Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 17.03.2016, Az.: 1 B 35/16
Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis gegenüber eines vietnamesischen Staatsangehörigen bei Einreise mit Schengen-Visum
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 17.03.2016
- Aktenzeichen
- 1 B 35/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 17255
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2016:0317.1B35.16.0A
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 1 AufenthG
- § 81 Abs. 4 S. 2 AufenthG
- § 123 VwGO
- § 80 Abs. 5 VwGO
- Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG
Fundstellen
- AUAS 2016, 99-102
- NdsVBl 2016, 6
Amtlicher Leitsatz
Für Ausländer, die mit einem Schengen-Visum (§ 6 Abs. 1 AufenthG) in die Bundesrepublik eingereistsind, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einerAufenthaltserlaubnis grundsätzlich nach § 123 VwGO, nicht nach § 80 Abs. 5 VwGO.Im Rahmen des Antrags nach § 123 VwGO fehlt es grundsätzlich an der Glaubhaftmachung einesAnordnungsanspruchs, weil sonst die gesetzgeberische Wertung, für die Dauer des Verfahrensbetreffend die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis kein vorläufiges Bleiberecht zugewähren (§ 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG), unterlaufen würde.Von diesem Grundsatz sind nur sehr enge Ausnahmen zugelassen. Zur Sicherung eines effektivenRechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) ist die Erteilung einer Duldung für die Dauer einesAufenthaltsgenehmigungsverfahrens nur dann notwendig, wenn nur so sichergestellt werden kann,dass eine ausländerrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommt.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes in erster Linie gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis.
Die XXX geborene Antragstellerin zu 1.) ist die Mutter der fünfzehnjährigen Antragstellerin zu 2.). Beide sind in Vietnam geboren und besitzen die vietnamesische Staatsangehörigkeit. Der Vater der Antragstellerin zu 2.) ist ebenfalls vietnamesischer Staatsangehörigkeit. Die Ehe mit der Antragstellerin zu 1.) ist seit längerem geschieden. Die Antragstellerinnen reisten am 27.07.2014 mit einem für 30 Tage innerhalb eines Zeitraumes vom 22.06.2014 bis 20.09.2014 gültigen Schengen-Visum (Typ C) in die Bundesrepublik ein. Die Antragstellerin zu 1.) verließ die Bundesrepublik am 06.08.2014 und reiste anschließend mit einem weiteren Schengen-Visum für Kurzzeitaufenthalte (90 Tage zwischen dem 26.08.2014 und dem 25.08.2015) erneut in den Schengenraum ein.
Am 12.09.2014 heirateten die Antragstellerin zu 1.) und der in I. wohnhafte Herr N. in Dänemark im Rahmen einer Kurzreise. Der ebenfalls in Vietnam geborene Ehemann hatte im Jahr 2001 die deutsche Staatsangehörigkeit zur Herstellung und Führung einer (anderen) ehelichen Lebensgemeinschaft erworben. Nach der Heirat im September 2014 reiste das Ehepaar erneut in die Bundesrepublik ein.
Am 19.09.2014 beantragten die Antragstellerinnern bei der Antragsgegnerin jeweils die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung. Zugleich beantragte die Antragstellerin zu 2.) die Verlängerung ihres Visums. Die Antragstellerin zu 1.) gab in dem Antragsformular an, dass sie am 02.09.2014 von O. nach Deutschland eingereist sei. Bereits im Jahr 2010 habe sie sich zweimal für kurze Zeit in P. aufgehalten. Neben der Antragstellerin zu 2.) habe sie noch einen erwachsenen, in Hanoi lebenden Sohn. (Bl. 21 ff. Beiakte 001). Auch die Antragstellerin zu 2.) hatte sich laut ihren Antragsunterlagen in den Jahren 2004, 2005 und 2006 kurzfristig in Deutschland aufgehalten (Bl. 2 Beiakte 002).
Mit Schreiben vom 25.08.2015 hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerinnen zur beabsichtigten Ablehnung der Anträge an. Die Antragstellerinnen nahmen mit Schreiben vom 07.09. und 01.10., 23.11. und 21.12.2015 Stellung. Die Antragstellerin zu 1.) machte geltend, ihre weitere Anwesenheit im Bundesgebiet sei erforderlich, um ihrem Mann beizustehen. Dieser sei spielsüchtig und habe schon fast seine gesamte wirtschaftliche Existenz verspielt. Hierzu berufe sie sich auf eine ärztliche Bescheinigung des Dr. med. Q. -R. C. vom 23.09.2015 (Bl. 81 Beiakte 001). Dort heißt es:
"Der o.g. Patient ist seit 1995 in meiner hausärztlichen und schmerztherapeutischen Behandlung. Soweit ich erfahren habe und selbst feststellen konnte, ist der Patient öfters nach S. ins Casino und in I. in einer Spielbank sowie Casino gefahren, um dort zu spielen. Durch seine Spielsucht hat er sein Bistro in I. aufgeben müssen.
Seine Ehefrau hatte eine Duldung von der Stadt I. bis Ende September 2015 erhalten. Danach muss sie Deutschland und ihren Ehemann verlassen und zurück nach Vietnam fliegen.
Eine Verlängerung der Duldung der Ehefrau ist aus ärztlicher Sicht dringend erforderlich, um ihrem Ehemann bei der Therapie gegen die Spielsucht zu unterstützen."
Die Antragstellerin zu 2.) machte geltend, sie besuche seit September 2014 ununterbrochen die 8. Klasse des Gymnasiums und habe sich gut integriert.
Mit Bescheid vom 04.01.2016, zugestellt am 11.01.2016, lehnte die Antragsgegnerin die Anträge auf Erteilung / Verlängerung eines Aufenthaltstitels ab. Sie forderte die Antragstellerinnen auf, das Bundesgebiet innerhalb eines Monates nach Bekanntgabe der Entscheidung freiwillig zu verlassen. Für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise drohte sie die Abschiebung nach Vietnam an. Das im Falle der Durchführung der Abschiebung eintretende gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie auf ein Jahr und sechs Monate.
Zur Begründung führte sie aus: Eine Verlängerung der Visa sei nicht möglich, weil Schengen-Visa eine Höchstgültigkeit von 90 Tagen ab der Einreise in das Vertragsgebiet hätten. Diesen Zeitraum hätten die Antragstellerinnen erheblich überschritten. Zudem gehe es ihnen um einen langfristigen Aufenthalt. Eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen scheide aus, weil beide Antragstellerinnen nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist seien. Die Eheschließung in Dänemark verhelfe der Antragstellerin zu 1.) nicht zu einem Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil sie erst nach der Eheschließung in die Bundesrepublik eingereist sei. Von der Regelerteilungsvoraussetzung werde nicht abgewichen. Denn es sei den Antragstellerinnen zumutbar, das Visumverfahren nachzuholen. Zudem könne die rechtliche Situation der Antragstellerin zu 2.) betreffend Frage der Zustimmung ihres leiblichen Vaters zum Aufenthalt in Deutschland besser in Vietnam geklärt werden. Ferner sei der Nationalpass der Antragstellerin zu 2.) im Juli 2015 abgelaufen. Die Vorlage eines gültigen Passes sei nicht unzumutbar. Auch nach anderen Rechtsvorschriften (insbesondere § 25 Abs. 1-3, Abs. 4, Abs. 5, § 25 b, § 25 a AufenthG) könne den Antragstellerinnen kein Aufenthaltsrecht eingeräumt werden. Die Nachholung des Visumverfahrens sei auch in den Schulferien möglich, sodass der Schulbesuch der Antragstellerin zu 2.) nicht beeinträchtigt werden müsse.
Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung beruhten auf § 59 AufenthG. Es bestehe kein Grund für eine Aussetzung der Abschiebung. Zugleich teilte die Antragsgegnerin mit, es sei nicht beabsichtigt, die familiäre Lebensgemeinschaft durch die Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung zu trennen. Soweit und solange eine Rückführung wegen fehlender Rückkehrdokumente oder der fehlenden Zustimmung der vietnamesischen Seite nach dem Rückkehrübereinkommen nicht durchgesetzt werden könne, würden Bescheinigungen über die Aussetzung der Abschiebung ausgestellt und erneuert werden.
Die Antragstellerinnen sind im Besitz einer Duldung bis zum 28.03.2016.
Sie haben am 11.02.2016 Klage erhoben (1 A 34/16) und die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Die Antragstellerin zu 1.) meint, sie sei zum Zeitpunkt ihrer Einreise am 26.08.2014 im Besitz eines einjährigen Geschäftsvisums gewesen. Ihre weitere Anwesenheit im Bundesgebiet sei zwingend erforderlich, um ihren Mann zu unterstützen. Es liege ein Ausnahmetatbestand nach § 39 Nr. 5 AufenthV vor. Wegen des Schulbesuchs der Antragstellerin zu 2.) werde auf eine Lernstand- und Kompetenzbeschreibung des T. -Gymnasiums für das 1. Halbjahr 2014/2015 Bezug genommen (Anlage K9, Bl. 46 der Gerichtsakte). Ferner beabsichtige der Ehemann der Antragstellerin zu 1.) die Adoption der Antragstellerin zu 2.).
Die Antragstellerinnen beantragen
die aufschiebende Wirkung der Klage (1 A 34/16) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.01.2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist auf ihren Bescheid. Ergänzend trägt sie vor, das Hauptzollamt ermittle gegen die Antragstellerin zu 1.) wegen Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz: Es bestehe der Verdacht, dass sie entgegen der Nebenbestimmung in ihrer Duldung, wonach ihr eine Erwerbstätigkeit nicht gestattet sei, in einem vietnamesischen Restaurant arbeite. Ihr Mann sei dort als Koch tätig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig (1.). Einen Antrag nach § 123 VwGO haben die anwaltlich vertretenen Antragstellerinnen nicht gestellt. Selbst wenn die Kammer den unzulässigen Antrag als einen solchen nach § 123 VwGO auslegen bzw. dahingehend umdeuten würde, wäre dieser Antrag unbegründet (2.).
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (1 A 34/16) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.01.2016 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO ist unzulässig. Statthaft wäre vielmehr ein Antrag nach § 123 VwGO.
Gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hat die Klage gegen die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels keine aufschiebende Wirkung.
Ein Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO ist allerdings nur dann statthaft, wenn der Ausländer auf Grund seines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde in den Genuss der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG kommt. Im Übrigen kann er Rechtsschutz nur gemäß § 123 VwGO erlangen (Samel, in: Renner u.a., Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 84 Rn. 23, § 81 Rn. 40 ff.).
a) Nach § 81 Abs. 3 AufenthG gilt ein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt, wenn ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt (Satz 1). Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt (Satz 2).
Auf Ausländer, die - wie die Antragstellerinnen - mit einem Schengen-Visum in die Bundesrepublik eingereist sind, ist § 81 Abs. 3 AufenthG nicht anwendbar. Denn das Schengen-Visum stellt einen Aufenthaltstitel im Sinne der Vorschrift dar (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG; Bay. VGH, Beschluss vom 21.02.2013 - 10 CS 12.2679 -, , Rn. 6 ff.).
b) Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Abs. 1 (§ 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen (Satz 3).
Unabhängig von der Frage, ob die Antragstellerinnen rechtzeitig vor Ablauf ihrer Visa deren Verlängerung bzw. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt haben, greift die Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gemäß Satz 2 für Schengen-Visa nicht ein. Die Antragsgegnerin hat die Fortgeltungswirkung auch nicht angeordnet im Sinne von § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG.
2. Selbst wenn die Kammer das Begehren der anwaltlich vertretenen Antragstellerinnen als Antrag nach § 123 VwGO auslegen bzw. den gestellten Antrag dahingehend umdeuten würde, hätte ein solcher Antrag ebenfalls keinen Erfolg.
Mit einem Antrag nach § 123 VwGO würden die Antragstellerinnen begehren, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung zeitweise bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auszusetzen (Samel, a.a.O., § 81 Rn. 41).
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dazu muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs erfüllt sind (Anordnungsanspruch) und die Entscheidung des Gerichts eilbedürftig ist (Anordnungsgrund).
Es ist bereits zweifelhaft und die Antragstellerinnen einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht haben (a). Jedenfalls fehlt es an einem Anordnungsanspruch (b).
a) Die Kammer hat bereits Zweifel an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, weil eine baldige Abschiebung der Antragstellerinnen nicht ohne weiteres bevorsteht.
Die Antragsgegnerin hat in dem streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, es sei nicht beabsichtigt, die familiäre Lebensgemeinschaft durch die Durchführung der Ausreiseverpflichtung zu trennen. Sie verpflichtete sich, Bescheinigungen über die Aussetzung der Abschiebung auszustellen und zu erneuern, soweit und solange eine Rückführung wegen fehlender Rückkehrdokumente oder der fehlenden Zustimmung der vietnamesischen Seite nach dem Rückkehrübereinkommen nicht durchgesetzt werden könne.
Der Antragsgegnerin liegen noch nicht alle Rückkehrdokumente vor. Die Antragstellerin zu 2.) verfügt seit dem 22.07.2015 nicht über einen gültigen Nationalpass. Mit Schreiben vom 11.02.2016 teilte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen der Antragsgegnerin mit, dass bei der vietnamesischen Botschaft in P. ein neuer Reisepass beantragt worden sei. Es ist allerdings nicht glaubhaft gemacht, dass der Pass inzwischen abgeholt wurde, sodass er von der Antragsgegnerin in Verwahrung genommen werden könnte.
b) Jedenfalls haben die Antragstellerinnen keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Einer Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Erteilungsverfahrens einer Aufenthaltserlaubnis stehen mit Blick auf die in § 81 AufenthG geregelte Fiktionswirkung bei Beantragung eines Aufenthaltstitels gesetzessystematische Gründe entgegen.
Für Ausländer, die - wie die Antragstellerinnen - mit einem Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, hat der Gesetzgeber in § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ausdrücklich bestimmt, dass für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens grundsätzlich kein Bleiberecht gewährt werden soll. Diese Wertung kann grundsätzlich nicht über einen Antrag nach § 123 VwGO unterlaufen werden, in dem u.a. zu prüfen wäre, ob die Abschiebung rechtlich unmöglich im Sinne von § 60a Abs. 2 AufenthG ist. Daher ist es unerheblich, ob die Antragstellerinnen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. die Verlängerung ihrer Visa rechtzeitig vor deren Ablauf beantragt haben.
Von dem o.g. Grundsatz sind nur sehr enge Ausnahmen zugelassen. Zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) ist die Erteilung einer Duldung für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens, obwohl ein vorläufiges Bleiberecht nach § 81 AufenthG nicht besteht, nur dann notwendig, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zugutekommt. Beispiele sind Härtefall- oder Altfallregelungen wie § 104 a AufenthG (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 11.08.2008 - 13 ME 128/08 -, Rn. 2 f.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.06.2009 - 2 M 86/09 -, Rn. 13, und Beschluss vom 14.10.2009 - 2 M 142/09 -, jeweils m.w.N.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.02.2008 - 18 B 230/08 -, Rn. 3).
Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin zu 1.) begehrt eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug (§ 27 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), die Antragstellerin zu 2.) die Verlängerung ihres Schengen-Visums (§ 6 Abs. 2 AufenthG) bzw. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug (§ 27 i.V.m. § 29, § 32 oder § 36 Abs. 2 AufenthG). Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a oder § 25 b AufenthG steht beiden Antragsstellerinnen auf Grund ihrer kurzen Aufenthalte in der Bundesrepublik offensichtlich nicht zu.
Ehe und Familie stehen zwar unter dem besonderen Schutz des Art. 6 GG. Grundsätzlich ist es aber mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.06.2009, a.a.O., Rn. 14; BVerwG, Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 17.09 -, BVerwGE 138, 122 = , Rn. 27; s. auch Hailbronner, AuslR, Stand November 2015, § 81 AufenthG Rn. 64). Dieser Auffassung schließt sich das Gericht an.
Etwas anderes kann dann gelten, wenn es dem Ausländer im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht zugemutet werden kann und darf, seine in der Bundesrepublik gelebten familiären Beziehungen auch nur vorübergehend für die Dauer eines vom Ausland zu betreibenden Visumverfahrens zu unterbrechen, etwa wenn ein Kleinkind von einem Elternteil getrennt würde oder der Ehegatte, insbesondere durch Krankheit oder in einer psychischen Not - mehr als im Regelfall üblich -, auf den persönlichen Beistand des anderen Ehegatten angewiesen ist. Wenn Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK der (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers entgegenstehen, ist die Abschiebung aus rechtlichen Gründen unmöglich im Sinne des § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (Nds. OVG, Beschluss vom 20.05.2009 - 11 ME 110/09 -, Rn. 10; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.06.2009, a.a.O., Rn. 14).
Zwar macht die Antragstellerin zu 1.) geltend, ihr Mann sei spielsüchtig und dringend auf ihre Unterstützung bei der Therapie der Krankheit angewiesen. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Dr. med. Q. -R. C. vom 23.09.2015 ist jedoch nicht geeignet, die Notwendigkeit einer Betreuung des Ehemannes gerade durch die Antragstellerin zu 1.) glaubhaft zu machen. Sie ist unsubstantiiert. Deshalb bedarf es auch im Hauptsacheverfahren nicht der - von der Antragstellerin angeregten - Einholung eines forensischpsychiatrischen Gutachtens.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes gehört zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer bestimmten behandlungsbedürftigen Krankheit zum Gegenstand hat, die Vorlage eines fachärztlichen Attests, das gewissen Mindestanforderungen genügen muss. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, BVerwGE 129, 251 = , Rn. 15).
Diesen Anforderungen genügt die vorgelegte ärztliche Bescheinigung nicht. Es stellt sich bereits die Frage, ob der Arzt (Facharzt für Allgemeinmedizin; Geburtshelfer; spezielle Schmerztherapie; Akupunktur; Naturheilverfahren mit Physiotherapie; Facharzt und Dr. med. der traditionellen chinesischen Medizin) für die Behandlung einer Suchterkrankung kompetent ist. Darüber hinaus geht aus der Bestätigung weder hervor, wie die Krankheit oder die Behandlung verlaufen ist, noch auf welchen tatsächlichen Anhaltspunkten die ärztliche Einschätzung beruht. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, warum der Arzt zu dem Ergebnis gelangte, dass eine Verlängerung der Duldung der Antragstellerin zu 1.) aus ärztlicher Sicht dringend erforderlich sei, um ihren Ehemann bei der Therapie zu unterstützen. Zumal sich weder aus dem Verwaltungsvorgang noch aus dem Vortrag der Beteiligten überhaupt ein Hinweis darauf ergibt, dass eine "Therapie" des Ehemannes tatsächlich stattfindet.
Es bleibt deshalb bei der gesetzessystematischen Wertung, dass über § 123 VwGO kein vorläufiges Bleiberecht zugesprochen werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ - Beilage 2013, 57 ff.). Nach Nr. 8.3 ist bei einem Streit um eine Abschiebung im Hauptsacheverfahren der halbe Auffangwert (2.500,00 Euro) pro Person zu Grunde zu legen. Bei zwei Personen ergibt dies einen Gesamtstreitwert von 5.000,00 Euro. Dieser Wert wird im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht halbiert, weil mit der Entscheidung im vorliegenden Verfahren die Hauptsache vorweggenommen wird (vgl. Nr. 1.5 Streitwertkatalog, a.a.O.).