Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 17.04.2019, Az.: 1 A 226/16
Alkoholismus; Aufenthaltserlaubnis; Ausreisehindernis; Betreuung; Serbien
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 17.04.2019
- Aktenzeichen
- 1 A 226/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 69493
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 25 Abs 5 AufenthG
- § 60 Abs 5 AufenthG
- § 60 Abs 7 AufenthG
- § 60a Abs 2 AufenthG
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
Der 50 Jahre alte Kläger ist serbischer Staatsangehörigkeit und gehört zum Volk der Roma. Er reiste erstmals im Februar 1997 zusammen mit seiner Frau und zwei gemeinsamen Töchtern in das Bundesgebiet ein und betrieb erfolglos Asylverfahren. Er ist ausreisepflichtig. In Deutschland wurden zwei weitere Töchter geboren. Der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet wird geduldet. Der Kläger lebt von seiner Frau getrennt. Er hat keine Berufsausbildung und bezieht Sozialleistungen.
Da der Kläger mehrfach straffällig wurde, bemühte sich der Beklagte spätestens seit dem Jahr 2004 um die Aufenthaltsbeendigung. Wegen fehlender Passpapiere scheiterte diese jedoch. Im Jahr 2014 wurde der Kläger auf Veranlassung des Beklagten erstmals amtsärztlich auf seine Reisefähigkeit untersucht; der Amtsarzt stellte eine Reiseunfähigkeit für die Dauer von voraussichtlich 6 Monaten wegen einer akuten psychischen Erkrankung mit wiederholten suizidalen Dekompensationen und anhaltender latenter Suizidalität fest (ärztliche Bescheinigung vom 05.11.2014, BA 005, Bl. 556).
Seit Juli 2015 ist für den Kläger eine Betreuung eingerichtet. Seine Betreuerin, die zugleich Prozessbevollmächtigte im vorliegenden Klageverfahren ist, beantragte im November 2015 für den Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit der Begründung, wegen der psychischen Erkrankung des Klägers sei es auf absehbare Zeit nicht möglich, ihn abzuschieben, und legte ein psychologisches Gutachten vor, das ein Psychotherapeut im August 2015 im Auftrag des Amtsgerichts G. erstellt hatte (BA 005, Bl. 583). In dem Gutachten wird festgestellt, dass der Kläger langjähriger Alkoholiker ist (ICD-10: F10.2 und F 10.0) und als Folge hiervon an einer erworbenen Störung der kognitiven Leistungsfähigkeit, Persönlichkeitsdepravation, Alkoholhalluzinose und Depression leidet. Der Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere amtsärztliche Untersuchung des Klägers, die eine Reisefähigkeit des Klägers ergab. Diese liegt nach der ärztlichen Bescheinigung vom 14.06.2016 vor, wenn der Kläger ärztlich begleitet wird, in Sicherheitsbegleitung reist und Medikamente mitführt (BA 005, Bl. 598).
Mit Bescheid vom 31.08.2016 lehnte der Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab, befristete die Sperrwirkung einer eventuellen Abschiebung auf zwei Jahre nach erfolgter Ausreise und forderte den Kläger unter Verweis auf die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.03.1997 auf, das Bundesgebiet bis zum 09.09.2016 zu verlassen, andernfalls werde er nach Serbien abgeschoben. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Voraussetzungen von § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor. Die amtsärztliche Untersuchung habe die Reisefähigkeit des Klägers bestätigt. Rechtliche Ausreisehindernisse lägen ebenfalls nicht vor und seien auch nicht vorgetragen worden. Er habe zwar regelmäßigen Kontakt zu seiner minderjährigen Tochter L., die bei der ebenfalls ausreisepflichtigen Mutter lebe. Die Kontaktpflege könne auch im Heimatland erfolgen. Er sei auch nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG komme nicht in Betracht, da er den Lebensunterhalt dauerhaft ausschließlich durch den Bezug von öffentlichen Mitteln sicherstelle. Er erfülle auch nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, weil er nicht im Besitz eines Passes sei und weil wegen 12 im Bundeszentralregister eingetragener Straftaten auch Ausweisungsgründe vorlägen. Die Dauer der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG sei angemessen im Hinblick auf seinen generalpräventiven Zweck. Private Interessen des Mandanten seien berücksichtigt worden.
Der Kläger hat am 08.09.2016 Klage erhoben und um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht. Den Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nahm der Kläger zurück. Einen weiteren Antrag des Klägers vom 21.11.2018 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine im Bescheid vom 31.08.2016 enthaltene Abschiebungsandrohung lehnte die Kammer mit Beschluss vom 15.03.2019 ab.
Im Klageverfahren macht der Kläger im Wesentlichen geltend, er könne wegen seines gesundheitlichen Zustands nicht abgeschoben werden. Eines der Medikamente, das er benötige (Candesartan 4), sei in Serbien überhaupt nicht erhältlich. Er sei nicht in der Lage, sich um die erforderliche medizinische Versorgung zu kümmern. Die erreichbare Grundversorgung genüge in seinem Fall nicht. Außerdem drohten ihm im Fall der Abschiebung im Heimatland erhebliche Gefahren, weil es an der erforderlichen Betreuung und Versorgung in medizinischer wie in psychosozialer Hinsicht fehle. Seine Familie lebe in Deutschland, er habe keine weiteren Verwandten oder Bekannten, die ihn unterstützen könnten. Er könne auch seinen Lebensunterhalt nicht sichern. Außerdem gebe es in Serbien kein Äquivalent zur gesetzlichen Betreuung, von der er in Deutschland profitiere.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 1 seines Bescheides vom 31.08.2016 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
und verweist auf den streitgegenständlichen Bescheid sowie darauf, dass zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nicht von der Ausländerbehörde, sondern im Asylverfahren zu prüfen seien.
Das Klageverfahren wurde mit Beschluss der Kammer vom 04.04.2017 im Hinblick auf ein Asylfolgeverfahren des Klägers nach § 71 AsylG i.V.m. § 51 VwVfG auf den übereinstimmenden Antrag der Beteiligten ruhend gestellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führte ein weiteres Asylverfahren durch, lehnte in der Sache jedoch mit Bescheid vom 11.08.2017 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff.1), auf Asylanerkennung (Ziff. 2) wie auf subsidiären Schutz (Ziff.3) als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff.4), forderte den Kläger zur Ausreise innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheids auf und drohte für den Fall des Zuwiderhandelns die Abschiebung nach Serbien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an (Ziff. 5), ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG an, welches auf 24 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet wurde (Ziff. 6), und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 7). Die hiergegen gerichtete Klage wies das erkennende Gericht – Einzelrichter der 4. Kammer – ab (Urt. v. 30.08.2018 - 4 A 377/17 -, n.v.). Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg (Nds. OVG, Beschl. v. 18.10.2018 - 10 LA 368/18 -, n.v.). Am 08.10.2018 wurde das Klageverfahren von Amts wegen wiederaufgenommen.
Die Kammer hat die Rechtssache durch Beschluss vom 15.03.2019 der Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die Niederschrift der mündlichen Verhandlung, die beigezogene Gerichtsakte in dem Verfahren 4 A 377/17 sowie die beigegezogenen Ausländerakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beteiligten nach Aufhebung von Ziffer 2 und 3 des Bescheids vom 31.08.2016 durch die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Hinsichtlich des noch verbleibenden Streitgegenstands – Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG – ist die zulässige Klage unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis. Der Bescheid vom 31.08.2016 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist (Satz 1). Sie soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist (Satz 2), darf aber nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist (Sätze 3 und 4).
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Juni 2006 (- 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192 Rn. 15, 17) ausgeführt, eine freiwillige Ausreise sei im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG (hierzu a.) als auch aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht oder aus Völkervertragsrecht in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (hierzu b.). Auch aus tatsächlichen Umständen kann sich ein Ausreisehindernis ergeben (hierzu c.).
a. Soweit der Kläger eine auf die Verhältnisse im Zielstaat Serbien bezogene rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise geltend macht, besteht diese nicht. Denn an die bestandskräftig gewordene Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) aus Ziffer 4 des Bescheids vom 11.08.2017 (GA 4 A 377/17, Bl. 9), dass im Falle des Klägers keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf dessen Herkunftsland Serbien vorliegen, ist der Beklagte als Ausländerbehörde nach § 42 Satz 1 AsylG gebunden. Zu einer eigenen inhaltlichen Prüfung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ist der Beklagte danach (ebenso wenig wie die Einzelrichterin) weder berechtigt noch verpflichtet.
b. Soweit der Kläger inlandsbezogene Ausreisehindernisse rechtlicher Natur geltend macht, bestehen diese ebenfalls nicht.
aa. Ein inlandsbezogenes rechtliches Ausreisehindernis liegt vor, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert und diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 60a Rn. 28). In einem solchen Fall ist die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen. Ein derart begründetes Abschiebungshindernis ist bei § 25 Abs. 5 AufenthG zu berücksichtigen, wenn es dauerhaft und nicht nur vorübergehend ist; andernfalls kommt nur eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG in Betracht.
Eine bestehende Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fällen begründen. Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet. Dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Bei der Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn ist das Gesamtgeschehen von der Mitteilung der beabsichtigten Abschiebung bis zur endgültigen Übergabe des Ausländers im Zielstaat zu bewerten (Bauer/Dollinger, a.a.O., § 60a, Rn. 28). Die Pflicht der Ausländerbehörde, ggf. notwendige Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, endet damit nicht immer schon mit der Ankunft des Ausländers im Zielstaat. Sie kann zeitlich vielmehr bis zum Übergang in die Betreuung und medizinische Versorgung im Zielstaat fortdauern, wenn der Ausländer zur Vermeidung von Gesundheitsgefahren unmittelbar bedarf, wobei der Ausländer wie bei der allgemeinen medizinischen Versorgung regelmäßig auf den Standard seines Heimatlandes zu verweisen ist (BVerfG, Beschl. v. 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14, juris 11 f.). Kann den Gesundheitsgefahren nicht durch entsprechende Vorkehrungen bei der Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens wirksam begegnet werden, muss – jedenfalls vorübergehend – eine Abschiebung unterbleiben (BVerfG, Beschl. v. 26.02.1998 - 2 BvR 185/98 - InfAuslR 1998, 241).
Eine Reiseunfähigkeit des Klägers im engeren Sinn steht hier nicht in Rede. Nach der Bescheinigung des Amtsarztes des Beklagten vom 18.02.2019 (GA Bl. 146) ist der Kläger reisefähig, wenn der Transport in ärztlicher Begleitung und in Sicherheitsbegleitung erfolgt und eine näher ausgeführte Versorgung mit Medikamenten sichergestellt ist. Diese Einschätzung hat der Kläger nicht bestritten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Beklagten die Begleitmaßnahmen für den Transport des Klägers (dauerhaft) nicht gelingen sollten.
Der Kläger hat auch nicht in einer § 60a Abs. 2c AufenthG genügenden Weise glaubhaft gemacht, dass er nicht reisefähig im weiteren Sinne ist. Nach Satz 1 dieser Vorschrift wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, hat der Ausländer durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen (Satz 2), die inhaltlich den Anforderungen des Satzes 3 genügen soll. Eine solche Bescheinigung, die seinen Vortrag stützt, liegt nicht vor. Ausgehend von den durch einen Facharzt für Psychotherapie mit Gutachten von August 2015 (BA 005, Bl. 583) festgestellten alkoholismusbedingten physischen und psychischen Erkrankungen des Klägers genügt es vielmehr nach den dargestellten Maßstäben, wenn die Ausländerbehörde bei der Abschiebung des Klägers sicherstellt, dass dessen Erkrankungen und der Prüfbedarf hinsichtlich der Einrichtung von Unterstützungsleistungen bei den serbischen Behörden bekannt sind. Dass dies nicht gelingen sollte, ist nicht erkennbar. Das serbische Innenministerium unterhält eine Abteilung „Readmission“ („Rückübernahme“), die als Adressatin entsprechender Informationen in Betracht kommt; zu dieser hat der Beklagte ausweislich der Ausländerakte (BA 006, Bl. 910) bereits Kontakt aufgenommen und Informationen weitergegeben und Auskünfte eingeholt.
Soweit der Amtsarzt des Beklagten in der Bescheinigung vom 18.02.2019 zur Reisefähigkeit ausführt, die Fortsetzung der medikamentösen Behandlung des Klägers im Zielstaat und eine Unterstützung „vgl. einer gesetzlichen Betreuung“ im Zielstaat seien erforderlich, betrifft diese Aussage nicht mehr die Reisefähigkeit im weiteren Sinn. Diese Aspekte waren Gegenstand des Asylfolgeverfahrens des Klägers und sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens; im Urteil vom 30.08.2018 – 4 A 377/17 -, S. 4 des Urteilsumdrucks, heißt es hierzu:
„Die psychischen Probleme des Klägers können in Serbien sowohl medizinisch als auch medikamentös behandelt werden. […] Soweit der Kläger seit dem April 2015 unter Betreuung steht, vermag dies ebenfalls ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht zu begründen. In Serbien kann für den psychisch erkrankten Kläger im Falle einer fortbestehenden Betreuungsnotwendigkeit über dortige Pflegschaftsgerichte eine Sachwalterschaft eingerichtet werden, so dass neben seiner medizinischen und medikamentösen Versorgung auch einer Betreuungsbedürftigkeit Rechnung getragen werden kann. Insoweit kann durch eine Sachwalterschaft auch eine Versorgung und ggf. notwendig werdende Unterbringung in einer entsprechenden Betreuungseinrichtung gewährleistet werden (vgl. Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich, vom 8. September 2017 zur Behandelbarkeit von Schizophrenie, Sachwalterschaft, Pflegschaftsgericht).“
bb. Zu den inlandsbezogenen rechtlichen Ausreisehindernissen zählen auch diejenigen Verbote, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Auch diese liegen hier nicht vor.
Auf seine familiären Bindungen in Deutschland kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer Beendigung des Aufenthalts dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81, 95; BVerwG, Urt. v. 04.06.1997- 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 39 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 20.05.2009- 11 ME 110/09 -, juris Rn. 10; jeweils m.w.N.). Entscheidend ist die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Nds. OVG; Beschl. v. 02.02.2011 - 8 ME 305/10 -, InfAuslR 2011, 151 m.w.N.). Der Kläger kann sich hier nicht auf eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Frau berufen, von der er nach eigenen Angaben seit dem Jahr 2013 getrennt lebt. Seine Töchter leben nicht in seinem Haushalt; auch die jüngste Tochter L. ist mittlerweile 17 Jahre alt und ist Mutter eines Kleinkindes. Ob zu ihr tatsächlich eine schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft besteht, kann dahinstehen. Entscheidend ist hier, dass das Zusammenleben des Klägers mit seiner Tochter (wie mit seiner Frau) auch im Heimatland des Klägers möglich wäre (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 08.02.2018 - 13 LB 45/17 -, juris Rn. 63 m.w.N.). Sowohl die Frau als auch die Tochter L. verfügen nach Angaben der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung, die der Kläger bestätigte, nicht über ein Aufenthaltsrecht. Sie sind ausreisepflichtig und werden (wegen Passlosigkeit) bislang lediglich geduldet.
Im Hinblick auf den über den Schutz der Familie hinausgehenden Schutz des Privatlebens ist allein ein langfristiger Aufenthalt im Gastland, wie ihn der im Jahr 1997 in das Bundesgebiet eingereiste Kläger vorweisen kann, grundsätzlich noch kein den Schutzbereich eröffnendes Kriterium (vgl. BayVGH, Beschl. v. 17.08.2016 - 19 ZB 14.1596 -, juris Rn. 9 m.w.N.). Einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung kommt eine Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.07.2014 - 8 ME 72/14 -, juris Rn. 19, m.w.N.). Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Aspekt der „Verwurzelung“) ab, zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland (Aspekt der „Entwurzelung“). Schutzwürdig können nur solche Bindungen sein, die während Zeiten einer den Aufenthalt des Ausländers im Aufenthaltsstaat gestattenden behördlichen Entscheidung entstanden sind, die zugleich ein berechtigtes Vertrauen des Ausländers in den Fortbestand seines Aufenthalts begründet hat (Nds. OVG, Beschl. v. 29.03.2011 - 8 LB 121/08 -, juris Rn. 52 f. mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen auf die Rechtsprechung des EGMR). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil der Kläger seit der ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes vom 17.03.1997 durchgehend ausreisepflichtig ist. Er kann darüber hinausgehend auch nicht auf Integrationsleistungen verweisen.
c. Ein tatsächliches Ausreisehindernis liegt nicht vor. Dieses ergibt sich auch nicht aus der Passlosigkeit des Klägers. Unter „Ausreise“ im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG ist sowohl die zwangsweise Abschiebung – die hier unter der Voraussetzung einer Rückübernahmeerklärung Serbiens auch ohne Pass möglich wäre – als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 79 f.). Eine rechtliche Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise kann auch auf dem Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder dem Bestehen sonstiger Einreiseverbote in den Herkunftsstaat beruhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192, 197). Der Kläger verfügt nach eigenen Angaben nicht über einen Pass, der seine die freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet ermöglicht hätte. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen dieses rechtlichen Ausreisehindernisses steht aber nach § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG entgegen, dass der Kläger keinerlei Bemühungen hat erkennen lassen, alle zumutbaren Anforderungen zur Beseitigung dieses Ausreisehindernisses unternommen und deshalb nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert gewesen zu sein. Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, § 5 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthV verpflichtet, an der Beschaffung eines derartigen Papiers mitzuwirken, rechtzeitig die für die Erteilung notwendigen Anträge zu stellen und alle Urkunden und sonstigen Unterlagen, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können, vorzulegen (Nds. OVG, Urt. v. 08.02.2018 - 13 LB 45/17 -, juris Rn. 41). Solche Mitwirkungshandlungen sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich des von den Beteiligten in der Hauptsache für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits entsprach es billigem Ermessen gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, dem Kläger auch insoweit die Kosten aufzuerlegen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses – hier dem Eintritt der Bestandskraft von Ziffern 5 und 7 des Bescheids des Bundesamtes vom 11.08.2017 – hatte die Anfechtungsklage gegen die Ziffern 2 und 3 des streitgegenständlichen Bescheids keine Aussicht auf Erfolg. Auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 11 Abs. 1, 2 AufenthG (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.08.2018 - 1 C 21.17 -, juris Rn. 20 f.) erweist sich insbesondere auch die Befristungsentscheidung zu Ziffer 2 als rechtmäßig, weil sie der Auslegung dahingehend zugänglich ist, dass der Beklagte mit der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall der Abschiebung zugleich das Verbot angeordnet hatte. Ermessensfehler bei der Fristentscheidung sind nicht ersichtlich. Auch die Ausreiseaufforderung begegnet bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses keinen rechtlichen Bedenken.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.