Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2018, Az.: 13 LB 45/17

Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; eheliche Lebensgemeinschaft; Ermessen; Kosovo; Nachholung des Ermessens; Passbeschaffung; Passlosigkeit; Passpflicht; rückwirkende Erteilung; Schutz des Privatlebens; Serbien; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.02.2018
Aktenzeichen
13 LB 45/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74435
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 08.02.2016 - AZ: 5 A 78/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Betätigung des nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten Ermessens erfordert eine umfassende und grundsätzlich offene Abwägung zwischen den hinter § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG stehenden öffentlichen Interessen und den privaten Interessen des Ausländers. Das Ermessen ist nicht dahin intendiert, dass im Regelfall vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht abgesehen werden darf.

2. Ergibt sich die Notwendigkeit einer Betätigung des Ermessens nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgrund neuer Umstände erst nach Klageerhebung, kann die Behörde eine Ermessensentscheidung auch erstmals im gerichtlichen Verfahren treffen und zur gerichtlichen Prüfung stellen.

Tenor:

Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichterin der 5. Kammer -vom 8. Februar 2016 ist insoweit, und soweit über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens entschieden worden ist, unwirksam.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichterin der 5. Kammer - vom 8. Februar 2016 zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.

Die Klägerin wurde 1961 im seinerzeit jugoslawischen und heute kosovarischen F. geboren. Sie ist nach eigenen Angaben serbische Staatsangehörige und Angehörige der ethnischen Minderheit der Roma.

Erstmals 1980 reiste sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem ebenfalls serbischen Staatsangehörigen G., in das Bundesgebiet ein. Nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens war ihr Aufenthalt geduldet. Im Bundesgebiet geboren wurden 1980 ihre Tochter H., 1982 ihre Tochter I. und 1983 ihr Sohn J.. 1984 reiste die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Kindern freiwillig nach Jugoslawien aus. Im dortigen F. wurde 1987 eine weitere Tochter der Klägerin, K., geboren.

1988 reiste die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren vier Kindern wieder nach Deutschland ein. Seitdem lebt sie hier. Im Bundesgebiet geboren wurden 1989 und 1990 ihre weiteren Töchter L. und M.. Asylfolgeanträge der Klägerin wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Dezember 1990, vom 15. Juni 1993, vom 27. Oktober 1994, vom 16. März 1998 und vom 23. April 2002 abgelehnt. Auch Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen blieben wiederholt erfolglos. Der Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet ist seitdem geduldet.

Mit Schreiben vom 16. August 2013, bei dem Beklagten eingegangen am 22. August 2013, beantragte die Klägerin bei dem Beklagten erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, hilfsweise nach §§ 25 Abs. 3, 60 Abs. 5 AufenthG, weiter hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK. Zur Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, seit etwa 25 Jahren im Bundesgebiet zu leben und faktische Inländerin zu sein.

Mangels Entscheidung des Beklagten über diesen Antrag hat die Klägerin am 3. März 2014 bei dem Verwaltungsgericht Osnabrück Untätigkeitsklage erhoben.

Während des laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 13. März 2014 abgelehnt. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stehe die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen. Hinsichtlich des Vorliegens zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote im Sinne des § 25 Abs. 3 AufenthG sei er an die bestandskräftigen negativen Feststellungen des Bundesamtes gebunden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG seien nicht erfüllt. Mangels Passes sei der Klägerin zwar die Ausreise tatsächlich unmöglich; dies habe sie mangels hinreichender Bemühungen um einen Pass aber selbst verschuldet. Sie könne jedenfalls einen serbischen Pass erlangen. Ihrem Ehemann und einigen ihrer Kinder sei ein solcher ausgestellt worden. Ihr sei eine Ausreise auch mit Blick auf den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK nicht rechtlich unmöglich. Sie sei nicht erfolgreich in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Ihr Aufenthalt sei stets rechtswidrig gewesen, weit überwiegend habe sie öffentliche Sozialleistungen bezogen.

Die Klägerin hat den Ablehnungsbescheid vom 13. März 2014 mit Schriftsatz vom 3. April 2014 in das verwaltungsgerichtliche Verfahrens einbezogen. Zur Begründung ihrer Klage hat sie geltend gemacht, dass ihr Ehemann krankheitsbedingt dauerhaft reiseunfähig sei und sie deshalb auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 GG beanspruchen könne. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie über keinen gültigen Pass verfüge. Denn ihr sei eine Passbeschaffung unmöglich, jedenfalls aber unzumutbar. Sie habe sich mit dem abgelaufenen jugoslawischen Pass und einer Heiratsurkunde an das Generalkonsulat der Republik Serbien in N. gewandt, um einen Pass zu beantragen. Nach der Auskunft des Generalkonsulats sei ihre Geburtsregistrierung aber nicht auffindbar. Dies könne zum einen darauf zurückzuführen sein, dass ihre Papiere in O. während des Kriegs vernichtet worden seien. Es könne aber auch daran liegen, dass ihre Eltern geringfügig unrichtig registriert gewesen seien. Der Name eines Elternteils habe einen falschen Buchstaben enthalten. Letzteres werde nun als Vorwand benutzt, um ihr die Registrierung zu verweigern. Sie müsse daher die Registrierung ihrer Eltern korrigieren und ihre Geburt nachregistrieren lassen, was nur vor Ort in Serbien möglich sei. Hierzu sei sie aber gesundheitlich nicht in der Lage, und ihr fehlten auch die erforderlichen finanziellen Mittel. Sie habe eine serbische Vertrauensanwältin beauftragt, die auch tätig geworden sei, aber bisher keine Registrierung erreicht habe. Einen kosovarischen Pass könne sie schon deshalb nicht erlangen, weil sie serbische Staatsangehörige sei. Im Übrigen stellten sich die gleichen Probleme wie bei der Beschaffung eines serbischen Passes. Der Beklagte sei daher verpflichtet, vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG abzusehen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 13. März 2014 zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,

hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 13. März 2014 zu verpflichten, über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, dass die Klägerin schon die behaupteten Bemühungen um einen Pass nicht nachgewiesen habe. Eine persönliche Reise nach Serbien sei nicht erforderlich. Sie könne Familienmitglieder oder einen Vertrauensanwalt beauftragen. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin jedenfalls auch kosovarische Staatsangehörige sei, nachdem die kosovarischen Behörden noch 2011 die Rückübernahmebereitschaft erklärt hätten.

Im April 2014 stellte der Beklagte fest, dass der Ehemann der Klägerin wegen einer schweren depressiven Erkrankung mit wahnhafter Symptomatik, Panikstörung und latenter Suizidgefahr voraussichtlich dauerhaft reiseunfähig ist. Nach Vorlage eines am 9. Dezember 2014 ausgestellten und bis zum 9. Dezember 2024 gültigen serbischen Reisepasses erteilte der Beklagte dem Ehemann der Klägerin am 21. Mai 2015 eine bis zum 20. Mai 2018 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

Mit Urteil vom 8. Februar 2016 hat das Verwaltungsgericht Osnabrück - Einzelrichterin der 5. Kammer - die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach der allein in Betracht zu ziehenden Bestimmung des § 25 Abs. 5 AufenthG schon deshalb nicht zu, weil die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht erfüllt sei. Die Klägerin verfüge nicht über einen Pass. Der Beklagte sei auch weder verpflichtet, eine Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG über ein mögliches Absehen von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung zu treffen, noch sei sein Ermessen dahin reduziert, dass er von der Erteilungsvoraussetzung absehen müsse. Denn die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie ihre Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung erfüllt habe oder dass ihr eine Passbeschaffung unmöglich sei. Für Letzteres bestünden auch keine Anhaltspunkte, da der Ehemann der Klägerin und auch ihre volljährigen Kinder serbische Pässe erlangt hätten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die der seinerzeit zuständige 8. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 6. September 2016 - 8 LA 47/16 - wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zugelassen hat.

Die Klägerin macht geltend, der Beklagte sei verpflichtet, von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG im Ermessenswege abzusehen und die begehrte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, jedenfalls müsse er eine Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG treffen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, das nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen sei im Regelfall dahin intendiert, vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht abzusehen, so dass im Regelfall auch eine Ermessensbetätigung nicht erforderlich sei, gehe fehl. Es bedürfe stets einer Betätigung des Ermessens, an der es hier fehle. Das auszuübende Ermessen sei auch dahin reduziert, dass der Beklagte von der Erfüllung der Passpflicht absehen müsse. Ihr sei die Beschaffung eines serbischen Passes unmöglich, da sie über die erforderliche Registrierung nicht verfüge und diese nach dem Ableben ihrer Eltern auch nicht mehr nachholen könne. Entsprechende Nachweise über Vorsprachen beim Generalkonsulat der Republik Serbien in N. und Korrespondenz mit ihrer serbischen Vertrauensanwältin habe sie entgegen der Darstellung in der erstinstanzlichen Entscheidung beigebracht. Ein Bestehen auf der Erfüllung der Passpflicht sei im konkreten Fall bloße Förmelei. Denn ihre Identität und auch ihre Staatsangehörigkeit seien geklärt, so dass es hierzu keines Passes bedürfe. Gleiches gelte mit Blick auf eine etwaige Aufenthaltsbeendigung, da Deutschland mit Serbien ein Rückübernahmeabkommen geschlossen habe, das eine Abschiebung auch ohne Pass ermögliche.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichterin der 5. Kammer - vom 8. Februar 2016 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 13. März 2014 zu verpflichten, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ab Antragstellung bei dem Beklagten, hilfsweise ab einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, weiter hilfsweise den Beklagten zur Neubescheidung zu verpflichten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass es ihr unmöglich oder unzumutbar sei, einen serbischen oder kosovarischen Pass zu beschaffen, oder dass sie sich hierum auch nur ernsthaft bemüht und die ihr insoweit obliegenden Mitwirkungspflichten erfüllt habe.

Während des laufenden Berufungsverfahrens wurde der Klägerin am 13. Dezember 2017 ein kosovarischer Pass ausgestellt, den sie dem Beklagten am 16. Januar 2018 im Original vorlegte. Am 2. Februar 2018 erteilte darauf der Beklagte der Klägerin rückwirkend auf den 16. Januar 2018 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 8. Februar 2018 erstreckte der Beklagte diese rückwirkende Erteilung auch auf den Zeitraum vom 13. Dezember 2017 bis zum 15. Januar 2018. Darauf haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit es auf die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen für einen Zeitraum ab dem 13. Dezember 2017, hilfsweise auf Neubescheidung des Antrages der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab diesem Zeitpunkt gerichtet gewesen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Insoweit, und soweit über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens entschieden worden ist, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog für unwirksam zu erklären.

Im Übrigen ist die zulässige Berufung der Klägerin unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Klägerin kann die Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen oder die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nicht beanspruchen. Der Bescheid des Beklagten vom 13. März 2014 ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

A. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis für einen am 13. Dezember 2017 beginnenden Zeitraum und den hierauf bezogenen übereinstimmenden teilweisen Erledigungserklärungen der Beteiligten noch das Begehren der Klägerin, den Beklagten auch für den Zeitraum von der Antragstellung am 22. August 2013 bis zum 12. Dezember 2017 zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, hilfsweise zur Neubescheidung zu verpflichten.

B. Die Klage ist zulässig. Der Klägerin fehlt insbesondere das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den mit der Antragstellung am 22. August 2013 beginnenden Zeitraum nicht.

Ein Ausländer kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung beanspruchen, wenn er hieran ein schutzwürdiges Interesse hat. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung des Ausländers erheblich sein kann, und gilt unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel für einen späteren Zeitpunkt bereits erteilt worden ist oder nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - BVerwG 1 C 19.09 -, Buchholz 402.242 § 104a AufenthG Nr. 6; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 19.3.2012 - 8 LB 5/11 -, juris Rn. 25 und 28 jeweils m.w.N.). Selbst wenn man hier davon ausgeht, dass die begehrte rückwirkende Erteilung nicht notwendig für eine bereits konkret anstehende weitere aufenthaltsrechtliche Entscheidung von Bedeutung sein muss (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 22.5.2012 - 2 BvR 820/11 -, NVwZ 2012, 1390, 1391), kann ein schutzwürdiges Interesse an der rückwirkenden Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG schon darin gesehen werden, dass diese Aufenthaltserlaubnis Voraufenthaltszeiten im Sinne des § 26 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bzw. des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG vermittelt und damit für die Erlangung einer Niederlassungserlaubnis oder für die Einbürgerung erheblich sein kann.

C. Die Klage ist aber unbegründet. Der Klägerin kann die Verpflichtung des Beklagten zur rückwirkenden Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen für den Zeitraum von der Antragstellung am 22. August 2013 bis zum 12. Dezember 2017 (II.) oder die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung ihres Antrags auf rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (III.) nicht beanspruchen.

I. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 2.12.2014 - BVerwG 1 B 21.14 -, juris Rn. 6; Urt. v. 1.12.2009 - BVerwG 1 C 32.08 -, Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 5; Urt. v. 7.4.2009 - BVerwG 1 C 17.08 -, BVerwGE 133, 329, 332 und 346) ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Frage, ob eine Aufenthaltserlaubnis aus Rechtsgründen erteilt oder versagt werden muss, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen.

II. Der Klägerin steht ein Anspruch auf rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen für den Zeitraum von der Antragstellung am 22. August 2013 bis zum 12. Dezember 2017 nicht zu. Es bestehen insoweit zwar keine Titelerteilungsverbote nach § 10 Abs. 3 AufenthG (1.), und sie erfüllt auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der hier allein in Betracht zu ziehenden Rechtsgrundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG (2.). Es mangelt aber an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (3.).

1. Vom Titelerteilungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind Aufenthaltserlaubnisse nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes, wie hier die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ausdrücklich ausgenommen. Das Titelerteilungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erstreckt sich von vorneherein nicht auf solche Asylanträge, die, wie hier, vor dem 1. Januar 2005 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.2008 - BVerwG 1 C 37.07 -, BVerwGE 132, 382, 384 f.).

2. Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist (Satz 1). Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit achtzehn Monaten ausgesetzt ist (Satz 2). Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist (Satz 3). Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt (Satz 4).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin. Sie ist vollziehbar ausreisepflichtig, ihre Ausreise ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.

a. Sie erfüllt die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG zwar nicht mit Blick auf ihre Passlosigkeit in der Zeit vom 22. August 2013 bis zum 12. Dezember 2017.

Unter "Ausreise" im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 79 f.). Eine freiwillige Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Eine solche rechtliche Unmöglichkeit kann auch auf dem Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder dem Bestehen sonstiger Einreiseverbote in den Herkunftsstaat beruhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - BVerwG 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192, 197).

Die Klägerin verfügte bis zur Ausstellung des kosovarischen Passes am 13. Dezember 2017 über keinen Pass, der ihr die freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet ermöglicht hätte.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen dieses rechtlichen Ausreisehindernisses steht aber nach § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG entgegen, dass die Klägerin nicht alle zumutbaren Anforderungen zur Beseitigung dieses Ausreisehindernisses unternommen und deshalb nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert war.

Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, § 5 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthV verpflichtet, an der Beschaffung eines derartigen Papiers mitzuwirken, rechtzeitig die für die Erteilung notwendigen Anträge zu stellen und alle Urkunden und sonstigen Unterlagen, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können, vorzulegen. Die - gerichtlich vollständig überprüfbare (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.2.1996 - 11 S 2744/95 -, InfAuslR 1996, 304, 305) - Frage, welche konkreten Initiativ- und Mitwirkungshandlungen zur Erlangung eines Passes dem Ausländer zumutbar sind, beurteilt sich unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.6.2006 - BVerwG 1 B 54.06 -, Buchholz 402.242 AufenthG § 25 Nr. 4). Grundsätzlich sind sämtliche Handlungen zumutbar, die zur Beschaffung eines zur Ausreise notwendigen Dokuments erforderlich sind und nur vom Ausländer persönlich vorgenommen werden können (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 9.7.2009 - 4 PA 365/08 -, juris Rn. 3 mit weiteren Nachweisen). Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Dabei ist bei den Anforderungen an den Nachweis zu differenzieren. Je gewichtiger die vom Ausländer plausibel vorgebrachten Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus resultierenden Unzumutbarkeit (vgl. Senatsbeschl. v. 4.4.2011 - 13 ME 205/10 -, NVwZ-RR 2011, 498, 499; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.2.2005 - 11 PA 345/04 -, juris Rn. 14 m.w.N.).

Hieran gemessen hat die Klägerin den Senat nicht davon überzeugt, dass sie im Zeitraum zwischen dem 22. August 2013 und dem 12. Dezember 2017 alles ihr Zumutbare unternommen hat, um einen gültigen Pass zu erlangen.

Die von der Klägerin unternommenen Bemühungen, einen serbischen Pass zu erlangen, haben den Rahmen des Zumutbaren nicht ausgeschöpft.

Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG (Stand: September 2017), Umdruck S. 21) genügen zur Glaubhaftmachung der serbischen Staatsangehörigkeit Kopien von Reisepässen, Personalausweisen und anderen Dokumenten ebenso wie durch Zeitablauf ungültig gewordene Dokumente. Hiernach ist es für den Senat schon nicht nachzuvollziehen, dass die Vorlage des abgelaufenen jugoslawischen Passes der Klägerin bei dem serbischen Generalkonsulat nicht ausreichend gewesen sein soll, um die von ihr behauptete serbische Staatsangehörigkeit nachzuweisen und einen gültigen Pass zu beantragen. Dass die Klägerin selbst von den in der mündlichen Verhandlung geschilderten, Angehörige der Roma diskriminierenden Handlungen von Mitarbeitern des serbischen Generalkonsulats betroffen gewesen ist und solche Handlungen im konkreten Fall eine Passerteilung an die Klägerin verhindert haben, ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Unterstellt man, dass das serbische Generalkonsulat für die Passerteilung von der Klägerin eine Nachregistrierung in Serbien verlangt hat, hat die Klägerin sich um eine solche nicht hinreichend bemüht. Es bestehen schon Zweifel daran, dass es ihr unzumutbar oder gar unmöglich gewesen sein könnte, selbst nach Serbien zu reisen, um eine solche Registrierung zu beantragen. Die Klägerin ist ersichtlich nicht reiseunfähig. Nach den Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist es ihr auch möglich gewesen, finanzielle Mittel zur Passbeschaffung zu generieren, die es ihr durchaus ermöglicht hätten, nach Serbien zu reisen. Selbst wenn es der Klägerin aber unzumutbar gewesen sein sollte, nach Serbien zu reisen, um die erforderliche Registrierung zu beantragen, hätte sie hiermit Dritte, wie etwa Familienangehörige oder einen Rechtsanwalt, beauftragen können. Dies ist offenbar auch der Klägerin bewusst gewesen. Dass sie einen solchen Auftrag nicht nur erteilt, sondern dessen Ausführung auch ernsthaft durchgesetzt hätte, vermag der Senat aber nicht festzustellen. In den Verwaltungsvorgängen ist zwar dokumentiert, dass die Klägerin sich bereits 2009 an einen Rechtsanwalt in Serbien gewandt hat, um eine Eintragung im Staatsangehörigkeitsregister zu erreichen (Blatt 103, 121 ff. (Abschnitt 1. Folgeantrag) der Beiakte 11/2). Die Ausführung des Auftrags war nach dem Schreiben des Rechtsanwalts P. aus Q. aber von der Erteilung einer notariell beglaubigten Vollmacht mit Apostille abhängig (vgl. Blatt 131 (Abschnitt 1. Folgeantrag) der Beiakte 11/2). Dass die Klägerin eine solche Vollmacht erteilt hätte, ist nicht ersichtlich. Ergebnisse oder auch nur der Stand dieser Beauftragung sind auch nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat offengeblieben. Ähnliches gilt für einen der Rechtsanwältin R. aus Q. erteilten Auftrag. Diese Rechtsanwältin soll immerhin schon im April 2013 einen Antrag auf Feststellung der serbischen Staatsbürgerschaft gestellt haben. Sie wies nach Einreichung weiterer Unterlagen und der Korrektur von Fehlern im Antrag im Januar 2015 (Blatt 96 f. (Abschnitt 3. Folgeantrag) der Beiakte 8) sogar darauf hin, dass sie auf eine baldige Bearbeitung des Antrags durch die Behörden hoffe. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung für den Senat aber nicht nachvollziehbar erläutern können, dass sie sich um die weitere Ausführung dieses erteilten Auftrags ernsthaft bemüht hätte oder dass der Auftrag ohne Ergebnis geblieben ist und eine Registrierung im serbischen Staatsangehörigkeitsregister abgelehnt worden oder schlicht nicht erfolgt ist.

Schließlich hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals geschildert, dass ihr im Herbst 2017 eine serbische Geburtsurkunde erteilt worden ist. Sie konnte aber die Umstände nicht erläutern, die letztlich zur Erteilung dieser Geburtsurkunde geführt haben. Auch ist ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen, dass sie unter Vorlage dieser Geburtsurkunde beim serbischen Generalkonsulat (erneut) einen serbischen Pass beantragt hat. Sie hat sich in der mündlichen Verhandlung vielmehr darauf beschränkt anzugeben, dass sie einen serbischen Pass bisher nicht erhalten habe und die Gründe hierfür nicht kenne.

Anhand dieser Umstände des konkreten Einzelfalls hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, auch schon vor dem 22. August 2013 einen serbischen Pass zu erlangen, sie aber nicht rechtzeitig alle hierfür erforderlichen und ihr zumutbaren Initiativ- und Mitwirkungshandlungen vorgenommen hat. Nach dem Dafürhalten des Senats spricht Überwiegendes dafür, dass die Klägerin bei frühzeitiger Beauftragung eines serbischen Vertrauensanwalts die erforderliche Registrierung und die Ausstellung einer serbischen Geburtsurkunde hätte erreichen und mit dieser die Ausstellung eines serbischen Passes bereits vor dem 22. August 2013 hätte bewirken können.

Danach bedarf es hier keiner Entscheidung mehr, ob es der Klägerin zumutbar gewesen ist, im Zeitraum zwischen dem 22. August 2013 und dem 12. Dezember 2017 einen kosovarischen Pass zu erlangen. Der Senat braucht daher auch nicht zu bewerten, ob die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Voraussetzungen zum Nachweis der kosovarischen Staatsangehörigkeit und zur Erlangung eines kosovarischen Passes tatsächlich zutreffen (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG (Stand: September 2016), Umdruck S. 31) und ob es der Klägerin im konkreten Einzelfall zuzumuten war, für die Erfüllung dieser Voraussetzungen Sorge zu tragen.

b. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG auch nicht mit Blick auf den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK. Denn jedenfalls ist ein mit der Beendigung des Aufenthalts verbundener Eingriff in das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben der Klägerin nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens und die davon umfassten persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt, ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, wenn er eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellt, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.2.2011 - 2 BvR 1392/10 -, NVwZ-RR 2011, 420, 421). Dies schließt es nicht aus, zur Herleitung eines Aufenthaltsrechts aus Art. 8 EMRK ein durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiertes Privatleben zu fordern, das nur noch im Bundesgebiet geführt werden kann, und hierbei einerseits auf die Integration des Ausländers in Deutschland, andererseits die Möglichkeit zur Reintegration im Staat der Staatsangehörigkeit abzustellen (vgl. hierzu Niedersächsisches OVG, Urt. v. 19.3.2012, a.a.O., juris Rn. 43 m.w.N.). Die bei dieser Prüfung ermittelten konkreten individuellen Lebensverhältnisse und auch Lebensperspektiven des Ausländers sind schließlich im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung nach den Maßgaben des Art. 8 Abs. 2 EMRK in eine gewichtende Gesamtbewertung einzustellen und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.2.2011, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.3.2012 - 7 A 11417/11 -, juris Rn. 29 und 34 f.; OVG B-Stadt, Urt. v. 28.6.2011 - 1 A 141/11 -, NordÖR 2011, 440, 441).

Diese Abwägung fällt zu Lasten der Klägerin aus.

Das öffentliche Interesse an der Einhaltung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen und an der Vermeidung von Lasten für die öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungssysteme spricht grundsätzlich für eine Beendigung des Aufenthalts der Klägerin. Zur Sicherung ihres Lebensunterhalts war sie nahezu während der gesamten Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet jedenfalls ergänzend auf öffentliche Leistungen angewiesen. Zudem war ihr Aufenthalt - abgesehen von den kurzen Zeiten der Aufenthaltsgestattung zur Durchführung eines Asylverfahrens nach § 55 AsylG - stets unrechtmäßig; sie verfügte zu keiner Zeit über eine Aufenthaltserlaubnis. Nach der Diktion des EGMR kann ein Ausländer, der, ohne den geltenden Gesetzen zu entsprechen, die Behörden des Aufnahmestaats mit seiner Anwesenheit in diesem Staat konfrontiert, im Allgemeinen nicht erwarten, dass ihm konventionsrechtlich ein Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht erwächst (vgl. EGMR 2. Sektion, Urt. v. 31.1.2006 - 50435/99 -, EuGRZ 2006, 562, 564 (da Silva und Hoogkamer ./. Niederlande)).

Dieses öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung wird von dem privaten Interesse der Klägerin am weiteren Verbleib im Bundesgebiet nicht überwogen. Das private Bleibeinteresse ist vielmehr im vorliegenden Fall als gering zu gewichten.

Der Klägerin ist eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse ersichtlich nicht gelungen.

Sie wurde 1961 im seinerzeit jugoslawischen und heute kosovarischen F. geboren. Nach ihren eigenen Angaben verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend zunächst dort und später im seinerzeit jugoslawischen und heute kosovarischen O.. Dort hat sie ihre Sozialisation erfahren und ist mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut. Erstmals mit 19 Jahren reiste sie 1980 gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem serbischen Staatsangehörigen G., in das Bundesgebiet ein. Nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens war ihr Aufenthalt geduldet. 1984 reiste sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und drei ihrer im Bundesgebiet geboren Kinder freiwillig nach Jugoslawien aus und lebte in F.. Dort wurde 1987 ihr viertes Kind geboren. 1988 reiste sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Kindern wieder in das Bundesgebiet ein und lebt seitdem hier. Wiederholte Asylfolgeanträge blieben ebenso erfolglos wie Anträge auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis. Ihr Aufenthalt war nicht rechtmäßig und nur geduldet. Nach Art. 8 EMRK schutzwürdig können aber nur solche Bindungen sein, die während Zeiten einer den Aufenthalt des Ausländers im Aufenthaltsstaat gestattenden behördlichen Entscheidung entstanden sind, die zugleich ein berechtigtes Vertrauen des Ausländers in den Fortbestand seines Aufenthalts begründet hat (vgl. EGMR 4. Sektion, Urt. v. 8.4.2008 - 21878/06 -, zitiert nach Human Rights Documentation - HUDOC - (Nnyanzi ./. Vereinigtes Königreich); EGMR 3. Sektion, Urt. v. 11.4.2006 - 61292/00 -, zitiert nach HUDOC (Useinov ./. Niederlande); EGMR 3. Sektion, Urt. v. 7.10.2004 - 33743/03 -, NVwZ 2005, 1043, 1045 (Dragan u.a. ./. Deutschland); EGMR 1. Sektion, Urt. v. 5.9.2000 - 44328/98 -, zitiert nach HUDOC (Solomon ./. Niederlande); BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - BVerwG 1 C 18.09 -, juris Rn. 14; Urt. v. 30.4.2009 - BVerwG 1 C 3.08 -, InfAuslR 2009, 333, 335; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 29.3.2011 - 8 LB 121/08 -, juris Rn. 52 f.; Hessischer VGH, Urt. v. 7. 7. 2006 - 7 UE 509/06 -, juris Rn. 58; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.1.2006 - 13 S 2220/05 -, ZAR 2006, 142, 144; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 23.2.1999 - 4 L 195/98 -, NordÖR 2000, 124, 126; BMI, Bericht zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes, Juli 2006, S. 80; Fritzsch, Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, in: ZAR 2010, 14, 16 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, AufenthG, § 25 Rn. 184 f. (Stand: November 2015); Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., AufenthG, § 25 Rn. 31). Solche Zeiträume, in denen die Klägerin ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand ihres Aufenthalts im Bundesgebiet entwickeln durfte, sind hier nicht zu verzeichnen.

Nichts Anderes ergibt sich, wenn man den gesamten nun etwa 30 Jahre umfassenden Zeitraum in den Blick nimmt, in dem sich die Klägerin im Bundesgebiet aufgehalten hat. Deutsche Sprachkenntnisse sind zwar vorhanden. Die Klägerin ist bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und mit den hiesigen Lebensverhältnissen, soweit diese ihren eigenen privaten Alltag betreffen, durchaus vertraut. Dass sie sich bisher näher mit der hiesigen Rechts- und Gesellschaftsordnung befasst oder gar auseinandergesetzt hat und sich bewusst und gewollt in diese einfügen will, ist indes nicht ersichtlich. Eine abgeschlossene soziale Integration ist daher nicht auszumachen. Den Beziehungen zu anderen im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen, etwa ihren Kindern und Enkelkindern (siehe 13 LB 43/17), kommt nur ein geringes Gewicht zu, da die Klägerin ersichtlich nicht auf deren Lebenshilfe angewiesen ist (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 25.10.1995 - 2 BvR 901/95 -, NVwZ 1996, 1099; v. 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 -, BVerfGE 80, 81; v. 12.12.1989 - 2 BvR 377/88 -, NJW 1990, 895, 986; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 19.3.2012, a.a.O., Rn. 48; GK-AufenthG, § 60a Rn. 199 f. (Stand: März 2015)). Anhaltspunkte für eine über den Kreis ihrer Familie und Freunde hinausgehende soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse oder gar ein soziales oder bürgerschaftliches Engagement ergeben sich aus ihrem Vorbringen nicht.

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist die Klägerin nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Sie hat weder einen Schulabschluss erlangt noch sich um einen solchen bemüht. Eine Berufsausbildung hat sie nicht aufgenommen. Sie ist während ihres gesamten nun fast 30 Jahre ununterbrochen währenden Aufenthalts im Bundesgebiet nicht erwerbstätig gewesen. Weitgehend war sie mit ihrem Ehemann zur Sicherung des Lebensunterhalts vollständig auf öffentliche Leistungen angewiesen. Lediglich von Juli 2009 bis August 2011 erzielte ihr Ehemann ein Erwerbseinkommen, dass ausreichend gewesen ist, um den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sichern. Aufgrund der Erkrankung des Ehemanns sind beide Eheleute seitdem wieder vollständig auf öffentliche Leistungen angewiesen. Ob die Klägerin aufgrund der Pflege und Betreuung ihres erkrankten Ehemanns zuletzt tatsächlich in der Lage gewesen wäre, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und so ihren Lebensunterhalt selbständig zu sichern, bedarf keiner Entscheidung. Denn für den Schutz nach Art. 8 EMRK ist es unerheblich, ob den Ausländer insoweit ein Verschulden trifft und er deshalb eine nur unzureichende Integration - aus welchen Gründen auch immer - zu vertreten hat (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 14.1.2015 - 8 ME 136/14 -, juris Rn. 14; Beschl. v. 31.10.2012 - 11 ME 275/12 -, juris Rn. 8; v. 24.3.2009 -10 LA 377/08 -, juris Rn. 19).

Die damit maßgeblich verbleibende und hier fraglos lange Dauer des Aufenthalts in Deutschland verleiht dem privaten Bleibeinteresse der Klägerin kein solches Gewicht, dass es das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen könnte (vgl. EGMR, Urt. v. 7.10.2004, a.a.O., S. 1043, das eine Familie betraf, die seit vierzehn Jahren ihren Aufenthalt im Bundesgebiet hatte).

Das private Bleibeinteresse der Klägerin überwiegt das widerstreitende öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung auch nicht deshalb, weil es ihr unmöglich oder auch nur unzumutbar ist, im Land ihrer Staatsangehörigkeit, Serbien, ein Privatleben zu führen (vgl. zur Maßgeblichkeit dieser beiden Aspekte: EGMR, Urt. v. 5.7. 2005 - 46410/99 -, InfAuslR 2005, 450 f. (Üner ./. Niederlande); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 14.6.2011 - 8 ME 325/10 -, juris Rn. 35). Die Klägerin ist sprachkundig und mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut, erwerbsfähig und keiner politischen Verfolgung ausgesetzt. Zudem kann sie auf die Unterstützung zahlreicher Familienangehöriger, die sich derzeit im Bundesgebiet aufhalten, zurückgreifen.

c. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG aber mit Blick auf den Schutz der ehelichen Lebensgemeinschaft nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK.

Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer Beendigung des Aufenthalts dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.6.1997- BVerwG 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 39 f.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.5.2009- 11 ME 110/09 -, juris Rn. 10; jeweils m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.2.2011 - 8 ME 305/10 -, InfAuslR 2011, 151 m.w.N.).

Eine danach schutzwürdige eheliche Lebensgemeinschaft wird zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann, dem serbischen Staatsangehörigen G., tatsächlich im Bundesgebiet gelebt.

Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG gebieten es aber regelmäßig nicht, dem Wunsch eines Ausländers nach familiärem Zusammenleben im Bundesgebiet zu entsprechen, wenn ein solches Zusammenleben auch im Heimatland des Ausländers oder eines Familienangehörigen zumutbar möglich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987, a.a.O., S. 43 f. und 57; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 1.12.2010 - 8 ME 292/10 -, juris Rn. 14; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.4.2007 - 11 S 1035/06 -, juris Rn. 53 jeweils m.w.N.). Ob es dem Ausländer oder Familienangehörigen zuzumuten ist, das Bundesgebiet zu verlassen und die familiäre Lebensgemeinschaft in einem anderen Land zu führen, hängt dabei maßgeblich von dem aufenthaltsrechtlichen Status des Ausländers oder Familienangehörigen im Bundesgebiet ab (vgl. bspw. BVerwG, Urt. v. 30.4.2009 - 1 C 3.08 -, NVwZ 2009, 1239, 1240 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 4.2.2008 - 11 B 4.07 -, juris Rn. 37 (Zumutbarkeit bejaht bei Innehaben einer Niederlassungserlaubnis); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.2.2011, a.a.O., S. 152 (Zumutbarkeit verneint bei Innehaben einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (Schutz des Privatlebens)); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.8.2009 - 17 B 1224/09 -, juris Rn. 9 f. (Zumutbarkeit verneint bei Innehaben einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG i.V.m. Bleiberechtsregelung 2006); VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.2.2009 - 11 S 3244/08 -, juris Rn. 2 und 17 (Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG als gesichertes Aufenthaltsrecht)).

Unter Berücksichtigung des Aufenthaltsstatus des Ehemanns der Klägerin, G., ist es diesem im vorliegenden Einzelfall aber nicht zuzumuten, das Bundesgebiet zu verlassen, um mit der Klägerin eine familiäre Lebensgemeinschaft in Kosovo oder Serbien zu führen. Im April 2014 stellte der Beklagte fest, dass Herr G. wegen einer schweren depressiven Erkrankung mit wahnhafter Symptomatik, Panikstörung und latenter Suizidgefahr voraussichtlich dauerhaft reiseunfähig ist. Nach Vorlage eines am 9. Dezember 2014 ausgestellten und bis zum 9. Dezember 2024 gültigen serbischen Reisepasses erteilte der Beklagte Herrn G. am 21. Mai 2015 eine bis zum 20. Mai 2018 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Damit steht fest, dass es dem Ehemann der Klägerin derzeit rechtlich unmöglich und damit auch unzumutbar ist, aus dem Bundesgebiet auszureisen. Ab dem 21. Mai 2015 ist damit auch der Klägerin eine Ausreise aus dem Bundesgebiet rechtlich unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG.

Im Hinblick auf den Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK verweist der Senat auf die vorstehenden Ausführungen im Zusammenhang mit dem Schutzgebot aus Art. 6 Abs. 1 GG. Art. 8 EMRK kann dort, wo sein Anwendungsbereich sich mit dem des Art. 6 Abs. 1 GG deckt, keine weitergehenden als die durch Art. 6 Abs. 1 GG vermittelten Schutzwirkungen entfalten. Das ist unter anderem für das Verhältnis von Eheleuten untereinander der Fall; deren Beziehung wird vom Schutzbereich beider Vorschriften umfasst (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.12.1997 - BVerwG 1 C 20.97 -, NVwZ 1998, 748, 750).

3. Die Klägerin kann gleichwohl die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab dem 21. Mai 2015 nicht beanspruchen. Sie erfüllte (auch) in der Zeit vom 21. Mai 2015 bis zum 12. Dezember 2017 die Passpflicht und damit die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht. Erst seit dem 13. Dezember 2017 ist sie im Besitz eines kosovarischen Passes.

Ein Ausnahmefall, der bereits auf Tatbestandsseite ein Absehen von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung fordert, oder eine Reduzierung des nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten Ermessens dahin, dass der Beklagte verpflichtet wäre, vom Erfordernis dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abzusehen, ist nicht gegeben.

Der Klägerin wäre es zur Überzeugung des Senats durchaus möglich gewesen, bis zum 21. Mai 2015 einen serbischen Pass zu erlangen. Sie hat nur nicht rechtzeitig alle hierfür erforderlichen und ihr auch zumutbaren Initiativ- und Mitwirkungshandlungen vorgenommen (siehe im Einzelnen oben II.2.). Angesichts dessen besteht auch unter Berücksichtigung, dass die Identität der Klägerin geklärt, die Vorlage eines gültigen Passes insoweit nicht erforderlich und das öffentliche Interesse an der Passbeschaffung jedenfalls im Rahmen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen als eher gering zu gewichten ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.3.2012 - 7 A 11417/11 -, juris Rn. 44; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 28.10.2010 - 8 LA 229/09 -, V.n.b., Umdruck, S. 9), kein Anlass, im konkreten Einzelfall von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG abzusehen.

III. Die Klägerin kann schließlich auch die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nicht beanspruchen. Nach § 114 Satz 1 VwGO relevante Fehler der Ermessensbetätigung des Beklagten liegen weder im Hinblick auf das nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen, vom Erfordernis der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG abzusehen, (1.) noch im Hinblick auf das nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG eröffnete Ermessen, die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bei Vorliegen der allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht zu erteilen, (2.) vor.

1. Das Verwaltungsgericht geht zwar fehl in der Annahme, das nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen sei dahin intendiert, dass im Regelfall nicht vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abgesehen werden dürfe, so dass regelmäßig weder eine Ermessensbetätigung noch eine Ermessensbegründung erforderlich seien. Durch den Wortlaut sowie den Sinn und den Zweck der Bestimmung in § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist das ausländerbehördliche Ermessen ersichtlich nicht vorgeprägt. Eine Betätigung dieses Ermessens ist auch nicht nur in Ausnahmefällen geboten. Durch § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist bei den dort umschriebenen Aufenthaltstiteln das Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG vielmehr in das nicht weiter gebundene Ermessen der Ausländerbehörde gestellt. Entsprechend dem Zweck der Norm, eine zusammenfassende Sonderregelung für die Aufnahme in das Bundesgebiet aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen zu schaffen, ist eine umfassende und grundsätzlich offene Abwägung zwischen den hinter § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG stehenden öffentlichen Interessen und den privaten Interessen des Ausländers zu treffen (so BVerwG, Beschl. v. 3.12.2014

- BVerwG 1 B 19.14 -, juris Rn. 7; Urt. v. 14.5.2013 - BVerwG 1 C 17.12 -, BVerwGE 146, 281, 293; Urt. v. 30.3.2010 - BVerwG 1 C 6.09 -, BVerwGE 136, 211, 220 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.4.2016 - OVG 11 B 17.14 -, juris Rn. 30 f.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 9.3.2016 - 19 CS 14.1902 -, juris Rn. 12; Senatsurt. v. 11.7.2014 - 13 LB 153/13 -, juris Rn. 57).

Eine diesen Anforderungen genügende Ermessensbetätigung durch den Beklagten ist ausweislich seines Bescheides vom 13. März 2014 zunächst nicht erfolgt. Hierin allein liegt aber kein Ermessensfehler, der nach § 114 Satz 1 VwGO zur Aufhebung des Bescheides und Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung führt. Denn bei Erlass des Bescheides vom 13. März 2014 bestand kein Anlass, das Ermessen nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu betätigen, da der Beklagte seinerzeit zutreffend bereits das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG verneint hatte (siehe im Einzelnen oben C.II.2.a. und b.). Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise der Klägerin im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG entstand vielmehr erst während des laufenden erstinstanzlichen Verfahrens, als ihrem Ehemann am 21. Mai 2015 eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt worden war (siehe oben C.II.2.c.). Mit Blick hierauf hat der Beklagte mit seinen Schriftsätzen vom 6. Januar 2015, vom 13. März 2015 und vom 21. Dezember 2016 die erforderlich gewordene Ermessensentscheidung nachgeholt und ausgeführt, dass er sich nicht verpflichtet sehe, vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abzusehen. Denn die Klägerin habe nicht die ihr aufgezeigten und zumutbaren Mitwirkungshandlungen zur Beschaffung eines Passes unternommen. Das gewichtige öffentliche Interesse an der Erfüllung der Passpflicht werde daher nicht vom privaten Interesse der Klägerin an der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis überwogen. Diese nachgeholte Ermessensentscheidung genügt den Anforderungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG noch. Darin, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung die besondere historische Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für Angehörige der Roma als Opfer der im Zweiten Weltkrieg begangenen Völkermorde und deren Nachfahren nicht berücksichtigt hat, liegt kein nach § 114 Satz 1 VwGO relevanter Ermessensfehler. Es ist nicht ersichtlich, dass diese besondere historische Verantwortung den Zweck des nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingeräumten Ermessens prägt oder das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Erfüllung der Passpflicht nach §§ 3, 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG signifikant beeinflusst. Auch unter dem Aspekt einer aufenthaltsrechtlichen Gleichbehandlung mit den jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion ist eine Berücksichtigung bei der Betätigung des Ermessens nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht zwingend geboten (vgl. hierzu Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.5.2016 - 8 LA 40/16 -, juris Rn. 28; Beschl. v. 29.3.2012 - 8 LA 25/12 -, juris Rn. 12 ff.; Beschl. v. 11.1.2012 - 8 ME 142/11 -, V.n.b. Umdruck S. 6 f.).

Der Beklagte war auch berechtigt, das Ermessen nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erstmals im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu betätigen. § 114 Satz 2 VwGO schafft zwar nur die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass eine Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.9.2006 - BverwG 1 C 20.05 -, Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 115 m.w.N.). Der Vorschrift ist aber kein generelles Verbot zu entnehmen, eine Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren zu treffen. Erklärt das materielle Recht, wie hier (siehe oben C.I.), die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz für maßgeblich, kann die Behörde eine Ermessensentscheidung jedenfalls dann erstmals im gerichtlichen Verfahren treffen und zur gerichtlichen Prüfung stellen, wenn sich aufgrund neuer Umstände die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ergibt (so ausdrücklich und mit eingehender Begründung: BVerwG, Urt. v. 13.12.2011 - BVerwG 1 C 14.10 -, BVerwGE 141, 253, 257 ff.). So verhält es sich, wie gezeigt, hier. Die Notwendigkeit, das Ermessen des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu betätigen, entstand erst im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren, nachdem dem Ehemann der Klägerin am 21. Mai 2015 eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt worden und hieran anknüpfend eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise der Klägerin im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG eingetreten war (siehe oben C.II.2.c.).

2. Eine fehlerhafte Betätigung des Ermessens nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG, die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bei Vorliegen der allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht zu erteilen, ist ausgeschlossen. Dieses Ermessen war mangels Vorliegens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG und mangels eines Ausnahmefalls, der bereits auf Tatbestandsseite ein Absehen von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung fordert, sowie mangels einer Reduzierung des nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten Ermessens bereits nicht eröffnet.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO. Es ist auch unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 156 VwGO ermessensgerecht, der Klägerin auch die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens aufzuerlegen. Denn der Beklagte hat die begehrte Aufenthaltserlaubnis für Zeiträume nach Erfüllung der Passpflicht noch unverzüglich erteilt und insoweit keinen Anlass für die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens gegeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.