Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.07.2012, Az.: 5 ME 98/12
Vorläufige Untersagung der Beförderung zum Justizhauptsekretär (Besoldungsgruppe A 8)
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.07.2012
- Aktenzeichen
- 5 ME 98/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 19679
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0704.5ME98.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 VwGO
- § 123 Abs. 3 VwGO
- § 294 ZPO
- § 920 Abs. 2 ZPO
- Art. 33 Abs. 2 GG
- § 9 BeamtStG
Fundstellen
- FStNds 2013, 292-293
- ZBR 2012, 412-413
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Auswahlentscheidungen unterliegen als Akt wertender Erkenntnis lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien verstoßen hat.
- 2.
Erweist sich anhand dieses Maßstabes die Auswahlentscheidung als fehlerhaft und lässt sich nicht ausschließen, dass der jeweilige Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung ausgewählt werden wird, hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg.
- 3.
Der Grundsatz der Bestenauslese gebietet, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Diese sind regelmäßig den aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu entnehmen. Erweist sich dabei eine dienstliche Beurteilung als rechtsfehlerhaft, hat dies regelmäßig auch die Rechtswidrigkeit der auf ihr beruhenden Auswahlentscheidung zur Folge.
- 4.
Ausgangspunkt der dienstlichen Beurteilung ist das Amt im statusrechtlichen Sinne, das der zu Beurteilende im Beurteilungszeitraum inne hatte. Bei der Beurteilung der Art und Weise, wie die sich aus dem Statusamt ergebenden Anforderungen erfüllt werden, ist aber auch der Schwierigkeitsgrad zu berücksichtigen, der sich aus den mit dem übertragenen Amt im konkret funktionellen Sinne, dem Dienstposten, verbundenen Aufgaben ergibt. Deshalb ist insbesondere zu beachten, ob der beurteilte Beamte einen Dienstposten, der seinem Statusamt der Bewertung nach entspricht, oder einen höherwertigen Dienstposten wahrgenommen hat.
- 5.
Eine dienstliche Beurteilung darf sich nicht auf innere Tatbestände oder nicht dokumentierte "Absprachen mit den übrigen Beurteilern" stützen, sondern muss aus sich heraus intersubjektiv überprüfbar und diskutierbar sein.
Gründe
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. April 2012, mit dem dieses ihm im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt hat, die Beigeladenen zur Justizhauptsekretärin bzw. zum Justizhauptsekretär (Besoldungsgruppe A 8) zu befördern.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, aber unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO glaubhaft gemacht hat. Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners trägt nicht dem in Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 BeamtStG verankerten Leistungsprinzip Rechnung und verletzt damit den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin.
Auswahlentscheidungen unterliegen als Akt wertender Erkenntnis lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.2.2003 - BVerwG 2 C 16.02 -, [...]; Urteil vom 21.8.2003 - BVerwG 2 C 14.02 -, [...]; Nds. OVG, Beschluss vom 18.8.2011 - 5 ME 209/11 -, [...]; Beschluss vom 21.9.2011 - 5 ME 241/11 -, [...]).
Erweist sich anhand dieses Maßstabes die Auswahlentscheidung als fehlerhaft und lässt sich nicht ausschließen, dass der jeweilige Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung ausgewählt werden wird (siehe dazu BVerfG, Beschluss vom 24.9.2002 - 2 BvR 857/02 -, [...]; Nds. OVG, Beschluss vom 18.8.2011, a.a.O.), hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg.
Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der aus Art. 33 Abs. 2 und § 9 BeamtStG folgende Grundsatz der Bestenauslese gebietet, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Diese sind regelmäßig den aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu entnehmen. Erweist sich dabei eine dienstliche Beurteilung als rechtsfehlerhaft, hat dies regelmäßig auch die Rechtswidrigkeit der auf ihr beruhenden Auswahlentscheidung zur Folge.
Wie die Auswahlentscheidung selbst ist auch die ihr zugrundeliegende dienstliche Beurteilung wegen der bereits aufgezeigten Beurteilungsermächtigung des Dienstherrn nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung zugänglich. Die Verwaltungsgerichte können auch hier nur prüfen, ob der Beurteiler einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt hat, ob er den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob allgemeine Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sind und ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten ist.
Aus diesem Prüfungsmaßstab und den ihm zugrundeliegenden Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beurteilung folgt das Gebot an den Beurteiler, ausgehend von zutreffenden Tatsachen und Werturteilen nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grunde der zu beurteilende Beamte das ihm durch die dienstliche Beurteilung erteilte Gesamturteil erhalten hat.
Ausgangspunkt der dienstlichen Beurteilung ist dabei das Amt im statusrechtlichen Sinne, das der zu Beurteilende im Beurteilungszeitraum inne hatte. Bei der Beurteilung der Art und Weise, wie die sich aus dem Statusamt ergebenden Anforderungen erfüllt werden, ist aber auch der Schwierigkeitsgrad zu berücksichtigen, der sich aus den mit dem übertragenen Amt im konkret funktionellen Sinne, dem Dienstposten, verbundenen Aufgaben ergibt. Deshalb ist insbesondere zu beachten, ob der beurteilte Beamte einen Dienstposten, der seinem Statusamt der Bewertung nach entspricht, oder einen höherwertigen Dienstposten wahrgenommen hat. Die Wahrnehmung eines höher bewerteten Dienstpostens gibt besonderen Anlass, ein abschließendes Werturteil auch im Hinblick auf diesen Gesichtspunkt plausibel zu machen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 3.6.2003 - 5 LB 211/02 -, [...]). Dieses Erfordernis hat auch in den Richtlinien für die dienstliche Beurteilung von Beamtinnen und Beamten im Niedersächsischen Justizministerium, bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie bei der Norddeutschen Fachhochschule für Rechtspflege in der hier maßgeblichen, bis 31.12.2011 geltenden Fassung (Nds. RPfl. 2005, S. 176) in Nr. 5 b) Niederschlag gefunden:
"Besondere Fachkenntnisse und Fähigkeiten, die über die hinausgehen, die für das jeweils innegehabte Amt gefordert werden, sind bei der Gesamtbeurteilung mit darzustellen, soweit sie beobachtet werden können und dienstlichen Bezug haben."
Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die der Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugrundeliegende dienstliche Beurteilung der Antragstellerin diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Das Beschwerdevorbringen vermag diese Annahme nicht zu erschüttern.
Der erforderliche Grad an Plausiblität einer dienstlichen Beurteilung muss sich an deren Funktion messen lassen. Sie dient nicht primär dem Beurteilenden, sondern hauptsächlich Dritten - dem Beurteilten zur Einschätzung seiner Aussichten auf eine Beförderung, dem Dienstherrn zur Differenzierung im Rahmen der Auswahlentscheidung und schließlich unterlegenen Bewerbern und den Verwaltungsgerichten zur Prüfung der Auswahlentscheidung. Daraus folgt zwangsläufig, dass sich eine dienstliche Beurteilung nicht auf innere Tatbestände oder nicht dokumentierte "Absprachen mit den übrigen Beurteilern" stützen kann, sondern aus sich heraus intersubjektiv überprüfbar und diskutierbar sein muss.
Sowohl diese Funktion der Beurteilung als auch die daraus folgenden Anforderungen an ihre Plausibilität verkennt der Antragsgegner mit seinem Einwand, es sei nicht erforderlich, "sämtliche rechtlichen Beurteilungsgrundsätze und gesetzliche Anforderungen, die der konkrete Dienstposten stellt, ausdrücklich aufzuführen, um dem Beurteilten die Einhaltung dieser Grundsätze vorzuführen". Ebenso wenig kann er sich darauf berufen, die Bewertung der Dienstposten im Allgemeinen und die höherwertigen Tätigkeiten der Serviceeinheiten in Grundbuch- und Schiffsregistersachen im Besonderen seien den Geschäftsleitern "derart geläufig und präsent", dass eine Beachtung und Würdigung bei der Bewertung der Einzelmerkmale außer Zweifel stehe.
Die Erwähnung der wahrgenommenen Tätigkeiten in der Stellenbeschreibung unter Nr. 8 der Beurteilung genügt dem Plausiblitätsgebot nicht. Ein "konstitutiver Charakter" kommt der bloßen Bezeichnung der übertragenen Aufgaben nicht zu. Sie gibt nicht schon aus sich heraus Auskunft über die gegenüber dem Statusamt der Antragstellerin höhere Bewertung dieser Aufgaben, sondern erst mittelbar, nämlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Dienstpostenbewertung. Diese bedurfte hier schon vor dem Hintergrund besonderer Erwähnung, dass die Ausführungsvorschrift (AV) des Niedersächsischen Justizministeriums vom 23. Oktober 2001 zur Dienstpostenbewertung, in deren Geltungszeitraum der Beurteilungszeitraum größtenteils fällt, mit Ablauf des 31. Dezember 2008 außer Kraft getreten war (vgl. Nr. 5 des Gem. RdErl. d. StK u. d. übr. Min. v. 15.11.2005, Nds. MBl. 2005, S. 862), eine Nachfolgevorschrift noch nicht erlassen war und die außer Kraft getretene AV im Zeitpunkt der Erstellung der Beurteilung der Antragstellerin nur aufgrund des Erlasses des Niedersächsischen Justizministeriums vom 28. Oktober 2008 - MJ 2104-104.38 - entsprechend anzuwenden war.
Aus der Dienstpostenbewertung ergibt sich außerdem nur, dass die von der Antragstellerin wahrgenommenen Aufgaben gegenüber dem Statusamt der Antragstellerin höher bewertet waren. Selbst wenn die entsprechende Erlasslage dem Beurteiler "geläufig und präsent" war, folgt daraus aber nicht ohne Weiteres, dass er der Bewertung der beschriebenen Tätigkeiten auch tatsächlich Rechnung getragen hat.
Auch aus der verbalen Gesamtbeurteilung (Nr. 13 der Beurteilung vom 30. Juni 2009) lässt sich Solches nicht erkennen. In dem Beurteilungstext sind die von der Antragstellerin bearbeiteten Grundbuch- und Schiffsregistersachen zwar ausdrücklich erwähnt, ihre Beschreibung als "besonders eilbedürftig" und "weniger beliebt" gibt aber keinerlei Aufschluss über die Dienstpostenbewertung und deren Abstand zum Statusamt der Antragstellerin. Gleiches gilt für die Formulierung der "Vielseitigkeit", die bereits offen lässt, ob damit die Vielseitigkeit der der Antragstellerin übertragenen Aufgaben oder die Vielseitigkeit ihrer Einsatzbereitschaft gemeint ist.