Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.02.2022, Az.: 7 ME 4/22
Bebauungsplan; Ermessen; Ermessensfehler; Festsetzung; Widmung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.02.2022
- Aktenzeichen
- 7 ME 4/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59514
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 10.01.2022 - AZ: 7 B 5998/21
Rechtsgrundlagen
- § 6 StrG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ergibt sich das rechtliche Bedürfnis nach der Widmung einer Straße aus den Festsetzungen eines Bebauungsplanes, steht die Widmung aber nicht im Einklang mit den Vorgaben des Bebauungsplanes, leidet die Widmungsentscheidung unter einem Ermessensfehler.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer - vom 10. Januar 2022 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Widmung der auf dem Gebiet der Antragsgegnerin gelegenen „Planstraße C“/Straße „An der BEB“ (Gemarkung A-Stadt, Flur D., Flurstück E.) durch die Antragsgegnerin vom 24. Juni 2021 wird wiederhergestellt, soweit landwirtschaftlicher Verkehr von der in der Widmung enthaltenen Gewichtsbeschränkung auf 7,5 t ausgenommen ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine von der Antragsgegnerin ausgesprochene Widmung der „Planstraße C“/Straße „An der BEB“ (Gemarkung A-Stadt, Flur D., Flurstück E.). Diese verläuft in nordwestlich-südöstlicher Richtung entlang (auch) eines schmalen Grünflächengrundstückes, hinter dem sich unter anderem das Wohngrundstück der Antragstellerin befindet, verbindet die Straße „Am Koppelberg“ mit der Straße „Altes Ölfeld“ und steht im Eigentum der Antragsgegnerin. Als „Planstraße C“ ist sie ausgewiesen im Bebauungsplan Nr. 16 („Gewerbegebiet F.“) der Antragsgegnerin aus dem Jahr 2011, mit dem im Wesentlichen nördlich und südlich der Straße „Am Koppelberg“ gelegene Flächen als Gewerbegebiet festgesetzt werden, in dem sich aber auch eine Festsetzung von Verkehrsflächen findet, die neben der „Planstraße C“ Teile der Straße „Am Koppelberg“ sowie „Altes Ölfeld“ umfassen und gemeinsam – grob betrachtet – einen Ring um die südlich der Straße „Am Koppelberg“ gelegenen Gewerbeflächen bilden, über den zugleich die nördlich der Straße „Am Koppelberg“ gelegenen Gewerbeflächen erschlossen werden.
In der Begründung des Bebauungsplanes heißt es unter der Überschrift „Verkehrliche Erschließung“ (S. 8):
„Die vorhandene Straße „Altes Ölfeld“ bindet das Gewerbegebiet an die übergeordnete Erschließung, die B214 an. Über diese und die Planstraße C ist das Gewerbegebiet bereits verkehrlich erschlossen.
Das Verkehrskonzept sieht allerdings vor, die Straße „Am Koppelberg“ künftig durchgängig befahrbar zu machen, um eine Verbindung vom Wohngebiet in die Landschaft zu schaffen. Eine verkehrliche Anbindung für den Lkw-Verkehr soll hier nur ausnahmsweise möglich sein.
Ziel ist es die Möglichkeit zu schaffen, die Durchfahrten auf der Planstraße C und des westlichen Teils der Straße „Am Koppelberg“ für LKW über 7,5 t zu minimieren, damit eine zusätzliche Belastung des Wohngebiets durch LKW-Verkehr ausgeschlossen werden kann. Als Hauptzufahrt für das Gewerbegebiet wird somit die Straße „Altes Ölfeld“, insbesondere für den Lkw-Verkehr, in Betracht kommen. Die vorhandene Wohnbebauung wird durch diese Regelungen hierdurch von weiteren verkehrlichen Belastungen (Lärm und Abgase) geschützt.“
Den Ausführungen folgt in der Begründung die Abbildung 3 (S. 9), die sich im Ausschnitt wie folgt darstellt:
Der Rat der Antragsgegnerin beschloss am 24. Juni 2021 folgende Widmung der „Planstraße C“:
„Lage: Straßenabschnitt: zwischen den Gemeindestraßen Altes Ölfeld und Am Koppelberg; Flur D., Flurstück E., Gemarkung A-Stadt
Straßengruppe: Gemeindestraße
Nutzungsbeschränkungen: Durchfahrtsverbot für KFZ über 7,5 t. Anlieger „Gewerbegebiet F.“ frei und landwirtschaftlicher Verkehr frei.
Gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) soll die sofortige Vollziehung der Widmungsverfügung angeordnet werden. Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung begründet sich aus dem öffentlichen Interesse der verkehrlichen Erschließung des Gewerbegebietes F..“
Die Widmung wurde am 8. Juli 2021 in der Tageszeitung „Die Harke“ unter Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung bekanntgemacht.
Die Antragstellerin hat am 21. Juli 2021 Klage erhoben und am 1. November 2021 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Diesen hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Beschluss und im Wesentlichen der Begründung abgelehnt, entgegen der Einschätzung der Antragstellerin sei die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung ausreichend, auch Ermessensfehler weise die Widmungsentscheidung nicht auf, insbesondere setze diese die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 16 in nicht zu beanstandender Weise um.
Mit ihrer Beschwerde macht die Antragstellerin im Kern weiterhin geltend, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet worden und die Widmung widerspreche den Zielen des Bebauungsplanes Nr. 16 zur Verkehrsführung, weshalb sie unter Ermessensfehlern leide.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 10. Januar 2022 hat teilweise Erfolg. Sie ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Die von der Antragstellerin mit Blick auf die Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO geäußerten Zweifel an der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung teilt der Senat nicht. Die – zugegebenermaßen – sehr knappe Begründung bringt zum Ausdruck, die Antragsgegnerin sehe für den Fall des Eintritts des Suspensiveffektes einer Anfechtungsklage die verkehrliche Erschließung des „Gewerbegebietes F.“ gefährdet. Diese Begründung beschreibt nicht lediglich das in jedem Falle einer Widmung bestehende Vollzugsinteresse, sondern trägt der Einschätzung der Antragsgegnerin Rechnung, im Falle des Eintritts der aufschiebenden Wirkung sei das Gewerbegebiet verkehrlich nicht mehr ordnungsgemäß erreichbar. Eine solche Situation – die dem öffentlichen Verkehr gewidmete Fläche stellt die einzige Verbindung zu einem bestimmten Gebiet dar – besteht im Zusammenhang mit dem Erlass von Widmungsverfügungen zwar häufiger, keineswegs aber in der Regel oder gar stets.
Ob die in der Begründung zum Ausdruck gebrachte Einschätzung inhaltlich zutreffend ist, ist keine Frage des Wahrens der Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO und damit der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung, sondern des Bestehens eines überwiegenden Vollziehungsinteresses, mithin der materiellen Rechtmäßigkeit der Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO; in dem Rahmen greift die Antragstellerin den Aspekt in ihrer Beschwerdebegründung indes nicht erneut auf.
2. Ermessensfehler in der Widmungsentscheidung sieht die Antragstellerin insoweit zu Recht, als landwirtschaftlicher Verkehr die „Planstraße C“ uneingeschränkt befahren darf. Keinen Bedenken begegnet die Entscheidung, LKW-Schwerlastverkehr vom und zum „Gewerbegebiet F.“ zuzulassen.
a. Hinsichtlich des LKW-Schwerlastverkehrs besteht der von der Antragstellerin angenommene „diametrale Gegensatz“ zur Konzeption des Bebauungsplans Nr. 16 nicht. Die Ausführungen in der Begründung des Bebauungsplans machen hinreichend deutlich, dass eine Erschließung des „Gewerbegebietes F.“ zumindest auch durch die „Planstraße C“ gewollt war. Besonders deutlich wird dies aus den in der Abbildung 3 der Begründung des Bebauungsplans in der „Planstraße C“ eingetragenen Pfeilen für Verkehr in beide Fahrtrichtungen. Gleiches gilt für die Formulierung, die Straße „Altes Ölfeld“ werde Hauptzufahrt – mithin zwar die wichtigste, aber doch nur eine von mehreren Zufahrten – für das Gewerbegebiet.
Unglücklich mag in diesem Zusammenhang die Wahl des Begriffes „minimieren“ bezüglich des Ziels für den Durchgangsverkehr von LKW über 7,5 t in der „Planstraße C“ sein. Die Begriffswahl ist jedoch zum einen vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Antragsgegnerin davon ausging, die „Planstraße C“ habe im Zeitpunkt der Planaufstellung bereits der verkehrlichen Erschließung des Gewerbegebietes gedient. Zum anderen verdeutlicht der in der Begründung nachfolgende Halbsatz, dass es der Antragsgegnerin nicht darum geht, den LKW-Verkehr in der „Planstraße C“ (annähernd) auf null zu reduzieren, sondern lediglich dessen Zunahme zu verhindern.
Soweit die Antragstellerin meint, durch die Widmungsverfügung werde die „Planstraße C“ ausdrücklich zur Haupterschließungsstraße „des gesamten Gewerbeparks in A-Stadt“ erhoben, übersieht sie, dass der von ihr zitierte Passus Teil der Widmungsentscheidung bezüglich Teilflächen der Straße „Altes Ölfeld“ ist (vgl. Bl. 10 BA001) und sich daher mit den Erwägungen des Bebauungsplans gerade deckt.
Die Frage, ob eine Verwirklichung der der von der Antragsgegnerin im Bebauungsplan Nr. 16 entwickelten Zielvorstellungen bezüglich der Verkehrsbedeutung der „Planstraße C“ einerseits und des nördlichen Teils der Straße „Altes Ölfeld“ andererseits realistischerweise erwartet werden kann, ist von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung zum einen nicht aufgeworfen, zum anderen wäre sie im Zuge eines Vorgehens gegen den Bebauungsplan zu klären gewesen, der aber – Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich – rechtskräftig ist.
b. Die Antragsgegnerin überschreitet dagegen den Rahmen des ihr offenstehenden Ermessens, indem sie von der in die Widmung aufgenommenen Gewichtsbeschränkung 7,5 t nicht nur Anlieger des „Gewerbegebietes F.“, sondern auch landwirtschaftlichen Verkehr freistellt.
Ergibt sich das rechtliche Bedürfnis nach einer Widmung aus den Festsetzungen eines Bebauungsplanes, muss die Widmung im Einklang mit den Vorgaben des Bebauungsplanes stehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.11.1974 - IV C 38.71 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.09.1994 - 23 A 2673/92 -, juris). Hieran fehlt es mit Blick auf die oben dargestellte, sich aus der Begründung des Bebauungsplans ergebende Zielvorstellung der Antragsgegnerin, die „Planstraße C“ vor einer Zunahme von Schwerlastverkehr zu bewahren, der über die Nutzung durch andere Personenkreise als Anlieger des „Gewerbegebietes F.“ hinausgeht.
Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Begründung formuliert „[…], damit eine zusätzliche Belastung des Wohngebiets durch LKW-Verkehr ausgeschlossen werden kann.“ (S. 8, Hervorhebung d. d. Senat). Denn Ziel der Antragsgegnerin war nicht, lediglich die Zunahme des Verkehrs bestimmter Fahrzeugtypen mit einem Gewicht von mehr als 7,5 t zu verhindern, sondern durch eine Verhinderung der Zunahme von Schwerlastverkehr insgesamt „die vorhandene Wohnbebauung […] hierdurch von weiteren verkehrlichen Belastungen (Lärm und Abgase)“ (S. 8 der Begründung) freizuhalten.
Hinzu kommt, dass ein konkretes Bedürfnis für die Nutzung der „Planstraße C“ durch landwirtschaftlichen Verkehr nicht ersichtlich ist: Im Gebiet der Antragsgegnerin finden sich keine landwirtschaftlichen Flächen, die sich nicht auch über die Straße „Altes Ölfeld“ erreichen ließen.
Anlass zu weiteren Ausführungen gibt die Beschwerdebegründung der Antragstellerin nicht. Eine Entscheidung über den von der Antragstellerin gestellten Antrag auf Erlass eines „Hängebeschlusses“ erübrigt sich mit dem vorliegenden Beschluss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 43.3, 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).