcher Vorrang verneint worden ist (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 23.8.2007, a.a.O., [...], Rn. 20), betraf sie Sachverhalte, in denen - anders als hier - ein konkretes Rechtsverhältnis zum Beklagten vorlag und zudem nicht die Möglichkeit eines Normenkontrollantrages eröffnet war.
1) c) Schließlich hat der Kläger nach schriftlichem Hinweis bewusst auch nicht (hilfsweise) einen grundsätzlich statthaften (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.9.1987 - 7 N 1.87 -, DVBl 1988, 790 f. = NVwZ 1988, 1119 f., [...]; Nds. OVG, Urt. v. 20.7.1999 - 10 K 48/36 -, NdsVBl 1999, 265 ff. = DVBl 1999, 1737 ff.= NdsRpfl 1999, 368 ff. = NVwZ-RR 2000, 314 ff.; Urt. v. 19.7.1994 - 10 L 3957/93 -, NdsVBl 1995, 45 f., [...], Rn.6) Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO i. V. m. § 7 Nds. AG VwGO gegen § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung gestellt. Der Zulässigkeit eines Normenkontrollantrages steht nunmehr auch der Ablauf der in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorgeschriebenen Jahresfrist entgegen. Die Frist lief hier spätestens ab der Einstellung der Geschäftsordnung in der am 2. November 2011 beschlossenen Fassung in das Ratsinformationssystem und entsprechend der Hauptsatzung im Internet (vgl. Schwind, a. a.O., § 69, Rn. 44). Innerhalb eines Jahres ab diesem Zeitpunkt ist jedoch beim Oberverwaltungsgericht kein entsprechender Antrag gestellt worden. Die Einlegung der Berufung stellt keinen solchen Antrag dar. Ob in einem Berufungsverfahren ein erstinstanzlicher Klageantrag auf einen solchen nach § 47 VwGO umgestellt (vgl. dazu Nds. OVG, Urt. v. 19.7.1994, a.a.O, Rn. 5) oder ein solcher hilfsweise gestellt werden kann, braucht deshalb nicht geklärt zu werden.
2. Die Klage wäre im Übrigen auch unbegründet.
Das einzelne Ratsmitglied besitzt grundsätzlich das in dem Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz nicht ausdrücklich geregelte, aber etwa beim Antragsrecht nach § 56 Satz 1 NKomVG als selbstverständlich vorausgesetzte Recht, zu Tagesordnungspunkten der Gemeinderatssitzung zu sprechen. Dieses Rederecht kann jedoch - was zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig ist - eingeschränkt, insbesondere zeitlich begrenzt werden (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.11.1989 - 10 M 36/89 -, DVBl. 1990, 159 f., [...], Rn. 7; BVerfG, Urt. v. 13.6.1989 - 2 BvE 1/88 -, a.a.O.). Solche Rederechtsbeschränkungen finden ihre Rechtsgrundlage in der Geschäftsordnung nach § 69 NKomVG, hilfsweise unmittelbar in der Sitzungsgewalt des Ratsvorsitzenden nach § 63 NKomVG. Nach § 69 NKomVG sollen in der Geschäftsordnung insbesondere Bestimmungen über die Aufrechterhaltung der Ordnung enthalten sein; das schließt auch die Befugnis ein, Rederechtsbegrenzungen zu beschließen. Dabei steht dem Gemeinderat prinzipiell ein weites "normatives" Ermessen zu (vgl. VGH Baden-Württ., Urt. v. 4.11.1993 - 1 S 953/93 -, NVwZ-RR 1994, 229 f., [...], Rn. 7, m. w. N., auch zum Folgenden). Abgesehen von hier nicht streitigen ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen findet dieses Ermessen seine Grenzen in allgemeinen Rechtsgrundsätzen über die Rechtsstellung und Funktionen des Rates und seiner - ehrenamtlich tätigen - Mitglieder. Beschränkungen des Rederechts des Gemeinderatsmitglieds sind daher zulässig, wenn sie zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs erforderlich und auch im Übrigen verhältnismäßig sind, nach gleichen Grundsätzen erfolgen und auf die Rechte von Minderheiten bzw. fraktions-/gruppenlosen Abgeordneten hinreichend Rücksicht nehmen (vgl. Wefelmeier, a.a.O., § 54, Rn. 12; Thiele, NKomVG, 2011, § 69, Ziffer 56, jeweils m. w. N.). Diese Grenzen werden bei sachgerechter Anwendung durch § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung nicht verletzt.
Zunächst durfte der seit Beginn der laufenden Wahlperiode 44 Abgeordnete aus neun Wahlvorschlägen umfassende Beklagte einen Anlass bejahen, Rederechtsbeschränkungen einzuführen. Denn u. a. wegen der Vielzahl von "kleineren Gruppierungen" hatte sich bereits in der vorangegangenen Wahlperiode des Beklagten dessen Sitzungen erheblich verlängert. Ausgehend von der nicht fernliegenden Annahme, wenigstens ein Ratsmitglied pro Wahlvorschlag/Fraktion/Gruppe werde zu jedem über Formfragen hinausgehenden Tagesordnungspunkt auch zukünftig regelmäßig das Wort ergreifen und sich nicht auf einen Kurzbeitrag beschränken, ergäbe sich bei neun Redebeiträgen ohne begrenzende Regelungen eine Länge oder andernfalls Häufung von Ratssitzungen, die für eine ehrenamtliche Tätigkeit unangemessen ist. Dass in den (Fach-)Ausschüssen, für die nach § 27 Abs. 1 Geschäftsordnung u.a. § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung entsprechend gilt, nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Klägers bislang keine Rederechtsbegrenzung angewandt wird, belegt nicht ihre fehlende Notwendigkeit für die Ratsarbeit, sondern kann vielmehr gerade auch Ausdruck der sachgerechten "entsprechenden" Anwendung sein. Denn in den Fachausschüssen steht regelmäßig stärker als im Rat die Sacharbeit von Mitgliedern im Vordergrund, die sich auf das jeweilige Fachgebiet spezialisiert bzw. hieran ein besonderes Interesse haben, während das Interesse der Öffentlichkeit in der Regel geringer ist. Zudem ermöglicht gerade die umfassende und erschöpfende Erörterung in den vorbereitenden Ausschüssen (und natürlich dem Verwaltungsausschuss) eine konzentrierte Debatte im Rat. Mildere, gleichgeeignete Mittel zur Rederechtsbegrenzung bestehen nicht. Zwar würde theoretisch auch die in § 12 Abs. 5 Geschäftsordnung enthaltene Regelung über die auf fünf bzw. zehn Minuten begrenzte Redezeit ausreichen, um die Zeitdauer einer Ratssitzung in einem angemessenen Rahmen zu halten. Jedenfalls bei der o.a. Zusammensetzung des Rates im vorliegenden Fall durfte der Beklagte aber annehmen, dass bei einer Mehrzahl von Wortbeiträgen eines Ratsmitgliedes diese Redezeit regelmäßig tatsächlich überschritten werde oder andernfalls eine kleinliche Überwachung mit der "Stoppuhr" und entsprechenden Ordnungsmaßnahmen erforderlich seien. Die vom Kläger angeführte Alternative, die Ratssitzung nach § 10 Abs. 1 b) Geschäftsordnung durch Schließen der Rednerliste und Schluss der Debatte in zeitlich angemessenem Umfang zu halten, stellt im Verhältnis zur streitigen Redezeitbegrenzung kein milderes Mittel dar; denn sie schließt die Ratsmitglieder, die sich bis dahin noch nicht zu Wort gemeldet haben, vollständig vom Rederecht aus. Ebenso wenig war der Beklagte verpflichtet, das Rederecht in der Weise zu beschränken, dass jeweils nur ein Mitglied einer Gruppe bzw. einer Fraktion sprechen dürfe. Regelmäßig dürfte insoweit ohnehin freiwillig eine Konzentration erfolgen (vgl. zu dieser Bündelungsfunktion von Ratsfraktionen: Wefelmeier, a. a. O., § 57, Rn. 30) und nicht jedes Mitglied das Wort ergreifen. Die jedem Ratsmitglied nach § 54 Abs. 1 NKomVG zustehende Befugnis, unabhängig von Erwägungen innerhalb seiner Fraktion oder Gruppe, die nach § 57 Abs. 2 NKomVG bei der Willensfindung und Entscheidungsfindung lediglich mitwirkt, zusätzlich zu einem Tagesordnungspunkt zu sprechen, brauchte der Rat schon wegen der Bedeutung dieses freien Mandats und wegen der Gleichbehandlung aller Ratsmitglieder nicht in der vorgenannten Weise zu beschränken; ob er dazu überhaupt berechtigt gewesen wäre, er also die Konzentration auf den Vortrag durch ein Fraktionsmitglied hätte vorschreiben dürfen, kann offen bleiben (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.11.1989, a.a.O., Rn. 8).
In § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung werden alle Abgeordneten formal gleich behandelt. Da ein fraktionsloser Abgeordneter statusrechtlich nicht den Fraktionen, sondern den übrigen, einer Fraktion angehörenden Abgeordneten gleichsteht (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 129) und diese jeweils den gleichen Beschränkungen unterliegen, also grundsätzlich auch nur einmal sprechen dürfen, kann er sich auch nicht erfolgreich auf einen Gleichheitsverstoß dadurch berufen, dass für eine Fraktion mehrere Abgeordnete Argumente vortragen und so auf zwischenzeitliche Einwände reagieren können. Die Sonderbestimmung des § 12 Abs. 6 Geschäftsordnung, die dem Wortlaut nach Fraktionssprechern für Haushaltsreden eine besondere Redezeit von 20 Minuten zugesteht, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Schließlich gebietet auch der Schutz von Ratsmitgliedern, die als Minderheit keiner Fraktion oder Gruppe angehören, nicht, ihnen ein vorbehaltloses Recht auf mehrfache Beteiligung je Tagesordnungspunkt oder mit den Worten des Klägers auf "Gegenrede" zuzugestehen. Bereits aus den Vorberatungen und den Beschlussempfehlungen werden dem Ratsmitglied regelmäßig die wesentlichen Argumente vorab bekannt sein, so dass er sich darauf bei seinem Redebeitrag einstellen kann und muss. Zudem dürfte gerade die Größe und Pluralität des Beklagten dafür sprechen, dass im Laufe der Debatte die Sachargumente umfassend ausgetauscht werden und nicht dadurch untergehen, dass ein fraktionsloses Ratsmitglied zu Beginn der Debatte hierauf nicht zu sprechen gekommen ist - wie vom Kläger befürchtet. Weiterhin kann jedes Ratsmitglied in den Fällen des § 12 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 a) bis d) Geschäftsordnung mehrfach sprechen. Zwar dürfte es sich hierbei um Ausnahmen handeln. Einzelfällen, in denen nach den o.a. Kriterien ein weitergehender Bedarf für eine Erwiderung oder Zusatzerklärung besteht, kann jedoch bei sachgerechter Anwendung des § 12 Abs. 6 Satz 2 Geschäftsordnung hinreichend Rechnung getragen werden.