Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.07.2012, Az.: 12 LA 186/11

Zulassung der Berufung im Zusammenhnag mit einem Streit über die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar i.S.v. § 35 FeV

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.07.2012
Aktenzeichen
12 LA 186/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 19602
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0723.12LA186.11.0A

Fundstellen

  • DVBl 2012, 1189-1191
  • DÖV 2012, 779
  • NZV 2012, 6
  • NZV 2012, 559-560
  • NordÖR 2013, 227

Redaktioneller Leitsatz

§ 2a Abs. 2 S. 1 StVG in Verbindung mit Anlage 12 zu § 34 Abs. 1 FeV, die die behördliche Möglichkeit der Anordnung einer Teilnahme an einem Aufbauseminar vorsieht, ist verfassungsgemäß.

Gründe

1

I.

Mit Bescheid vom 2. Februar 2011 forderte die Beklagte den Kläger gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG auf, an einem Aufbauseminar im Sinne von § 35 FeV teilzunehmen und eine entsprechende Bescheinigung bis zum 2. Mai 2011 vorzulegen, denn der Kläger habe eine rechtskräftig geahndete Ordnungswidrigkeit (Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage am 12.01.2010, Eintritt der Rechtskraft am 21.12.2010) begangen, die mit 3 Punkten in das Verkehrszentralregister einzutragen gewesen sei. Unter dem 9. Mai 2011 stellte die Beklagte klar, dass der Kläger das Aufbauseminar bei jeder Fahrschule innerhalb Deutschlands absolvieren könne, deren Fahrlehrer die dafür erforderliche Berechtigung besitze, und setzte für die Vorlage der Teilnahmebescheinigung eine Nachfrist bis zum 2. August 2011.

2

Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit dem im Tenor bezeichneten Urteil zurück und folgte darin der Begründung des vorangegangenen Gerichtsbescheides vom 16. Juni 2011 (berichtigt mit Beschluss vom 17. Juni 2011). Darin heißt es: Der Bescheid der Beklagten vom 2. Februar/9. Mai 2011 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Fahrerlaubnisbehörde habe die Teilnahme des Fahranfängers an einem Aufbauseminar anzuordnen, wenn gegen den Fahrerlaubnisinhaber wegen einer während der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine in das Verkehrszentralregister einzutragende rechtskräftige Entscheidung ergangen sei. Hierbei sei die Behörde an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden. Die Beklagte habe im Hinblick auf den Verkehrsverstoß vom 12. Januar 2010 zu Recht das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar angenommen. Wegen dieses Verstoßes, der innerhalb der Probezeit für die Fahrerlaubnis des Klägers bis zum 8. Oktober 2010 begangen worden sei, habe das Amtsgericht Wildeshausen eine Geldbuße in Höhe von 90,-- Euro gegen den Kläger festgesetzt. Auch die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG seien erfüllt, denn bei der in Rede stehenden Zuwiderhandlung handele es sich um eine schwerwiegende im Sinne der Nr. 2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV i.V.m. § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG. Der angefochtene Bescheid sei auch nicht aus formellen Gründen aufzuheben. Das Gericht teile auch nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gegen§ 2a Abs. 2 StVG.

3

II.

Der Antrag des Klägers, gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts die Berufung zuzulassen, hat keinen Erfolg.

4

1.

Der Kläger vertritt unter Vorlage einer Teilnahmebescheinigung über ein Aufbauseminar für Fahranfänger gemäß § 2a Abs. 2 StVG vom 11. August 2011 die Auffassung, dass sich die Hauptsache jedenfalls teilweise erledigt habe, und kündigt daher in der Sache den Antrag an, unter Aufhebung des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts den Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 2011 in Gestalt der Klarstellung vom 9. Mai 2011 aufzuheben sowie festzustellen, dass die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar im Sinne von § 35 FeV rechtswidrig war. Der auf dieses Ziel gerichtete Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig. Erledigt sich nach Ergehen eines Urteils die Hauptsache, kann allerdings die Zulassung der Berufung mit dem Ziel beantragt werden, im Berufungsverfahren feststellen zu lassen, dass bei Erledigung des Verwaltungsakts und damit des Rechtsstreits die angegriffene Verfügung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO rechtswidrig war. Das setzt aber voraus, dass der Kläger für ein solches Rechtsschutzbegehren das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zulassung des Rechtsmittels darlegt, zu denen nunmehr auch gehört, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Entscheidung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO vorliegen. Das ist hier nicht der Fall, denn die Rechtssache hat sich nicht erledigt. Abgesehen davon, dass der Kläger die unter dem 11. August 2011 ausgestellte Teilnahmebescheinigung über ein Aufbauseminar erst mit der Begründung des Zulassungsantrags durch Schriftsatz vom 29. August 2011 und damit nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist nach § 2a Abs. 3 StVG vorgelegt hat, beschränkt sich die Regelungswirkung des angefochtenen Bescheides nicht auf die Anordnung der Teilnahme an dem Aufbauseminar. Vielmehr hat sich gemäß § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG durch diese Anordnung kraft Gesetzes die Probezeit um 2 Jahre verlängert (vgl. dazu auch OVG NRW, Beschl. v. 16.4.2012 - 16 A 108/12 -, [...]). Sie läuft, wie in dem angefochtenen Bescheid angegeben worden ist, bis zum 8. Oktober 2012.

5

2.

Die in Anspruch genommenen Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind im Übrigen nicht hinreichend dargelegt bzw. nicht gegeben.

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a)

Die vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen nicht. Der Kläger wiederholt insoweit seine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung, die er bereits in erster Instanz geltend gemacht hatte. Derartige Bedenken sind bereits in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, auf die der Kläger selbst hinweist, zurückgewiesen worden. Die in § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG vorgesehenen behördlichen Maßnahmen sollen Gefährdungen durch unerfahrene Fahrzeugführer entgegenwirken. Die Entscheidung des Gesetzgebers, schon eine schwerwiegende Zuwiderhandlung im Straßenverkehr im Sinne der Anlage 12 zu § 34 Abs. 1 FeV als taugliche Grundlage für die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar zu nehmen, beruht auf dem Gedanken, vor allem diejenigen Verstöße zu erfassen, die auf besondere Defizite in der Einstellung und dem Verkehrsverhalten des Fahranfängers schließen lassen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, zu diesen Tatbeständen wegen ihres Gefahrenpotentials und der hierin zum Ausdruck kommenden Einstellungs- und Verhaltensdefizite jegliche Verstöße gegen die Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung über das Verhalten an Wechsellichtzeichen zu zählen (Abschnitt A Nr. 2.1 der Anlage 12), liegt in den Grenzen seines Beurteilungsspielraums und verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder das Willkürverbot. Der Gesetzgeber ist befugt, einen Sachverhalt durch generalisierende und auf den typischen Regelfall bezogene Bestimmungen zu regulieren. Dass er damit sämtliche Fahranfänger einer pauschalen Regelung unterworfen hat, vermag durchgreifende Bedenken nicht auszulösen. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen muss der Gesetzgeber nicht jeden einzelnen denkbaren Fall betrachten. Er darf vielmehr von einem typischen Gesamtbild ausgehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt, und sich auf dieser Grundlage generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (vgl. OVG Rh.-Pf., Urt. v. 12.3.2002 - 7 A 11244/01 -, NZV 2002, 528; VG Bad.-Württ., Beschl. v. 11.8.2009 - 10 S 839/09 -, zfs 2009, 654 m.w.N.). Der Umstand, dass diese generelle Regelung auch atypische Konstellationen erfassen kann, berührt die Rechtmäßigkeit der gesetzlichen Regelung somit nicht.

7

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung ergeben sich auch nicht dadurch, dass - wie der Kläger meint - empirisch nie abschließend untersucht worden sei, ob tatsächlich die angeordnete Teilnahme an einem Aufbauseminar und die Verlängerung der Probezeit eine geeignete Maßnahme sei, dem Verkehrsteilnehmer Fehlverhalten vor Augen zu führen. Da junge Fahranfänger nach den aus der Straßenverkehrsunfallstatistik gewonnenen Erfahrungswerten besonders häufig an Unfällen im Straßenverkehr beteiligt sind (vgl. dazu bereits die Begründung zur Einführung des § 2a StVG, abgedr. in VkBl 1986, 360 ff), ist es sachlich gerechtfertigt, dem von dieser Gruppe ausgehenden Gefährdungsrisiko entgegenzuwirken. In der Begründung zur Neufassung der Vorschrift im Jahre 1996 heißt es zu§ 2a Abs. 2a StVG ferner (abgedr. in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 2a Rdnr. 1e): Die 1986 eingeführte Fahrerlaubnis auf Probe zur Bekämpfung des überdurchschnittlich hohen Unfallrisikos von Fahranfängern habe sich bewährt. Die große Mehrheit der Fahranfänger, nämlich 86%, falle in der Probezeit nicht auf. Allerdings liege die Rate der auffälligen Fahranfänger mit 14% deutlich über der sonstigen Auffälligkeitsrate von 8%. Untersuchungen hätten gezeigt, dass diejenigen, die in der Probezeit auffällig würden, auch nach deren Ablauf überdurchschnittlich häufig mit einem Verkehrsdelikt im Verkehrszentralregister eingetragen würden. Um dem entgegenzuwirken, sei es sinnvoll, für die Fahranfänger, die in der Probezeit derart auffällig würden, dass die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet werde, die Probezeit um 2 Jahre zu verlängern. Auch mit Blick auf die darin zum Ausdruck gekommenen Erkenntnisse kann die gesetzliche Regelung nicht als untauglich oder unverhältnismäßig bezeichnet werden. Sie ist vielmehr ihrer Art nach generell geeignet, weil die Durchführung eines Aufbauseminars schon bei einer schwerwiegenden Zuwiderhandlung, wie der Nichtbeachtung des Rotlichts, eine Verbesserung des Problembewusstseins gerade des Fahranfängers bewirken kann und deshalb auch wegen der schweren Folgen, die sich aus einer solchen Missachtung - hier der Vorfahrt - ergeben können, gerechtfertigt ist (vgl. OVG Saarl., Beschl. v. 22.12.1993 - 3 W 54/93 -, zfs 1994, 190).

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b)

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht ausreichend dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und zumindest einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll. Diesen Anforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Sie erschöpft sich in der bloßen Behauptung, dass ein Fall grundsätzlicher Bedeutung vorliege. Der Kläger legt nicht etwa dar, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 2a Abs. 2 StVG i.V.m. § 34 Abs. 1 FeV und Anlage 12 in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet wird - das Gegenteil ist der Fall - oder dass die bisher dazu in der Rechtsprechung vertretene Auffassung im Lichte neuerer Erkenntnisse überprüft werden muss.

9

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).