Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.07.2012, Az.: 9 LA 240/10

Anspruch auf Stundung eines bestandskräftig festgesetzten Erschließungsbeitrags

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.07.2012
Aktenzeichen
9 LA 240/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 40382
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0727.9LA240.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 28.09.2010 - AZ: 2 A 531/09

In der Verwaltungsrechtssache
1. der Frau A. ,
2. des Herrn B. ,
Kläger und Zulassungsantragsteller,
Proz.-Bev.: zu 1-2: Rechtsanwalt Mackenberg,
Lessingweg 1, 27711 Osterholz-Scharmbeck,
gegen
die Samtgemeinde Hagen, vertreten durch die Samtgemeindebürgermeisterin, Amtsplatz 3, 27628 Hagen,
Beklagte und Zulassungsantragsgegnerin,
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte Dr. Klausing und andere, Lortzingstraße 1, 30177 Hannover,
Streitgegenstand: Stundung von Erschließungsbeiträgen - Antrag auf Zulassung der Berufung -
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 9. Senat - am 27. Juli 2012
beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag der Kläger wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 28. September 2010 zugelassen.

Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen 9 LB 111/12 geführt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, weil der Senat die von den Klägern geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils teilt (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die von den Klägern begehrte Stundung des ihnen gegenüber bestandskräftig festgesetzten Erschließungsbeitrags in Höhe von 54.944,80 Euro für ihr Grundstück (Flurstück C., Flur D., Gemarkung E.) voraussichtlich zu Unrecht mit der Begründung versagt, dass die Voraussetzungen des § 135 Abs. 4 Satz 1 und 2 BauGB nicht vorlägen, weil es sich bei dem beitragspflichtigen Grundstück nicht um ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück handele, das zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit eines (an den Sohn der Kläger übergebenen) landwirtschaftlichen Betriebes genutzt werden müsse.

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts können die Voraussetzungen für die Anerkennung des ehemaligen Betriebes der Kläger als landwirtschaftlicher Betrieb im Sinne der Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung gemäß § 201 BauGB nicht schon deshalb verneint werden, weil die auf dem Grundstück betriebene "Palomino Farm", auf der unstreitig Quarter Horses gezüchtet, ausgebildet und trainiert werden, Reitunterricht erteilt wird und eine Pensionspferdehaltung erfolgt, ohne ausreichende Futtergrundlage auf eigenem Weideland betrieben werde. Die zum Betrieb gehörenden Weideflächen von ca. 14,25 ha seien für die Anzahl der gehaltenen Pferde zu klein. Bei einem Bedarf von 0,5 ha Grünfläche pro Pferd könnten nur ca. 28 ausgewachsene Pferde durch die Weideflächen versorgt werden, die Kläger unterhielten demgegenüber im Zuchtbetrieb durchschnittlich 20 Pferde, zu denen noch 20 - 25 Pensionspferde hinzukämen. Diese Begründung geht daran vorbei, dass § 201 BauGB für das Vorliegen eines landwirtschaftlichen Betriebes im Sinne des Baugesetzbuchs nicht darauf abstellt, dass die Futtergrundlage für die betriebene Tierhaltung ausschließlich auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Flächen erzeugt werden muss, sondern dass die eigene Futtergrundlage lediglich "überwiegen" muss. Unabhängig davon, dass die Kläger im Zulassungsverfahren zu Recht eingewandt haben, dass die - vom Verwaltungsgericht nicht näher begründete - pauschale Annahme einer Futtergrundlage für die Pferdehaltung von 0,5 ha pro Pferd und Jahr nicht zwingend ist, sondern unter Umständen für die hier zu beurteilende Pferdehaltung von Quarter Horses auch ein geringerer Ansatz von lediglich 0,35 ha pro Pferd angemessen sein mag (von nur 0,35 ha pro Pferd ausgehend: OVG Lüneburg, Urteil vom 16.05.1986 - 6 A 8/83 - BauR 87, 289; BayVGH, Beschluss vom 04.01.2005 - 1 CS 04.1598 - NVwZ-RR 2005, 522 = BauR 2005, 1294; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 26.04.2012 - 5 K 2358/09 - zitiert nach [...]; VG Münster, Urteil vom 18.08.2008 - 10 K 2175/07 - zitiert nach [...]), wäre im Hinblick auf die zum Betrieb gehörenden Weideflächen in einer Größe von ca. 14,25 ha bei durchschnittlich 45 gehaltenen Pferden selbst bei einem pauschalen Ansatz von 0,5 ha pro Pferd und Jahr eine überwiegend eigene Futtergrundlage gegeben. Ein Betrieb erfüllt die Voraussetzungen für eine überwiegend eigene Futtergrundlage im Sinne des § 201 BauGB, wenn mehr als die Hälfte des benötigten Futters auf den zum Betrieb gehörenden Flächen gewonnen werden kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 04.01.2005 - 1 CS 04.1598 - a.a.O.; VGH Baden-Würtemberg, Urteil vom 07.08.1991 - 3 S 1075/90 - BauR 1992, 208; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 26.04.2012 - 5 K 2358/09 - a.a.O.; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Rn. 17 zu § 201). Für 45 Pferde wäre unter Zugrundelegung einer Futtergrundlage von 0,5 ha pro Pferd eine Weidefläche von 22,5 ha erforderlich. Da zum Betrieb der "Palomino Farm" Weideland im Umfang von 14,25 ha gehört, mithin mehr als die erforderliche Mindestfläche von 11,25 ha, ist eine überwiegend eigene Futtergrundlage unzweifelhaft gewährleistet.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen aber auch insoweit, als das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen für eine Stundung nach § 135 Abs. 4 BauGB selbst für den Fall verneint hat, dass ausreichendes Futterland zur Verfügung stünde, weil es sich nicht um einen wirtschaftlich rentablen landwirtschaftlichen Betrieb handele. Die Kläger wenden dagegen zu Recht ein, dass das Verwaltungsgericht diese Annahme ausschließlich auf die im Zusammenhang mit dem Stundungsantrag vom 6. August 2008 gegenüber der Beklagten vorgelegten Jahresabschlüsse für den Zeitraum 1. Juli 2002 bis 30. Juni 2005 gestützt hat, die jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 28. September 2010 nicht mehr aktuell waren. Aktuellere Erkenntnisse über die Rentabilität des vom Sohn der Kläger geführten Betriebs hat das Verwaltungsgericht von den Klägern jedoch nicht angefordert und bei seiner Entscheidung auch nicht berücksichtigt. Die vorliegenden, nicht mehr aktuellen Jahresabschlüsse sprachen aber auch deshalb nicht gegen die Rentabilität des Betriebs, weil die Gewinn- und Verlustrechnungen entgegen den Darstellungen des Verwaltungsgerichts jeweils einen jährlichen Gewinn auswiesen (Jahresgewinn für das Geschäftsjahr 2002/2003: 13.020,86 Euro; Jahresgewinn für das Geschäftsjahr 2003/2004: 25.794,39 Euro; Jahresgewinn für das Geschäftsjahr 2004/2005: 10.246,57 Euro). Auf dieser Grundlage kann daher die Wirtschaftlichkeit des Betriebes gemäß § 135 Abs. 4 BauGB nicht ohne weiteres in Zweifel gezogen werden, zumal dieser vom Sohn des Klägers seit Jahren im Haupterwerb betrieben wird, zum 1. Juli 2008 vollständig auf ihn übergegangen ist und der dort vormals befindliche Sattelshop im Jahr 2008 aufgegeben wurde.

Ob auf der Grundlage der von den Klägern im Zulassungsvorbringen angegebenen, aktuellen betriebswirtschaftlichen Unterlagen dennoch Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Betriebes gerechtfertigt sind, bleibt der Klärung im Berufungsverfahren vorbehalten.

Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Dr. Claaßen
Dr. Schenkel
Blomenkamp