Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.07.2010, Az.: 8 ME 139/10

Aussetzung der Abschiebung bei unmittelbar bevorstehender Eheschließung; Unmittelbares Bevorstehen der Eheschließung bei Bestimmung eines zeitnahen Termins durch den zuständigen Standesbeamten; Ausnahmsweise unmittelbares Bevorstehen der Eheschließung bei erfolgreichem Abschluss des Verwaltungsverfahrens zur Prüfung der Ehevoraussetzungen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.07.2010
Aktenzeichen
8 ME 139/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 21170
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0707.8ME139.10.0A

Fundstellen

  • AUAS 2010, 219-221
  • DVBl 2010, 1120
  • DÖV 2010, 868

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit gebietet nur dann die Aussetzung der Abschiebung, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht.

  2. 2.

    Unmittelbar steht die Eheschließung grundsätzlich nur dann bevor, wenn ein zeitnaher Eheschließungstermin von dem zuständigen Standesbeamten bestimmt oder zumindest von diesem als unmittelbar bevorstehend bezeichnet ist. Fehlt es an einem solchen Eheschließungstermin, kann ein unmittelbares Bevorstehen der Eheschließung ausnahmsweise schon dann bejaht werden, wenn das Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehevoraussetzungen nachweislich erfolgreich abgeschlossen ist und die Eheschließung sich nur aus nicht in der Sphäre der Verlobten liegenden Gründen verzögert.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung des Antragstellers für zunächst drei Monate auszusetzen, abgelehnt hat, bleibt ohne Erfolg.

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Die Beschwerde ist bereits unzulässig.

3

Nach § 146 Abs. 4 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

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Ein solcher Fall ist hier gegeben. Denn die Beschwerde enthält keinen Antrag. Ein solcher ist weder dem Schriftsatz vom 11. Juni 2010, mit dem der Antragstellerin die Beschwerde eingelegt hat, noch dem Schriftsatz vom 5. Juli 2010, mit dem der Antragsteller seine Beschwerde begründet hat, zu entnehmen.

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Geht man zugunsten des Antragstellers davon aus, dass er seinen im erstinstanzlichen Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gestellten Antrag mit der Beschwerde unverändert weiter verfolgt, ist die Beschwerde zudem unbegründet. Denn aus den vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründen ergibt sich kein Anspruch des Antragstellers auf eine weitere Duldung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet nach § 60a Abs. 2 AufenthG.

6

Nach Satz 1 dieser Bestimmung ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine rechtliche Unmöglichkeit in diesem Sinne kann sich etwa aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind.

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Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1997 - 1 C. 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 39 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.5.2009 - 11 ME 110/09 -, [...] Rn. 10 m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst dabei neben dem Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben grundsätzlich auch die Freiheit der Eheschließung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1, 42). Die so durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit gebietet aber nur dann die Erteilung einer Duldung im Hinblick auf eine beabsichtigte Heirat, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht (vgl. Senatsbeschl. v. 30.1.2009 - 8 ME 7/09 -; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.3.2002 - 11 ME 66/02 -; GK-AufenthG, Stand: Mai 2010, § 60a Rn. 138; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: April 2010, AufenthG § 60a Rn. 30 jeweils m.w.N.).

8

Unmittelbar steht die Eheschließung aber grundsätzlich nur dann bevor, wenn ein zeitnaher Eheschließungstermin von dem zuständigen Standesbeamten bestimmt oder zumindest von diesem als unmittelbar bevorstehend bezeichnet ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 11.3.2010 - 19 CE 10.364 -, [...] Rn. 3; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 4.4.2007 - 3 Bs 28/07 -, NVwZ-RR 2007, 559, 560; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 9.2.2007 - OVG 3 S 5.07 -, NVwZ-RR 2007, 634; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 7.11.2006 - 7 ME 176/06 -, [...] Rn. 8; GK-AufenthG, a.a.O., Rn. 140.1 jeweils m.w.N.). Ausnahmsweise kann auch schon dann ein unmittelbares Bevorstehen der Eheschließung bejaht werden, wenn jedenfalls das - durch die Anmeldung der Eheschließung beim zuständigen Standesamt eingeleitete - Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehefähigkeit, also der Ehevoraussetzungen nach §§ 11 ff. Personenstandsgesetz - PStG - in der Fassung vom 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122) nachweislich erfolgreich abgeschlossen ist (vgl. Nr. 60a.2.1.1.2.1 i.V.m. Nr. 30.0.6 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009 (GMBl. S. 877); weitgehender noch Nr. 30.0.6 Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz EU).

9

Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann hingegen dann nicht ausgegangen werden, wenn aus in der Sphäre der Verlobten liegenden Gründen der Standesbeamte einen Termin zur Eheschließung nicht festsetzen kann (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 11.3.2010, a.a.O., Rn. 5; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.11.2001 - 11 S 1848/01 , InfAuslR 2002, 228, 230 f.; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 4.4.2007, a.a.O.) oder der Präsident des Oberlandesgerichts über den Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses nicht abschließend entscheiden kann, weil es noch an Unterlagen fehlt oder sonst Zweifel oder Unklarheiten bestehen (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 11.3.2010, a.a.O., Rn. 5; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 4.4.2007, a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16.5.2006 - 3 B 61/06 -, AuAS 2006, 242 f.).

10

Nach diesen Maßstäben hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass eine Eheschließung mit seiner deutschen Verlobten, Frau ... ... D., unmittelbar bevorsteht.

11

Ein Eheschließungstermin ist vom Standesbeamten des Standesamts E. bisher weder bestimmt noch als unmittelbar bevorstehend bezeichnet worden. Der Standesbeamte hat mit Zwischenbescheid über die Anmeldung der Eheschließung vom 6. Mai 2010 vielmehr darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für eine Eheschließung noch nicht erfüllt sind und ein Antrag des Antragstellers auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses an das zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet worden ist. Diesen Antrag hat der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts F. indes mit Schreiben vom 19. Mai 2010 an das Standesamt E. zurückgegeben und die Erteilung der vom Antragsteller begehrten Befreiung abgelehnt. Es bestünden zum einen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Eingehung der ehelichen Lebensgemeinschaft, die weitere Ermittlungen des Standesbeamten erforderlich machten. Zum anderen seien vom Antragsteller noch vom kosovarischen Innenministerium, Abteilung für Registrierung und Personenstand (Department of Registration and Civil Status, vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo, Stand: Mai 2010, S. 11 f.), überbeglaubigte Ausfertigungen seiner Geburtsurkunde, seines Staatsbürgerschaftsnachweises und seiner Familienstandsbescheinigung beizubringen.

12

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass eine Eheschließung nicht unmittelbar bevorsteht. Denn abgesehen davon, dass ein Eheschließungstermin weder feststeht noch absehbar ist, ist jedenfalls das Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehefähigkeit, also der Ehevoraussetzungen nach §§ 11 ff. PStG hier noch nicht erfolgreich abgeschlossen.

13

Der hiergegen vom Antragsteller erhobene Einwand, es sei unzulässig, das Ergebnis der geforderten Ermittlungen zur Ernsthaftigkeit der beabsichtigten Eheschließung zu antizipieren und von einer Scheinehe auszugehen, ist von vorneherein unerheblich. Denn ob derartige Bedenken des Standesbeamten oder des Präsidenten des Oberlandesgerichts berechtigt sind, hat der Senat im aufenthaltsrechtlichen Verfahren nicht zu prüfen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.3.2002 - 11 ME 66/02 -; Beschl. v. 18.2.2002 - 11 ME 83/02 -). Für das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren kommt es entscheidend nur darauf an, dass gegenwärtig offen ist, ob und wann die beabsichtigte Eheschließung stattfinden wird. Der Senat muss deshalb der in diesem Zusammenhang von dem Antragsteller aufgestellten Behauptung, es handele sich um keine Scheinehe, nicht nachgehen, unabhängig davon, dass diese Behauptung nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht ist.

14

Ebenso verhilft der weitere Einwand des Antragstellers, er könne die vom Präsidenten des Oberlandesgerichts geforderten Unterlagen kurzfristig beschaffen, der Beschwerde nicht zum Erfolg. Auch diese Behauptung ist vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht worden. Selbst wenn sie zuträfe, stünde fest, dass derzeit das Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Ehefähigkeit des Antragstellers noch nicht abgeschlossen ist und wegen der derzeit fehlenden Unterlagen auch noch nicht abgeschlossen werden kann. Das Fehlen dieser Unterlagen ist dem Verantwortungsbereich des Antragstellers zuzuordnen. Schon aus diesem Grund kann nicht von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung ausgegangen werden, so dass nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange einer Abschiebung des Antragstellers nicht entgegen stehen.