Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.04.2010, Az.: 20 OD 13/09

Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages unter gleichzeitiger Entfernung des Beamten aus dem Dienst durch ein Disziplinarurteil als zu einer zeitlichen Befristung des Unterhaltsbeitrags führend; Begrenzung eines zeitlich unbefristeten Unterhaltsbeitragsanspruches auf fünf Jahre aufgrund einer Entfernung aus dem Dienst wegen eines Dienstvergehens

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.04.2010
Aktenzeichen
20 OD 13/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 15000
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0430.20OD13.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 04.09.2009 - AZ: S 18 A 2594/09

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2010, 649

Amtlicher Leitsatz

Sieht das Disziplinarurteil, mit dem ein Beamter wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt worden ist, eine zeitliche Befristung für den gleichzeitig nach §§ 76 Abs. 1 Satz 1, 110 Abs. 1 Satz 1 NDO bewilligten Unterhaltsbeitrag nicht vor, steht dem Beamten der Unterhaltsbeitrag für längstens fünf Jahre zu (Anschluss an BVerwG, 16.6.2008 - 1 DB 2/08 -, Buchholz 235 § 110 BDO Nr.12).

Gründe

1

I.

Der im Jahre 19 geborene Antragsgegner wurde durch Urteil der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Hannover - 18. Kammer - vom 15. Oktober 2007 (- 18 A 8583/06) eines Dienstvergehens für schuldig befunden und deswegen aus dem Dienst entfernt. Gleichzeitig bewilligte die Disziplinarkammer ihm einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 70 v. H. des im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils erdienten Ruhegehalts. Seine hiergegen eingelegte Berufung nahm der Antragsgegner zurück, sodass das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Mai 2009 (- 20 LD 1/08 -) das Berufungsverfahren einstellte.

2

Mit Schreiben vom 26. Juni 2009 beantragte der Rechtsvorgänger der Oberfinanzdirektion Niedersachsen - Landesweite Bezüge- und Versorgungsstelle -, das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung, beim Verwaltungsgericht eine Entscheidung über die Dauer des zu gewährenden Unterhaltsbeitrags entsprechend der disziplinarrechtlichen Vorgaben. Nach Aufforderung durch das Verwaltungsgericht erklärte die Antragstellerin, das Verfahren weiter zu führen.

3

Mit dem im Tenor genannten Beschluss begrenzte die Disziplinarkammer ihre Unterhaltsbewilligung auf sechs Monate ab dem 1. des auf den Eintritt der Rechtskraft ihres Urteils vom 15. Oktober 2007 folgenden Monats.

4

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, der beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Antrag abzulehnen,

5

hilfsweise

den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und ihm einen Unterhaltsbeitrag für die Dauer von insgesamt fünf Jahren zu gewähren.

6

Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluss und beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

7

Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge (Beiakten A - E) und die Gerichtsakte des Verfahrens 18 A 8583/06 (Beiakte F) verwiesen.

8

II.

Rechtsfehlerfrei ist die Disziplinarkammer davon ausgegangen, dass auf das vorliegende Verfahren nach der Übergangsvorschrift des Art. 11 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Neuordnung des niedersächsischen Disziplinarrechts vom 13. Oktober 2005 (Nds. GVBl. S. 296) die Niedersächsische Disziplinarordnung anzuwenden ist. Denn in dem vorherigen förmlichen Disziplinarverfahren war der Antragsgegner zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes am 1. Januar 2006 bereits nach § 58 NDO geladen gewesen - insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2007 Bezug genommen - und sind die weiteren Entscheidungen über den im Urteil bewilligten Unterhaltsbeitrag als Fortführung im Sinne der genannten Übergangsvorschrift zu verstehen (ebenso zur vergleichbaren Rechtslage im Bundesrecht BVerwG, Beschl. v. 16.6.2008 - BVerwG 1 DB 2.08 -, Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 12 = ZBR 2009, 56 = IÖD 2008, 258, zitiert nach [...] Langtext, Rn. 9).

9

Die Beschwerde ist nach § 110 Abs. 2 Satz 2 NDO i.V.m. § 78 NDO statthaft, da die Disziplinarkammer ihren Beschluss auf § 110 Abs. 2 Satz 1 NDO gestützt hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen nicht.

10

Sie ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss ist zu ändern und der Antrag der Antragstellerin auf zeitliche Begrenzung des bewilligten Unterhaltsbeitrags ist abzulehnen, weil ein solcher, auf § 110 Abs. 2 Satz 1 NDO gestützter Antrag der Antragstellerin im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unstatthaft ist.

11

§ 110 Abs. 2 Satz 1 NDO bestimmt, dass die weiteren Entscheidungen über den Unterhaltsbeitrag die Disziplinarkammer auf Antrag durch Beschluss trifft. Um welche "weiteren Entscheidungen" es sich hierbei handelt, lässt sich nicht aus dieser Vorschrift, sondern nur im Rückgriff auf § 110 Abs. 1 NDO herleiten. Nach dessen Satz 1 entscheidet das Disziplinargericht (nunmehr das Verwaltungsgericht, vgl. Art. 11 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes zur Neuordnung des niedersächsischen Disziplinarrechts) über die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags im Urteil, wenn eine abschließende Entscheidung möglich ist. Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 NDO stellt es anderenfalls im Urteil fest, ob der Verurteilte der Unterstützung nicht unwürdig erscheint. § 110 Abs. 1 Satz 3 NDO bestimmt ergänzend, dass die Gründe für die Bewilligung oder die Feststellung im Urteil anzugeben sind. Hiernach hat das Disziplinar- bzw. nunmehr das Verwaltungsgericht entweder im Urteil den Unterhaltsbeitrag zu bewilligen oder lediglich darüber zu entscheiden, ob der Verurteilte nicht unwürdig ist. Da eine Bewilligungsentscheidung voraussetzt, dass eine abschließende Entscheidung möglich ist, während eine Entscheidung über die fehlende Unwürdigkeit des Verurteilten Feststelllungen zur Bedürftigkeit, Höhe und Dauer der Gewährung des Unterhaltsbeitrags offen lässt, ist nach der Gesetzessystematik nur Raum für weitere Entscheidungen der Disziplinarkammer im Sinne von § 110 Abs. 2 Satz 1 NDO, wenn im Urteil lediglich entschieden worden ist, dass der Verurteilte nicht unwürdig ist.

12

Im vorliegenden Fall hat die Disziplinarkammer nicht lediglich über die fehlende Unwürdigkeit des Antragsgegners im Urteil vom 15. Oktober 2007 befunden, sondern darüber hinausgehend in den Gründen ausdrücklich die Höhe des Unterhaltsbeitrags festgelegt und dementsprechend im Tenor den Unterhaltsbeitrag bewilligt. Dieser Bewilligungsausspruch im Tenor des Urteils hindert die Disziplinarkammer, weitere Entscheidungen über den Unterhaltsbeitrag nach § 110 Abs. 2 Satz 1 NDO zu treffen. Solchen Entscheidungen steht nämlich die zwischenzeitlich eingetretene materielle Rechtskraft des Urteils entgegen. Diese beschränkt sich nicht nur auf die Feststellung des Dienstvergehens und auf die Disziplinarmaßnahme, sondern auch auf die Bewilligung des Unterhaltsbeitrags, die damit von der Bindungswirkung des Urteils umfasst ist. Für die Bindungswirkung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die tenorierte Unterhaltsbeitragsbewilligung mit dem anzuwendenden Recht in Einklang steht, insbesondere ob das Verwaltungsgericht tatsächlich - wie es § 110 Abs. 1 Satz 1 NDO an sich fordert - eine abschließende Entscheidung für möglich gehalten hat oder nicht. Ebenso wenig entfällt die Bindungswirkung der Beteiligten an die Unterhaltsbeitragsbewilligung, weil entgegen § 76 Abs. 1 Satz 1 NDO der Unterhaltsbeitrag nicht "auf bestimmte Zeit" bewilligt worden ist. Vielmehr hätte die Antragstellerin das Unterlassen einer ausdrücklichen zeitlichen Befristung im Rahmen einer auf die Bewilligung des Unterhaltsbeitrags beschränkten Berufung rügen müssen (vgl. zur Zulässigkeit der Berufungsbeschränkung Bieler/Lukat, NDO, § 81 Rn. 7 m.w.N. sowie nach der WDO BVerwG, Urt. v. 17.11.2009 - 2 WD 18/08 -, zitiert nach [...] Langtext, Rn. 6). Von dieser Möglichkeit hat sie indes keinen Gebrauch gemacht.

13

Aus den genannten Gründen erachtet der Senat auch eine Entscheidung nach § 110 Abs. 2 Satz 1 NDO nicht deshalb für statthaft, weil der damaligen Disziplinarkammer nach den Ausführungen im angefochtenen Beschluss eine Entscheidung über die zeitliche Dauer der Unterhaltsbeitragsgewährung wegen des unsicheren Ausbaus der Nebentätigkeit des Antragsgegners nicht möglich erschien. Wenn dieses der Fall gewesen sein sollte, hätte das Verwaltungsgericht nach § 110 Abs. 1 Satz 1 NDO nicht eine Bewilligung des Unterhaltsbeitrags im Urteilstenor aussprechen dürfen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich für eine Unmöglichkeit der Entscheidung über die Dauer der Gewährung des Unterhaltsbeitrags mit Blick auf die von dem Antragsgegner ausgeübte Nebentätigkeit keine hinreichenden Anhaltspunkte aus dem Urteil ergeben. Dort ist die Nebentätigkeit einzig und allein im Zusammenhang mit der Begründung der Disziplinarkammer dafür erwähnt, dass dem Antragsgegner ein Unterhaltsbeitrag nur in Höhe von 70 v. H. und nicht von 75 v. H. des erdienten Ruhegehalts zuerkannt wird. Schließlich ist nicht zu erkennen, weshalb die Nebentätigkeit eine Entscheidung unmöglich gemacht hat, dem Antragsgegner zunächst einmal - wie üblich - nur für sechs Monate einen Unterhaltsbeitrag zuzuerkennen.

14

Im Ergebnis erachtet der Senat die Entscheidungsmöglichkeit der Disziplinarkammer nach § 110 Abs. 2 Satz 1 NDO für nicht geeignet, die Rechtskraft einer im Urteil ausgesprochenen Unterhaltsbeitragsbewilligung zu durchbrechen. Kein anderes Ergebnis folgt aus der Vorschrift des § 110 Abs. 4 NDO, nach der auf Antrag der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Behörde ein Unterhaltsbeitrag in den dort genannten Fällen herabgesetzt oder entzogen (Satz 1) oder versagt (Satz 2) werden kann. Denn diese Antragsverfahren setzen eine rechtskräftige Entscheidung über die Bewilligung des Unterhaltsbeitrags voraus und führen auch nicht zur Wiederaufnahme des ursprünglichen Bewilligungsverfahrens, sondern ähneln der Abänderungsklage nach § 323 ZPO, weil sie nachträglich eine Änderung der Bewilligung des Unterhaltsbeitrags ermöglichen (vgl. dazu Weiss, in: Franke/Weiss <Hrsg.>, GKÖD, Teil 3: Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 110 BDO, Rn. 2).

15

Auch wenn nach den vorstehenden Ausführungen der Antrag nach § 110 Abs. 2 Satz 1 NDO nicht statthaft ist und die Beschwerde damit Erfolg hat, sieht sich der Senat noch zu folgenden Ausführungen zur Dauer des bewilligten Unterhaltsbeitrags veranlasst:

16

Die Disziplinarkammer hat zwar in ihrem Urteil eine zeitliche Befristung nicht in die Bewilligung des Unterhaltsbeitrags aufgenommen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Antragsgegner nunmehr Anspruch auf den titulierten Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit hat. Die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags kommt nämlich nach § 76 Abs. 1 Satz 1 NDO immer nur "auf bestimmte Zeit" in Betracht. Fehlt es - wie hier - an einer ausdrücklichen zeitlichen Befristung, kann dem Beamten der Unterhaltsbeitrag daher längstens für die in Betracht kommende Höchstdauer zustehen. Diese hat das Bundesverwaltungsgericht unter Berücksichtigung des Zweckes des Unterhaltsbeitrags als vorübergehende Leistung der nachwirkenden Fürsorgepflicht zur Erleichterung der beruflichen Neuorientierung auf insgesamt fünf Jahre festgelegt (siehe BVerwG, Beschl. v. 16.6.2008 - BVerwG 1 DB 2.08 -, Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 12 = ZBR 2009, 56 = IÖD 2008, 258, zitiert nach [...] Langtext, Rn. 16 ff.). Dieser Auffassung schließt sich der beschließende Senat für den nach § 76 NDO zu gewährenden Unterhaltsbeitrag an mit der Folge, dass diese maximale zeitliche Befristung der Unterhaltsbeitragsbewilligung immanent ist. Mithin wird der Antragsgegner für die Dauer von maximal fünf Jahren, beginnend nach § 76 Abs. 4 NDO in dem Zeitpunkt, in dem die Zahlung seiner Dienstbezüge eingestellt wird, die Gewährung des zugesprochenen Unterhaltsbeitrags verlangen können. Eine vorzeitige Abänderung kann die Antragstellerin nur nach Maßgabe von § 110 Abs. 4 NDO erreichen.