Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.02.2018, Az.: 13 PA 12/18

Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen; Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; Eheschließung; gesetzlicher Anspruch; Nachholung; PKH-Beschwerde; Titelerteilungsverbot; unerlaubte Einreise; unverzüglich; Unzumutbarkeit; Visumverfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.02.2018
Aktenzeichen
13 PA 12/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74413
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 02.01.2018 - AZ: 6 A 78/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der von § 39 Nr. 5 AufenthV vorausgesetzten Aussetzung der Abschiebung muss es sich um eine solche handeln, die wegen anderer Abschiebungshindernisse als der (bevorstehenden) Eheschließung erteilt worden ist.

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe teilweise ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 2. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen den seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe teilweise ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht abgelehnt, soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Aufhebung des dies ablehnenden Bescheides des Beklagten vom 12. Juni 2017 begehrt.

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hier fehlt der Rechtsverfolgung des Klägers jedenfalls die erforderliche Erfolgsaussicht. Denn nach der im Prozesskostenhilfeverfahren unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfe (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. mit weiteren Nachweisen) nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362) steht ihm der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den hier allein in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (1.) und des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (2.) voraussichtlich nicht zu.

1. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG steht das Titelerteilungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, nachdem der Kläger seinen am 13. September 2016 (Blatt 106 der Beiakte 1) gestellten Asylantrag mit Schreiben vom 30. September 2016 (Blatt 123 der Beiakte 1) zurückgenommen hat und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Asylverfahren mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 (Blatt 131 der Beiakte 1) eingestellt hat.

Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Fünften Abschnitts des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Dies schließt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG, die im Sechsten Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes geregelt ist, aus.

Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG findet die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zwar keine Anwendung. Anspruch in diesem Sinne ist aber nur ein gesetzlicher Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 1 AufenthG (vgl. insoweit gegebenen Inhaltsidentität von § 10 Abs. 1 und § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG: BVerwG, Urt. v. 16.12.2008 - BVerwG 1 C 37.07 -, BVerwGE 132, 382, 389; GK-AufenthG, § 10 Rn. 60 und 172 ff. (Stand: Juli 2014)).

Ein gesetzlicher Anspruch im Sinne dieser Regelungen muss sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Ein derart strikter Rechtsanspruch setzt voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2016 - BVerwG 1 C 23.15 -, NVwZ 2016, 1498, 1500; Urt. v. 16.12.2008, a.a.O., S. 388 jeweils m.w.N.). Ansprüche aufgrund einer Ermessensvorschrift führen hingegen nicht zu einem gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG, und zwar auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall "auf Null" reduziert ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.2008, a.a.O., S. 388 f.; Senatsbeschl. v. 8.12.2008 - 13 PA 145/08 -, juris Rn. 4 jeweils m.w.N.). Auch Regelansprüche und Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften führen nicht zu einem gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2016, a.a.O., S. 1500; Urt. v. 17.12.2015 - BVerwG 1 C 31.14 -, BVerwGE 153, 353, 358 f.; Senatsbeschl. v. 8.12.2008, a.a.O.).

Nach diesen Maßgaben steht dem Kläger ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zu. Er erfüllt zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Es mangelt aber voraussichtlich an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (a.) und des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (b.).

a. In der Person des Klägers besteht voraussichtlich ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG (vgl. zu den Anforderungen an das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses im Sinne des § 53 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG: Senatsbeschl. v. 20.6.2017 - 13 LA 134/17 -, juris Rn. 10 f.). Der Kläger dürfte vorsätzlich unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sein und sich damit nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG strafbar gemacht haben. Entgegen der von ihm vertretenen Ansicht dürfte er auch nicht nach § 95 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 GFK von einer Bestrafung freigestellt sein. Denn es ist bisher nicht ersichtlich, dass er sich im Sinne des Art. 31 Abs. 1 GFK unverzüglich bei den deutschen Behörden gemeldet und Gründe dargelegt hat, die seine unrechtmäßige Einreise oder seinen unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen könnten. Der Flüchtling hat hiernach die erste Gelegenheit zu nutzen, um die Gründe darzulegen, welche die unrechtmäßige Einreise oder den unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. Dabei ist das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit im Sinne von § 121 BGB zu verstehen, so dass die Meldung bei der Behörde "ohne schuldhaftes Zögern" zu erfolgen hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2014 - 2 BvR 450/11 -, juris Rn. 58; Beschl. v. 16.6.1987 - 2 BvR 911/85 -, juris Rn. 6). Hier ist der Kläger am 6. Dezember 2014 (Blatt 1 der Beiakte 1) in das Bundesgebiet eingereist, hat sich nach seinen eigenen Angaben aber erst "Mitte Januar 2015" (Schriftsatz v. 19.6.2017, dort S. 2 = Blatt 27 der Gerichtsakte) beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemeldet. Eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender wurde ihm durch die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen gar erst am 23. Januar 2015 (Blatt 2 der Beiakte 1) ausgestellt. Diese Meldung stellt sich - auch nach dem vom Kläger propagierten Maßstab von vier Wochen (Schriftsatz v. 19.6.2017, dort S. 2 = Blatt 27 der Gerichtsakte) - nicht mehr als unverzüglich dar.

b. Der Kläger ist zudem ohne (das erforderliche) Visum in das Bundesgebiet eingereist; er erfüllt daher die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht. Er ist voraussichtlich auch nicht nach § 39 Nr. 5 AufenthV berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einzuholen.

§ 39 Nr. 5 AufenthV erfordert, dass die Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und der Ausländer auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Diese Bestimmung soll nur diejenigen Ausländer privilegieren, die sich mit einer Duldung im Bundesgebiet aufhalten und sodann hier die Ehe schließen, nicht aber diejenigen, denen eine Duldung nur erteilt wird, um ihnen die zeitlich unmittelbar bevorstehende Eheschließung oder die Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Bei der von § 39 Nr. 5 AufenthV vorausgesetzten Aussetzung der Abschiebung muss es sich folglich um eine solche handeln, die wegen anderer Abschiebungshindernisse als der (bevorstehenden) Eheschließung erteilt worden ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 24.5.2011 - 8 ME 56/11 -, V.n.b. Umdruck S. 5; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.1.2011 - 11 S 51.10 -, juris Rn. 10; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 16.11.2010 - 4 Bs 220/10 -, juris Rn. 11; OVG Saarland, Beschl. v. 22.7.2008 - 2 B 257/08 -, juris Rn. 12; GK-AufenthG, § 4 Rn. 80 (zu § 39 Nr. 5 AufenthV) (Stand: Mai 2014); a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.3.2008 - 11 S 378/08 -, juris Rn. 11). Über eine solche Aussetzung der Abschiebung verfügt der Kläger nicht. Ihm wurde erstmals - nach Einstellung des Asylverfahrens im Dezember 2016 - unter dem 16. März 2017 (Blatt 160 der Beiakte 1) eine Duldung erteilt. Andere Duldungsgründe als eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung wegen der sich aus Art. 6 GG ergebenden Schutzwirkungen für die im Bundesgebiet geführte eheliche Lebensgemeinschaft sind nicht ersichtlich.

Im Übrigen hat der Kläger auch nicht, wie von § 39 Nr. 5 AufenthV weiter gefordert, auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben. Denn er erfüllt, wie ausgeführt (siehe oben 1.a.), die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht.

Ob darüber hinaus ein Ausnahmefall vorliegt, der ein Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfordert, oder der Beklagte verpflichtet ist, im Ermessenswege nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG oder § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abzusehen, kann hier dahinstehen. Denn sowohl das Vorliegen eines Ausnahmefalls auf Tatbestandsseite als auch eine Ermessensreduzierung auf der Rechtsfolgenseite vermitteln dem Kläger nach dem eingangs dargestellten Maßstab keinen gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG. Weder die Möglichkeit noch die Anforderungen an das Vorliegen eines ungeschriebenen Ausnahmefalls sind vom Gesetzgeber selbst in abstrakt-genereller, abschließender Weise bestimmt worden. Das Vorliegen eines Ausnahmefalls kann vielmehr nur anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles beurteilt und festgestellt werden, was die Annahme eines sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden und damit gesetzlichen Anspruchs ausschließt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014 - BVerwG 1 C 15.14 -, NVwZ-RR 2015, 313, 315 (zu § 5 Abs. 2 AufenthG); Beschl. v. 16.2.2012 - BVerwG 1 B 22.11 -, juris Rn. 4; Urt. v. 16.12.2008, a.a.O., S. 390; Senatsbeschl. v. 5.9.2017 - 13 LA 129/17 - (zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG); a.A. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 15.9.2007 - 11 S 837/06 -, juris Rn. 39; krit. GK-AufenthG, § 10 Rn. 60.23 und 60.12 f. (Stand: Juli 2014)). Gleiches gilt für eine etwaige Reduzierung des nach § 27 Abs. 3 Satz 2 oder § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffneten Ermessens (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.2008, a.a.O., S. 388 f.; Senatsbeschl. v. 8.12.2008, a.a.O., Rn. 4 jeweils m.w.N.).

2. Der Kläger kann voraussichtlich auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht beanspruchen. Dem steht zwar nicht das Verbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, da es sich bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG um eine solche nach dem Fünften Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes handelt. Der Kläger erfüllt aber weder die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (a.) noch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (b.).

a. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Eine rechtliche Unmöglichkeit in diesem Sinne kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, die aus Verfassungsrecht etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG herzuleiten sind. Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer Beendigung des Aufenthalts dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1997 - 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 39 f.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.5.2009 - 11 ME 110/09 -, juris Rn. 10; jeweils m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.2.2011 - 8 ME 305/10 -, InfAuslR 2011, 151 m.w.N.).

Unterstellt man für das Prozesskostenhilfeverfahren, dass der Kläger mit seiner deutschen Ehefrau im Bundesgebiet bereits tatsächlich eine eheliche Lebensgemeinschaft führt, ist nicht ersichtlich, dass es ihm oder seiner Ehefrau unzumutbar sein könnte, diese für die Dauer der Nachholung des Visumverfahrens kurzzeitig zu unterbrechen. Nach dem von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Algier erstellten Merkblatt für Visumanträge auf Familiennachzug zum Ehegatten (Stand: August 2017, veröffentlicht unter: www.algier.diplo.de/contentblob/1811530/Daten/7761923/datei_familiennachzug_Ehegatten.pdf) beträgt die gewöhnliche Bearbeitungsdauer zwischen drei und sechs Monaten. Diese umfasst auch die Einholung der Zustimmung der zuständigen deutschen Behörden, kann also durch die Einholung einer Vorabzustimmung noch verkürzt werden. Aber auch eine kurzzeitige Trennung des Klägers von seiner deutschen Ehefrau für die Dauer von bis zu sechs Monaten ist nicht unzumutbar. Die Eheleute führen bereits heute eine Fernbeziehung, ohne dass sich hieraus erkennbar nachhaltige negative Einflüsse auf das Zusammenleben ergeben haben. Der Kläger lebt in C., seine Ehefrau im etwa 150 km entfernten D.. Anhaltspunkte dafür, dass die Ehefrau des Antragstellers zwingend auf seinen Beistand im Bundesgebiet angewiesen ist, bestehen nicht. Zudem ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers und seiner Ehefrau dahingehend, dass die Ausländerbehörde vom Visumerfordernis absehen und so eine durch die Nachholung des Visumverfahrens bedingte zeitweise Trennung der Eheleute vermieden würde, nicht entstanden ist. Die Eheleute mussten vielmehr bereits bei Eheschließung davon ausgehen, für die Dauer des nachzuholenden Visumverfahrens nicht zusammen leben zu können.

b. Der Kläger erfüllt zudem die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht (siehe im Einzelnen oben 1.a. und b.).

Der Beklagte ist auch nicht verpflichtet, unter Betätigung seines Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Visumpflicht des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abzusehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Einhaltung des Visumverfahrens der Regelfall bleiben soll und dass allein die Verpflichtung, zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland vor der Einreise ein Visum einzuholen, auch Art. 6 Abs. 1 GG nicht verletzt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.12.2007 - 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239; BVerwG, Beschl. v. 19.3.1990 - BVerwG 1 B 32.90 -, juris Rn. 3; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.6.2007 - 10 PA 65/07 -, juris Rn. 7; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.10.2006 - 18 B 1767/06 -, InfAuslR 2007, 56 f.). Der bloße Umstand der Eheschließung und die bloße Absicht, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu wollen, begründen eine Unzumutbarkeit nicht (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 31.3.2006 - 24 C 06.402 -, juris Rn. 21). Allenfalls in Ausnahmefällen, in denen besondere Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der sich insbesondere aus Art. 6 GG ergebenden Schutzwirkungen eine für die Dauer des Visumverfahrens bestehende Trennung der Eheleute als nicht zumutbar erscheinen lassen, kann auf die Nachholung des Visumverfahrens verzichtet werden. Solche Umstände sind hier indes nicht gegeben (siehe oben 2.a.).

Liegen daher weder die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG noch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor, kann der Senat hier dahinstehen lassen, ob mit Blick auf die ebenfalls nicht erfüllte allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ein Ausnahmefall gegeben ist, der bereits auf Tatbestandsseite ein Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung erfordert, oder der Beklagte verpflichtet ist, im Ermessenswege nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erteilungsvoraussetzung abzusehen.

Schließlich bedarf es einer Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren nicht, soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss einen Anspruch des Klägers auf Verpflichtung des Beklagten zur Änderung der Wohnsitzauflage verneint hat. Der Kläger verfolgt einen solchen Anspruch mit seiner Klage bisher nicht. Er hat zuletzt im Schriftsatz vom 19. Juni 2017 (Blatt 26 der Gerichtsakte) insoweit lediglich beantragt, den Beklagten zur Neubescheidung seines Antrags auf Änderung der Wohnsitzauflage zu verpflichten. Für diesen Antrag hat ihm das Verwaltungsgericht im Beschluss vom 2. Januar 2018 antragsgemäß Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm seinen Prozessbevollmächtigten zur Vertretung beigeordnet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen. Für die Höhe der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens gilt der streitwertunabhängige Kostentatbestand in Nr. 5502 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).