Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.04.2010, Az.: 11 PA 85/10

Täuschung über die Identität und Staatsangehörigkeit eines staatenlosen Palästinensers hinsichtlich einer Arbeitsgenehmigung; Arbeitsgenehmigung bei mehrfach erfolgloser Aufforderung zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Identitätspapieren; Verhinderung der Abschiebung durch unzureichende Mitwirkung bei der Beschaffung von Identitätspapieren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.04.2010
Aktenzeichen
11 PA 85/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 14985
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0408.11PA85.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 19.02.2010 - AZ: 5 A 306/09

Redaktioneller Leitsatz

Die Nichtvollziehbarkeit der Abschiebung eines geduldeten Ausländers ist von diesem auch dann im Sinne von § 11 S. 1 BeschVerfV zu vertreten, wenn er seiner Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Reisepapieren nicht oder nur unzureichend nachkommt und dadurch seine Abschiebung verhindert.

Gründe

1

Der Kläger macht geltend, (staatenloser) Palästinenser aus dem Gazastreifen zu sein und dort seit seiner Geburt im Jahr 1979 gelebt zu haben. Personalpapiere, d.h. einen Personalausweis sowie eine Heiratsurkunde und Geburtsurkunden, für sich und seine Familienangehörigen (Ehefrau und Kinder) habe er im "Heimatland" besessen, aber dort gelassen und könne sie (daher) nicht vorlegen. Ein im Jahr 2008 vom Kläger und seinen genannten Familienangehörigen durchgeführtes Asylverfahren blieb erfolglos. Dem Kläger wurde nicht geglaubt, dass er aus dem Gazastreifen stamme und dort von der Hamas verfolgt werde. Eine Abschiebung des Klägers ist bislang daran gescheitert, dass er über keine Personalpapiere verfügt und Aufforderungen zur Vorlage von Identitätspapieren erfolglos geblieben sind; der Aufenthalt des Klägers wird deshalb geduldet. Nach einem Vermerk der Ausländerbehörde des Unstrut-Hainich Kreises ergab eine am 2. Dezember 2009 im dortigen Landratsamt durchgeführte Anhörung des Klägers durch einen Mitarbeiter des Deutschen Verbindungsbüros in Ramallah, dass der Kläger nach den von ihm gemachten Angaben "nichts mit Palästina zu tun" habe, sondern mutmaßlich aus Jordanien stamme.

2

Die Beklagte meint, dass der Kläger unzutreffende Angaben über seine Herkunft mache, sich jedenfalls aber nicht hinreichend um Personalpapiere bemühe und deshalb die Nichtdurchführbarkeit seiner Abschiebung zu vertreten habe. Die ihm am 30. November 2009 gemäß §§ 4 Abs. 2 und 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, § 10 BeschVerfV erteilte "Arbeitsgenehmigung" verstoße deshalb gegen§ 11 BeschVerfV und sei somit mit dem hier streitigen Bescheid vom 7. Dezember 2009 gemäß § 48 VwVfG zurückgenommen worden.

3

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 19. Februar 2010 eine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäߧ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der Klage gegen den Bescheid vom 7. Dezember 2009 zu Recht verneint; die dagegen gerichtete Beschwerde ist unbegründet.

4

Wie das Verwaltungsgericht zur Begründung zutreffend ausgeführt hat, verstieß die Erteilung der "Arbeitsgenehmigung" gegen § 11 Satz 1 BeschVerfV, war deshalb rechtswidrig i.S.d. § 48 VwVfG und ist mit dem streitigen Bescheid vom 7. Dezember 2009 ermessensfehlerfrei zurückgenommen worden. Wegen der Einzelheiten verweist der Senat auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Entscheidung.

5

Es kann offen bleiben, ob der Kläger über seine Identität und Staatsangehörigkeit täuscht - wofür Überwiegendes spricht. Eine solche Täuschung ist nach § 11 Satz 1 BeschVerfV für die Rechtswidrigkeit der "Arbeitsgenehmigung" nicht erforderlich. Ausreichend ist danach vielmehr, dass die Abschiebung des Klägers als geduldeter Ausländer "aus von ihm zu vertretenden Gründen" nicht vollzogen werden kann. Diese Voraussetzung ist auch gegeben, wenn der Ausländer seiner Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Reisepapieren nicht oder nur unzureichend nachkommt und dadurch seine Abschiebung verhindert (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 7.11.2008 - 11 ME 379/08 -, sowie v. 24.8.2006 - 7 ME 36/06 -, Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit; OVG Münster, Beschl. v. 18.1.2006 - 18 B 1772/05 -, NVwZ-RR 2007, 60 ff., m.w.N.). Geht man also zu Gunsten des Klägers davon aus, dass er tatsächlich aus dem Gaza-Streifen stammt, so wäre er trotz mehrfacher Aufforderungen der Beklagten jedenfalls seiner gemäß § 48 Abs. 3 AufenthG bestehenden Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Identitätspapieren bislang nicht nachgekommen und hat dadurch seine Abschiebung verhindert sowie den Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Alt. 2 BeschVerfV verwirklicht. Der Kläger hat keine Gründe vorgetragen, warum er auch heute noch nicht im Besitz von Personalpapieren ist; solche Gründe sind auch nicht ersichtlich. Nach eigenen Angaben soll er im Gaza-Streifen im Besitz eines Personalausweises gewesen und muss dementsprechend auch von den israelischen Behörden als dortiger Einwohner registriert (gewesen) sein (vgl. UK Border Agency vom Februar 2009, Operational Guidance Note, Israel, Gaza and the West Bank, Ziffer 2.16; UK Border Agency vom 6.8.2009, Country of Origin Information Report, Occupied Palestinian Territories, Ziffern 25.13 - 25.17, 28.02). Im Gaza-Streifen sollen noch die Eltern und mehrere Geschwister des Klägers leben. Warum es ihm bei den gebotenen Bemühungen bislang weder mit ihrer Hilfe noch mit der Unterstützung der deutschen, palästinensischen oder israelischen Behörden möglich gewesen sein soll, den für eine Rückreise in den Gaza-Streifen grundsätzlich erforderlichen Pass (vgl. neben den bereits benannten Auskünften ergänzend Immigration an Refugee Board of Canada, Responses to Information Requests v. 8.7.2009 - ZZZ103109.E - Palestinian Authority passports issued to stateless Palestinians sowie aus frührer Zeit: SFH v. 3.3.2005, Palästina: Rückkehr, Reisepässe, Einreisebewilligung) bzw. ein Passersatzpapier zu erlangen, ist nicht ersichtlich und wird von dem insoweit mitwirkungspflichtigen Kläger auch nicht dargelegt. Bei dieser Sachlage bedarf es der vom Kläger für notwendig erachteten Beweiserhebung zu seinem letzten Arbeitgeber im Gaza-Streifen ebenso wenig wie einer Anhörung des im Asylverfahren tätig gewordenen (Sprach-)Gutachters. Zur Klarstellung ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Klägers zu seiner Herkunft im Asylverfahren nicht - wie von ihm vorgetragen - tragend auf seinen Sprachgebrauch, sondern vielmehr darauf gestützt worden ist, dass er andernfalls über die Verhältnisse im Gaza-Streifen sehr viel besser hätte Auskunft geben (vgl. S. 9 des Gutachtens vom 30.9.2008, S. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.10.2008) bzw. Personalpapiere hätte vorlegen können (vgl. S. 4 des Urteils des VG Osnabrück vom 12.1.2009 - 5 A 294/08 -).