Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.04.2010, Az.: 11 LA 236/09

Verfolgungsgefahr i.S.v. § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bei Rückkehr eines von den Maoisten zwangsrekrurierten nepalesischen Staatsangehörigen; Erhebliche Gefahr für Leib oder Leben infolge von Schmerzen wegen Nierensteinen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.04.2010
Aktenzeichen
11 LA 236/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 12925
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0401.11LA236.09.0A

Fundstelle

  • AUAS 2010, 189-190

Amtlicher Leitsatz

Für einen trotz Minderjährigkeit von den Maoisten zwangsrekrurierten nepalesischen Staatsangehörigen, der sein Heimatland spätestens 2007 verlassen hat, besteht bei einer Rückkehr keine Verfolgungsgefahr i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat die u.a. auf die Anerkennung als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) und auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nepals gerichtete Klage abgewiesen.

3

Es hat zur Begründung bezogen auf die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgeführt, dass bereits erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens bestünden, er sei - als Minderjähriger - in Nepal von den sog. Maobandis (Maoisten) zwangsrekrutiert und später auch zur Teilnahme an militärischen Aktionen gezwungen worden, bevor ihm die Flucht nach Indien gelungen sei. Jedenfalls werde der Kläger angesichts der geänderten politischen Lage heute bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit hinreichender Sicherheit keiner Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt sein. Der Kläger sei nach seinen Angaben ein bloßer Mitläufer gewesen und habe keine Menschen getötet. Nach dem Ende des Bürgerkrieges kümmere sich niemand mehr um solche Mitläufer.

4

Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs.7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nepals könne ebenfalls nicht festgestellt werden. Nierensteine könnten zwar große Schmerzen bereiten, stellten regelmäßig aber keine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben dar. Außerdem solle der beim Kläger festgestellte Nierenstein am 24. März 2009 behandelt werden; danach seien nach der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung nur weitere Kontrollen erforderlich.

5

Der vom Kläger hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung aufgeworfenen Frage, "ob im gegenwärtigen Zeitpunkt und in Anbetracht der aktuellen Lage in Nepal für ehemals zwangsrekrutierte Kindersoldaten eine erneute asylerhebliche Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann", kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu.

6

Dies gilt schon deshalb, weil die Frage von Voraussetzungen ausgeht, die das Verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat. Angesichts der wechselnden, ggf. ergänzend auch auf Problemen durch die Verwendung unterschiedlicher Kalendersysteme beruhenden Angaben, stehen weder das genaue Geburtsjahr des Klägers noch der Zeitpunkt, in dem er zwangsrekrutiert worden sein soll, fest. Es ist also schon zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt vor Vollendung des 18. Lebensjahres ein sog. Kindersoldat gewesen ist. Darüber hinaus setzt die Fragestellung voraus, dass eine asylerhebliche Vorverfolgung stattgefunden hat. Insoweit ist im Zulassungsverfahren aber allenfalls noch eine für die Anerkennung als Flüchtling i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG erhebliche Vorverfolgung relevant. Eine solche hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt und ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Zwar hat es jedenfalls bis zum Abschluss des Friedensabkommens im Jahr 2006, nach manchen Quellen vereinzelt auch danach noch Zwangsrekrutierungen von Minderjährigen durch die Maoisten gegeben (vgl. den umfassenden Bericht von Human Rights Watch, "Children in the Ranks, The Maoists Use of Child Soldiers in Nepal, Februar 2007, sowie Child Soldiers Global Reports 2008, Nepal). Eine i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Verfolgung liegt darin jedoch nur, wenn die Zwangsrekrutierung an unabänderliche Merkmale i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, Art. 10 Richtlinie 2004/83/ EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) angeknüpft hätte. Das lässt sich den vorliegenden Erkenntnismitteln jedoch nicht entnehmen und wird auch vom Kläger nicht vorgetragen. Im Übrigen ist unklar, welche erneute Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sein soll. Der angeführte Wahrscheinlichkeitsmaßstab spricht dafür, dass sich die Frage auf die Gefahr der Wiederholung einer gleichartigen "Verfolgung" bezieht. Eine solche ist aber schon aus Altersgründen ausgeschlossen. Denn jedenfalls heute ist der Kläger älter als 18 Jahre und kann daher nicht mehr als sog. Kindersoldat zwangsrekrutiert werden. Unabhängig von seinem Alter und der Tatsache, dass in einer "wahllosen" Zwangsrekrutierung" - wie dargelegt - ohnehin keine i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG erhebliche Verfolgung zu sehen ist, ist eine solche erneute Zwangsrekrutierung des Klägers durch die Maoisten bei einer Rückkehr nach Nepal schließlich heute ohnehin auszuschließen. Bereits im Friedensabkommen aus dem Jahr 2006 ist ein Abbau der maoistischen "Streitkräfte", ein Verbot der Rekrutierung von Personen unter 18 Jahren und eine Rückführung der - nach Angaben der Vereinten Nationen insgesamt 2.973 (vgl. nur US-Departement of State, Human Rights Report: Nepal, März 2010, 1g "Child Soldiers") - Personen, die im Mai 2006 jünger als 18 Jahre und dennoch Teil der maoistischen "Streitkräfte" waren, in das zivile Leben vorgesehen. Die tatsächliche Umsetzung hat sich trotz wiederholter Ankündigungen verzögert (vgl. neben den zuvor genannten Berichten etwa irinnews v. 27.5.2008 "Nepal: Reintegration of child soldiers taking too long"; afp vom 26.8.2009 "Maoists obstruct child soldiers discharge; Amnesty international, Jahresbericht 2009 zu "Kindersoldaten"; Human Rights Watch, Jahresbericht 2010 unter "Integration of Maoist Combatans"), soll nunmehr, d.h. mit Ende März 2010, aber abgeschlossen sein. Bereits bis Ende Februar 2010 waren jedenfalls 2.394 von insgesamt 4.008 Personen, die nach den Feststellungen der Vereinten Nationen u.a. wegen Minderjährigkeit zu Unrecht Teil der maoistischen "Streitkräfte" waren, förmlich aus allen der insoweit bestehenden sieben Lagern entlassen worden (vgl. BBC- News v. 7.1.2010 "Nepal former child soldiers freed"; OCHA Nepal Monthly Situation Updates vom Januar und Februar 2010 jeweils unter II "Political Developments"). Ihnen stehen jeweils spezielle Rehabilitationsmittel zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund ist auszuschließen, dass der volljährige Kläger, der sein Heimatland spätestens 2007 verlassen hat, erneut mit einer Zwangsrekrutierung durch Maoisten rechnen müsste. Diese Einschätzung wird dadurch unterstrichen, dass der UNHCR bereits im Juli 2007 in seiner englischsprachigen Stellungnahme u.a. auf die Lage von Zwangsrekrutierten eingegangen ist und daraus (unter D b) den Schluss gezogen hat, dass die Furcht u.a. vor Zwangsrekrutierungen in der großen Mehrzahl der Fälle heute unbegründet sei.

7

Erst recht ist für den Senat bei dieser Sachlage nicht zu erkennen und vom Kläger auch selbst nicht geltend gemacht worden, dass er bei einer Rückkehr von Seiten der offiziellen Sicherheitskräfte oder der Regierung mit einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung wegen seiner früheren (zwangsweisen) Tätigkeiten bei den "Streitkräften" der Maoisten rechnen müsste (vgl. insoweit VG Aachen, Urt. v. 28.9.2009 - 5 K 951/08 -, m.w.N. aus der Rechtsprechung, sowie Senatsbeschl. v. 2.7.2007 - 11 LA 241/07 -).

8

Ebenso wenig greift die Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, § 138 Nr. 3 VwGO ) des Klägers durch. Er trägt dazu vor, das Verwaltungsgericht habe das von ihm nachträglich vorgelegte ärztliche Attest vom 19. Februar 2009 nur teilweise zur Kenntnis genommen und (deshalb) seiner Entscheidung nicht ausreichend zu Grunde gelegt. Das trifft aber nicht zu.

9

Dem Kläger kann insoweit schon deshalb nicht gefolgt werden, weil er seinem Vorbringen ein Verständnis des Attestes beilegt, das nicht zwingend, sondern eher fernliegend ist. Er meint, dem Attest entnehmen zu können, dass er unabhängig von der Behandlung seines Nierensteins auf die Einnahme des Medikaments "Novaminsulfon" angewiesen, das Verwaltungsgericht hierauf jedoch nicht eingegangen sei. Bei "Novaminsulfon" handelt es sich um ein unspezifisches (starkes) Schmerzmittel (vgl. nur die Ausführungen zu diesem Stichwort bei "netdoktor.de"). Wenn in dem Attest angeführt wird, dass der Kläger dieses Medikament (wegen eines Nierensteinleidens) "laufend" erhalte, ein (verbliebener) Stein am 24. März 2009 behandelt werden solle und "danach weitere Kontrollen" erforderlich seien, so spricht dies für die sinngemäße Annahme des Verwaltungsgerichts, ein weiterer medikamentöser Behandlungsbedarf mit einem starken Schmerzmittel wäre über den März 2009 hinaus nicht erforderlich. Andernfalls wäre es im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 AufenthG, § 15 AsylVfG, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO) Aufgabe des Klägers gewesen, insoweit eindeutige Angaben zu machen. Das Verwaltungsgericht hatte ihm dazu die Möglichkeit eingeräumt, auch nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung noch aussagekräftige ärztliche Unterlagen nachzureichen.

10

Im Übrigen ergibt sich aus der Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts, dass es für seine Entscheidung ohnehin nicht darauf ankam, ob der Kläger nun laufend ein Schmerzmittel benötigt oder nicht, also auch deshalb kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör gegeben ist (vgl. GK-AsylVfG, § 78, Rn. 272, m.w.N.). Denn in dem Erleiden von Schmerzen (wegen Nierensteinen) hat das Verwaltungsgericht "regelmäßig keine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben" i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gesehen.