Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.05.2009, Az.: 5 LC 148/08
Ausgestaltung der strafrechtlichen Unschuldsvermutung eines Beamten nach § 45 S. 2 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.05.2009
- Aktenzeichen
- 5 LC 148/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 14747
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:0522.5LC148.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 26.03.2008 - AZ: 3 A 128/07 U.A.
Rechtsgrundlage
- § 45 S. 2 BeamtStG
Voraussetzungen der Gewährung dienstlichen Rechtsschutzes
Gründe
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, das Urteil des Verwaltungsgerichts analog § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO (i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO) für unwirksam zu erklären und über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Im vorliegenden Falle entspricht es billigem Ermessen, die Kosten wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich aufzuteilen. Überwiegendes spricht dafür, dass das Ermessen der Beklagten nicht dahingehend auf null reduziert gewesen ist, den Klägern dem Grunde nach dienstlichen Rechtsschutz zu gewähren. Die Kläger hätten also allenfalls mit einem Bescheidungsbegehren, nicht aber mit ihren Verpflichtungsbegehren Erfolg haben können. Sie gehen nämlich zu Unrecht davon aus, dass ihnen ihr Dienstherr in Anknüpfung an die strafrechtliche Unschuldsvermutung und aus Fürsorgegründen (§§ 87 Abs. 1 Satz 2 NBG a. F., 45 Satz 2 BeamtStG) grundsätzlich für die Kosten ihrer Verteidigung in allen staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren ein zinsloses Darlehn zu gewähren habe, die wegen einer dienstlichen Verrichtung oder eines Verhaltens, das mit ihrer dienstlichen Tätigkeit in Zusammenhang steht, gegen sie geführt werden. Die Unschuldsvermutung schützt beschuldigte Beamte vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches, prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29. 5. 1990 - 2 BvR 254, 1343/88 -, BVerfGE 82, 106 [114 f.]). Die Versagung dienstlichen Rechtsschutzes kommt indessen weder einem Schuldspruch noch einer Strafe gleich. Die Unschuldsvermutung kann deshalb die Gewährung dienstlichen Rechtsschutzes nicht gebieten. Auch der Erfolg der in ihren Verpflichtungsbegehren (als ein Weniger) enthaltenen Bescheidungsbegehren der Kläger ist zweifelhaft gewesen. Es ließen sich allenfalls Bedenken dagegen erheben, ob sich die Beklagte im Rahmen der antizipierten Verwaltungspraxis (vgl. dazu: Lemhöfer, in: Plog/Wiedow u. a., BBG, Stand: Feb. 2009, Anh. VI/16, Vorb. 5 - betreffend das Bundesrecht) gehalten hat, die ihr mit der Nr. 1.1 (Zu § 87) der VV zum NBG vorgegeben ist. Die Beklagte hat das dienstliche Interesse an einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung der Kläger ursprünglich vor allem deswegen verneint, weil die Straftaten, deretwegen die Ermittlungen geführt worden sind, dem Dreißigsten Abschnitt des Strafgesetzbuches entstammen und sie selbst Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte. Diese Argumentation könnte etwas zu vordergründig sein. Die zur Konkretisierung der Beistandspflicht (§§ 87 Abs. 1 Satz 2 NBG a. F., 45 Satz 2 BeamtStG) erlassene Nr. 1.1 (Zu § 87) der VV zum NBG soll nämlich die innere Unabhängigkeit des Beamten stärken (vgl. OVG Rhld-Pf , Urt. v. 28. 6. 2000 - 2 A 10283/00 -, [...], Langtext Rn. 29), indem sie ihn unter den in ihr genannten Voraussetzungen von der Sonderbelastung freiststellt, die sich aus einer Strafverfolgung ergibt, die mit seiner amtlichen Tätigkeit oder Stellung zusammenhängt und sich im Nachhinein als ungerechtfertigt erweist. Der Beamte soll sich nicht in der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Dienstaufgaben durch die Angst vor unberechtigter Strafverfolgung gehemmt sehen. Deshalb kommt die Gewährung dienstlichen Rechtsschutzes gerade bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und Strafverfahren wegen Straftaten im Amt in Betracht. Das gilt nicht nur für Verfahren wegen Straftaten (z. B. nach den §§ 340 oder 343 StGB), die sich gegen Rechtsgüter der Bürger richten, sondern dürfte auch auf Verfahren zutreffen, die wegen des Verdachts auf Verstöße gegen die §§ 331 oder 332 StGB eingeleitet worden sind (a. A. wohl: Lemhöfer, in: Plog/Wiedow u. a., BBG, Stand: Feb. 2009, Anh. VI/16, Vorb. 2 - am Ende), deren Schutzgut (siehe dazu: Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 331 Rn. 3) die - auf dem Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen beruhende - Funktionsfähigkeit des Staates ist. Angesichts des Legalitätsprinzips des 152 Abs. 2 StPO (siehe auch § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG), das kein Ermessen eröffnet, von Ermittlungen Abstand zu nehmen, und des Umstandes, dass sich staatsanwaltschaftliche und disziplinarbehördliche Ermittlungen mit einseitiger Zielsetzung gemäß den §§ 160 Abs. 2 StPO bzw. 22 NDiszG verbieten, erscheint es zudem fraglich, ob die Gewährung dienstlichen Rechtsschutzes nach dem Sinn und Zweck der §§ 87 Abs. 1 Satz 2 NBG a. F. und 45 Satz 2 BeamtStG sowie den hierzu ergangenen einschlägigen Regelungen in den VV zum NBG allein mit dem Argument versagt werden kann, dass durch den Dienstherrn selbst ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren oder ein paralleles Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei.
Vielmehr könnte es nach Sinn und Zweck der Gewährung dienstlichen Rechtsschutzes für das dienstliche Interesse an einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Sinne der Nr. 1.1 a (Zu § 87) der VV zum NBG eher darauf ankommen, aus welcher Sphäre die Tatsachen und Beweismittel stammen, die den betroffenen Beamten belasten, sowie welches Gewicht ihnen nach der vorläufigen Einschätzung der für die etwaige Gewährung dienstlichen Rechtsschutzes zuständigen Behörde beizulegen ist. Denn von der Herkunftssphäre der belastenden Tatsachen und Beweismittel hängt es ab, inwieweit (im Zusammenhang mit der Amtsführung des Beschuldigten stehende) Motive und Möglichkeiten Dritter bestehen können, diese Erkenntnisgrundlagen zu manipulieren und so den Beamten einer Sonderbelastung auszusetzen, vor der ihn der Dienstherr zu schützen hat (§§ 87 Satz 2 NBG a. F., 45 Satz 2 BeamtStG): Wird also - beispielsweise - im Zuge einer Geschäftsprüfung festgestellt, dass sich aus den eigenen Akten einer Verwaltung Anhaltspunkte für die Bestechlichkeit eines dort tätigen Beamten ergeben, die sich in der Folge durch aufgefundene private Unterlagen des Beschuldigten erhärten, besteht schon aufgrund der Sphären, denen die belastenden Tatsachen und Beweismittel entstammen, kein Anlass, dienstlichen Rechtsschutz zu gewähren. Bezichtigen dagegen etwa Zeugen, die selbst dem kriminellen Milieu nahe stehen, einen Beamten, der gegen die organisierte Kriminalität ermittelt, der Bestechlichkeit, könnte ein dienstliches Interesse an der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung zu bejahen sein, um den Beamten davor zu schützen, dass er gezielt in der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Dienstaufgaben behindert wird, indem man ihn mit falschen Verdächtigungen (§ 164 Abs. 1 StGB) überzieht. Von den Umständen des Einzelfalls dürfte es hiernach auch abhängen, in welchem Maße nach pflichtgemäßem Ermessen das Risiko in Kauf zu nehmen ist, dass das Ansehen der öffentlichen Verwaltung Schaden nimmt, wenn sich in einem Verfahren, für das dienstlicher Rechtsschutz gewährt wurde, nachträglich der Tatvorwurf erhärtet.
Die soeben aufgezeigten Auslegungsfragen können jedoch im Rahmen des vorliegenden Beschlusses ebenso wenig abschließend beantwortet werden, wie eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich ist. Der Behauptung, dass die Strafverfahren und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen die Kläger, die letztlich zu Freisprüchen bzw. Einstellungen gemäß § 170 Abs. 2 StPO geführt haben, "auf tönernen Füßen" gestanden hätten und durch mangelhafte Ermittlungsarbeit gekennzeichnet gewesen seien, ist schon deshalb hier nicht weiter nachzugehen.