Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.07.2014, Az.: 7 KS 61/10

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.07.2014
Aktenzeichen
7 KS 61/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 24048
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0709.7KS61.10.0A

Fundstellen

  • DÖV 2014, 895
  • NdsVBl 2014, 345-348
  • NordÖR 2014, 443-447
  • ZLW 2014, 688-698
  • ZUR 2014, 610-613

Amtlicher Leitsatz

Es spricht einiges dafür, die Zumutbarkeit iSv § 29b Abs. 2 LuftVG in Anlehnung an die Werte des Fluglärmgesetzes 2007 zu bestimmen, d.h. für bestehende zivile Flugplätze Immissionswerte von LAeqNacht > 55 dB(A) und LAmax = 6 x 57 dB(A) zugrunde zu legen (wie OVG Berlin Brandenburg, Urt. v. 09.04.2014 6 A 8.14 , [...]).

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 11/10 des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 11/10 des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen den Nachtflugbetrieb auf dem Flughafen Hannover-Langenhagen und dessen weitgehende Zulassung durch den Beklagten.

Die Klägerin und ihr Ehemann sind Eigentümer des Grundstücks E. in F.. Es ist mit einem Zweiständerhaus aus dem Jahr 1733 bebaut, das zum Denkmalensemble "G." gehört. Das Grundstück liegt innerhalb der durch Rechtsverordnung vom 14.09.2010 ausgewiesenen Nachtschutzzone des Flughafens. Aufgrund des "freiwilligen Schallschutzprogramms" der Beigeladenen erhielt die Klägerin bereits - durch eine Vereinbarung vom 22.1./18.02.2002 - die Kosten für den Einbau von 7 Schallschutzfenstern der Schallschutzklasse 3 sowie eines schallgedämmten Lüfters erstattet und einen Zuschuss für Tapezierarbeiten von ca. 7.500 EUR. Die in dem Vertrag ebenfalls zugesagte Übernahme der Kosten für die Verbesserung der Schalldämmung der Dachhaut im Bereich der zum Schlafen geeigneten Räume von max. 6.296 DM sowie für zwei weitere schallgedämmte Lüfter wurde von ihr nicht in Anspruch genommen.

Der von der beigeladenen Flughafen Hannover-Langenhagen GmbH, deren Gesellschafter zu 35% das Land Niedersachsen, zu weiteren 35% die Stadt Hannover und zu 30% die Fraport AG sind, betriebene Verkehrsflughafen Hannover-Langenhagen entwickelte sich nach dem 2. Weltkrieg aus dem bis 1945 von der Reichsluftwaffe genutzten Fliegerhorst Evershorst. Nach der Darstellung des Beklagten zur Genehmigungshistorie gab das nach dem Besatzungsstatut zuständige alliierte Luftamt unter dem 18.07.1951 die Erlaubnis zum Ausbau des Flughafens und erteilte am 25.04.1952 der damalige Minister für Wirtschaft und Verkehr die Genehmigung für den Betrieb des Flughafens. Diese Genehmigung habe eine Betriebszeit von 0:00 bis 24:00 Uhr ohne weitere Flugbetriebsbeschränkungen vorgesehen. Am 22.04.1965 wurde von dem Regierungspräsidenten Hannover der Bau der Start- und Landebahn Nord auf einer Länge von 2400 m planfestgestellt, mit Planfeststellungsbeschluss vom 02.11.1989 die Verlängerung der Nordparallelbahn auf 3800 m zugelassen. Daraufhin sei die Betriebsgenehmigung am 08.01.1990 geändert und neu gefasst worden. Der weitere Ausbau des Flughafens mit Vorfelderweiterung und Rollwegen wurde mit Planfeststellungsbeschluss vom 16.02.1999 gestattet.

Erstmals durch Erlass vom 31.10.1969 verfügte der Minister für Wirtschaft und Verkehr im Interesse des Schutzes der Bevölkerung vor Fluglärm "bis auf weiteres" verschiedene Beschränkungen des Nachtflugverkehrs (MBl. S. 1126), die später durch Erlasse vom 11.02.1972 und 19.12.1972 modifiziert wurden. Unter dem 21.07.1975 erließ der Minister für Wirtschaft eine Änderung der Betriebsgenehmigung des Flughafens gem. § 6 Luftverkehrsgesetz - LuftVG - und verfügte befristete Betriebsbeschränkungen, die unter anderem ein grundsätzliches Verbot für den Verkehr von Luftfahrzeugen zwischen 23:00 und 6:00 Uhr vorsahen (MBl. S. 1120). Gleichzeitig hob er den Erlass vom 31.10.1969 auf. Die geänderte Betriebsgenehmigung vom 21.07.1975 wurde am 20.05.1980 erweitert und neu gefasst sowie am 14.02.1985 geändert und erneut neu gefasst. Am 08.01.1990 wurde die Genehmigung des Flughafens wiederum geändert und neu gefasst. Die Neufassung regelte unter Teil II Betriebsbeschränkungen, die eine Öffnung des Flughafens von 0:00 bis 24:00 Uhr unter Einschränkungen für die Zeit von 23:00 bis 6:00 Uhr vorsahen. Diese Betriebsbeschränkungen waren zunächst befristet bis zum 31.12.1990 und wurden im Folgenden bis zum 31.12.1994 verlängert. Mit Bescheid vom 28.12.1994 änderte der Beklagte Teil II der Genehmigung vom 08.01.1990 und regelte die Betriebszeiten sowie örtliche Flugbeschränkungen befristet bis zum 31.12.2004 neu. Mit Verfügung vom 18.02.2004 änderte er Teil II der Genehmigung und ergänzte diesen um eine neue Ziffer 3, in der Starts und Landungen in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr mit bestimmten Luftfahrzeugen gemäß einer beigefügten Anlage grundsätzlich auf die Nordbahn beschränkt werden. Mit weiterem Bescheid vom 08.10.2004 fasste der Beklagte Teil II der Genehmigung vom 08.01.1990 neu und befristete die darin enthaltenen Betriebsbeschränkungen bis zum 31.12.2009.

Mit Verfügung vom 26.10.2009 nahm er nach einem Antrag der Beigeladenen vom 27.02.2009, die zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Betriebsbeschränkungen fortzuschreiben, eine (nun erstmals) als Teilwiderruf bezeichnete Neufassung der Betriebszeiten und örtlichen Flugbeschränkungen vor, die den Flughafen von 0:00 bis 24:00 Uhr unter Einschränkungen, insbesondere für den Nachflugverkehr, öffnet. Die Betriebsbeschränkungen sind bis zum 31.12.2019 befristet. Seine Begründung legte der Beklagte in einem umfangreichen Vermerk nieder, der unter dem 30.09.2009 verfasst worden ist.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 22.03.2010 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten, den Nachtflugverkehr des Flughafens auf der Landebahn Nord zu untersagen. Die Zulassung von Nachtflugverkehr sei mit § 29b Abs. 1 LuftVG nicht vereinbar. Entgegen der behördlichen Auffassung erstrecke sich die ursprüngliche Genehmigung vom 25.04.1952 nicht auf die heutige Start- und Landebahn Nord, die damals noch nicht vorhanden gewesen sei. Maßgeblich sei der Genehmigungsstand für den Verkehrsflughafen am 01.03.1999, dem nach § 71 Abs. 2 LuftVG maßgeblichen Zeitpunkt. Zu diesem Zeitpunkt habe eine den 24-stündigen Flugverkehr eröffnende Zulassungsentscheidung nicht gegolten, da seit 1969 verschiedene Beschränkungen für den Nachtflugverkehr in Kraft gewesen seien. Die von der Fiktivwirkung des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG erfasste Regelung sei durch die Neufassung der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung am 08.10.2004 abgelöst worden, die seitdem die Genehmigungssituation für den Nachflugverkehr auf dem Flughafen geprägt habe. Die nach deren Auslaufen neu zu erlassende Nachtflugregelung habe die aktuellen gesetzlichen Vorgaben, insbesondere § 29b LuftVG, einzuhalten. Der Bescheid vom 26.10.2009 genüge diesen rechtlichen Anforderungen nicht, zumal seit dem Inkrafttreten der neuen Nachtflugregelung am 01.01.2010 die Frequenz der Verkehrsbewegungen über ihrem Grundstück erheblich zugenommen habe und die Lärmimmissionen zeitweise unerträglich geworden seien.

Mit Bescheid vom 27.05.2010 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte er aus, die Voraussetzungen für einen weitergehenden Teilwiderruf der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung, als von ihm bereits am 26.10.2009 verfügt, seien nicht gegeben. Unter die Widerrufsgründe falle nur Fluglärm, der unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsgefahr grundrechtsrelevant sei. Dies sei erst dann anzunehmen, wenn ein Maximalpegel von 60 dB(A) innen mehr als 6-mal pro Nacht oder der äquivalente Dauerschallpegel von 40 dB(A) innen überschritten werde. Die Auswertung der auf dem Flughafen betriebenen Geräuschmessungsanlage nach § 19a LuftVG lasse eine derartige Lärmbeeinträchtigung nicht erkennen. Die Behauptung der Klägerin, seit Inkrafttreten der neuen Nachtflugregelung habe die Frequenz der Verkehrsbewegungen erheblich zugenommen, treffe nach Auswertung der statistischen Daten nicht zu. Die Zahl der Flugbewegungen sei im Zeitraum Januar-März in den Jahren 2007 (= 947) und 2008 (= 1.182) höher und nur im Jahr 2009 (= 795) geringer gewesen als im Vergleichszeitraum des Jahres 2010 (= 837 Überflüge). Ein Widerrufsgrund liege damit nicht vor; er ergebe sich auch nicht aus § 29 b LuftVG, der ebenfalls eine Gesundheitsgefährdung voraussetze.

Die Klägerin hat am 09.07.2010 Klage erhoben mit dem Ziel, den Beklagten unter Abänderung seiner Bescheide vom 26.10.2009 und 27.05.2010 zu verpflichten, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Zur Begründung führt sie aus, entgegen der Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen erstrecke sich der Bestandschutz der für den Betrieb des Flughafens erteilten Genehmigungen nicht auf eine uneingeschränkte Befugnis zum Nachtflugverkehr. Die Ur-Genehmigung von 1952 sei durch nachfolgende Genehmigungen des Beklagten mehrfach innoviert worden; am 08.01.1990 sei eine Neufassung erfolgt, die den Nachtflugverkehr zwischen 23:00 und 6:00 Uhr grundsätzlich nicht mehr zugelassen habe. Daran ändere der Umstand, dass die Betriebsbeschränkungen in Teil II des Bescheides vom 08.01.1990 "befristet bis zum 31.12.1990" angeordnet und danach vergleichbare Nachtflugbeschränkungen ebenfalls befristet worden seien, im Ergebnis nichts. Wenn es über - jetzt - 45 Jahre genehmigungsrechtliche Einschränkungen des Nachtflugverkehrs gebe, könne vom Bestand einer uneingeschränkten Nachtfluggenehmigung nicht mehr ausgegangen werden. Bei den seit 1969 ergangenen Regelungen über den eingeschränkten Nachtflugverkehr handele es sich letztlich um einen einheitlichen Vorgang, selbst wenn dieser sich aus verschiedenen aneinander geketteten Verfügungen zusammensetze. Die Sachlage sei letztlich keine andere als beim Flughafen München II, der Gegenstand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.05.2005 gewesen sei. Hier habe das Bundesverwaltungsgericht auf § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG zurückgegriffen und eine Abwägung zwischen dem Lärmschutz der Anwohner und dem Bedürfnis für die Zulassung von Nachtflugverkehr gefordert. Es sei auch davon auszugehen, dass der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 26.10.2009 eine den Nachtflugverkehr zulassende Regelung darstelle und - entgegen der Auffassung von Beklagtem und Beigeladener - nicht lediglich eine Einschränkung eines an sich unbeschränkt zulässigen Nachtflugverkehrs vornehme. Darüber hinaus sei seine belastende Wirkung darin zu sehen, dass die neu geregelten Betriebsbeschränkungen am 31.12.2019 ausliefen. Die Schutzbedürftigkeit ihres Grundstücks gegenüber fluglärmbedingten Immissionen werden durch dessen Lage innerhalb der Nachtschutzzone belegt. Außerdem verursachten Überflüge in der Nachtzeit zusätzlich niedrigfrequente Schallbewegungen, für die es nach ihrer Kenntnis keine genauen Messmethoden, insbesondere keine Grenz- und Richtwerte gebe. Deren Lästigkeitsgehalt liege darin, dass sie sich durch Erschütterungen der Baulichkeiten äußerten. Innerhalb der Wohnräume des Gebäudes sei bei Überflügen ein "Zittern" des Fußbodens und ein deutlich vernehmbares "Klappern und Klirren" von Gläsern und anderen leichten Gegenständen wahrzunehmen, zumal - nach laienhaftem Eindruck - bei den Überflügen die Höhe von 50 m weit unterschritten werde. Passiver Lärmschutz sei insoweit unbehelflich; es seien vielmehr substantielle Eingriffe in die Gebäudesubstanz erforderlich, die sich bei einem Denkmal - wie ihrem Haus - verböten.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 27.05.2010 zu verpflichten, ihren Antrag vom 22.03.2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden und den Bescheid vom 26.10.2009 zu ändern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage jedenfalls für unbegründet. Zur Genehmigungslage führt er u.a. aus: Seit 1969 habe es jeweils befristete Beschränkungen des Nachtflugverkehrs gegeben, zuletzt - vor der angegriffenen Regelung vom 26.10.2009 - durch Bescheid vom 08.10.2004, der Gegenstand der Entscheidung des Senats vom 23.04.2009 (Az. 7 KS 18/07) gewesen sei. Die Beschränkung des Nachtflugverkehrs auf die Nordbahn datiere bereits vom 18.02.2004, sei also - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht erst 2009 erfolgt. Die Nachtflugregelung sei in Form eines Teilwiderrufs der luftfahrtrechtlichen Genehmigung für den Flughafen ergangen und stelle deshalb für die Klägerin ausschließlich eine begünstigende Regelung dar. Die früheren Nachtflugbeschränkungen seien stets befristet gewesen. Sie seien zwischenzeitlich sämtlich außer Kraft getreten und hätten die luftfahrtrechtliche Genehmigung der Beigeladenen nicht dauerhaft modifiziert. Ein Entfallen der von ihm verfügten Nachtflugbeschränkungen vom 26.10.2009 würde daher einen unbeschränkten Nachtflugbetrieb ermöglichen und die Position der Klägerin nur verschlechtern.

Die Klägerin habe keinen Anspruch aus § 6 Abs. 2 Satz 4 LuftVG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 LuftVZO auf Erlass einer weitergehenden Teilwiderrufsverfügung gegenüber der Beigeladenen. Die Vorschriften setzten eine gesundheitsgefährdende Fluglärmbelastung zur Nachtzeit voraus, die nicht gegeben sei. Das Wohnhaus der Klägerin sei mit Schallschutzfenstern ausgestattet worden, so dass ausgeschlossen werden könne, dass der Fluglärm im Gebäudeinneren gesundheitsgefährdende Ausmaße annehme. Abweichendes werde von ihr auch nicht vorgetragen. Soweit sie von dem Angebot der Beigeladenen, weitere Schallschutzmaßnahmen zu finanzieren, keinen Gebrauch gemacht habe, sei sie nicht schutzbedürftig. Im Übrigen könne die Klägerin gegebenenfalls nach Maßgabe der Lärmschutzbereichsverordnung für den Flughafen Hannover-Langenhagen vom 14.09.2010 weitere passive Schallschutzmaßnahmen beanspruchen, wenn das nach dem Fluglärmgesetz vorgegebene Schutzziel nicht erreicht werde. Damit scheide unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebots ein Anspruch auf (weitere) aktive Lärmschutzmaßnahmen durch Beschränkungen des Flugverkehrs aus. Spätestens seit Geltung der Planfeststellungsfiktion am 01.03.1999 seien die Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder Unterlassung ihrer Benutzung nach § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ausgeschlossen. Die verbleibenden Ansprüche nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG auf Schutzvorkehrungen ermöglichten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine Betriebseinschränkungen des Flughafens. Die Auffassung der Klägerin, sie habe einen Anspruch auf fehlerfreie Abwägung nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG, sei unzutreffend. Der Antrag der Beigeladenen vom 27.02.2009 sei auf eine Fortschreibung der bisherigen Nachtflugregelung gerichtet gewesen, nicht auf eine Betriebserweiterung. Nur in einem solchen Fall sei indes § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG einschlägig. Eine erneute Gesamtlärmbetrachtung sei nur erforderlich, wenn durch einen Planfeststellungsbeschluss die Voraussetzungen für einen insgesamt umfangreicheren Betrieb geschaffen würden. Der Genehmigungsgegenstand werde für ihn als Luftaufsichtsbehörde durch den Antrag der Beigeladenen bestimmt. Auf §§ 29 Abs. 1, 29 b LuftVG könne die Klägerin ihr Begehren ebenfalls nicht stützen, weil diese Normen keinen eigenständigen Anspruch vermittelten. Es handele sich lediglich um Abwägungsvorgaben; ein Abwägungsanspruch stehe der Klägerin aber gerade nicht zu.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, die ihr erteilten luftfahrtrechtlichen Genehmigungen hätten seit 1952 den Nachtflugverkehr zugelassen. Einschränkungen, die erstmals durch Verfügung vom 31.10.1969 getroffen worden seien, seien jeweils befristet gewesen. Mit Ablauf der Frist gelange sie daher - falls keine Anschlussregelung getroffen werde - jeweils wieder in den Besitz einer unbeschränkten Nachtflugverkehrsgestattung. § 71 Abs. 2 LuftVG ändere an dieser Genehmigungslage nichts. Dessen Fiktion greife nur insoweit ein, als keine Genehmigung oder Planfeststellung vorliege; nur insoweit bedürfe es der "Stabilisierungsfunktion" der Norm. Genehmigungen, die vor dem 31.12.1958 erteilt worden seien, wirkten für Maßnahmen, die ihren Regelungsgegenstand bildeten, als Rechtsgrundlage fort. Daher bleibe es bei der Maßgeblichkeit der Genehmigung vom 25.04.1952 und deren nachfolgender Neufassungen. Der Bescheid des Beklagten vom 26.10.2009 enthalte keine die Klägerin belastende Regelung, sondern begünstige diese, da er die Nachtflugmöglichkeiten einschränke. In der Verfügung liege keine Zulassung eines Nachtflugbetriebes, weil sich diese bereits aus den erteilten luftverkehrsrechtlichen Genehmigungen ergebe.

Der Beklagte habe den Antrag der Klägerin auf Untersagung des Nachtflugbetriebes auf der Nordbahn zu Recht zurückgewiesen. Unter die §§ 6 Abs. 2 Satz 4 LuftVG, 48 Abs. 1 Satz 2 und 3 LuftVZO falle nur Fluglärm, der unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsgefahr grundrechtsrelevant sei. Diese Schwelle werde auf dem Grundstück der Klägerin nicht überschritten. Nach den durchgeführten Messungen stehe fest, dass ab 01.01.2010 keine Überschreitung des Jansen-Kriteriums von 6 x 60 dB (A) am Ohr des Schläfers eingetreten sei. Eine erhebliche Zunahme der Verkehrsbewegungen über dem Grundstück der Klägerin sei ebenfalls nicht festzustellen. Da es an einem Widerrufsgrund fehle, komme es auf die Ausübung des durch Gesetz eingeräumten Ermessens seitens des Beklagten nicht mehr an. Das Grundstück der Klägerin liege innerhalb der durch Rechtsverordnung vom 14.09.2010 ausgewiesenen Nachtschutzzone, die nach LAeqNacht > 55 dB(A) und LAmax = 6 x 57 dB(A) abgegrenzt werde. Dadurch sei die Einhaltung der Vorsorgewerte des Fluglärmgesetzes sichergestellt, die deutlich unter der Schwelle zur Gesundheitsgefährdung lägen. Die Voraussetzungen für einen - weitergehenden - Teilwiderruf der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung seien daher keinesfalls gegeben.

Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung über weitergehende Nachtflugbeschränkungen. Rechtsgrundlage der Entscheidung des Beklagten sei § 6 Abs. 2 Satz 4 LuftVG gewesen. Diese Norm setze für den (Teil-) Widerruf der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung eine Gesundheitsgefährdung voraus, die keinesfalls gegeben sein könne. Das Grundstück der Klägerin liege in der durch Rechtsverordnung vom 19.10.2010 ausgewiesenen Nachtschutzzone in einem Isophonen-Band von 55 bis 60 dB(A) gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 II. FlugLSV. Aufgrund der Vereinbarung vom 22.01./18.02.2002 seien in dem Gebäude Schallschutzfenster mit einem Schalldämmmaß von 37 dB(A) eingebaut worden. Dadurch sei das Entstehen von gesundheitsgefährdendem Fluglärm im Haus der Klägerin ausgeschlossen. Die Verfassungsmäßigkeit des Fluglärmgesetzes im Hinblick auf die aktuellen Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung stehe nicht in Frage. Ein Abwägungsanspruch stehe der Klägerin nicht zu. Die Nachtflugregelung sei nicht in Form einer Änderungsgenehmigung nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG erfolgt, für die es schon an einem entsprechenden - und erforderlichen - Antrag ihrerseits als Flughafenbetreiberin gefehlt habe. Für einen Abwägungsanspruch, in dessen Rahmen §§ 29 Abs. 1, 29b LuftVG berücksichtigt werden könnten, lägen die Voraussetzungen daher nicht vor. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts aus dessen Entscheidung zum Flughafen München II seien deshalb - entgegen der Auffassung der Klägerin - ebenso wenig übertragbar wie die zum Flughafen Berlin-Schönefeld und zum Flughafen Frankfurt/M., bei denen es um Erweiterungen des Flugbetriebs gegangen sei. Bei dieser Sachlage müsse die Klägerin sich ihre Duldungspflicht aus § 9 Abs. 3 LuftVG, § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG entgegenhalten lassen. Danach seien Ansprüche auf Unterlassung der Benutzung von rechtskräftig festgestellten Flughafenanlagen ausgeschlossen, was auch deren nächtliche Benutzung betreffe.

Wegen der Einzelheiten und des weiteren Vorbringens wird auf die Gerichtsakten sowie auf die von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, für die der Senat nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO erstinstanzlich zuständig ist, hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig (I.), jedoch nicht begründet (II.).

I. Der in der mündlichen Verhandlung allein gestellte Verpflichtungsantrag der Klägerin ist zulässig (§ 42 Abs. 2 VwGO), da der geltend gemachte Anspruch auf Einschränkung des Nachtflugbetriebs auf dem Flughafen Hannover-Langenhagen nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. Das Grundstück der Klägerin ist in der Nachtschutzzone des Flughafens gelegen; in der Vergangenheit sind ihr aufgrund der Lärmbelastung ihres Wohnhauses Kosten für Schalldämmungsmaßnahmen erstattet und die Übernahme der Aufwendungen für weitere passive Lärmschutzmaßnahmen in Aussicht gestellt worden. Dies ist ausreichend, ihr die Klagebefugnis für den Anspruch auf Einschreiten der Luftaufsichtsbehörde mit dem Ziel einer Prüfung zusätzlichen aktiven Schallschutzes durch Anordnung weiterer Flugbeschränkungen gegenüber der Beigeladenen zuzusprechen. Der Beklagte ist auch berechtigt, zur Sicherung der Einhaltung der Prognosegrundlagen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 FlugLärmG i.V.m. der Anlage zu § 3), auf denen die Ausweisung der Tag- und Nacht-Schutzzonen beruht, Auflagen für den Flugbetrieb in verbindlicher Form gegenüber der beigeladenen Flughafenbetreiberin festzuschreiben.

Die im Verfahren von Beklagtem und Beigeladener thematisierte Frage der Unzulässigkeit einer selbstständigen Anfechtungsklage mangels Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick darauf, dass der Bescheid vom 26.10.2009 lediglich beschränkenden und nicht gestattenden Charakter für einen ansonsten unbeschränkt zulässigen Flugbetrieb habe, stellt sich nach dem in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin zur Entscheidung gestellten Antrag nicht mehr, zumal die Nachtflugregelung im Fall eines Klageerfolges ohnehin angepasst werden müsste. Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass es im öffentlichen Recht "schrankenlose" Berechtigungen - etwa in Gestalt einer Berechtigung zu "unbeschränkter Lärmverursachung durch Nachtflugverkehr" (basierend auf der Ur-Genehmigung des Flughafens vom 25.04.1952 und ihren nachfolgenden Änderungen und Neufassungen) - nicht gibt, da jede Befugnis ihre Grenzen an den Rechten anderer findet. Die luftverkehrsrechtliche Genehmigung des § 6 LuftVG und die ihr gegenüber - korrespondierend - bestehende Duldungspflicht Dritter nach § 9 Abs. 3 LuftVG macht insoweit keine Ausnahme (BVerwG, Beschl. v. 26.02.2004 - 4 B 95.03 -, [...] Rn. 4 m.w.N.). Jedenfalls seit dem Erlass vom 31.10.1969 (MBl. S. 1126), also seit inzwischen fast 45 Jahren, ist ein unbeschränkter Nachtflugbetrieb nicht (mehr) durch die der Beigeladenen erteilten luftverkehrsrechtlichen Erlaubnisse gedeckt gewesen. Der Senat hat daher bereits in seinem Urteil vom 23.04.2009 darauf hingewiesen, dass ein unbeschränkter nächtlicher Flugverkehr unter den derzeitigen luftfahrttechnischen Gegebenheiten nicht in Betracht komme und auf eine Nachtflugbeschränkung zur Wahrung der Lärmschutzinteressen der Anwohner nicht verzichtet werden könne (Senat, Urt. v. 23.04.2009 - 7 KS 18/07 -, [...] Rn. 33). Eine wesentliche betriebliche Erweiterung iSv § 41 LuftVZO - auch des Nachtflugbetriebes bei einem Wegfall der diesen regelnden Beschränkungen - würde daher die Frage einer Beurteilung nach den Maßstäben des § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG aufwerfen (vgl. Giemulla/Schmidt, LuftVZO, § 40 Rn. 1 u. § 41 Rn. 2f. sowie auch BVerwG, Urt. v. 22.06.1979 - IV C 40.75 -, [...] Rn. 34f.).

II. Ein Anspruch der Klägerin auf die begehrten (weiteren) Maßnahmen aktiven Lärmschutzes durch Untersagung des Nachtflugbetriebes auf der Nordbahn - wie von ihr im Verwaltungsverfahren beantragt - bzw. durch die Anordnung ins Ermessen des Beklagten gestellter zusätzlicher Nachtflugbeschränkungen besteht jedoch im Ergebnis nicht.

1. § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG stellt für das Begehren - entgegen der Auffassung der Klägerin - im vorliegenden Fall keine Ermächtigungsgrundlage dar. Nach dieser Vorschrift ist eine Änderung der Genehmigung auch erforderlich, wenn die Anlage oder der Betrieb des Flugplatzes wesentlich erweitert oder geändert werden soll (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.11.2007 - 4 B 22.07 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19.04.2012 - 20 D 19/09.AK -, [...] Rn. 50). Die Genehmigung nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einerseits Unternehmergenehmigung, andererseits aber auch Planungsentscheidung (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 16.10.2008 - 4 C 5.07 -, [...] Rn. 16 m.w.N.). Sie unterliegt daher den rechtlichen Anforderungen an eine fachplanerische Abwägungsentscheidung (BVerwG, a.a.O.; Urt. v. 13.12.2007 - 4 C 9.06 -, BVerwGE 130, 83 Rn. 58 m.w.N.). Fluglärmbetroffene können beanspruchen, dass ihre Belange mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die planerische Abwägung der Genehmigungsbehörde eingestellt und mit den für das Vorhaben angeführten öffentlichen Verkehrsbelangen in einen Ausgleich gebracht werden, der zur objektiven Gewichtigkeit der einzelnen Belange nicht außer Verhältnis steht (BVerwG, a.a.O.; Urt. v. 11.07.2001 - 11 C 14.00 -, BVerwGE 114, 364, 367).

Dass der Antrag der Beigeladenen vom 27.02.2009 eine wesentliche Änderung des Flugbetriebes iSv § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG beinhaltet, ist indes für den Senat nicht erkennbar und wird von der Klägerin auch nicht dargelegt. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Nachtflugverkehr - mit den sich aus Teil II Ziff. 3 der Verfügung des Beklagten vom 26.10.2009 ergebenen besonderen Einschränkungen - auch auf der Südbahn stattfindet. Die Verlagerung des Nachtflugverkehrs auf die Nordbahn beruht zudem bereits auf dem Bescheid des Beklagten vom 18.02.2004, ist also nicht erst eine Folge der Nachtflugregelung vom 26.10.2009, wie die Klägerin zunächst angenommen zu haben scheint. Ihr Vortrag einer deutlichen Erhöhung der Nachtflugbewegungen nach Inkrafttreten der Neuregelung vom 26.10.2009 hat sich überdies bei der Überprüfung durch den Beklagten im Verwaltungsverfahren unter Zugrundelegung des Vergleichszeitraums Januar bis März der Jahre 2007 - 2010 nicht bestätigt. Auch der im Internet abrufbare Jahresbericht 2013 des Fluglärmschutzbeauftragten des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr für den Verkehrsflughafen Hannover-Langenhagen (http://www.mw.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_ id=32971&article_id=113947&_psmand=18; eingesehen am 07.07.2014), auf den der Senat lediglich ergänzend hinweist, bestätigt eine gravierende Zunahme des nächtlichen Flugverkehrs nicht. In dem Zeitraum 2004 - 2013 bewegt sich die Zahl der nächtlichen Flugbewegungen einigermaßen konstant zwischen 10.000 - 12.000, wobei der niedrigste Wert 2009 mit 10.026 und der höchste Wert 2007 mit 11.958 erreicht wird. Die Zahlen seit Geltung der neuen Nachtflugregelung vom 26.10.2009, d.h. der Jahre 2010 - 2013, liegen im langjährigen Mittel (2010 = 10.196, 2011 = 10.811, 2012 = 11.182, 2013 = 10.965; vgl. Abb. 4 des Jahresberichts); eine kontinuierliche Steigerung des Nachtflugverkehrs ist jedenfalls nicht erkennbar.

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Mangels einer wesentlichen Erweiterung des Flugbetriebes war dem Beklagten der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG von vornherein nicht eröffnet, so dass die von der Klägerin ebenfalls geltend gemachten Erschütterungsimmissionen bei niedrigen Überflügen über ihr Haus auch nicht im Rahmen einer Abwägung berücksichtigt werden konnten. Die bloße gesteigerte Ausnutzung der Kapazität eines uneingeschränkt genehmigten Flugplatzes wäre zudem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine nach § 6 Abs. 4 Satz 2 LuftVG genehmigungsbedürftige Erweiterung oder Änderung (BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 - 11 C 1.97 -, [...] Rn. 25).

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf den Erlass weiterer Nachflugbeschränkungen entsprechend § 42 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 LuftVZO, insbesondere auf die Untersagung des Nachtflugbetriebs auf der Nordbahn in der Form eines weitergehenden (Teil-)Widerrufs der der Beigeladenen erteilten luftverkehrsrechtlichen Genehmigung nach §§ 6 Abs. 2 Satz 4 LuftVG, 48 Abs. 1 Sätze 2 und 3 LuftVZO.

Die Anwohner eines auf der Grundlage eines Planfeststellungsbeschlusses angelegten Flughafens sind unter den in §§ 9 Abs. 3 LuftVG, 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG bezeichneten Voraussetzungen mit Beseitigungs- oder Änderungsansprüchen gegenüber festgestellten Anlagen ausgeschlossen. Diese Duldungspflicht hat indes gegebenenfalls zurückzutreten, wenn die mit dem Anlagenbetrieb verbundenen Fluglärmimmissionen ein Ausmaß erreichen, durch das der Gewährleistungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG oder des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG angetastet wird. Die staatlichen Organe sind verpflichtet, sich schützend und fördernd vor Rechtsgüter zu stellen, die Verfassungsrang genießen. An der Entstehung oder der Aufrechterhaltung verfassungswidriger Zustände dürfen sie nicht mitwirken (BVerwG, Beschl. v. 26.02.2004 - 4 B 95.03 -, [...] Rn. 4 m.w.N.). Als eine zur Abwehr fluglärmbedingter Gesundheits- oder Eigentumsbeeinträchtigungen geeignete Maßnahme stellt sich der (Teil-)Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses dar. Von dieser für den Flughafenunternehmer einschneidenden Möglichkeit darf die Luftfahrtbehörde allerdings mit Rücksicht auf die Anforderungen, die sich aus dem ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben, nur Gebrauch machen, wenn sich der Grundrechtsverstoß nicht unter Einsatz schonenderer Mittel beseitigen lässt. Als weniger belastender Eingriff kommen nachträgliche Lärmschutzauflagen in Anwendung des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG in Betracht. Erst wenn Lärmschutzvorkehrungen auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht ausreichen, um dem aus der Verfassung ableitbaren Schutzanspruch gerecht zu werden, darf sich die Luftfahrtbehörde des (Teil-)Widerrufs bedienen (BVerwG, Beschl. v. 26.02.2004 - 4 B 95.03 -, [...] Rn. 4 m.w.N.). Dieser Regel-Ausnahme-Mechanismus kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im Anwendungsbereich des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG zum Tragen, wobei die Reichweite der Fiktionswirkung (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 26.02.2004 - 4 B 95.03 -, [...] Rn. 5 u. 6 m.w.N.) dahinstehen kann, weil die nach dem maßgeblichen Stichtag 31.12.1958 hergestellten Teile des Flughafens gesondert genehmigt worden sind.

Unter die Widerrufsgründe fällt indes nur Fluglärm, der unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsgefahr grundrechtsrelevant (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist (BVerwG, Urt. v. 20.04.2005 - 4 C 18.03 -, [...]; Nds.OVG, Urt. v. 23.04.2009 - 7 KS 18/07 -, [...] Rn. 34). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts beginnt der verfassungsrechtlich kritische Bereich bei einem Dauerschallpegel vom 60 dB(A) nachts in Wohngebieten (BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 - 4 A 2001.06 -, [...] Rn. 140 m.w.N.; vgl. auch Nds.OVG, a.a.O. Rn. 36ff.). Bleibt der Nachtlärm, der in Ausnutzung der Genehmigung verursacht wird, unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefährdung, muss er hingenommen werden, auch wenn er gemessen am Maßstab des § 9 Abs. 2 LuftVG einen Anspruch auf Schutzmaßnahmen auslösen würde (vgl. Gatz, Anm. v. 09.05.2011 zu BVerwG, Beschl. v. 01.03.2011 - 4 B 33.10 -, [...] sowie dens., Anm. v. 16.12.2013 zu BVerwG, Beschl. v. 26.09.2013 - 4 VR 1.13 -, ebenfalls [...]).

Vorliegend muss das Auftreten gesundheitsgefährdender nächtlicher Flugimmissionen innerhalb des Gebäudes der Klägerin als ausgeschlossen angesehen werden. Das Grundstück liegt innerhalb der durch Rechtsverordnung vom 14.09.2010 ausgewiesenen Nachtschutzzone, in der nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FluglärmG Immissionswerte von LAeqNacht > 55 dB(A) außen und LAmax = 6 x 57 dB(A) innen nicht überschritten werden dürfen. Die Verfassungsmäßigkeit dieser - im Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen vom 1. Juni 2007 (BGBl. I S. 986) vom Gesetzgeber festgelegten - Werte hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 04.04.2012 (Az. 4 C 8.09 u.a., [...] Rn. 151ff.) nochmals bestätigt. Sie liegen deutlich unter der - oben bezeichneten - Schwelle zur Gesundheitsgefährdung, so dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf einen weitergehenden Teilwiderruf der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung auf der Grundlage von §§ 6 Abs. 2 Satz 4 LuftVG, 48 Abs. 1 Sätze 2 und 3 LuftVZO nicht als gegeben angesehen werden können.

Jenseits dieser normativen Begründung geben - worauf lediglich ergänzend hinzuweisen ist - aber auch die Messwerte der dem Grundstück der Klägerin nächstgelegenen Messstelle 3 (H.) der nach § 19a LuftVG auf dem Flughafen betriebenen Geräuschmessungsanlage keinen Anlass zu der Annahme, innerhalb des Gebäudes der Klägerin träten gesundheitsgefährdende nächtliche Fluglärmimmissionen auf. Danach lagen die Mittelungspegel (dB) Leq(3)1 in der Zeit von 22.00 bis 6.00 Uhr (im Folgenden jew. Jahreshöchst- bzw. Tiefstwerte) im Jahr 2013 zwischen 51,1 (September) und 41,4 (Juni), im Jahr 2012 zwischen 51,1 (September) und 46,7 (Dezember) und im Jahr 2011 zwischen 51,5 (September) und 42,3 (Februar) (Angaben entnommen den Jahresberichten des Fluglärmbeauftragten 2010-2013, abrufbar auf der Internetseite des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr = http://www.mw.niedersachsen.de/ portal/live.php?navigation_id=32971& article_id=113947&_psmand=18; eingesehen am 07.07.2014; im Jahresbericht 2010 fehlen vergleichbare Angaben für die Nachtzeit).

Das Bundesverwaltungsgericht ist bisher auch von seiner Auffassung nicht abgerückt, dass es einen Vorrang aktiver Lärmschutzmaßnahmen gegenüber Maßnahmen des passiven Lärmschutzes - wie ihn § 41 BImSchG für Straßen und Schienenwege vorsieht - im Luftverkehrsrecht nicht gibt (BVerwG, Beschl. v. 20.02.1998 - 11 B 37.97 -, [...] Rn. 11ff. u.v. 26.02.2004 - 4 B 95.03 -, [...] Rn. 4 m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 04.04.2012 - 4 C 8.09 -, [...] Rn. 447 u. v. 16.03.2006 - 4 A 1001.04 -, [...] Rn. 246). Die Klägerin muss sich daher vorliegend auf die durch passive Schallschutzmaßnahmen mögliche Lärmminderung verweisen lassen. Sie kann nicht durch Unterlassen oder Nichtausschöpfen ihr nach dem Fluglärmgesetz zustehenden Ansprüche die Anordnung aktiver Schallschutzmaßnahmen in Gestalt zusätzlichen Nachtflugbeschränkungen zu Lasten der Beigeladenen erzwingen.

Soweit die Klägerin bei Überflügen durch niedrigfrequente Schallbewegungen ein "Zittern" des Fußbodens sowie deutlich vernehmbares "Klappern und Klirren" von Gläsern und anderen leichten Gegenständen wahrzunehmen vermeint, macht sie keine Gesundheits- oder daraus resultierende Eigentumsbeeinträchtigungen geltend, die die - oben näher dargelegten - Anforderungen für eine Beschränkung des Flugverkehrs nach § 6 Abs. 2 Satz 4 LuftVG erfüllen könnten.

3. Ein Anspruch auf den Erlass zusätzlicher Nachtflugbeschränkungen ergibt sich auch nicht aus §§ 29, 29b LuftVG. Nach diesen Rechtsvorschriften können die Luftfahrtbehörden Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen durch Fluglärm treffen (§ 29 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 2 LuftVG). Flugplatzunternehmer, Luftfahrzeughalter und Luftfahrzeugführer sind verpflichtet, beim Betrieb von Luftfahrzeugen in der Luft und am Boden vermeidbare Geräusche zu verhindern und die Ausbreitung unvermeidbarer Geräusche auf ein Mindestmaß zu beschränken, wenn dies erforderlich ist, um die Bevölkerung vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Lärm zu schützen (§ 29b Abs. 1 LuftVG). Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen (§ 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG). Die Luftfahrtbehörden haben auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken (§ 29b Abs. 2 LuftVG).

Die genannten Vorschriften sind zwar im Grundsatz drittschützend (BVerwG, Urt. v. 24.06.2004 - 4 C 11.03 -, [...] Rn. 34). Der Klägerin vermitteln sie jedoch keinen Anspruch auf Einschreiten gegenüber der Beigeladenen, da § 29b LuftVG und § 29 LuftVG nicht darauf zugeschnitten sind, aus Lärmschutzgründen Maßnahmen zu treffen, die eine teilweise Aufhebung der Betriebsgenehmigung erfordern (vgl. im Einzelnen: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19.04.2012 - 20 D 117/08.AK -, [...] Rn. 83ff, 90 m.w.N.). Es spricht zudem einiges dafür, die einfachgesetzliche Grenzlinie der Zumutbarkeit in § 29b Abs. 2 LuftVG ebenfalls in Anlehnung an die Werte des Fluglärmgesetzes 2007 zu bestimmen (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 09.04.2014 - 6 A 8.14 -, [...] Rn. 33 m.w.N.), d.h. für bestehende zivile Flugplätze nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FluglärmG Immissionswerte von LAeqNacht > 55 dB(A) außen und LAmax = 6 x 57 dB(A) innen zugrunde zu legen, so dass sich weitergehende Ansprüche zu Gunsten Lärmbetroffener aus dieser Vorschrift nicht ergeben würden. Die Gewichtungsvorgabe des § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darüber hinaus nur Bedeutung erlangen, wenn es durch betriebsbedingte Abläufe zu einer wesentlichen Veränderung der Gesamtlärmsituation kommt (BVerwG, Beschl. v. 22.03.2011 - 4 B 34.10 -, [...] Rn. 27). Bleibt die Lärmsituation im Wesentlichen unverändert, ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet, weil kein Fall der Zurückdrängung des Lärmschutzinteresses der Nachbarschaft vorliegt, der der gesteigerten Rechtfertigung bedürfte (BVerwG, a.a.O.). Eine Verschlechterung der nächtlichen Lärmsituation infolge der neuen Nachflugregelung vom 26.10.20109 ist indes - wie oben ausgeführt - nicht erkennbar.

4. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 75 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 VwVfG. Aus dieser Rechtsvorschrift lassen sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Ansprüche auf aktive Schutzmaßnahmen in Form von Flugbetriebsregelungen, wie z.B. Bewegungs- oder Lärmkontingente für Lärmbetroffene, nicht ableiten (BVerwG, Urt. v. 20.04.2005 - 4 C 18.03 -, [...] Rn. 31 "Flughafen München II").

5. Andere Anspruchsgrundlagen, auf die die Klägerin ihr Begehren auf Erlass weiterer aktiver Lärmschutzmaßnahmen stützen könnte, sind nicht ersichtlich (vgl. auch das Senatsurteil v. 23.04.2009 - 7 KS 18/07 -, [...]).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die im Verfahren einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, für erstattungsfähig zu erklären, entspricht der Billigkeit. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.