Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.05.2009, Az.: 5 ME 39/09
Zulässigkeit von Unterrichtsbesuchen des Schulleiters; Auswirkungen der Unanwendbarkeit des § 8 Abs. 2 Niedersächsisches Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung ( Nds. AG VwGO) auf Feststellungsklagen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.05.2009
- Aktenzeichen
- 5 ME 39/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 17051
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:0515.5ME39.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 05.02.2009 - AZ: 3 B 1925/08
Rechtsgrundlagen
- § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 VwGO
- § 43 Abs. 2 S. 1, 2 NSchG
- § 50 Abs. 1 S. 1, 2 NSchG
- § 104 Abs. 1 NBG
Fundstellen
- DÖD 2009, 260-262
- DÖV 2010, 192
- NVwZ-RR 2009, 808-809
- ZTR 2009, 452-453
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Zur Zulässigkeit von Unterrichtsbesuchen des Schulleiters
Gründe
Das Passivrubrum des Verfahrens war dahingehend zu berichtigen, dass das Land Niedersachsen, vertreten durch die Landesschulbehörde, Antragsgegner und Beschwerdegegner ist.
Sowohl dem Antragsteller als auch dem Verwaltungsgericht ist bewusst, dass zur Hauptsache keine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, sondern lediglich eine Feststellungsklage erhoben worden ist. Sie haben es jedoch versäumt, aus der damit einhergehenden Unanwendbarkeit des § 8 Abs. 2 Nds. AG VwGO im Eilverfahren die gebotenen Folgerungen für die Bezeichnung des Antragsgegners zu ziehen. Dem muss in entsprechender Anwendung des § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 VwGO durch eine Rubrumsberichtigung Rechnung getragen werden, die von Amts wegen im Rechtsmittelverfahren statthaft ist, selbst wenn die fälschlich als Antragsgegnerin bezeichnete Behörde in der Vorinstanz als Antragsgegnerin behandelt wurde (Nds. OVG, Beschl. v. 4. 7. 2007 - 5 ME 131/07 - veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in [...]).
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 5. Februar 2009 ist unbegründet, weil sich aus den dargelegten Beschwerdegründen, die grundsätzlich allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), nicht ergibt, dass der angefochtene Beschluss in der begehrten Weise abzuändern und der Antragstellerin einstweiliger Rechtsschutz gegenüber Unterrichtsbesuchen ihres Schulleiters zu gewähren ist.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch der Antragstellerin verneint; denn der Antragstellerin fehlt es an einem subjektiven Recht darauf, dass der Antragsgegner Unterrichtsbesuche, einschließlich unangekündigter Unterrichtsbesuche, ihres Schulleiters unterbindet.
Zwar bestimmt § 50 Abs. 1 Satz 1 NSchG, dass die Lehrkräfte in eigener pädagogischer Verantwortung erziehen und unterrichten. Diese Garantie einer eigenen pädagogischen Verantwortung dient jedoch ausschließlich öffentlichen Interessen (Brockmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchG, Stand: März 2009, § 50 Erl. 3.3). Aus ihr ergibt sich daher grundsätzlich kein subjektives Abwehrrecht beamteter Lehrkräfte gegenüber Eingriffen des Dienstherrn in ihre Unterrichtstätigkeit, und zwar selbst dann nicht, wenn diese Eingriffe gegen § 50 Abs. 1 Satz 1 NSchG verstoßen ( Nds. OVG, Beschl. v. 3. 8. 1999 - 5 ME 2250/99 -, NVwZ-RR 2000, 161). Vielmehr ist die Antragstellerin insoweit auf den Beschwerdeweg des § 104 Abs. 1 NBG verwiesen.
Im Übrigen verkennt sie mit ihrem Rechtsmittelvorbringen die Gesetzes- und Erlasslage: Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 NSchG ist sie als Lehrerin - ungeachtet ihrer eigenen pädagogischen Verantwortung für den Unterricht - an die geltenden Rechtsvorschriften gebunden und hat daher die in § 43 Abs. 2 Satz 1 NSchG ausdrücklich vorgesehenen Unterrichtsbesuche ihres Schulleiters hinzunehmen. Für solche Unterrichtsbesuche bedarf es keiner zusätzlichen "Ermächtigung" oder Regelung in Gestalt eines Runderlasses. Sie haben auch nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes (vgl. §§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 NVwVfG i. V. m. § 35 VwVfG); denn es fehlt ihnen an einer Rechtswirkung nach außen, weil grundsätzlich subjektive Rechte der unterrichtenden Lehrkraft an der An- oder Abwesenheit ihrer Vorgesetzten im Unterrichtsraum nicht bestehen. In der von der Antragstellerin angeführten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 14. Mai 2004 - 1 B 35/04 - (veröffentlicht in [...]) wird einem Unterrichtsbesuch die Qualität eines Verwaltungsaktes nicht beigelegt.
Dem zuständigen Ministerium steht es zwar frei, die gesetzliche Befugnis der Schulleiter, Unterrichtsbesuche vorzunehmen, im Erlasswege an weitere Voraussetzungen zu binden, namentlich den Schulleitern aufzugeben, ihre Besuche vorher anzukündigen. Entgegen der Annahme der Antragstellerin war Letzteres aber durch den mit Ablauf des 31. Dezember 2006 außer Kraft getretenen Gem. Runderlass d. MK u. d. MS v. 5. 5. 1982 - 104-03 002 - (Nds. MBl. 1982, 499) - zuletzt geändert d. VwV v. 17. 5. 2005 (Nds. MBl. 2005, 404) - nicht geschehen. Wie die systematische Auslegung dieses Runderlasses ergibt, bezog sich das dort aufgestellte Erfordernis der Ankündigung von Unterrichtsbesuchen vielmehr nur auf die Unterrichtsbesuche durch Beamtinnen und Beamte der Schulbehörde; denn unter II. Nr. 2 des Runderlasses ist eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu II. Nr. 1 Satz 1 des Runderlasses nicht angeordnet worden. Im Übrigen ist nicht davon auszugehen, dass das Ankündigungsgebot des II. Nr. 1 Satz 1 des Runderlasses seinem Sinn und Zweck nach auch auf solche Unterrichtsbesuche zu beziehen ist, die nicht vorrangig der pädagogischen, didaktischen und methodischen Beratung (vgl. II. Nr. 1 Satz 2 des Runderlasses), sondern - wie hier (der Vorwurf der Trunkenheit während des Unterrichts stand im Raum) - neben der Fach- auch der Dienstaufsicht (vgl. insoweit: Brockmann, a. a. O., § 120 Erl. 4.3.1 und 4.3.2) dienen. Da sich nach alledem weder aus dem Außerkrafttreten noch dem Inhalt des genannten Runderlasses etwas zur Begründung eines Anordnungsanspruchs der Antragstellerin herleiten lässt, kann offen bleiben, ob durch den Erlass des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 4. Dezember 2006 (vgl. dazu: Nds. OVG, Beschl. v. 26. 8. 2008 - 5 ME 122/08 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in [...]) übergangsweise eine weitere Anwendung der Regelungen des Runderlasses auch mit Blick auf Unterrichtsbesuche - und nicht nur Unterrichtsbesichtigungen - angeordnet worden ist.
Die Antragstellerin verkennt, dass sie sich als Beamtin aus begründetem Anlass sehr wohl in ihrer Dienstausübung durch den Schulleiter als Vorgesetzten "kontrollieren" lassen muss und diese Kontrollen keine "Sanktion" darstellen. Ist der Unterricht einer Lehrkraft - wie hier (vgl. Bl. 24 ff. der Gerichtsakte - GA) - mehrfach Gegenstand nicht ohne weiteres unglaubhafter Beschwerden, so darf sich der Schulleiter durch Unterrichtsbesuche, die die Funktion von Stichproben haben, ein eigenes Bild von der Lehrtätigkeit der Betroffenen machen. Solche Unterrichtsbesuche könnten ihre Stichprobenfunktion nicht erfüllen, würde ihr genauer Termin angekündigt und damit der Lehrkraft die Möglichkeit gegeben, etwa nur aus Anlass der Überprüfung eine mustergültige Stunde zu halten. Es gehört daher zu den Dienstpflichten einer Lehrerin, sich durch Beschwerden hinreichend veranlassten, unangekündigten Unterrichtsbesuchen ihres Schulleiters - und den damit notwendigerweise verbundenen, kleineren Störungen ihres Unterrichts - gewachsen zu zeigen. Bei richtiger rechtlicher Einordnung des Vorganges besteht für eine erfahrene Lehrkraft, die sich nichts vorzuwerfen hat, kein Anlass, mit einer Aufregung zu reagieren, die in "Kreislaufprobleme" mündet. Ebenso liegt es auf der Hand, dass eine etwaige Neigung zu Depressionen nicht dazu führen kann, dass gegenüber einer Beamtin die Fach- und Dienstaufsicht nicht mehr wirksam ausgeübt werden darf.
Für ein schikanöses Verhalten ihres Schulleiters hat die Antragstellerin hinreichende Anhaltspunkte nicht glaubhaft gemacht.
Unerheblich ist, ob im Anschluss an einen Unterrichtsbesuch von der Antragstellerin eine schriftliche Ausarbeitung gefordert wurde und dieses Verlangen innenrechtswidrig war. Denn die Frage der Zulässigkeit von Unterrichtsbesuchen ist von derjenigen eines solchen anschließenden Verlangens zu trennen. Dasselbe gilt in Bezug auf den Zeitpunkt und die Ausdehnung eines anberaumten Gesprächs über die besuchten Unterrichtsstunden. Der Umstand, dass der Schulleiter auf die teilweise unsubstantiierte Mitteilung des Ehemanns der Antragstellerin über einen schulinternen Vorgang (Bl. 58 GA) nicht reagierte, rechtfertigt nicht den Schluss, dass er, der Schulleiter, unangekündigte Unterrichtsbesuche nicht nach pflichtgemäßem Ermessen vornehmen wird. Der Schulleiter ist dem Ehemann der Antragstellerin nämlich keine Rechenschaft über sein dienstliches Handeln schuldig.
Eine Gefährdung der Gesundheit der Antragstellerin durch unangekündigte Unterrichtsbesuche ist nicht in der erforderlichen Weise (z. B. durch die Vorlage einer substantiierten ärztlichen Stellungnahme) gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 und 294 ZPO glaubhaft gemacht. Im Übrigen überschätzt die Antragstellerin erkennbar die rechtliche Bedeutung des ihr in § 50 Abs. 1 Satz 1 NSchG eingeräumten pädagogischen Freiraums im Verhältnis zu ihrem durch die §§ 50 Abs. 1 Satz 2 NSchG, 35 Satz 2 und 36 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 BeamtStG bestimmten Pflichtenkreis sowie den Aufsichtsbefugnissen ihres Schulleiters, die sich aus dessen Aufgaben (§§ 43 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 NSchG) und Stellung als Vorgesetzter (§§ 43 Abs. 2 Satz 1 und 3 Abs. 3 NBG) ergeben. Dieser Rechtsirrtum spricht dafür, dass die Antragstellerin gesundheitliche Beeinträchtigungen bereits dadurch vermeiden kann, dass sie künftig davon Abstand nimmt, sich über das nur vermeintliche Unrecht unangekündigter Unterrichtsbesuche zu empören, und etwa zu Unrecht erhobene Beschwerden über ihre Lehrtätigkeit stattdessen durch die beständige Qualität eines gelassen erteilten Unterrichts entkräftet.