Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.07.2014, Az.: 11 LA 284/13
Abgabe der Erklärung des Verzichts auf ein Rechtsmittel gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil bzgl. Zulässigkeit eines gestellten Antrags auf Zulassung der Berufung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.07.2014
- Aktenzeichen
- 11 LA 284/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 21358
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0703.11LA284.13.0A
Rechtsgrundlagen
- § 173 VwGO
- § 85 Abs. 1 ZPO
- § 87 Abs. 1 ZPO
- § 515 ZPO
- § 42 Abs. 2 WaffG
Fundstelle
- DÖV 2014, 852
Amtlicher Leitsatz
Die gegenüber dem Verwaltungsgericht abgegebene Erklärung, der Kläger verzichte auf ein Rechtsmittel gegen das ergangene Urteil, führt zur Unzulässigkeit eines gleichwohl gestellten Antrages auf Zulassung der Berufung.
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 12. Kammer - vom 1. Oktober 2013 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Er ist aufgrund des gegenüber dem Verwaltungsgericht erklärten Rechtsmittelverzichts unzulässig.
Der Kläger beantragte im Dezember 2011 und Januar 2012 bei dem Beklagten die Erteilung eines Munitionserwerbsscheins, einer Waffenbesitzkarte und einer Ausnahmegenehmigung nach § 42 Abs. 2 WaffG. Im Verlauf des Verfahrens bat der Beklagte - teilweise unter Übersendung der Antragsunterlagen des Klägers - verschiedene Behörden um Stellungnahmen insbesondere zu den Fragen der örtlichen Zuständigkeit sowie zu der Zuverlässigkeit und des waffenrechtlichen Bedürfnisses des Klägers. Dieser wandte sich gegen die Beteiligung anderer Behörden sowie die Weiterleitung seiner Antragsunterlagen und begehrte Geheimhaltung seiner Unterlagen. Am 13. Februar 2012 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er nach teilweiser Rücknahme und Erledigungserklärungen der Beteiligten die Feststellung begehrt hat, dass die Übermittlung von Daten von dem Beklagten an acht im Einzelnen genannte Behörden rechtswidrig gewesen ist. Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil das Verfahren teilweise eingestellt und die Klage im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 21. Oktober 2013 zugestellt worden. Mit einem an das Verwaltungsgericht gerichteten Schriftsatz vom 27. Oktober 2013 hat der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt B., Rechtsmittelverzicht gegen das im vorliegenden Verfahren ergangene Urteil erklärt. Dieser Schriftsatz ist am 27. Oktober 2013, einem Sonntag, um 14.31 Uhr per Telefax beim Verwaltungsgericht eingegangen. Mit einem weiteren Schriftsatz, der am 27. Oktober 2013 um 14.32 Uhr beim Verwaltungsgericht eingegangen ist, hat der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers außerdem gegen das ebenfalls am 1. Oktober 2013 ergangene Urteil im parallelen waffenrechtlichen Verfahren (12 A 3016/12) Rechtsmittelverzicht erklärt. Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2013 hat der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers den im vorliegenden Verfahren erklärten Rechtsmittelverzicht widerrufen und zur Begründung angegeben, dass dieses Verfahren irrtümlich mit dem Verfahren 12 A 3016/12 vertauscht worden sei. Er hat darauf verwiesen, dass in diesem Verfahren der neue Rechtsbeistand bereits mit Schreiben vom 23. Oktober 2013 einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt habe, und angezeigt, dass sein Mandat am 23. Oktober 2013 beendet worden sei. Der mit Schriftsatz des jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 24. Oktober 2013 gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil ist am 29. Oktober 2013 beim Verwaltungsgericht eingegangen.
Der Kläger hat mit Schriftsatz seines früheren Prozessbevollmächtigten vom 27. Oktober 2013 wirksam auf Rechtsmittel gegen das im vorliegenden Verfahren ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts verzichtet, so dass sein am 29. Oktober 2013 durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten erhobener Zulassungsantrag unzulässig ist.
Der Verzicht auf Rechtsmittel, mit dem ein Beteiligter zu erkennen gibt, dass er sich endgültig mit dem Urteil zufrieden gibt und es nicht anfechten will, ist in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt, aber nach § 173 VwGO i.V.m. §§ 515, 565 ZPO möglich. Der gegenüber dem Gericht nach Erlass des Urteils erklärte Rechtsmittelverzicht ist eine einseitige Prozesshandlung. Die Erklärung führt von Amts wegen zur Unzulässigkeit eines gleichwohl eingelegten Rechtsmittels und bewirkt, dass die angefochtene Entscheidung rechtskräftig wird. Für den Verzicht gelten nicht die Vorschriften des BGB über die Nichtigkeit und Anfechtung von Willenserklärungen (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Vorb. § 124, Rn. 53, 57; Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., Vorb. zu § 124, Rn. 78 ff., jeweils m.w.N.). Der gegenüber dem Gericht erklärte Verzicht ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich. Eine Ausnahme ist nur beim Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes gegeben (BGH, Beschl. v. 8.5.1985 - IVb ZB 56/84 -, juris, Rn. 9).
Der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit seinem Schriftsatz vom 27. Oktober 2013 auf Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil verzichtet. Seine Erklärung, in der das Aktenzeichen des Verwaltungsgerichts und das Datum des Urteils genannt werden und ausdrücklich das Wort "Rechtsmittelverzicht" gebraucht wird, ist nach ihrem Wortlaut eindeutig und bedarf keiner Auslegung. Der Verzicht umfasst auch den Antrag auf Zulassung der Berufung, der wegen der vom Verwaltungsgericht nicht zugelassenen Berufung das allein zulässige Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil darstellt.
Soweit der Kläger geltend macht, dass hier ein offensichtliches und offenkundiges Versehen seines ehemaligen Prozessbevollmächtigten bzw. dessen Kanzlei bei der Erstellung der Schriftsätze vorgelegen habe, welches mit einem Tippfehler oder einem redaktionellen Versehen vergleichbar sei und ihm nicht zugerechnet werden könne, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 27. Oktober 2013, einem Sonntag, sowohl in dem vorliegenden Verfahren als auch in dem waffenrechtlichen Verfahren 12 A 3016/12 unter Nennung der jeweiligen Aktenzeichen mit zwei von ihm unterzeichneten Schriftsätzen jeweils Rechtsmittelverzicht erklärt. Die beiden Schriftsätze sind am selben Tag per Telefax an das Verwaltungsgericht gesandt worden und dort um 14.31 Uhr und um 14.32 Uhr eingegangen. Anhaltspunkte für ein dem Prozessbevollmächtigten - und damit dem Kläger - nicht zuzurechnendes Verschulden von Büropersonal etwa aufgrund einer Verwechselung der Aktenzeichen sind nicht näher dargelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers zwei Schriftsätze erstellen und in beiden Verfahren Verzichtserklärungen abgeben wollte.
Der ehemalige Prozessbevollmächtigte des Klägers war auch noch dazu befugt, Prozesshandlungen für den Kläger vorzunehmen, so dass der Rechtsmittelverzicht wirksam erklärt worden ist. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 87 Abs. 1 ZPO erlangt die Kündigung des Vollmachtvertrages erst durch die Anzeige des Erlöschens, in Anwaltsprozessen erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Rechtsanwalts rechtliche Wirksamkeit. Solange dem Gericht das Ende des bisherigen Vollmachtverhältnisses nicht mitgeteilt wird, ist der bisherige Prozessbevollmächtigte für das Gericht bevollmächtigt, für den Kläger Prozesshandlungen vorzunehmen (BVerwG, Beschl. v. 29.4.1997 - BVerwG 4 B 76.97 -, juris, Rn. 2; siehe auch: BVerwG, Beschl. v. 20.11.2012 - BVerwG 4 AV 2.12 -, juris, Rn. 9). Hier hat der ehemalige Prozessbevollmächtigte des Klägers erst mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2013, der am 28. Oktober 2013 um 12.51 Uhr beim Verwaltungsgericht eingegangen ist, erklärt, dass das bisherige Vollmachtverhältnis am 23. Oktober 2013 beendet worden sei. Der Kläger muss sich daher die vorher beim Verwaltungsgericht eingegangene Prozesshandlung seines ehemaligen Prozessbevollmächtigten, mit der dieser auf Rechtsmittel verzichtet hat, zurechnen lassen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger nach dem von ihm vorgelegten E-Mail-Verkehr seinen ehemaligen Prozessbevollmächtigten mit E-Mail vom 23. Oktober 2013 beauftragt hat, (nur) in dem waffenrechtlichen Verfahren Rechtsmittelverzicht zu erklären und in dem vorliegenden datenschutzrechtlichen Verfahren die Beendigung des Mandats mitzuteilen. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 1 ZPO muss sich der Beteiligte die Prozesshandlungen seines Bevollmächtigten in gleicher Weise zurechnen lassen, als hätte er sie selbst vorgenommen. Maßgebend ist allein, dass die Prozessvollmacht den Bevollmächtigten im Außenverhältnis zu der betreffenden Handlung berechtigt. Daher ist eine Zurechnung selbst dann anzunehmen, wenn der Prozessbevollmächtigte mit seinem Verhalten gegen ausdrückliche Weisungen des Vertretenen verstößt. Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen nur in engen Grenzen etwa dann in Betracht, wenn der entgegenstehende Wille des Vertretenen für das Gericht und die übrigen Beteiligten ganz offensichtlich war (vgl. Musielak, ZPO, 11. Aufl., § 85, Rn. 4; BGH, Urt. v. 14.5.1997 - XII ZR 184/96 -, juris, Rn. 18). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Der von dem ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2013 erklärte Widerruf des Rechtsmittelverzichts greift ebenfalls nicht durch. Wie bereits dargelegt worden ist, sind Prozesserklärungen grundsätzlich unwiderruflich. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben ist (§ 173 VwGO i.V.m. §§ 580, 581 ZPO). Davon ist hier nicht auszugehen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).