Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.11.2023, Az.: 9 A 699/23

Ausweisung; Beschäftigungsaufnahme nach Ausweisung; Beschäftigungszeiten; bevorstehende Vaterschaft; faktischer Inländer verneint; Gesichertes Aufenthaltsrecht; kein erhöhter Ausweisungsschutz; Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes; strafrechtliche Ermittlungsverfahren; strafrechtliche Verurteilungen; Täuschung über Identität und Staatsangehörigkeit; Türkei; Identitätstäuschung; türkischer Staatsangehöriger; Wiederholungsfahr; Wiederholungsfahr bejaht; Erfolgslose Klage gegen die Ausweisung eines im Bundesgebiet geborenen türkischen Staatsangehörigen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.11.2023
Aktenzeichen
9 A 699/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 46986
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:1123.9A699.23.00

Amtlicher Leitsatz

Die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes im Sinne von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 entspricht der Definition der Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung im Sinne von Art. 6 ARB 1/80. Damit setzt die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position im Bundesgebiet, also ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraus. Hieran fehlt es, soweit das Aufenthaltsrecht durch vorsätzliche Täuschung erwirkt worden ist.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wurde am O. 1999 in der Bundesrepublik Deutschland in E-Stadt als drittjüngstes Kind von insgesamt 11 Kindern geboren. Seine Eltern reisten im Jahr 1989 in das Bundesgebiet ein und stellten unter Alias-Personalien (unter Angabe des Nachnamens "P." und abweichender Geburtsdaten) sowie unter der unzutreffenden Angabe, aus dem Libanon zu stammen und staatenlos zu sein, Asylanträge. Aufgrund der Bleiberechtsregelung vom 12.11.1990 erhielten die Eltern des Klägers Aufenthaltstitel und waren zuletzt im Besitz von Niederlassungserlaubnissen. Nach der Geburt des Klägers beantragten seine Eltern für ihn unter Nutzung der Aliaspersonalien mit dem Nachnamen "P." und der Angabe einer ungeklärten Staatsangehörigkeit die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger erhielt anschließend eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG.

Ausweislich des im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Versicherungsverlaufs bei der Deutschen Rentenversicherung war der Vater des Klägers in den 1990er-Jahren mehrere Jahre sowie ab der Geburt des Klägers vom O. 1999 bis zum 28.12.2002 durchgehend sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er von Mitte Januar bis Mai 2003 mit kurzer Unterbrechung beschäftigt und bezog ab ca. Juni 2003 wechselnd Arbeitslosengeld und Kranken- oder Übergangsgeld oder vergleichbare Leistungen eines Sozialversicherungsträgers. Seit dem 12.05.2005 steht der Vater des Klägers durchgehend im Bezug von Arbeitslosengeld.

Im Jahr 2004 ging bei der Polizei E-Stadt ein anonymer Hinweis ein, dass die Familie des Klägers tatsächlich nicht aus dem Libanon, sondern aus der Türkei stamme. Nach den vom damals zuständigen Landkreis Q. bei der Deutschen Botschaft in Ankara angeforderten Zivilregisterauszügen, die diesem im Juni 2008 zugingen, handelt es sich bei den Eltern des Klägers um türkische Staatsangehörige mit dem Nachnamen E.. Der Kläger und seine Eltern erhielten im Anschluss türkische Personaldokumente. Im Jahr 2009 stellte der damals zuständige Landkreis Q. dem Kläger die noch bis zum 23.12.2015 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG auf den Namen "E." unter Angabe der türkischen Staatsangehörigkeit aus und regte bei der Staatsanwaltschaft R. die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Eltern des Klägers wegen der Identitätstäuschung und des Erschleichens von Aufenthaltstiteln an. Das Amtsgericht Q. verurteilte die Eltern des Klägers u.a. wegen des Erschleichens von Aufenthaltstiteln zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen (Az. S.).

Am 02.12.2015, eingegangen am 08.12.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Der Beklagte stellte ihm am 19.01.2016 eine Fiktionsbescheinigung aus und verlängerte diese in der Folge mehrfach. Aktuell ist der Kläger im Besitz einer Duldung. Über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist noch nicht entschieden.

Bereits im Kindes- und Jugendalter fiel der Kläger polizeilich auf. Die Schule verließ er im Jahr 2015 nach der siebten Klasse ohne Abschluss. Das im August 2015 begonnene Berufsvorbereitungsjahr an einer berufsbildenden Schule brach der Kläger u. a. aufgrund eines Bewährungswiderrufs ab. Ein im Jahr 2016 durchgeführtes Praktikum in einem Feinkostladen brach der Kläger wegen vermehrten Drogenkonsums ab.

Gegen den Kläger sind seit dem Jahr 2018 mehr als 40 strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei verschiedenen Staatsanwaltschaften geführt worden. Auch in den Jahren 2013 bis 2018 sind bereits mehrere Ermittlungsverfahren gegen den Kläger anhängig gewesen. Der überwiegende Teil ist nach § 154 Abs. 1 und 2 StPO sowie § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Aktuell sind nur noch zwei Ermittlungsverfahren anhängig, die sich wie folgt darstellen:

1. Wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung, Tatzeit 26.01.2023, ist gegen den Kläger am 13.07.2023 Anklage zum Amtsgericht Q. erhoben worden. Ein Termin zur Hauptverhandlung steht noch nicht fest.

2. Wegen des Vorwurfs einer Straftat nach § 29 BtMG ist gegen den Kläger Anklage zum Landgericht T. - Große Strafkammer - erhoben worden. Ein Termin zur Hauptverhandlung steht noch nicht fest.

Der Kläger ist darüber hinaus wie folgt strafrechtlich verurteilt worden:

1. Mit Urteil vom 24.03.2015 verurteilte ihn das Amtsgericht E-Stadt wegen sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten auf Bewährung mit einer Bewährungszeit von 2 Jahren (U.). Die Strafaussetzung wurde widerrufen. Anschließend befand sich der Kläger bis zum 02.12.2016 in Haft in der Jugendanstalt V..

2. Mit Urteil vom 26.04.2017 erteilte ihm das Amtsgericht E-Stadt wegen Körperverletzung eine richterliche Weisung zur Ableistung von 60 Arbeitsstunden (W.).

3. Mit Urteil vom 19.03.2018 verurteilte ihn das Amtsgericht E-Stadt wegen räuberischer Erpressung in einem minder schweren Fall und Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten (X.).

4. Mit Urteil vom 28.06.2018 verurteilte ihn das Amtsgericht E-Stadt u. a. unter Einbeziehung des Urteils vom 19.03.2018 wegen räuberischer Erpressung in drei Fällen in Tatmehrheit mit Raub zu einer Gesamtstrafe von 3 Jahren Jugendstrafe (Y.).

5. Mit Urteil vom 07.02.2023 verurteilte ihn das Amtsgericht E-Stadt wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung und Sachbeschädigung, fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und Beleidigung, wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung sowie einer weiteren Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten zur Bewährung (Z.).

Die unter Ziff. 4 abgeurteilten Taten beging der Kläger ausweislich der Urteilsbegründung des Amtsgerichts E-Stadt unter Drogeneinfluss. Sie dienten dem Zweck, sich weiteren Drogenkonsum zu finanzieren.

Nach eigenen Angaben sei der Kläger seit dem Jahr 2014 drogenabhängig gewesen, wobei er zunächst Cannabis, später auch Kokain konsumiert habe. Vom 01.06.2016 bis zum 01.12.2016 sowie erneut ab dem 01.03.2018 befand sich der Kläger zunächst in Haft in der Jugendanstalt V.. Vor der ersten Inhaftierung lebte der Kläger bei seinen Eltern in E-Stadt. Im Jahr 2017 lebte er kurzzeitig in einer Jugendwohngruppe, kehrte anschließend aber wieder in den elterlichen Haushalt zurück.

Im Erziehungs- und Förderplan der Jugendanstalt V. vom 29.10.2018 wird ein erhöhtes bis hohes Risiko der erneuten Begehung von Gewaltdelikten prognostiziert. Der Kläger neige zur Selbstüberschätzung und ständigen Überschreitung von Regeln und Normen. Der Drogenkonsum lasse seine Hemmschwelle zur Begehung von Körperverletzungen zusätzlich sinken. Er besitze keinerlei ernsthaftes Schuldbewusstsein und Opferempathie.

Mit Schreiben vom 18.10.2018 hörte der Beklagte den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung an und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16.11.2018. Daraufhin erklärte der Kläger, er wolle in der Haft eine Gewalt- und Drogentherapie abschließen und einen Hauptschulabschluss erwerben. Er sei ohne Drogen ein sozialer Mensch und werde nach der Haftzeit nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung treten, sich von seinem Umfeld fernhalten und erwerbstätig werden. In der Türkei habe er niemanden und müsste dort auf der Straße übernachten. Er bitte um eine letzte Chance und wolle in Zukunft ein "normales und soziales" Leben in Deutschland führen. Die Ausführungen im Erziehungs- und Förderplan der Jugendanstalt V. enthielten Dinge, die erfunden worden seien.

Mit Schreiben vom 15.11.2018 legimitierte sich der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Beklagten und trug vor, vor einer Entscheidung über die Ausweisung sei der weitere Haftverlauf abzuwarten, da beim Kläger Reifeverzögerungen vorlägen. Nach der ersten Fortschreibung des Erziehungs- und Förderplans solle ergänzend vorgetragen werden.

Mit Bescheid vom 17.12.2018 wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus, drohte ihm - unter Setzung einer Ausreisefrist von 10 Tagen im Falle der Haftentlassung vor der Abschiebung - die Abschiebung in die Türkei an und ordnete ein auf fünf Jahre nach erfolgter Ausreise befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass die erhöhten Ausweisungsanforderungen des § 53 Abs. 3 AufenthG im Fall des Klägers zwar keine Anwendung fänden, da nicht ersichtlich sei, dass ihm ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei (ARB 1/80) zustehe. Sollte dem Kläger jedoch ein entsprechendes Aufenthaltsrecht zustehen, seien die erhöhten Anforderungen des § 53 Abs. 3 AufenthG vorliegend erfüllt. Das persönliche Verhalten des Klägers stelle gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die Ausweisung sei für die Wahrung dieses Interesses auch unerlässlich. Das Ausweisungsinteresse wiege besonders schwer, da der Kläger durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren die Tatbestände des § 54 Abs. 1 und Nr. 1a AufenthG verwirkliche. Es liege daher eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor, die wegen der bestehenden Wiederholungsgefahr auch gegenwärtig sei. Der Kläger habe bei der Begehung seiner Straftaten eine enorme Rückfallgeschwindigkeit an den Tag gelegt und sich von strafrechtlichen Konsequenzen völlig unbeeindruckt gezeigt. So sei er bereits fünf Wochen nach seiner ersten Inhaftierung wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auch die zweite Inhaftierung habe zu keiner Verhaltensänderung geführt. In der Haft seien gegen den Kläger bereits Disziplinarmaßnahmen verhängt worden. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seinen Verfehlungen sei nicht erfolgt. Dies werde durch die Einschätzung im Erziehungs- und Förderplan der Jugendanstalt V. vom 29.10.2018 gestützt, in dem es heißt, der Kläger verfüge über keinerlei ernsthaftes Schuldbewusstsein und Opferempathie. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Kläger in einem in großen Teil dem kriminellen Milieu zugehörigen familiären und sozialen Umfeld aufgewachsen und zu erwarten sei, dass er nach der Haftentlassung in dieses Umfeld zurückkehre. Eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt werde auch von der Jugendanstalt V. ausdrücklich als nicht förderlich angesehen. Auch eine etwaige erfolgreiche Therapie der Drogenabhängigkeit lasse eine Wiederholungsgefahr nicht entfallen, da das Verhalten des Klägers im Wesentlichen auf persönlichkeitsbedingte Faktoren zurückzuführen sei, die nicht allein durch eine Drogentherapie therapierbar seien. Vonseiten der Jugendanstalt V. werde hinsichtlich erneuter Gewaltdelinquenz ein hohes Rückfallrisiko gesehen. Die Ausweisung sei zur Wahrung der Grundinteressen der Gesellschaft - der Schutz des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit - unerlässlich. Zwar wirke seine Aufenthaltserlaubnis momentan als Fiktion fort und vermittele ihm daher ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Zudem sei er im Bundesgebiet geboren und zur Schule gegangen und beherrsche die deutsche Sprache. Allerdings seien keine weitergehenden Integrationsleistungen ersichtlich. Er habe keinen Schulabschluss, sei bisher nicht regelmäßig erwerbstätig gewesen und habe es vor allem angesichts seiner Straffälligkeit nicht geschafft, sich in das soziale und gesellschaftliche Leben im Bundesgebiet zu integrieren. Auch die Beziehung zu seiner Verlobten habe ihn nicht von der Begehung der abgeurteilten Straftaten abhalten können. Insgesamt erweise sich daher die Ausweisung als unerlässlich.

Mit Beschluss vom 20.08.2019 stellte das Amtsgericht V. (AA.) die Vollstreckung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts E-Stadt vom 28.06.2018 (AB.) für die Dauer eines Jahres zugunsten der Durchführung einer Drogenentwöhnungsbehandlung zurück. Die Behandlung begann der Kläger am 26.09.2019. Am 15.10.2019 wurde die Drogenentwöhnungsbehandlung aus disziplinarischen Gründen abgebrochen. Ab dem 21.11.2019 befand sich der Kläger wieder in Haft.

Mit Beschluss vom 29.05.2020 stellte das Amtsgericht V. (AA.) erneut die Vollstreckung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts E-Stadt vom 28.06.2018 für die Dauer eines Jahres zugunsten der Durchführung einer Drogenentwöhnungsbehandlung zurück. Am 03.06.2020 wurde der Kläger entlassen und trat am selben Tag eine stationäre Drogenentwöhnungsbehandlung an, die er am 27.10.2020 nach regulärer Entlassung therapeutisch erfolgreich beendete.

Mit Beschluss vom 26.01.2021 setzte das Amtsgericht E-Stadt die Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil desselben Gerichts vom 28.06.2018 nach § 36 BtMG zur Bewährung aus. Gleichzeitig setzte es eine Bewährungszeit von 3 Jahren fest, unterstellte den Kläger für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers und erlegte dem Kläger auf, alle sechs Monate einen schriftlichen Nachweis um Bemühungen um einen Arbeitsplatz bzw. einen Beschäftigungsnachweis sowie alle sechs Monate einen Drogentest zum Nachweis der Abstinenz vorzulegen.

Am 14.09.2021 schloss der Kläger mit der deutschen Staatsangehörigen AC., die Ehe. Von seiner Ehefrau lebt der Kläger mittlerweile getrennt und wohnt wieder unter der Anschrift E-Straße (gleiche Adresse wie früher bzw. wie seine Eltern) in E-Stadt. Mittlerweile hat er die Scheidung beantragt.

Mit Beschluss vom 31.07.2023 verlängerte das Amtsgericht Q. die Bewährungszeit des Klägers um ein Jahr und setzte das Ende der Bewährungszeit auf den 12.02.2025 fest.

Der Kläger hat bereits am 17.01.2019 Klage gegen Ausweisungsbescheid erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die Ausweisung sei verfrüht. Seine Entwicklung in der Haft und in der dort begonnenen Sozialtherapie sei abzuwarten. In der Haft habe er am "Gesprächskreis Alkohol-Drogen-Therapie" und am Anti-Gewalt-Training "LoGo" teilgenommen. Aufgrund seines zwischenzeitlichen Wohnsitzes im AD. in E-Stadt sei auch erkennbar, dass er sich von seiner Ursprungsfamilie gelöst habe. Mittlerweile sei er auf gutem Wege, weil er einer unbefristeten Beschäftigung als Fitnesstrainer nachgehe. Er habe Schulden in Höhe von 40.000 bis 50.000 Euro bei verschiedenen Gläubigern und versuche seit ca. einem Jahr, diese in monatlichen Raten von 200 Euro zurückzuzahlen. Er habe eine neue Lebensgefährtin, die türkische Staatsangehörige und im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Seine Lebensgefährtin sei im dritten Monat schwanger. Aktuell lebe er bei seinen Eltern. Er plane aber, mit seiner Lebensgefährtin nach F-Stadt zu ziehen, weil sein Bruder dort in der Nähe wohne, und im nächsten Sommer zu heiraten. Drogen nehme er nicht mehr. Alle sechs Monate gebe er diesbezüglich einen Urintest ab. Die Arbeit im Fitnessstudio helfe ihm, sich von Drogen fernzuhalten und ein neues Umfeld ohne kriminelle Freunde aufzubauen. Die Polizei gehe massiv gegen ihn vor und dränge Zeugen zu Aussagen, die nicht stimmten. Auch sei er von Mitarbeitern des Beklagten in der Vergangenheit bei seiner Arbeit gestalkt worden. Die türkische Sprache könne er nicht sprechen. In seinem Elternhaus sei Arabisch gesprochen worden. Der Beklagte habe verkannt, dass ihm der besondere Ausweisungsschutz aufgrund eines Aufenthaltsrechts aus Art. 7 des Assoziationsabkommens EWG/Türkei (ARB 1/80) zustehe, da seine Eltern über Niederlassungserlaubnisse verfügten und sein Vater über viele Jahre einer Beschäftigung nachgegangen sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 17.12.2018 aufzuheben,

hilfsweise, das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziff. 3 des Bescheides vom 17.12.2018 auf drei Jahre zu befristen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt im Wesentlichen die Begründung des angefochtenen Bescheides und führt zusätzlich aus: Es bestehe eine Wiederholungsgefahr. Gegen den Kläger seien nach seiner Entlassung aus der Therapie ca. 70 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die Anzahl der Ermittlungsverfahren sowie die strafrechtlichen Verurteilungen sprächen dafür, dass der Kläger seine Aggressionen nicht im Griff habe. Unabhängig von seiner momentanen Beschäftigung zeige dies, dass er nicht auf dem Weg einer guten Integration sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der beigezogenen Gefangenenpersonalakte des Klägers aus der Jugendanstalt V., der Bewährungshefte des Amtsgerichts E-Stadt zu den Aktenzeichen AE. und AF. sowie des Vollstreckungsheftes der Staatsanwaltschaft AG. (AH.) Bezug genommen. Sämtliche Akten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Sie ist zulässig, aber unbegründet.

Der mit dem Hauptantrag (I.) angegriffene Bescheid des Beklagten vom 17.12.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die mit dem Hilfsantrag (II.) begehrte Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf drei Jahre. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.05.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, Rn. 11, juris).

I. Die Ausweisung des Klägers (1.), die Abschiebungsandrohung (2.) und das Einreise- und Aufenthaltsverbot von 5 Jahren (3.) erweisen sich als rechtmäßig.

1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 AufenthG.

Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei dieser - nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen und damit gerichtlich voll überprüfbaren Ausweisungsentscheidung vorzunehmenden - Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, darf nach § 53 Abs. 3 AufenthG indes nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz zugute (dazu unter a). Er verwirklicht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, und sein Verhalten im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtfertigt seine Ausweisung auch im Übrigen (dazu unter b).

a) Der Kläger kann sich nicht auf den besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG berufen, weil ihm kein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei (ARB 1/80) zusteht. Ein solches ergibt sich weder aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (dazu unter aa) noch aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 (dazu unter bb).

aa) Dem Kläger steht kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zu. Danach hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Der Kläger ist bis August 2021 keiner Beschäftigung nachgegangen. Auch eine nunmehr bzw. im Jahr 2021 aufgenommene Beschäftigung vermittelt dem Kläger kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB 1/80. Seine Beschäftigung ist nicht "ordnungsgemäß" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80, da er nicht über einen unbestrittenen Aufenthaltsstatus verfügt und er die Beschäftigung erst zu einem Zeitpunkt aufgenommen hat, zu dem der Aufenthaltsstatus nicht gesichert war, nämlich nach Erlass des streitgegenständlichen Ausweisungsbescheides. Das OVG Lüneburg hat hierzu im Beschluss vom 18.12.2018 - 13 ME 495/18 - V. n. b. ausgeführt:

"Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung im Sinne dieser Bestimmung setzt nach der Rechtsprechung des EuGH eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraus (vgl. Urt. v. 20.9.1990, C-192/89, juris Rn. 30; Urt. v. 24.1.2008, C-294/06-, juris Rn. 30). Die Ausübung einer Beschäftigung, im Rahmen einer Erlaubnis zum vorläufigen Aufenthalt, die nur bis zur endgültigen Entscheidung über das Aufenthaltsrecht gilt, kann hingegen nicht als "ordnungsgemäß" eingestuft werden (EUGH, Urt. v. 7.11.2013, C-225/12, juris Rn. 47). Ein solcher unbestrittener Aufenthaltsstatus liegt auch gerade dann nicht vor, wenn der bisherige Aufenthaltstitel gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lediglich bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend gilt und der Verlängerungsantrag - wie hier - dann abgelehnt wird. Während des Verfahrens der behördlichen Prüfung des Verlängerungsantrags hat der Ausländer kein unbestrittenes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, weil die Frage des Fortbestehens des Aufenthaltsrechts gerade erst geklärt werden soll. Die Regelung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vermittelt nur eine verfahrensrechtliche, keine materielle Position. Der betreffende Ausländer ist von vornherein mit dem Risiko einer nur vorläufigen Position auf dem Arbeitsmarkt seines Aufenthaltsstaates bis zur endgültigen Entscheidung über seinen Antrag belastet (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.5.2013 - 1 C 16.12 -, juris Rn. 18; Urt. v. 30.3.2010 - 1 C 6.09 -, juris Rn. 22; Beschl. v. 10.5.1995 - 1 B 72.95 -, juris Rn. 3; Bay. VGH, Beschl. v. 18.8.2014 - 10 CS 14.1324 -, juris Rn. 8; Hess. VGH, Beschl v. 15.10.2008 - 11 B 2104/08 -, juris Rn. 3; OVG LSA, Beschl. v. 7.7.2014 - 2 M 29/14 -, juris Rn. 14; OVG Sachsen, Beschl. v. 1.8.2014 - 3 B 104/14 -, juris Rn. 9; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, ARB 1/80, Rn. 44 f.; jew. m.w.N.)."

Unter Zugrundelegung dieser Ausführungen, denen sich die Kammer vollumfänglich anschließt, konnte der Kläger trotz Erwerbstätigkeit ab August 2021 mangels "ordnungsgemäßer" Beschäftigung kein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erwerben. Der Kläger verfügt seit dem Ablauf seiner bis 2015 gültigen Aufenthaltserlaubnis nicht über ein gesichertes Aufenthaltsrecht, sondern lediglich über eine Duldung. Eine Entscheidung über seinen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ist nach der Ausweisung noch nicht ergangen.

bb) Dem Kläger steht auch kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 zu.

Nach Art. 7 Satz 1, 1. Spiegelstrich ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Als Familienangehöriger gilt dabei ein Kind bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 21). Erwerben können Kinder das Assoziationsrecht außer durch Zuzug aus dem Ausland auch durch ihre Geburt im Bundesgebiet (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 32). Voraussetzung für das abgeleitete Recht ist allerdings, dass zwischen dem Kind und dem türkischen Arbeitnehmer über den Zeitraum der drei Jahre eine familiäre Lebensgemeinschaft besteht (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 40) und der stammberechtigte türkische Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des dreijährigen Zusammenlebens dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaates angehört, also durchgehend beschäftigt gewesen ist (vgl. OVG Berlin, Beschl. v. 12.04.2017 - OVG 11 S 6.17 -, Rn. 5, juris; Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, ARB 1/80 Art. 7 Rn. 18 (Stand: November 2017); Nr. 4.8.3 (Stichwort "Arbeitnehmereigenschaft während der ersten drei/fünf Aufenthaltsjahre") der Allgemeinen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei und zu Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen - AAH ARB 1/80 -).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Vorliegend fehlt es an der Kongruenz zwischen der Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes des Klägers bei seinem Vater im Bundesgebiet und der Zugehörigkeit des Vaters zum regulären Arbeitsmarkt im Sinne einer durchgehenden Beschäftigung.

Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH für die Ableitung eines Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 nicht auf die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung des stammberechtigten türkischen Arbeitnehmers an. Der EuGH hat im Urteil vom 18. Dezember 2008 (C-337/07 -, Rn. 22, juris) ausgeführt:

"Wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt, hängt das Recht des Kindes eines türkischen Arbeitnehmers, sich im Aufnahmemitgliedstaat auf jedes Stellenangebot zu bewerben, von zwei Voraussetzungen ab: Der betreffende Arbeitnehmer muss dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehören, und das Kind muss dort seit mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Klarzustellen ist, dass mit der ersten Voraussetzung nicht die "ordnungsgemäße Beschäftigung" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 gemeint ist, sondern ausschließlich die "Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt"."

Stattdessen kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH im Rahmen des Art. 7 ARB 1/80 maßgeblich auf die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes an (Urt. v. 22.12.2010 - C-303/08 -, Rn. 30, juris m. w. N.):

"In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass anders als bei Art. 6 Abs. 1 dieses Beschlusses, in dem auf die Dauer der ordnungsgemäßen Beschäftigung abgestellt wird, bei Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 somit der ordnungsgemäße Wohnsitz bei dem türkischen Wanderarbeitnehmer das maßgebliche Kriterium ist. Nach einer gewissen Zeit eines solchen Wohnsitzes erhält der Betroffene das Recht auf Ausübung einer Tätigkeit, ohne dass Art. 7 Abs. 1 insoweit für den Erwerb eines durch den Beschluss Nr. 1/80 gewährleisteten Rechts eine Auflage oder eine Bedingung vorsieht (...). Die Beschäftigungssituation eines türkischen Staatsangehörigen wie des im Ausgangsverfahren betroffenen ist daher völlig irrelevant."

An einem "ordnungsgemäßen" Wohnsitz des Klägers während der Zeiten, in denen sein Vater wegen durchgehender Beschäftigung dem regulären Arbeitsmarkt angehörte, fehlt es vorliegend.

Der Vater des Klägers war ab dem Zeitpunkt der Geburt des Klägers zwar durchgehend bzw. mit kleinen Unterbrechungen vom O. 1999 bis zum 28.12.2002 sozialversicherungspflichtig beschäftigt (vgl. Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung, hier sind diese Zeiten mit dem Merkmal "DEÜV" gekennzeichnet, was für eine Meldung der Beitragszeiten durch den Arbeitgeber steht). Anschließend war der Vater des Klägers weiter vom 16.01.2003 bis zum 31.05.2003 mit kurzer Unterbrechung beschäftigt. Ab dem 07.06.2003 bis zum 26.12.2003 hat er Arbeitslosengeld bezogen (vgl. Versicherungsverlauf: Zeiten, die durch die Arbeitsagentur gemeldet sind, sind mit "AFG" gekennzeichnet). Vom 26.12.2003 bis zum 29.02.2004 bezog er Kranken- oder Übergangsgeld oder vergleichbare Leistungen eines Sozialversicherungsträgers (gekennzeichnet im Versicherungsverlauf mit "Sozl."). Vom 01.03.2004 bis zum 01.08.2004 bezog er Arbeitslosengeld. Nach dem 01.08.2004 weist der Versicherungsverlauf erst wieder ab dem 12.05.2005 Einträge auf. Ab diesem Zeitpunkt stand der Vater des Klägers durchgehend im Bezug von Arbeitslosengeld und ging keiner Beschäftigung mehr nach. Die letzte Beschäftigung des Vaters des Klägers endete daher mit dem 31.05.2003.

Ab der Geburt des Klägers (O. 1999) liegt zumindest bis zum 31.05.2003 ein Zeitraum von mehr als drei Jahren durchgehender Beschäftigung des stammberechtigten Vaters des Klägers vor. Während dieses Zeitraums hatte der Kläger auch seinen Wohnsitz bei seinem Vater im Bundesgebiet. Allerdings war dieser Wohnsitz nicht "ordnungsgemäß" im Sinne des Art. 7 ARB 1/80.

Die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes ist, da es sich um das für Art. 7 ARB 1/80 maßgebliche Kriterium handelt, gleichlaufend mit der Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung in Art. 6 ARB 1/80 auszulegen (so auch Kurzidem in: BeckOK Ausländerrecht, EWG-Türkei, Stand 01.10.2023, Art. 7 Rn. 13). Dementsprechend setzt die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes eine "gesicherte und nicht nur vorläufige Position" im Bundesgebiet und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraus (vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 54, juris).

Im Rahmen der Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung nach Art. 6 ARB 1/80 sind Beschäftigungszeiten, die ein türkischer Arbeitnehmer auf Grund einer durch vorsätzliche Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt hat, nicht zu berücksichtigen. Eine durch vorsätzliche Täuschung erwirkte Aufenthaltserlaubnis kann keine gesicherte Position auf dem Arbeitsmarkt vermitteln, da sie nach Aufdeckung der Täuschung wieder in Frage gestellt werden kann. Ein türkischer Arbeitnehmer gilt daher während des mit einer durch vorsätzliche Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegten Zeitraumes nicht als "ordnungsgemäß beschäftigt" und kann sich auch nicht auf den Gedanken des Vertrauensschutzes berufen. Aufgrund des aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten und auch im Assoziationsrecht geltenden Gedankens des Rechtsmissbrauchs ist sein Vertrauen auf den Fortbestand der durch vorsätzliche Täuschung erlangten Rechtsstellung grundsätzlich nicht schutzwürdig (vgl. Ziff. 3.7.3 der Allgemeinen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei und zu Artikel 41 Absatz 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen vom 26.11.2013 (AAH - ARB 1/80)).

Diese Grundsätze sind vollständig auf das Merkmal des "ordnungsgemäßen Wohnsitzes" im Rahmen von Art. 7 ARB 1/80 übertragbar. Auch im Rahmen des abgeleiteten Aufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 stehen der Grundsatz von Treu und Glauben und der Gedanke des Rechtsmissbrauchs einem Berufen auf einen Zeitraum, während dessen der Aufenthalt durch vorsätzliche Täuschung erwirkt worden ist, entgegen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus Ziff. 4.8.4 AAH - ARB 1/80, wonach sich die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes nach nationalem Recht richtet, oder der Rechtsprechung des VG München. Diesbezüglich hat das VG München im Urteil vom 14.04.2016 (- M 24 K 15.5642 -, Rn. 19, juris) ausgeführt:

"Die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes ist nach nationalem Recht zu beurteilen und setzt voraus, dass der Familienangehörige sich am selben Wohnsitz und während des gesamten Zeitraums von drei Jahren legal im Bundesgebiet aufhielt, d.h. im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war. Eine lediglich vorläufige aufenthaltsrechtliche Position - etwa in Form einer Erlaubnisfiktion oder einer Duldung - vermittelt hingegen keinen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Sinne des Assoziationsratsbeschlusses (Allgemeine Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern - AAH - ARB 1/80, Fassung 2013, S.58 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2015, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 24)."

Dies steht dem hiesigen Verständnis der Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes im Rahmen von Art. 7 ARB 1/80 jedoch nicht entgegen. Sowohl das VG München, dessen Entscheidung keine Täuschungshandlung zugrunde lag, als auch die Anwendungshinweise stellen zunächst nur auf das Vorliegen eines Aufenthaltstitels ab, lassen aber zugleich eine lediglich vorläufige aufenthaltsrechtliche Position - etwa in Form einer Erlaubnisfiktion oder Duldung - für die Ordnungsmäßigkeit des Aufenthaltes nicht ausreichen. Denn auch dahinter steht der Gedanke, dass die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes ein gesichertes und unbestrittenes Aufenthaltsrecht voraussetzt. Dies ist bei einer durch Täuschung erlangten Aufenthaltserlaubnis gleichermaßen nicht der Fall.

Die Übertragung der zu Art. 6 ARB 1/80 entwickelten Definitionen der "Ordnungsmäßigkeit" führt im vorliegenden Fall dazu, dass ein ordnungsgemäßer Wohnsitz jedenfalls während der Zeiträume, in denen der Vater des Klägers durchgehend beschäftigt war (bis zum 31.05.2003), nicht vorgelegen hat. Denn der Kläger hat sein Aufenthaltsrecht durch vorsätzliche Täuschung erlangt. Die Eltern des Klägers hatten bei der Beantragung seiner Aufenthaltserlaubnis nach seiner Geburt wahrheitswidrig angegeben, die Staatsangehörigkeit des Klägers sei "ungeklärt" und zudem den Nachnamen "P." verwendet. Diese von seinen Eltern als seine gesetzlichen Vertreter begangene Täuschung ist dem Kläger zuzurechnen (vgl. § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ein unbestrittenes Aufenthaltsrecht hat nicht vorgelegen, da die Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Täuschung jedenfalls anfechtbar war. Kenntnis über die wahren Identitäten und die türkische Staatsangehörigkeit der Eltern des Klägers erlangte die Ausländerbehörde erst mit Eingang der Zivilregisterauszüge am 11.06.2008.

Die Eltern des Klägers sind wegen der Täuschung und Erschleichung von Aufenthaltstiteln vom Amtsgericht Q. zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Allerdings ist es für die Verneinung der Ordnungsmäßigkeit unbeachtlich, ob es wegen der Täuschungshandlung zu einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) gekommen ist. Denn tragender Grund, die durch vorsätzliche Täuschung erlangte aufenthaltsrechtliche Position als nicht gefestigt und damit nicht "ordnungsgemäß" anzusehen, ist ihre jederzeitige verwaltungsrechtliche Angreifbarkeit, die nicht davon abhängt, ob wegen der Täuschung außerdem auch noch eine strafrechtliche Verurteilung ausgesprochen wird (vgl. zur Ordnungsmäßigkeit im Sinne von Art. 6 ARB 1/80: BVerwG, Urt. v. 17.06.1998 - 1 C 27.96 -, Rn. 54, juris).

Dem steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Ausländerbehörde des damals noch zuständigen Landkreises Q. von der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis abgesehen hat. Die Ausländerbehörde des Landkreises Q. hat zwar im Schreiben an das Standesamt vom 25.03.2009, in welchem es um Anpassung der Geburtsurkunden an die korrekten Personalien des Klägers und seiner Geschwister gebeten hat, ausgeführt, nach vollständiger Vorlage der türkischen Reisepässe ausländerrechtliche Maßnahmen prüfen zu wollen. Im Anschluss erneuerte der Landkreis Q. jedoch die dem Kläger bereits zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG unter Berücksichtigung der nunmehr bekannten türkischen Personalien. Die fehlende Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis bzw. deren Erneuerung nach Kenntnis der türkischen Personalien des Klägers führt allerdings nicht dazu, dass die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes im hier maßgeblichen Zeitraum bis zum 31.05.2003 rückwirkend begründet werden könnte. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 6 ARB 1/80 können auf der Grundlage eines durch Täuschung erschlichenen Aufenthaltstitels auch dann keine Rechte nach ARB 1/80 erworben werden, wenn die Ausländerbehörde von einer Rücknahme des Aufenthaltstitels absieht. Auch eine nicht zurückgenommene und insofern "nicht bestrittene", aber durch Täuschung erwirkte Aufenthaltserlaubnis kann nach dieser Rechtsprechung keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz begründen (vgl. zum übertragbaren Fall der "ordnungsgemäßen Beschäftigung" in Art. 6 ARB 1/80BVerwG, Urt. v. 12.04.2005 - 1 C 9/04 -, Rn. 32, juris). Dies hat konsequenterweise auch für die Ordnungsmäßigkeit des Wohnsitzes im Rahmen des Art. 7 ARB 1/80 zu gelten. Denn auch hier fehlt es während des maßgeblichen Zeitraumes, vorliegend vom O. 1999 bis 31.05.2003, aufgrund der Anfechtbarkeit des Aufenthaltstitels an einem gesicherten, unbestrittenen Aufenthaltsrecht und damit an einem schutzwürdigen Vertrauen. Fehlt ein derartiges schutzwürdiges Vertrauen von Anfang an, kann dieses nicht im Nachhinein rückwirkend durch den Wegfall der Täuschungsumstände begründet werden.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH, namentlich aus dem Urteil vom 16.03.2000 (C-329/97, Rn. 29, juris). Darin hat der EuGH entschieden, dass es der Annahme des "ordnungsgemäßen Wohnsitzes" nicht entgegensteht, dass der dortige türkische Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis dreimal jeweils erst nach Ablauf der Geltungsdauer beantragt hatte und daher während kurzer Zeiträume nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis war. Denn die zuständigen Behörden hatten die Ordnungsmäßigkeit des Aufenthalts deshalb nicht in Frage gestellt und ihm jedes Mal eine neue Aufenthaltserlaubnis erteilt. Aus dieser Rechtsprechung lässt sich aber für das vorliegende Verfahren nicht schlussfolgern, dass auch hier von einem ordnungsgemäßen Wohnsitz auszugehen sei, weil die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 33 AufenthG nicht zurückgenommen, sondern stattdessen im Jahr 2009 sogar auf dessen ermittelte türkische Personalien neu ausgestellt hat. Anders als in der durch den EuGH entschiedenen Konstellation ist es hier nicht (lediglich) zu abschnittsweisen Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts gekommen, sondern der gesamte Aufenthalt ab Geburt des Klägers war aufgrund der Täuschung über die Identität anfechtbar und daher verwaltungsrechtlich angreifbar, so dass ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Aufenthaltsrechts gar nicht erst entstehen konnte.

Auch die Rechtsprechung des EuGH, wonach bei einer durch Täuschung des türkischen Arbeitnehmers erwirkten Aufenthaltserlaubnis die Rechte des Familienangehörigen nach Art. 7 ARB 1/80 nur in Frage gestellt werden können, wenn die Voraussetzung bzgl. der Dauer des Zusammenlebens mit dem Arbeitnehmer nach Art. 7 ARB 1/80 noch nicht erfüllt ist (vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.2008 - C-337/07 -, Rn. 58-59, juris), steht dem nicht entgegen. Denn mangels ordnungsgemäßen Wohnsitzes des Klägers war ein abgeleitetes Recht nach Art. 7 ARB 1/80 noch gar nicht entstanden.

b) Die an § 53 Abs. 1 AufenthG zu messenden Ausweisung des Klägers ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger verwirklicht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (aa). Es lässt sich auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 53 Abs. 1 AufenthG sowohl aus spezialpräventiven Gründen als auch aus generalpräventiven Gründen darstellt (bb). Dem steht kein gesetzlich normiertes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber (cc) und die Abwägung ergibt, dass das Ausweisungsinteresse auch unter Berücksichtigung sonstiger, nicht in § 55 AufenthG normierter Bleibeinteressen überwiegt (dd).

aa) Es besteht ein besonders schwerwiegendes bzw. schwerwiegendes Interesse an der Ausweisung des Klägers. Der Kläger ist mit Urteil des Amtsgerichts E-Stadt vom 28.06.2018 wegen räuberischer Erpressung in drei Fällen in Tatmehrheit mit Raub zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren verurteilt worden. Damit erfüllt der Kläger ein typisiertes besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, da er rechtskräftig wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist.

Darüber hinaus begründen die vom Kläger begangenen, am 07.02.2023 mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten zur Bewährung abgeurteilten Straftaten der vorsätzlichen Körperverletzung in insgesamt drei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung sowie die Straftaten der Beleidigung ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, da der Kläger rechtskräftig wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist.

bb) Nach Auffassung der Kammer stellt der weitere Aufenthalt des Klägers sowohl aus spezialpräventiven (dazu unter (1)) als auch aus generalpräventiven Gründen (dazu unter (2)) auch gegenwärtig noch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 53 Abs. 1 AufenthG dar.

(1) Es lässt sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass gegenwärtig vergleichbare strafrechtliche Verfehlungen drohen.

Die Ausweisung eines Ausländers aus spezialpräventiven Gründen dient der Vorbeugung gegen Gefahren, die nach Würdigung seines bisherigen Verhaltens und seiner Gesamtpersönlichkeit von ihm selbst in Zukunft für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Hat der Ausländer Rechtsverstöße begangen, hängt die Rechtfertigung der Ausweisung von einer Gefahrenprognose, insbesondere der Einschätzung der Wiederholungswahrscheinlichkeit, ab. Die Gefährdung bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen (BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, Rn. 23, juris). Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (OVG Lüneburg, Urt. v. 06.05.2020 - 13 LB 190/19 -, Rn. 38, juris m. w. N.).

Eine positive Entscheidung im Laufe der Strafvollstreckung wie beispielsweise eine Strafrestaussetzung zur Bewährung schließt nicht von vornherein aus, dass im Einzelfall im Rahmen einer aufenthaltsrechtlichen Ausweisung eine Wiederholungsgefahr angenommen wird. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte sind an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Justizvollzuges und des Strafvollstreckungsgerichts rechtlich nicht gebunden. Allerdings kommt diesen tatsächliche Bedeutung im Sinne einer Indizwirkung zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, Rn. 19, juris unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschl. v. 01.03.2000 - 2 BvR 2120/99 -, Rn. 16, juris m.w.N.; Beschl. v. 27.08.2010 - 2 BvR 130/10 -, Rn. 36, juris). Kommen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den Gesetzeszweck des Ausländerrechts zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung (BVerfG, Beschl. v. 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, Rn. 19, juris).

Dabei ist das Gewicht einer Strafrestaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB von vornherein deutlich geringer als das einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB; eine Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer Beweiserleichterung begründet sie nicht (BVerfG, Beschl. v. 27.08.2010 - 2 BvR 130/10 -, Rn. 36, juris; BVerwG, Urt. v. 02.09.2009 - BVerwG 1 C 2.09 -, Rn. 18, juris). Denn die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 57 StGB betrifft maßgeblich die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit "offen" inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen vor allem Resozialisierungsaspekte im Vordergrund. Zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung eines straffälligen Ausländers um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.07.2022 - 13 ME 76/22 -, Rn. 14, juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Kläger erneut in vergleichbarer Weise straffällig werden wird.

Dabei beurteilt sich die Frage nach dem Bestehen einer Wiederholungsgefahr nicht nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausweisungsbescheides maßgeblichen Sachlage, sondern nach dem Sachstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, Rn. 18, juris; Urt. v. 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, Rn. 12, juris). Zu diesem Zeitpunkt kann eine Wiederholungsgefahr - ebenso wie zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausweisungsbescheides - mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger bereits am 03.06.2020 zur Durchführung einer Drogenentwöhnungstherapie aus der Haft entlassen und die Vollstreckung seiner Reststrafe am 26.01.2021 zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Auch der Umstand, dass die Freiheitsstrafe im Urteil vom 07.02.2023 nur zur Bewährung ausgesprochen worden ist, steht der Annahme der Wiederholungsgefahr nicht entgegen. Insbesondere ist die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung im Januar 2021 nur wenige Wochen vor dem eigentlichen Ende der Haftzeit erfolgt.

Vor dem Hintergrund, dass sich die strafrechtlichen Prognoseentscheidungen nur auf die Dauer der Bewährungszeit richten und naturgemäß eher Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen, während die aufenthaltsrechtliche Einschätzung auch in den Blick zu nehmen hat, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (BVerwG, Urt. v. 15.01.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, Rn. 19, juris; BVerwG, Urt. v. 16.11.2000 - BVerwG 9 C 6.00 -, Rn. 17, juris), geht die Kammer nach eigener Prüfung der Umstände des Einzelfalls davon aus, dass das mittelfristige Risiko erneuter Straftaten des Klägers weiterhin als hoch einzuschätzen ist. Zu dieser Einschätzung tragen seine Vorgeschichte, die Art und Weise der Begehung der Straftaten und der Verlauf der Jugendhaft bei.

Die Lebensgeschichte des Klägers ist geprägt von strafrechtlichen Auffälligkeiten. Bereits in seiner frühen Jugend ist der Kläger strafrechtlich aufgefallen. Allein bei der Staatsanwaltschaft T. reichen die gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren bis in das Jahr 2013 zurück. Bereits mit gerade einmal 15 Jahren - am 24.03.2015 - erhielt der Kläger seine erste Jugendstrafe von damals sechs Monaten Dauer, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Schon hier hat es der Kläger nicht geschafft, ohne Auffälligkeiten die Bewährungszeit zu überstehen, weshalb die Bewährung widerrufen wurde und der Kläger anschließend sechs Monate in Haft verbracht hat. Im Rahmen der dort abgeurteilten Tat der sexuellen Nötigung zeigte sich bereits, dass der Kläger keine Hemmungen hatte, den Widerstand einer anderen Person zu brechen. Eine erste Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung erfolgte am 26.04.2017. Die Tat hatte der Kläger am 10.01.2017 begangen. Zu diesem Zeitpunkt war er vor gerade einmal ca. 6 Wochen aus der Haft entlassen worden. Hierin zeigt sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt, dass der Kläger weder in der Haft ausreichend an seinem Verhalten gearbeitet hat noch sich eine Haftstrafe als Warnung hat dienen lassen. Nur ein knappes Jahr später wurde der Kläger am 19.03.2018 erneut wegen vorsätzlicher Körperverletzung und zusätzlich räuberischer Erpressung, wenn auch in einem minder schweren Fall, zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt. Mit Urteil vom 28.06.2018 folgte zudem die Verurteilung wegen räuberischer Erpressung in drei Fällen in Tatmehrheit mit Raub zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren (unter Einbeziehung des Urteils vom 19.03.2018). Die am 28.06.2018 abgeurteilten Taten hatte er im Zeitraum von Oktober 2017 bis Februar 2018 begangen. Hieran zeigt sich deutlich eine gesteigerte Rückfallgeschwindigkeit und -intensität.

In der anschließenden Jugendhaft ist der Kläger vielfach negativ aufgefallen. Während seiner Haftzeit wurden gegen den Kläger zwei Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung und Beleidung geführt, die allerdings nach § 154 Abs. 1 StPO und § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind. Zudem sind gegen den Kläger mehrfach Disziplinarmaßnahmen verhängt worden. Aus dem Erziehungs- und Förderplan vom 15.10.2018 ergibt sich, dass für den Kläger ein erhöhtes bis hohes Risiko der erneuten Begehung von Gewaltdelikten prognostiziert worden ist. Der Kläger neige zur Selbstüberschätzung und ständigen Überschreitung von Regeln und Normen. Der Drogenkonsum lasse seine Hemmschwelle zur Begehung von Körperverletzungen zusätzlich sinken. Er besitze keinerlei ernsthaftes Schuldbewusstsein und Opferempathie. Im Erziehungs- und Förderplan vom 26.02.2019 heißt es, dass der Kläger auch ohne Drogenkonsum zu einer stark ausgeprägten Impulsivität neige und eine gravierende Gewaltproblematik aufweise, mit der er sich bislang noch nicht auseinandergesetzt habe. Dagegen wird zwar im Erziehungs- und Förderplan vom 28.06.2019 bereits von noch möglicher, gelegentlicher Impulsivität, die aber sehr selten vorkomme, berichtet. Er habe zwar die Behandlung in der Sozialtherapie (mit Beginn am 04.12.2018) angenommen, befinde sich aber noch am Anfang des therapeutischen Prozesses. Die Entwicklung innerhalb der sozialtherapeutischen Behandlung sei als gut zu bezeichnen. Es bestehe aber nach wie vor eine gravierende Gewaltproblematik, mit der er sich noch nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Auch im Erziehungs- und Förderplan vom 05.05.2020 heißt es, dass die von ihm begangenen Taten nach bisherigen Erkenntnissen auf persönlichkeitsbedingte Faktoren zurückzuführen seien und er sich mit diesen noch nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Es fehle an einer Verantwortungsübernahme für die von ihm begangenen Straftaten, auch wenn er versucht habe, seine Einstellung im Rahmen des Anti-Gewalt-Trainings "LoGo" zu überarbeiten.

Der Kläger ist nach der Aussetzung der Reststrafe innerhalb des Jahres 2021 erneut mehrfach straffällig geworden. So hat sich der Kläger bereits am 13.06.2021 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Bedrohung und Sachbeschädigung, am 30.06.2021 wegen Beleidigung, am 16.09.2021 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und Beleidigung sowie am 24.10.2021 erneut wegen Bedrohung und Beleidigung und am 02.01.2022 wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung strafbar gemacht. Wie sich an der diesbezüglichen Verurteilung des Klägers vom 07.02.2023 zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt worden ist, zeigt, haben weder das Zusammenleben mit seiner Verlobten noch die Heirat noch seine damalige, am 04.08.2021 aufgenommene (unbefristete) Erwerbstätigkeit oder das Anti-Gewalt-Training "LoGo" den Kläger von der Begehung weiterer Straftaten abhalten können. Vielmehr hat der Kläger nur wenige Monate nach seiner Haftentlassung erneut vorsätzliche Körperverletzungen - allesamt noch im Jahr 2021 - sowie einige der abgeurteilten Straftaten sogar bei gemeinsamen Unternehmungen mit seiner Ehefrau begangen. Dabei offenbaren die am 07.02.2023 abgeurteilten Straftaten der vorsätzlichen Körperverletzung ein erhebliches Gewalt- und Aggressionspotential des Klägers. Es ist erkennbar, dass der Kläger bereits bei kleineren Verärgerungen schnell mit Gewalt reagiert. Dies zeigt sich beispielhaft in der am 07.02.2023 abgeurteilten Tat vom 13.06.2021. Zum Tatzeitpunkt hielten sich der Kläger und seine Ehefrau auf einem Parkplatz auf. Nachdem der Geschädigte in seinem Auto versehentlich die Lichthupe betätigt hatte, öffnete der Kläger die Beifahrertür des Autos des Geschädigten und schlug ihm mindestens zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht. Anschließend begab er sich auf die Fahrerseite, griff durch das geöffnete Fenster und schlug dem Geschädigten abermals mit der flachen Hand ins Gesicht. Als ein weiterer Geschädigter aus seinem ebenfalls auf dem Parkplatz befindlichen Auto ausstieg und auf den Kläger zuging, schubste der Kläger ihn, woraufhin dieser wieder in sein Auto einstieg. Der Kläger kam sodann zur Fahrerseite des Autos und schlug ihm durch das geöffnete Fenster zwei Mal mit der Faust ins Gesicht. Um die Geschädigten einzuschüchtern, sagte der Kläger sodann öffentlich zu ihnen, dass er sie "Zuhause finden und umbringen" werde bzw. "ihre Mütter ficken" werde, wenn sie die Polizei rufen und Anzeige erstatten würden. Die Tat vom 13.06.2021 ereignete sich weniger als sechs Monate nach der Reststrafenaussetzung.

Trotz zahlreicher anderslautender "Versprechen", etwa im Rahmen der Anhörung zur Reststrafenaussetzung vom 26.01.2021 (er "wolle auf keinen Fall straffällig werden") und vor Erlass des Ausweisungsbescheides, hat der Kläger noch im selben Jahr mehrere Straftaten begangen. Außerdem wurden in der Folgezeit mehrere strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Bei den seit dem Jahr 2018 gegen ihn geführten mehr als 40 Ermittlungsverfahren handelt es sich insbesondere um Vorwürfe der vorsätzlichen Körperverletzung, gefährlichen Körperverletzung und Bedrohung sowie außerdem Sachbeschädigung, Unterschlagung, Beleidigung, Diebstahl, Urkundenfälschung und Verstoß gegen das Waffengesetz und das Betäubungsmittelgesetz. Zwar ist eine beträchtliche Anzahl dieser Ermittlungsverfahren entweder nach § 170 Abs. 2 StPO oder nach § 154 Abs. 1 und 2 StPO eingestellt worden. Hinsichtlich der eingestellten Ermittlungsverfahren kann die Kammer daher ohne nähere Kenntnis des jeweiligen Akteninhalts nicht beurteilen, ob und inwieweit die Tatvorwürfe zutreffend sind. Dennoch stellt die erhebliche Anzahl an aktuell und in der Vergangenheit geführten Ermittlungsverfahren jedenfalls unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles eines von mehreren Indizien für das Bestehen einer konkreten Wiederholungsgefahr dar. Dabei geht die Kammer auch nicht davon aus, dass die Ermittlungsverfahren der Polizei - wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angedeutet - allein taktisch motiviert sind und ohne jegliche Tatsachengrundlage. Vielmehr sprechen die bisherigen Verurteilungen des Klägers wegen zahlreicher Körperverletzungs- und Eigentumsdelikte dafür, dass der Kläger immer wieder in Situationen gerät, in denen er andere Personen angreift und einschüchtert.

Für eine Wiederholungsgefahr spricht auch, dass der Kläger nach der Trennung von seiner Ehefrau wieder bei seinen Eltern in seinem familiären Umfeld wohnt. Seine zwischenzeitlich im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen Behauptungen, sich von seiner Familie und seinem alten Umfeld gelöst zu haben, erscheinen unter diesen Umständen nicht glaubhaft. Die Familie und die Beziehung zu seiner Ehefrau haben ihn auch zuvor nicht von der Begehung erheblicher Straftaten abhalten können. Vielmehr waren Familienmitglieder des Klägers auch bei verschiedenen Straftaten beteiligt bzw. haben sich Straftaten in Anwesenheit der Familienmitglieder abgespielt. So hat der Kläger die Straftaten am 13.06.2021 und am 02.01.2022 in Anwesenheit seiner Ehefrau begangen, die sich hierbei zum Teil selbst strafbar gemacht hat. Die Straftat der Beleidigung am 30.06.2021 beging der Kläger im Kontext einer Auseinandersetzung zwischen seiner und einer weiteren Großfamilie in E-Stadt. Vor diesem Hintergrund ist nicht ansatzweise erkennbar, dass sich der Kläger, wie noch im Schriftsatz vom 01.12.2020 vorgetragen, von seiner Familie distanziert bzw. gelöst hat.

Zudem ist nicht absehbar, dass der Kläger eine Zäsur bzw. einen persönlichen Wandel durchgemacht hätte, die ein erneutes Gewaltpotential und dadurch bedingte Straftaten verhindern könnten. Insbesondere kann allein aufgrund der beruflichen Perspektive, über die der Kläger nunmehr mit seinem unbefristeten Arbeitsvertrag als Fitnesstrainer verfügt, nicht von einem entsprechenden Wandel ausgegangen werden. Dass sich dies maßgeblich auf die in der Vergangenheit vielfach gezeigte Gewaltbereitschaft des Klägers auswirken könnte, ist nicht ersichtlich. Zum Zeitpunkt der Straftaten vom 16.09.2021, 24.10.2021 und 02.01.2022 ging der Kläger bereits einer unbefristeten Beschäftigung (bei einem anderen Arbeitgeber) nach. Auch der Umstand, dass das Amtsgericht E-Stadtim Urteil vom 07.02.2023 die verhängte Freiheitsstrafe noch einmal zur Bewährung ausgesetzt hat, spricht nicht maßgeblich gegen die hier angenommene Wiederholungsgefahr. Unabhängig von dem oben dargestellten Unterschied zwischen dem zeitlichen Prognosehorizont im Strafrecht (Dauer der Bewährungszeit) und dem Prognosezeitraum im Aufenthaltsrecht (über die Bewährungszeit hinaus) spricht maßgeblich gegen die vom Amtsgericht E-Stadt angenommene positive Legalprognose, dass die dortige Annahme, der Kläger lebe in gefestigten sozialen Verhältnissen, so nicht (mehr) zutreffend ist. Der Kläger lebt von seiner Ehefrau getrennt und hat die Scheidung der Ehe beantragt. Zwar trägt er vor, nunmehr eine neue Lebensgefährtin zu haben. Allerdings lebt er mit dieser (noch) nicht zusammen. Unabhängig davon hat ihn in der Vergangenheit ein etwaiges Leben in gefestigten sozialen Verhältnissen - das Zusammenleben mit seiner Ehefrau und die unbefristete Erwerbstätigkeit - nicht von der Begehung diverser Straftaten im Jahr 2021 abhalten können.

Nach Ansicht der Kammer ist zu erwarten, dass der Kläger seine gewohnten und fest etablierten Verhaltensmuster fortsetzen und während des zu berücksichtigenden Zeitraums erneut Straftaten begehen wird.

(2) Unabhängig davon begründen die vom Kläger begangenen Straftaten ein andauerndes generalpräventives Ausweisungsinteresse, das nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG (wonach bereits eine Gefahr durch den "Aufenthalt" des Ausländers ein Ausweisungsinteresse begründet) berücksichtigungsfähig ist und auch durch Zeitablauf nicht zurücktritt. Hinsichtlich der Verurteilung vom 28.06.2018 sind weder die Verjährungsfrist als Untergrenze - hier 20 Jahre nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB - noch die Tilgungsfristen des § 46 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) - in diesem Fall 10 Jahre nach § 46 Abs. 1 Nr. 2c BZRG - abgelaufen.

Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg muss - anders als nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.02.2012 - BVerwG 1 C 7.11 -, Rn. 24, juris) - die den Ausweisungsanlass bildende Verfehlung des Ausländers nicht von besonderem Gewicht sein, um eine allein generalpräventiv motivierte Ausweisung zu rechtfertigen. Vielmehr ist danach nur zu prüfen, ob die Ausweisung, also die Beendigung des "Aufenthalts" des Betroffenen, andere Ausländer von einem Fehlverhalten ähnlicher Art und Schwere überhaupt abzuhalten vermag, ihr also die für eine Generalprävention erforderliche allgemeine verhaltenssteuernde Wirkung im Hinblick auf andere Ausländer zukommen kann. Dies wird (nur) ausnahmsweise bei einem allein singulären Fehlverhalten mit maßgeblich individueller Prägung zu verneinen sein (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 09.11.2022 - 13 LB 148/22 - Rn. 45 ff. m. w. N., juris).

Diese an den Ausweisungsanlass zu stellenden Anforderungen nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg sind vorliegend erfüllt. Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich um ein nicht nur singuläres Fehlverhalten. Vielmehr ist der Kläger bereits mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Die vom Kläger begangenen, am 28.06.2018 abgeurteilten Straftaten der räuberischen Erpressung in drei Fällen in Tatmehrheit mit Raub weisen zudem eine hohe kriminelle Energie auf. Der Kläger hat mit diesen Straftaten nicht nur in den Schutz des Eigentums, sondern auch in den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Geschädigten eingegriffen. Das Vertrauen in die öffentliche Sicherheit wird durch Straftaten dieser Schwere erheblich gestört.

cc) Der Kläger kann sich demgegenüber nicht auf ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 AufenthG berufen. Er erfüllt nicht die Voraussetzungen einer der in § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG normierten Bleibeinteressen, da er im Zeitpunkt der Entscheidung nicht über eine Aufenthaltserlaubnis, sondern nur über eine Duldung verfügt. Auch das gesetzliche Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG ist nicht einschlägig, da der Kläger zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung mit seiner deutschen Ehefrau nicht in familiärer Lebensgemeinschaft lebt.

dd) Die gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, wie von § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG gefordert, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt.

Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 09.05.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, Rn. 13, juris; BVerwG, Urt. v. 25.07.2017 - BVerwG 1 C 12.16 -, Rn. 15, juris; BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, Rn. 20 ff., juris). Dem konkreten Gewicht des Verstoßes ist im Rahmen der nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG vorzunehmenden Abwägung unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu begegnen (OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.2018 - 13 LB 160/17 -, Rn. 40 f., juris).

Gemessen an diesem Maßstab überwiegt unter den Umständen des Einzelfalles mit Blick auf die strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers das Ausweisungsinteresse gegenüber etwaigen - nicht unter § 55 AufenthG fallenden - Bleibeinteressen des Klägers.

Formal steht dem besonders schwerwiegenden bzw. schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG kein gesetzlich typisiertes Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG gegenüber.

Die familiären Bindungen des volljährigen Klägers zu seinen Eltern und seinen Geschwistern haben kein besonderes Gewicht, das i. S. v. Art. 6 GG einer Abschiebung entgegenstehen könnte. Gleiches gilt für die Beziehung zu seiner Ehefrau, die die deutsche Staatsangehörigkeit hat, da aufgrund der Trennung und der beantragten Scheidung die tatsächliche eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr fortbesteht. Soweit der Kläger vorgetragen hat, eine neue Lebensgefährtin zu haben, die im dritten Monat schwanger sei und die er im Sommer nächsten Jahres heiraten wolle, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin nicht in häuslicher Gemeinschaft. Da seine Lebensgefährtin nach Angaben des Klägers die türkische Staatsangehörigkeit hat (und über eine Niederlassungserlaubnis verfügt), wäre es möglich, eine potentielle Lebensgemeinschaft gemeinsam in der Türkei fortzuführen. Auch eine etwaige bevorstehende Vaterschaft des Klägers steht einer Aufenthaltsbeendigung vorliegend - unabhängig davon, dass der Kläger hierfür weder Nachweise erbracht noch eine Vaterschaftsanerkennung behauptet oder gar nachgewiesen hat - nicht entgegen.

Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer zwangsweisen Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1997 - BVerwG 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 39 f.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.05.2009 - 11 ME 110/09 -, Rn. 10, juris jeweils m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Eine Vaterschaft des Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen oder einer ausländischen Staatsangehörigen mit gesichertem Aufenthaltsrecht, der das Verlassen des Bundesgebiets unzumutbar ist, entfaltet für sich genommen keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen in Ansehung des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG. Nur wenn sich aus besonderen Umständen des Einzelfalles ergibt, dass die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des Ausreisepflichtigen eine Verletzung der Rechtspositionen der zurückbleibenden Mutter oder des ungeborenen Kindes, insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG, konkret befürchten lässt, folgt hieraus zugunsten des Betroffenen ein zwingendes rechtliches Ausreisehindernis. Bestehen solche besonderen Umstände hingegen nicht, ist es dem Ausländer regelmäßig zuzumuten, eine beabsichtigte Herstellung der Lebensgemeinschaft mit dem noch nicht geborenen Kind vom Heimatland aus zu betreiben (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.06.2010 - 8 ME 159/10 -, Rn. 5, juris m. w. N.).

Derartige Umstände sind hier weder ersichtlich noch vorgetragen. Der Kläger hat weder die vorgetragene Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin noch eine etwaige Vaterschaftsanerkennung nachgewiesen. Zum Entscheidungszeitpunkt lebt der Kläger mit seiner Lebensgefährtin noch nicht in häuslicher Gemeinschaft. Unabhängig davon bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine zwangsweise Beendigung des Aufenthaltes des Klägers eine Verletzung der Rechtspositionen der zurückbleibenden werdenden Mutter oder des ungeborenen Kindes, insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG, konkret befürchten lässt. Insbesondere wäre dem Kläger eine Fortführung bzw. erstmalige Begründung einer familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin, die die türkische Staatsangehörigkeit hat, und dem ungeborenen Kind auch in der Türkei möglich.

Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens i. S. d. Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich kein überwiegendes privates Interesse des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet. Auf eine Rechtsstellung als "faktischer Inländer" kann sich der Kläger nicht berufen. Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Dimension "Verwurzelung") und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-) Integration in seinem Heimatland (Dimension "Entwurzelung") ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Eine nach Art. 8 EMRK schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet kann dabei grundsätzlich nur während Zeiten entstehen, in denen der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2018 - 8 ME 1/18 -, Rn. 17 m. w. N., juris; Beschl. v. 10.11.2017 - 13 ME 190/17 -, Rn. 27 m. w. N., juris).

Der Beklagte hat im angefochtenen Ausweisungsbescheid zu Recht eine umfassende Verwurzelung im Bundesgebiet verneint als auch die Möglichkeit einer (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse der Republik Türkei bejaht und daher zutreffend festgestellt, dass eine Ausweisung auch mit Art. 8 EMRK vereinbar wäre. Zwar lebt der Kläger seit seiner Geburt im Bundesgebiet und hat sich mittlerweile eine gefestigte berufliche Perspektive aufgebaut. Allerdings hat er seine erste Erwerbstätigkeit erst nach Erlass des Ausweisungsbescheides aufgenommen. Erst seit August 2021 und damit seit nicht einmal zweieinhalb Jahren verfügt der Kläger über eine berufliche Perspektive. Zudem hat er weder die Schule noch eine Ausbildung abgeschlossen, sondern ist bereits in seiner Jugend straffällig geworden. Die für ihn sprechende lange Aufenthaltsdauer in Deutschland und die nunmehr seit erst ca. zweieinhalb Jahren vorliegende berufliche Perspektive können vor dem Hintergrund der strafrechtlichen Verurteilungen die Integration in die hiesigen Verhältnisse nicht begründen und führen nicht zu einer Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet.

Es gibt keine Anhaltspunkte, dass dem Kläger eine Integration in die Lebensverhältnisse in der Türkei unmöglich wäre. Dem Kläger ist es als jungem und gesundem Menschen im Alter von fast 24 Jahren zuzumuten, eine eigene berufliche und persönliche Perspektive nicht im Bundesgebiet, sondern stattdessen in der Republik Türkei aufzubauen. Auch wenn der Kläger tatsächlich, wie er vorträgt, kein Türkisch, sondern lediglich Arabisch sprechen sollte, folgt daraus nicht, dass ihm eine Integration in die Lebensverhältnisse in der Türkei nicht möglich oder zumutbar wäre. Auch wenn fehlende Sprachkenntnisse eine Integration wesentlich erschweren dürften, so ist dem Kläger jedenfalls zumutbar, sich in Gegenden in der Türkei niederzulassen, in denen es arabische bzw. arabischsprachige Gruppen gibt. Gerade in international geprägten Großstädten wie z. B. Istanbul dürfte dies möglich sein.

2. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Sie darf außer in den Fällen des § 11 Abs. 5 bis 5b AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG).

Da der Kläger aufgrund mehrerer strafrechtlichen Verurteilungen ausgewiesen worden ist, gilt im Ausgangspunkt die zeitliche Höchstfrist von zehn Jahren, die hier gewahrt ist.

Bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist hat die Ausländerbehörde das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgen Zweck zu berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, welches seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Verwirklichung des Ausweisungszwecks orientierte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, also verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden. Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern es bedarf nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der an diesen Maßstäben zu messenden Befristungsentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 27/16 -, Rn. 23, juris). Im Rahmen der Entscheidung, für welche Dauer die Wirkungen einer Ausweisung zu befristen sind, kommt neben spezialpräventiven Erwägungen grundsätzlich auch generalpräventiven Aspekten ein wesentliches Gewicht zu, um eine Verhaltenssteuerung und Abschreckung bei anderen Ausländern zu bewirken.

Gemessen an diesen Vorgaben erweist sich die von dem Beklagten festgesetzte Frist von fünf Jahren als ermessensfehlerfrei. Der Beklagte hat sein Ermessen erkannt und unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht vorgegebenen zweischrittigen Prüfung (Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 27/16 -, juris) zu Recht sowohl unter Bezugnahme auf die im Bescheid angestellte Prognose zur Wiederholungsgefahr die erheblichen Straftaten als auch die familiären Bindungen im Bundesgebiet und die Voraufenthaltszeiten in seine Entscheidung eingestellt.

3. Die Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 58, 59 AufenthG.

II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf drei Jahre. Die Befristung auf fünf Jahre erweist sich als ermessensfehlerfrei (vgl. oben unter I. 3.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.