Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.04.2010, Az.: 8 LA 64/10

Voraussetzung der Fristeinhaltung des § 124a Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für einen Prozesskostenhilfeantrag für einen lediglich beabsichtigten Berufungszulassungsantrag; Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts für die Entscheidung über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Berufungszulassungsverfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.04.2010
Aktenzeichen
8 LA 64/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 14997
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0423.8LA64.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 16.12.2009 - AZ: 5 A 1148/08

Fundstellen

  • DVBl 2010, 797
  • DÖV 2010, 664
  • NordÖR 2010, 420

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Prozesskostenhilfeantrag für einen lediglich beabsichtigten Berufungszulassungsantrag muss innerhalb der Frist des§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO beim zuständigen Gericht gestellt werden.

  2. 2.

    Für die Entscheidung über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Berufungszulassungsverfahren ist ausschließlich das Oberverwaltungsgericht zuständig.

Gründe

1

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Berufungszulassungsverfahren bleibt ohne Erfolg, weil die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Ein Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 5. Kammer - vom 16. Dezember 2009 wäre voraussichtlich abzulehnen.

2

Der Berufungszulassungsantrag wäre mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits unzulässig, da er die Frist des§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht wahrt und auch Wiedereinsetzung nicht gewährt werden könnte. Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2009 ist dem Kläger ausweislich des von diesem erteilten Empfangsbekenntnisses am 4. Februar 2010 zugestellt worden. Innerhalb der daher mit Ablauf des 4. März 2010 endenden Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist beim Verwaltungsgericht kein Antrag auf Zulassung der Berufung eingegangen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 4. März 2010 gegenüber dem Verwaltungsgericht lediglich Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Berufungszulassungsverfahren beantragt. Zwar ist derjenige, der innerhalb einer Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag solange als ohne sein Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, so dass regelmäßig eine Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschl. v. 11.11.1992 - XII ZB 118/92 -, NJW 1993, 732, 733; Kummer, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, 2003, Rn. 798). Voraussetzung ist aber, dass der vollständige Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zuständigen Gericht eingereicht wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.1.1999 - 1 B 3.99 - Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 38; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., Rn. 117 m.w.N.).

3

Daran fehlt es hier. Obgleich der Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 2 VwGO beim Verwaltungsgericht zu stellen ist, ist für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO allein das Prozessgericht zuständig. Für das Berufungszulassungsverfahren ist dies das Oberverwaltungsgericht. Maßgeblich für die Fristwahrung ist daher allein der Eingang des Prozesskostenhilfeantrags beim Oberverwaltungsgericht (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.10.2008 - 20 ZB 08.2456 -, [...] Rn. 2; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17.6.2002 - 7 S 2361/01 -, [...] Rn. 4). Innerhalb der Rechtsmittelfrist ist der Prozesskostenhilfeantrag nicht beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Vielmehr ist der Prozesskostenhilfeantrag nach Weiterleitung durch das Verwaltungsgericht hier erst am 31. März 2010 eingegangen. Der Prozesskostenhilfeantrag wahrt daher die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht. Gründe für eine Wiedereinsetzung in diese Frist sind nicht vorgetragen. Eine Wiedereinsetzung allein wegen der durch die Weiterleitung durch das Verwaltungsgericht an das Oberverwaltungsgericht eingetretenen Fristversäumung kommt jedenfalls nicht in Betracht, weil der Prozesskostenhilfeantrag erst am letzten Tag der Frist beim Verwaltungsgericht eingereicht worden ist, so dass auch bei unverzüglicher Übersendung im normalen Geschäftsgang die Frist nicht gewahrt worden wäre.

4

Der Senat räumt allerdings ein, dass die Rechtslage hier atypisch und etwas kompliziert ist. Der Senat lässt die Frage der Rechtzeitigkeit daher dahinstehen. Denn der beabsichtigte Berufungszulassungsantrag wäre auch in der Sache unbegründet. Der nach dem klägerischen Vorbringen allein in Betracht kommende Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt voraussichtlich nicht vor.

5

Der Einwand des Klägers, der Feststellungsbescheid 2008 verstoße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, soweit Verlustvorträge aus Vorjahren bei der Ermittlung des maßgeblichen Einkommens nicht berücksichtigt würden, und damit zugleich gegen den Gleichheitsgrundsatz, da die Beklagte andere Bemessungsprinzipien als staatliche Rentenversicherungsträger anwende, greift nicht durch. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass ein berufsständisches Versorgungswerk auch vor dem Hintergrund des grundgesetzlichen Gleichheitsgebotes sein Satzungsrecht nicht schematisch am staatlichen Sozialversicherungsrecht ausrichten muss (vgl. Senatsbeschl. v. 8.2.2007 - 8 LA 29/07 -; v. 21.8.2002 - 8 LA 912/01 -; v. 20.2.2002 - 8 L 4299/00 -, NdsRpfl. 2002, 272) und die Beklagte nicht verpflichtet ist, Verlustvorträge nach § 10 d Abs. 2 Einkommensteuergesetz beitragsmindernd zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschl. v. 13.3.2001 - 8 L 3761/00 -).

6

Auch der weitergehende Einwand des Klägers, der Feststellungsbescheid 2009 verletze sein Grundrecht der freien Berufsausübung, da ihm durch die Zwangsversicherungspflicht einerseits und die konkrete Beitragshöhe andererseits kein Einkommen verbleibe und er daher faktisch gezwungen werde, seinen Beruf aufzugeben, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 4.4.1989 - 1 BvR 685/88 -, NJW 1990, 1653) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 5.12.2000 - 1 C 11/00 -, NJW 2001, 1590, 1591) ist geklärt, dass die Einführung eines berufsständischen Versorgungswerks für Rechtsanwälte mit Zwangsmitgliedschaft und Mindestbeiträgen grundsätzlich weder gegen Art. 2 Abs. 1 GG noch gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt. Allerdings können sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Grenzen für die Beitragspflicht ergeben. So ist auf schwerwiegende Besonderheiten und unbillige Härten, insbesondere auf die wirtschaftliche Belastbarkeit des Mitglieds, Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.10.1995 - 1 B 103/95 -, [...] Rn. 7; BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 - 1 C 11/89 -, NJW 1991, 1842, 1844). Ob der Kläger durch die im Jahr 2009 von der Beklagten erhobenen Beiträge einer solchen, wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Belastung ausgesetzt war, hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil geprüft und mit nachvollziehbarer Begründung verneint. Diese konkreten Feststellungen hat der Kläger nicht substantiiert angegriffen.

7

Soweit der Kläger darüber hinaus meint, das verwaltungsgerichtliche Urteil erfülle "sämtliche fünf Zulassungsgründe nach § 124 II VwGO", sind diese Zulassungsgründe jedenfalls nicht in einer den Anforderungen des§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.