Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.02.2022, Az.: 14 PA 97/22
BAföG; Prozesskostenhilfe
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.02.2022
- Aktenzeichen
- 14 PA 97/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59517
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 22.11.2021 - AZ: 3 A 267/20
Rechtsgrundlagen
- § 15b Abs 3 BAföG
- § 15b Abs 4 BAföG
- § 166 Abs 1 S 1 VwGO
- § 114 Abs 1 S 1 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Zu den Anforderungen an die Bewilligung von PKH.
2. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Studiums nach § 15b Abs. 3, 4 BAföG.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 3. Kammer - vom 22. November 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe an das Verwaltungsgericht Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Klägerin führt zur Aufhebung des die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht Braunschweig gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
1. Die von der Klägerin beabsichtigte, nicht mutwillige Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Anforderungen bei der Prüfung der Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden, weil ansonsten unbemittelten Beteiligten die Rechtsverfolgung unverhältnismäßig erschwert würde. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den das Rechtsstaatsprinzip erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris Rn. 29 m.w.N.). Hinreichende Erfolgsaussichten liegen nicht nur vor, wenn der Prozesserfolg gewiss oder überwiegend wahrscheinlich ist. Ein bei summarischer Prüfung offener Ausgang der Rechtsverfolgung genügt (Olbert, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 41. EL Juli 2021, § 166 Rn. 29 m.w.N.).
An diesem Maßstab gemessen sind hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen. Ob die angefochtene Rückforderung der für April 2020 geleisteten Ausbildungsförderung rechtmäßig ist, ist zumindest offen.
a) Zweifelhaft erscheint zunächst, ob die Klägerin ihr Master-Studium - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - mit ihrem Antrag auf Exmatrikulation, den sie am 10. Februar 2020 wegen „Beendigung des Studiums nach bestandener Prüfung“ gestellt hat, zum 31. März 2020 beendet und in diesem Sinne ihre Ausbildung im Sinne von § 15b Abs. 4, § 7 Abs. 3 Satz 2 BAföG nach eigenem Entschluss (vorzeitig) abgebrochen hat.
Nach § 15b Abs. 4 BAföG endet die Ausbildung dann, wenn der Auszubildende die Ausbildung abbricht. Ein Abbruch der Ausbildung liegt nach der maßgeblichen Legaldefinition des § 7 Abs. 3 Satz 2 BAföG vor, wenn der Auszubildende den Besuch von Ausbildungsstätten einer Ausbildungsstättenart endgültig aufgibt. Damit regelt § 15b Abs. 4 BAföG den Zeitpunkt der erfolglosen Beendigung einer Ausbildung (vgl. Lackner, in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 15b Rn. 15; Nolte, in: Ehmann/Karmanski, Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar SRB, 2. Aufl. 2018, § 15b Rn. 9). Eine solche liegt hier jedoch nicht vor. Die Klägerin hat ihre Ausbildung vielmehr erfolgreich absolviert. In diesem Sinne hatte sie in ihrem Antrag auf Exmatrikulation auch als Grund „Beendigung des Studiums nach bestandener Prüfung“ angegeben und nicht „Endgültiger Abbruch des Studiums“. Sie wollte ihre Ausbildung nicht etwa erfolglos abbrechen, sondern sich nach bestandener Prüfung exmatrikulieren. Dies spricht eher gegen die vom Verwaltungsgericht angenommene Anwendbarkeit der Vorschrift.
b) Jedenfalls offen ist auch die Frage, zu welchen Zeitpunkt die Klägerin ihr Hochschulstudium beendet hat. Gemäß § 15b Abs. 3 Satz 3 BAföG ist ein Hochschulstudium mit Ablauf des Monats beendet, in dem das Gesamtergebnis des erfolgreich abgeschlossenen Ausbildungsabschnitts bekannt gegeben wird. Nicht hinreichend klar ist, was unter dem Begriff des Gesamtergebnisses zu verstehen ist. Für den Ausgang des Verfahrens dürfte es relevant sein, ob bereits die Mitteilung, dass die Abschlussprüfung bestanden worden ist, ausreicht, oder ob auf die Bekanntgabe der konkreten Bewertung abzustellen ist. Bereits der Wortsinn des Begriffs ist nicht eindeutig. Eine ober- oder höchstrichterliche Klärung dieses Begriffs ist bislang - soweit ersichtlich - nicht erfolgt. Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat sich mit Urteil vom 23. Januar 2020 zum Aktenzeichen 3 A 1/19 der letztgenannten Auffassung angeschlossen und die Berufung zugelassen, die noch beim Senat anhängig ist (14 LC 83/22). Folgte man vorliegend dieser Auffassung hätte die Klägerin noch einen Anspruch auf Förderung für April 2020, da ihr erst im Laufe dieses Monats das genaue Prüfungsergebnis bekanntgegeben worden ist. Zu berücksichtigen wären in diesem Rahmen zudem die Auswirkungen ihres Antrags, zum 31. März 2020 wegen bestandener Prüfung exmatrikuliert zu werden. Hier stellt sich die Frage, ob sie sich daran festhalten lassen muss, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt ihr tatsächlich das Gesamtergebnis bekanntgegeben worden ist.
2. Der Senat macht von dem ihm nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch, die erneute Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch dem Verwaltungsgericht zu übertragen, weil sich dieses bisher noch nicht mit dem Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe befasst hat (vgl. BayVGH, Beschl. v. 12.4.2021 - 6 C 21.514 -, juris Rn. 16 und v. 27.6.2008 - 4 C 08.1468 -, juris Rn. 10; BremOVG, Beschl. v. 8.1.2021 - 2 PA 270/20 -, juris Rn. 18; OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 21.1.2010 - 5 M 27.09 -, juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.7.2003 - 7 S 536/03 -, juris Rn. 5). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der wirtschaftlichen Bedürftigkeit ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 41). Die von der Klägerin zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen vorgelegten Unterlagen stammen aus Juni 2020, als die Klägerin noch ergänzend im ALG II-Bezug stand. Dieser dürfte ausweislich des Bescheids des jobcenters Landkreis D. vom 9. Juni 2020 inzwischen beendet sein. Es wird daher eine Aktualisierung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich sein.
3. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil das erfolgreiche Beschwerdeverfahren gerichtskostenfrei ist und die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).