Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.07.2014, Az.: 4 LA 16/14

Verkürzung der tatsächlichen Dauer einer Ausbildung aufgrund der Anrechnung bestimmter früherer Ausbildungen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.07.2014
Aktenzeichen
4 LA 16/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 20874
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0725.4LA16.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 13.12.2013 - AZ:

Fundstellen

  • DÖV 2014, 896
  • HRZ 2014, 65-70
  • NordÖR 2014, 460

Amtlicher Leitsatz

Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG genannten Ausbildungsstätten dürften einen berufsqualifizierenden Abschluss in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang dann vermitteln, wenn der Bildungsgang nach den Ausbildungsbestimmungen objektiv auf zwei Jahre oder mehr angelegt ist. Die Verkürzung der tatsächlichen Dauer der Ausbildung aufgrund der Anrechnung bestimmter früherer Ausbildungen oder des Erfüllens bestimmter Zulassungsvoraussetzungen dürfte insoweit unberücksichtigt bleiben.

Tenor:

Auf den Antrag der Beklagten wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 4. Kammer - vom 13. Dezember 2013 zugelassen.

Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen

4 LB 179/14

fortgeführt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

Der unter anderem auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Aus den von der Beklagten mit ihrem Zulassungsantrag dargelegten Gründen bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem erstinstanzlichen Urteil verpflichtet, der Klägerin Ausbildungsförderung für ihr Studium an der Universität Osnabrück in dem Bachelor-Studiengang "Bildung, Erziehung, Unterricht" in den Fächern "Deutsch" und "Textiles Gestalten" für die Zeit ab dem 1. Oktober 2012 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Begründet hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung damit, dass die Klägerin ihren Grundanspruch auf Ausbildungsförderung für die Dauer von drei Jahren nach § 7 Abs. 1 BAföG noch nicht ausgeschöpft habe. Die Zeit des Besuchs der Berufsbildenden Schule in Vechta zum Erreichen des Abschlusses "Staatliche Sozialassistentin" im Schuljahr 2009/2010 sei auf den Grundanspruch auf Ausbildungsförderung nicht anzurechnen, weil es sich bei diesem Ausbildungsabschnitt nicht um den Besuch einer Berufsfachschule in einem zweijährigen Bildungsgang im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG handele. Der von der Klägerin absolvierte Ausbildungsgang sei wegen der für alle Auszubildenden geltenden und von ihr erfüllten besonderen Zugangsvoraussetzungen auf die Klasse 2 beschränkt gewesen. Maßgeblich (für die Dauer eines Bildungsgangs) könne nur die konkret absolvierte Ausbildung sein, da auch nur diese - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - gefördert werden könne. Da die hier maßgebliche Verordnung die Erlangung eines berufsqualifizierenden Abschlusses nach lediglich einem Jahr bei Vorliegen bestimmter Zugangsvoraussetzungen vorsehe, könne es sich in einem solchen Fall auch nur um einen einjährigen Bildungsgang handeln. Damit falle der Besuch der BBS Vechta im Schuljahr 2009/2010 unter § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Dieser Besuch sei nicht förderungsfähig gewesen, da die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a BAföG nicht vorgelegen hätten.

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat mit seiner Entscheidung ausdrücklich den Beschluss des für das Ausbildungs- und Studienförderungsrecht ehemals zuständigen 12. Senats des erkennenden Gerichts vom 23. März 2006 - 12 LA 188/05 - zugrunde gelegt. Danach sei die Ausbildung an der zweijährigen Berufsfachschule Fachrichtung Sozialassistent förderungsrechtlich als eine einjährige Ausbildung an einer Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG anzusehen, wenn der Auszubildende die Voraussetzungen für eine Aufnahme direkt in die Klasse 2 der zweijährigen Berufsfachschule erfülle. Dieser Entscheidung dürfte indes aus den folgenden Gründen nicht zu folgen sein:

§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 6 BAföG unterscheidet zwischen verschiedenen Ausbildungsstätten, für deren Besuch Ausbildungsförderung geleistet wird. Bei Berufsfachschulklassen und Fachschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, ist für die Zuordnung nach Nr. 1 oder Nr. 2 BAföG danach zu unterscheiden, ob sie in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang einen berufsqualifizierenden Abschluss vermitteln. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BAföG sind maßgebend für die Zuordnung Art und Inhalt der Ausbildung. Der Gesetzgeber geht daher ersichtlich davon aus, dass unter Berücksichtigung der Art und des Inhalts der Ausbildung eine eindeutige Zuordnung der Ausbildungsstätte zu einer der in § 2 Abs. 1 Satz 1 BAföG genannten Fallgruppen erfolgen kann. Dies spricht dafür, dass die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG genannten Ausbildungsstätten einen berufsqualifizierenden Abschluss in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang dann vermittelt, wenn der Bildungsgang nach den Ausbildungsbestimmungen objektiv auf zwei Jahre oder mehr angelegt ist, und dass die Verkürzung der tatsächlichen Dauer der Ausbildung aufgrund der Anrechnung bestimmter früherer Ausbildungen oder des Erfüllens bestimmter Zulassungsvoraussetzungen insoweit unberücksichtigt bleibt. Denn selbst wenn die Ausbildungsbestimmungen die Anrechnung bestimmter Zeiten auf die Dauer der Ausbildung vorsehen und diese daher für einen Auszubildenden konkret tatsächlich weniger als zwei Jahre beträgt, ändert dies nichts daran, dass der Auszubildende (mit anderen Auszubildenden) einen Bildungsgang absolviert, der nach Art und Inhalt der Ausbildung nach zwei Jahren oder mehr zu einem Berufsabschluss führt. Für eine solche Auslegung des Begriffs " zweijähriger Bildungsgang" spricht auch, dass der Gesetzgeber zu der vergleichbaren Formulierung "zwei Jahre dauernder Ausbildungsgang" in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG a.F. ausdrücklich klargestellt hat, dass mit diesem Begriff Ausbildungsgänge erfasst werden, die nach den Ausbildungsbestimmungen objektiv auf zwei Jahre angelegt sind, und individuelle Verkürzungen z.B. durch Anrechnung von früheren Studienzeiten für die Beurteilung der generellen Dauer des Ausbildungsgangs unerheblich sind (vgl. die Begründung zu dem Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes der Bundesregierung, BT-Drs. 9/410, S. 12). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung "zweijähriger Bildungsgang" in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG von einem anderen Begriffsverständnis ausgegangen ist.

Gegen eine Berücksichtigung von individuellen Verkürzungen der tatsächlichen Ausbildungsdauer bei der Bestimmung der Dauer eines Bildungsgangs spricht ferner, dass der Besuch derselben Berufsfachschulklasse oder Fachschulklasse andernfalls für den einen Teil der Auszubildenden den Besuch einer Ausbildungsstätte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG, für den anderen Teil den Besuch einer Ausbildungsstätte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG darstellen könnte. Dies hätte zur Folge, dass für eine Ausbildungsförderung von einem Teil der Auszubildenden zusätzlich die Voraussetzung der auswärtigen Unterbringung nach § 2 Abs. 1a BAföG zu erfüllen wäre. Die unterschiedliche förderungsrechtliche Behandlung von Schülern einer Klasse würde indes einen "unbefriedigenden Zustand" darstellen, der zu vermeiden ist (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 22.3.1995 - 11 C 30.94 -). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine derartige Unterscheidung hat treffen wollen. In der Begründung des Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (12. BAföGÄndG-E) der Bundesregierung (BT-Drs. 11/5961, S. 18) wird vielmehr ausgeführt, dass die Aufnahme der nicht notwendigerweise auswärts untergebrachten Schüler von Berufsfachschulklassen und Fachschulklassen, die in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führen, in die Förderung dazu dient, diesen Auszubildenden beruflicher Vollzeitschulen ebenso die Förderungsmöglichkeit unabhängig von der Art der Unterbringung zu eröffnen, wie dies schon bei berufsqualifizierenden Ausbildungen an Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen der Fall ist. Um einen danach unabhängig von der Art der Unterbringung zu fördernden Auszubildenden einer beruflichen Vollzeitschule handelt es sich aber auch dann, wenn dieser Auszubildende aufgrund von allgemein geltenden, von ihm erfüllten bestimmten Voraussetzungen tatsächlich nur ein Jahr die Schule besuchen muss, um einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erlangen. Dass in diesem Fall der Besuch der Berufsfachschulklasse bzw. Fachschulklasse unter § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG fallen und damit nur bei auswärtiger Unterbringung gemäß § 2 Abs. 1a BAföG dem Grunde nach förderfähig sein soll, kommt hingegen in der Gesetzesbegründung nicht zum Ausdruck. Dies würde zudem der durch den Gesetzgeber gewollten Privilegierung von Auszubildenden einer beruflichen Vollzeitschule entgegenstehen.

Mit dem Besuch der BBS Vechta Fachrichtung Sozialassistentin/Sozialassistent hat die Klägerin daher nach obigen Ausführungen im Schuljahr 2009/2010 eine Berufsfachschulklasse besucht, die in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang einen berufsqualifizierenden Abschluss vermittelt hat. Denn die Ausbildung in einer Berufsfachschule mit der Fachrichtung Sozialassistentin/Sozialassistent dauert in Niedersachsen gemäß § 2 Abs. 1 der Anlage 4 zu § 33 der Verordnung über berufsbildende Schulen (BbS-VO) vom 10. Juni 2009 zwei Jahre. Dass die Klägerin gemäß § 3 Abs. 8 Nr. 2 der Anlage 4 zu § 33 BbS-VO direkt in die Klasse 2 aufgenommen worden ist, ändert nichts an der auf zwei Jahre angelegten Dauer der Ausbildung. Folglich ist der einjährige Besuch der Berufsfachschule ein dem Grunde nach förderfähiger Besuch einer Ausbildungsstätte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG gewesen, so dass die Klägerin mit dem weiteren Besuch der zweijährigen Fachschule Sozialpädagogik von August 2010 bis Juli 2012 ihren Grundanspruch nach § 7 Abs. 1 BAföG verbraucht haben dürfte. Unerheblich ist insoweit, ob die Klägerin für die Ausbildungen tatsächlich nach dem BAföG gefördert worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.3.1981 - 5 C 27.81 -). Das Studium an der Universität Osnabrück im Bachelor-Studiengang "Bildung, Erziehung und Unterricht" ist aus den im Schriftsatz der Beklagten vom 13. März 2013 genannten Gründen auch keine nach § 7 Abs. 2 BAföG förderfähige weitere Ausbildung, so dass ein Anspruch der Klägerin auf Förderung nach dieser Vorschrift nicht in Betracht kommt. Insbesondere ist diese Ausbildung nicht nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BAföG förderfähig (vgl. insoweit den Beschluss des 12. Senats des erkennenden Gerichts vom 12.5.2006 - 12 PA 346/05 -). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dürfte sich daher auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweisen, so dass die Berufung zuzulassen ist.

Das Berufungszulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).