Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.07.2012, Az.: 5 LC 226/11
Feststellungsbescheid; Gesundheitliche Eignung; modifizierter Maßstab; Tatbestandswirkung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 31.07.2012
- Aktenzeichen
- 5 LC 226/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 44451
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 05.05.2011 - AZ: 2 A 5743/08
Rechtsgrundlagen
- § 9 BeamtStG
- Art 3 Abs 3 S 2 GG
- § 69 Abs 1 SGB 9
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Feststellung einer Behinderung nach § 69 Abs. 1 SGB IX entfaltet Tatbestandswirkung für die Feststellung der gesundheitlichen Eignung. Sie ist bei der Prognose der gesundheitlichen Eignung zu berücksichtigen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe (BesGr. A 12) sowie Schadensersatz wegen der bisher nicht erfolgten Ernennung.
Sie wurde 197 geboren, legte im Juni 199 die Erste und im September 200 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen in Niedersachsen ab und war ab 1. Februar 200 als teilzeitbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis bei der Beklagten beschäftigt.
Bei der Einstellung nahm die Beklagte in Aussicht, die Klägerin nach drei Jahren bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen in das Beamtenverhältnis zu berufen. Im Rahmen einer deshalb Ende 2007 veranlassten amtsärztlichen Untersuchung wurde ein fachorthopädisches Zusatzgutachten eingeholt. Ausweislich dieses Gutachtens vom 28. Januar 2008 leidet die Klägerin an einer kyphotischen Fehlstellung der unteren Brustwirbelsäule mit Keilwirbelbildung in den Brustwirbelkörpern 9-11 infolge einer in ihrer Jugend durchgemachten Scheuermannschen Erkrankung. Das Gutachten enthält die Prognose, die sekundären Folgen der Wirbelsäulenverformung seien aufgrund der allgemeinen Erfahrung klar vorauszusehen. Sie bestünden in einer vorzeitigen Spondylosis deformans [degenerative Randzackenbildungen an den Wirbelkörpern, die mit der Zeit einzelne Wirbelkörper knöchern verbinden können] und in einer wenig zunehmenden Versteifung der Wirbelsäule im Bereich der Kyphose sowie allmählichen Schmerzempfindungen. Die entsprechend stärkere Lendenlordosierung könne ebenfalls zu vorzeitigen umbauenden Veränderungen führen. Da die Verformung bei einem Winkelgrad nach Cobb von 35 als ausgeprägt anzusehen sei, müsse eine Dienstunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen vor dem Erreichen des 65. Lebensjahres als wahrscheinlich angenommen werden.
Unter Bezugnahme auf diese Stellungnahme erklärte der Amtsarzt in seinem Zeugnis vom 5. Februar 2008, eine Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit könne nicht empfohlen werden.
Mit formlosem Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung vom 5. März 2008 lehnte die Beklagte die Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis unter Bezugnahme auf das amtsärztliche Zeugnis und das fachorthopädische Gutachten ab.
Die Klägerin bat die Beklagte mit Schreiben vom 11. Juni 2008 um Klarstellung, ob das Schreiben vom 5. März 2008 als rechtsförmiger Bescheid gemeint war, und beantragte, sie beginnend mit dem 1. Juli 2008, hilfsweise zu einem späteren Zeitpunkt und längstens bis zur Übernahme ins das Beamtenverhältnis besoldungs- und versorgungsrechtlich so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie zum 1. Juli 2008 bzw. dem hilfsweise späteren Zeitpunkt in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen worden wäre. Sie führte aus, die Beklagte dürfe ihre gesundheitliche Eignung nicht nach allgemeinen Maßstäben des Beamtenrechts beurteilen, sondern müsse dem Umstand Rechnung tragen, dass sie mit ihrer Erkrankung behindert im Sinne des § 1 AGG und der europäischen Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) sei. Sie sei durch die Erkrankung in der Teilhabe am täglichen Leben beeinträchtigt. Sie habe den Volleyballsport, den sie zuvor aktiv betrieben habe, aufgeben müssen, dürfe nicht schwer heben und müsse kontinuierlich Rückentraining absolvieren, um schmerzfrei zu bleiben. Daneben sei ihre Teilhabe am Arbeitsleben beeinträchtigt, weil ihr gerade aufgrund ihrer Erkrankung die Übernahme in das Beamtenverhältnis versagt werde. Hierdurch werde sie als Behinderte unmittelbar diskriminiert, weil sie als Angestellte geringere Bezüge bekomme und ihr der Aufstieg zur Schulleiterin und in andere Funktionsstellen verwehrt sei. Die Diskriminierung sei nicht durch § 24 AGG oder Art. 33 Abs. 5 GG gerechtfertigt, denn diese Normen würden durch die - insoweit unmittelbar anwendbare - Richtlinie 2000/78/EG verdrängt.
Der Anspruch auf Schadensersatz folge aus § 15 Abs. 1 AGG. Das dort geregelte Verschuldenserfordernis sei europarechtswidrig und stehe dem Anspruch bei europarechtskonformer Auslegung der Norm nicht entgegen.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2008 teilte die Beklagte mit, dass das Schreiben vom 5. März 2008 als „rechtsfähiger Bescheid“ zu verstehen sei und lehnte die Leistung von Schadensersatz ab. Sie halte daran fest, dass die Klägerin mangels gesundheitlicher Eignung nicht in das Beamtenverhältnis übernommen werden könne. Sie sei weder im Sinne von § 1 AGG noch im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG behindert. Sie sei in ihrer Teilhabe am Berufsleben nicht eingeschränkt, sondern werde im Rahmen eines Angestelltenvertrags beschäftigt. Sie sei außerdem vollkommen symptom- und beschwerdefrei.
Die Klägerin hat am 19. November 2008 Klage erhoben. Unter Ergänzung ihres außergerichtlichen Vorbringens hat sie ausgeführt, dass ihre Wirbelsäulenschäden zeitweilig starke, zeitweise geringere Beeinträchtigungen verursachten. Seit Anfang 2011 erleide sie erhebliche Beeinträchtigungen, wohl auch durch das Heben und Tragen ihrer zweijährigen Tochter. Bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung habe aber ein von dem für ihr Lebensalter Üblichen abweichender Zustand vorgelegen, der durch das erforderliche Vermeidungsverhalten und das erforderliche Training zur Erhaltung ihres Gesundheitszustandes eine Teilhabebeeinträchtigung begründe.
Selbst wenn sie nicht behindert sei, sei sie wenigstens von einer Behinderung bedroht im Sinne des Art. 2 Abs. 2 SGB IX.
Die Beklagte habe dies bei der Beurteilung ihrer gesundheitlichen Eignung verkannt. Der hierbei anzuwendende Prognosemaßstab sei nach der Rechtsprechung des Senats dahingehend zu modifizieren, dass eine dauernde vorzeitige Dienstunfähigkeit nicht mit „hoher“, sondern nur mit „überwiegender“ Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden müsse. Selbst dieser Maßstab sei allerdings zu eng, weil 70,5 v. H. der Beamtinnen und Beamten im niedersächsischen Schuldienst vor Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Dienst ausschieden. Statistisch erreichten sogar 18 v. H. der heute 25-jährigen Männer und 10 v. H. der heute 25-jährigen Frauen nicht einmal das 67. Lebensjahr. Selbst für Lehramtsbewerber ohne Behinderungen könne angesichts dessen nicht verlangt werden, dass eine dauernde vorzeitige Dienstunfähigkeit mit mehr als 50 v. H. Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Für Behinderte sei diese Anforderung noch weiter zu reduzieren.
Inhaltlich seien die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung behinderter Bewerber außerdem zu reduzieren, weil § 8 AGG nur tätigkeitsbezogene Benachteiligungen erlaube. Einer Einstellung könnten deshalb nur gesundheitliche Gründe entgegengehalten werden, die der aktuell oder in der nächsten Zeit auszuübenden Tätigkeit entgegenstünden. Ihre Verwendbarkeit im Schuldienst stehe aber außer Frage. Die Erwartung langfristiger Dienstfähigkeit knüpfe dagegen an den Beamtenstatus an, der kein nach § 8 AGG zulässiges Differenzierungskriterium sei. Anderes ergebe sich auch nicht aus § 24 AGG, weil diese Vorschrift ihrerseits europarechtskonform auszulegen sei. Das Europarecht differenziere nicht zwischen Beamten und Arbeitnehmern.
Weil ihre fachliche Eignung und Befähigung unstreitig seien und eine Planstelle vorhanden sei, verdichte sich ihr Bewerbungsverfahrensanspruch auf einen Einstellungsanspruch.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 05.03.2008 und 06.10.2008 zu verpflichten, sie in das Beamtenverhältnis auf Probe (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) einzustellen,
hilfsweise unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über ihren Antrag auf Einstellung zu entscheiden,
2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zu einer Einstellung in das Beamtenverhältnis im Wege des Schadensersatzes besoldungs- und versorgungsrechtlich so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie zum 01.08.2008, hilfsweise zu einem späteren Zeitpunkt, in das Beamtenverhältnis berufen worden wäre.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung verteidigt. Die Klägerin sei nicht behindert im Rechtssinne und erst recht nicht schwerbehindert im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX. Deshalb sei auch § 13 Abs. 1 NLVO auf sie nicht anwendbar. Das aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG folgende Benachteiligungsverbot werde durch Art. 33 Abs. 2 und 5 GG beschränkt. Art. 33 Abs. 2 GG gebe das Leistungsprinzip vor, aus dem das Erfordernis der gesundheitlichen Eignung folge. Art. 33 Abs. 5 GG umfasse als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums auch das Lebenszeitprinzip, mit dem eine Einstellung bei absehbar vorzeitigem Verlust der Dienstfähigkeit unvereinbar sei.
Selbst wenn die Klägerin als behindert anzusehen wäre, werde sie durch das zulässige Differenzierungskriterium der gesundheitlichen Eignung nur mittelbar benachteiligt. Diese Benachteiligung sei darüber hinaus nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt, weil das AGG nach seinem § 24 Nr. 1 auf Beamte nur unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung anzuwenden sei. Vor diesem Hintergrund gelte als „Bedingung der Ausübung“ im Sinne des § 8 Abs. 1 AGG auch die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses als grundsätzlich auf Lebenszeit angelegtes Dienst- und Treueverhältnis.
Einen Antrag der Klägerin auf Feststellung einer Behinderung nach § 69 Abs. 1 SGB IX hat das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie mit Bescheid vom 3. Mai 2011 abgelehnt. Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 5. Mai 2011 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ernennung oder ermessensfehlerfreie (Neu-)Entscheidung über ihren Ernennungsantrag. Sie weise die nach § 9 BeamtStG erforderliche gesundheitliche Eignung nicht auf, weil sich nach der rechtsfehlerfreien Prognose der Beklagten künftige Erkrankungen und dauernde vorzeitige Dienstunfähigkeit nicht dauerhaft ausschließen ließen.
Der Begriff der gesundheitlichen Eignung sei weder aus verfassungs- noch aus europarechtlichen Gründen einschränkend auszulegen.
Die Klägerin sei nicht behindert im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Die Folgen der Scheuermannschen Erkrankung seien zwar ein regelwidriger körperlicher Zustand; dieser verursache aber nur vorübergehende Beschwerden. Eine Behinderung setze dagegen eine längerfristige Funktionsbeeinträchtigung voraus. Die Klägerin könne auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass sie nur deshalb keine Beschwerden habe, weil sie Vermeidungsverhalten zeige und regelmäßiges Funktionstraining betreibe. Es komme darauf an, ob sie Beschwerden habe, nicht auf den Grund, weshalb sie keine Beschwerden habe. Dass sie schweres Heben und Tragen vermeiden müsse, sei möglicherweise eine Funktionsbeeinträchtigung, die sie aber kompensieren könne. Es fehle insofern an einer Teilhabebeeinträchtigung als weiterem Merkmal einer Behinderung. Auch Sport sei ihr - wenngleich in anderen Sportarten als Volleyball - grundsätzlich möglich.
Langfristige Beschwerden seien auch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, so dass die Klägerin auch nicht von einer Behinderung bedroht im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX sei.
Auch die im Verlauf des Klageverfahrens aufgetretenen Beschwerden seien lediglich akut und nicht langfristig; auf sie komme es außerdem nicht an, weil maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten sei.
Die Erkrankung der Klägerin falle auch nicht als Behinderung in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG. Eine Behinderung in diesem Sinne setze nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs neben einer körperlichen Beeinträchtigung eine nicht nur vorübergehende Beeinträchtigung der Teilhabe gerade am Berufsleben voraus, die nicht erkennbar sei. Dass der Klägerin die Übernahme in das Beamtenverhältnis verwehrt werde, begründe noch keine Teilhabebeeinträchtigung, aus der sich wiederum eine Behinderung ergäbe. Die dahingehende Argumentation der Klägerin laufe auf einen Zirkelschluss hinaus.
Da die Klägerin weder einen Anspruch auf Ernennung noch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung habe, bestehe auch kein Anspruch auf Schadensersatz.
Die Klägerin hat nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht am 9. Juni 2011 Berufung eingelegt.
Mit Bescheid vom 1. Juli 2011 hat das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie dem Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 3. Mai 2011 abgeholfen und bei ihr rückwirkend vom 1. Januar 2008 eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
Im Berufungsverfahren führt die Klägerin unter Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus, die Ablehnung ihres Antrags sei rechtswidrig. Sie habe einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Ernennungsantrags, weil sie zum Zeitpunkt der Ablehnung behindert gewesen sei. Das ergebe sich nunmehr schon aus der rückwirkenden Feststellung in dem Anerkennungsbescheid des Landesamts für Soziales, Jugend und Familie.
Die Beklagte habe die ihrer Entscheidung zugrunde liegende Prognose aufgrund eines falschen Maßstabs getroffen, der ihre (der Klägerin) Behinderung nicht hinreichend berücksichtige. Zu Unrecht habe auch das Verwaltungsgericht eine Behinderung verneint. Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung habe sie infolge ihrer Behinderung an erheblichen Schmerzen gelitten. Das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz der Amtsermittlung verstoßen, soweit es seine Bewertung ohne weitere Ermittlungen darauf gestützt habe, dass aus den von ihr vorgelegten ärztlichen Unterlagen keine nicht nur vorübergehenden Beschwerden hervorgingen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und
1. die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 5. März 2008 und vom 6. Oktober 2008 zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Ernennung zur Lehrerin (Besoldungsgruppe A 12) unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden,
2. die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Oktober 2008 zu verpflichten, die Klägerin im Wege des Schadensersatzes besoldungs- und versorgungsrechtlich so zu stellen wie sie stünde, wenn sie zum 1. August 2008, hilfsweise zu einem späteren Zeitpunkt, in das Beamtenverhältnis eingestellt worden wäre.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Zu Recht habe das Verwaltungsgericht eine Behinderung der Klägerin verneint und folgerichtig den allgemeinen Prognosemaßstab an die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung der Klägerin angelegt. Auf die formelle Feststellung eines Grades der Behinderung komme es nach der Rechtsprechung des Senats nicht an.
Die Erkrankung der Klägerin erfülle auch nicht die Anforderungen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an eine Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Eine Behinderung sei danach durch eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung infolge eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands gekennzeichnet, an der es hier fehle. Die Klägerin sei symptom- und beschwerdefrei und gebe selbst an, ihre Beschwerden durch Funktionstraining unter Kontrolle zu halten.
Selbst wenn die Klägerin behindert im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sei, sei eine Benachteiligung gerechtfertigt. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG werde durch Art. 33 Abs. 2 und 5 GG eingeschränkt. Dabei ergebe sich aus Art. 33 Abs. 2 GG das Eignungsprinzip, das Differenzierungen nach der Leistungsfähigkeit erlaube, und aus Art. 33 Abs. 5 GG das Leistungsprinzip, aus dem sich die Pflicht des Beamten zu einer auf Lebenszeit angelegten Dienstverrichtung und im Gegenzug die Pflicht des Dienstherrn zur Alimentierung des Beamten ergäben. Diese Prinzipien stünden der Einstellung von Beamten entgegen, die wegen absehbarer Risiken alsbald dauernd dienstunfähig werden könnten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Beiakten Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Ernennung zur Lehrerin unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Unter Änderung des angefochtenen Urteils sind die Bescheide vom 5. März 2008 und vom 6. Oktober 2008 aufzuheben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen. Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf Schadensersatz.
I. Die Bescheide der Beklagten vom 5. März 2008 und vom 6. Oktober 2008 sind rechtswidrig, soweit die Beklagte darin die Ernennung der Klägerin zur Lehrerin unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe ablehnt, und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Ob der Ablehnungsbescheid mit der Rechtslage im Einklang steht, ist bei Verpflichtungsklagen auf Einstellung in das Beamtenverhältnis oder Neubescheidung regelmäßig nach der im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung geltenden Sach- und Rechtslage zu entscheiden. Die Eignungsbeurteilung ist ein prognostischer Akt wertender Erkenntnis, der maßstabbildende Elemente enthält, die der Dienstherr im Hinblick auf den zu besetzenden Dienstposten selbst festzulegen hat. Maßgeblich für den zu beurteilenden Sachstand ist deshalb grundsätzlich das Erkenntnismaterial, das der Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorliegt. Handelt es sich allerdings um die Frage, ob einem Einstellungsantrag im Hinblick auf ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal aus Rechtsgründen stattgegeben werden muss oder nicht stattgegeben werden darf, so ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2004 - BVerwG 2 C 45.03 -, BVerwGE 121, 140 = juris Rn. 18 m. w. N.).
2. Art. 33 Abs. 2 GG, einfachgesetzlich zum hier maßgeblichen Zeitpunkt konkretisiert in § 7 Beamtenrechtsrahmengesetz in der bis 31. März 2009 geltenden Fassung (BRRG a. F.) und § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Beamtengesetzes in der bis zum 31. März 2009 geltenden Fassung (NBG a. F.), gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Daraus folgt ein Anspruch des Einzelnen auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung um ein öffentliches Amt (Bewerbungsverfahrensanspruch).
3. Über diesen Anspruch hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 5. März 2008 entschieden. Dieses Schreiben ist als Verwaltungsakt der Anfechtung in Form der Versagungsgegenklage zugänglich. Es ist zwar weder als Bescheid überschrieben noch mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen und enthält auch keinen eine Regelung aussprechenden Tenor; es gibt aber hinreichend deutlich zu erkennen, dass die Beklagte dem Antrag der Klägerin auf Berufung in das Beamtenverhältnis nicht entspricht und bereits hierdurch eine Regelung trifft. Mit dem Schreiben vom 6. Oktober 2008 hat die Beklagte diese Regelung wiederholt.
4. Die im Rahmen der Entscheidung über einen Einstellungsantrag erforderliche Eignungsbeurteilung trifft der Dienstherr in Wahrnehmung eines Beurteilungsspielraums, dessen Ausübung von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.1.2003 - BVerwG 2 A 1.02 -, Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 55 = juris Rn. 11).
Bei der Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der einzelne Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht. Der Beamte muss in körperlicher und psychischer Hinsicht den Anforderungen des Amtes gewachsen sein. Die Eignung in gesundheitlicher Hinsicht ist nach dem allgemeinen Maßstab regelmäßig dann gegeben, wenn sich nach der prognostischen Einschätzung des Dienstherrn künftige Erkrankungen des Beamten und dauernde vorzeitige Dienstunfähigkeit mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausschließen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2001 - BVerwG 2 A 5.00 -, Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 60 = juris Rn. 16 m. N.; Beschluss vom 23.4.2009 - BVerwG 2 B 79.08 -, juris Rn. 8).
Nach diesem Maßstab wäre die negative Prognose der Beklagten nicht zu beanstanden. Ausweislich der amtsärztlichen Stellungnahme von Dr. E. vom 5. Februar 2008, die im Wesentlichen das fachorthopädische Zusatzgutachten vom 28. Januar 2008 übernimmt, leidet die Klägerin an einer Verformung im unteren Abschnitt der Brustwirbelsäule, die durch Fehlbelastung zu Verschleißerscheinungen und Rückenbeschwerden führen werde, die mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich früher auftreten werden als bei anderen alternden Menschen. Daraus ergebe sich, dass eine Dienstunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen vor dem Erreichen des 65. Lebensjahres als wahrscheinlich angenommen werden müsse. Nach dem amtsärztlichen Zeugnis ist danach die vorzeitige Dienstunfähigkeit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen, sondern ihr Eintritt ist wahrscheinlich.
Die fachorthopädische Prognose ist auch nachvollziehbar und in sich schlüssig. Sie beruht auf dem Röntgenbefund (Keilwirbel in BWK 8, 9 und 10, fixierte Kyphose BWK 10-12) und nimmt auf die „allgemeine Erfahrung“ Bezug, dass die - näher beschriebenen - sekundären Folgen einer solchen Wirbelsäulenverformung klar vorauszusehen seien.
5. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 25.1.2011 - 5 LC 190/09 -, juris) ist die gesundheitliche Eignung jedoch nach einem abweichenden Maßstab zu beurteilen, wenn der Einstellungsbewerber behindert im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist, weil die Anwendung des allgemeinen Maßstabs der gesundheitlichen Eignung eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung Behinderter darstellt, solange nicht zwingende Gründe das Festhalten an dem allgemeinen Maßstab erfordern. Die Voraussetzungen dieser Rechtsprechung sind hier erfüllt. Die Klägerin ist aufgrund ihrer Erkrankung behindert im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.
a. Den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht zunächst in Anlehnung an das seinerzeit geltende Behinderungsverständnis des verfassungsändernden Gesetzgebers definiert, d. h. entsprechend dem Begriff der Behinderung in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Schwerbehindertengesetzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, juris Rn. 65). Danach ist eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist ein Zustand, der von dem für das Lebensalter Typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Diese Definition entspricht auch dem seinerzeit geltenden Definitionsstand der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach sich eine Behinderung aus einem Schaden, einer Funktionsbeeinträchtigung und einer sozialen Benachteiligung ergibt.
Demgegenüber hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Juli 2001 den Begriff der Behinderung in § 2 SGB IX, der Nachfolgevorschrift zu § 3 Abs. 1 SchwbG, teils erweitert, teils enger gefasst (vgl. Osterloh, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Rn. 310 zu Art. 3). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
Soweit zwischen diesen Behinderungsbegriffen definitorische Unterschiede bestehen, hat das Bundesverfassungsgericht diese nicht zum Anlass genommen, den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG näher auszudifferenzieren. Es nimmt lediglich Bezug auf den „allgemein auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abstellenden Behindertenbegriff des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, an dessen Vorgängernorm (§ 3 Abs. 1 SchwbG) sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 3 Abs. 2 [gemeint ist wohl: Abs. 3] Satz 2 orientiert hat“ (vgl. Beschluss vom 11. 1. 2011 - BVerfG 1 BvR 3588/08 -, juris Rn. 55). Der Senat geht angesichts dessen davon aus, dass der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG auch Behinderungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorbehaltlos erfasst.
b. Dass die Erkrankung der Klägerin eine Behinderung in diesem Sinne ist, folgt bereits aus dem Feststellungsbescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie vom 1. Juli 2011, mit dem der Klägerin ein Grad der Behinderung von 30 v. H. zugesprochen wird.
Dem steht nicht entgegen, dass sich der Senat in seinem Urteil vom 25. Januar 2011 - a. a. O. - dahingehend geäußert hatte, dass es auf die förmliche Feststellung einer Behinderung „nicht ankomme“. Diese Formulierung war dem Umstand geschuldet, dass in dem dortigen Verfahren zwar rückwirkend eine Behinderung festgestellt worden war, die Rückwirkung aber nicht den Zeitpunkt der Behördenentscheidung erfasste.
Auch im Übrigen hat die Feststellung nach § 69 Abs. 1 SGB IX zwar deklaratorischen Charakter (vgl. Dau, in: LPK-SGB IX, 2. A. 2009, Rn. 4 zu § 69), weil eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX unabhängig davon besteht, ob sie förmlich anerkannt ist oder nicht. Daraus folgt aber nicht, dass eine positive Feststellung des Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie unbeachtlich sei und die Einstellungsbehörde über das Vorliegen einer Behinderung eine abweichende Beurteilung treffen könnte, denn einer positiven Feststellung kommt im Hinblick auf das Vorliegen einer Behinderung Tatbestandswirkung zu.
Die Feststellung der (Schwer-)Behinderung und der darüber ausgestellte (Schwerbehinderten-) Ausweis haben gerade den Zweck, dem Behinderten zu ermöglichen, gegenüber Leistungsträgern, Behörden und anderen Stellen seine Behinderung nachzuweisen. Die für die Feststellung einer Behinderung und weiterer gesundheitlicher Merkmale zuständigen Versorgungsämter haben „stellvertretend für andere Verwaltungen nach einheitlichen Maßstäben gesundheitliche Voraussetzungen festzustellen, die außerhalb ihrer Zuständigkeit verschiedenartige Berechtigungen auslösen“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1986 - BVerwG 7 C 11.81 -, juris Rn. 15). Entsprechend sind Stellen außerhalb der Versorgungsverwaltung an die Feststellungen der Versorgungsämter gebunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1986, a. a. O.; BSG, Urteil vom 22.10.1986 - 9a RVs 3/84 -, juris Rn. 9; Dau, a. a. O., Rn. 4 zu § 69; ders., jurisPR-SozR 16/2011, Anm. 6).
6. Das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG angeordnete Benachteiligungsverbot ist bei der Beurteilung der nach Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 NBG a. F. erforderlichen Eignung zu berücksichtigen. Es wird selbst allerdings durch Art. 33 Abs. 5 GG als verfassungsimmanente Schranke dadurch eingeschränkt, dass die Prinzipien der Eignung und Leistung als hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht vollständig dahinter zurücktreten. Eine rechtliche Benachteiligung Behinderter ist danach zulässig, soweit sie aus zwingenden dienstlichen Gründen erforderlich ist. Für die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung folgt daraus, dass diese nur dann aufgrund des allgemeinen Maßstabs erfolgen darf, wenn im Einzelfall zwingende dienstliche Gründe das Festhalten an diesem Maßstab gebieten.
Ein derartig zwingender dienstlicher Grund wird nicht schon durch die - dem allgemeinen Maßstab zugrundeliegende - Fragestellung begründet, ob ein Bewerber vor Erreichen der Altersgrenze dauerhaft dienstunfähig werden könnte. Weder das Interesse an der Funktionsfähigkeit der Schulverwaltung noch die Gewährleistung der pädagogischen Kontinuität erfordern zwingend eine Dienstfähigkeit gerade der einzelnen Lehrkraft bis zum Erreichen der Altersgrenze (vgl. Senatsurteil vom 25.1.2011 - a. a. O.).
Da auch andere zwingende Gründe für die Anwendung des allgemeinen Maßstabs nicht ersichtlich sind, ist der Prognosemaßstab im Hinblick auf die Behinderung der Klägerin zu modifizieren, um dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot Rechnung zu tragen.
Diesen Umstand haben die Beklagte und das Verwaltungsgericht verkannt, indem sie ihren Entscheidungen den allgemeinen Beurteilungsmaßstab zugrunde gelegt haben.
II. Die Klägerin hat nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide Anspruch auf neuerliche Bescheidung ihres Ernennungsantrags durch die Beklagte unter Wahrung der Rechtsauffassung des Gerichts.
1. Welche Anforderungen an die gesundheitliche Eignung eines behinderten Einstellungsbewerbers unter Beachtung des Benachteiligungsverbots zu stellen sind, hat der Senat in seinem Urteil vom 25. Januar 2011 - a. a. O. - ausführlich dargelegt. Danach ist die gesundheitlichen Eignung eines behinderten Beamtenbewerbers schon dann zu bejahen, wenn sich nach der prognostischen Einschätzung des Dienstherrn künftige Erkrankungen des Bewerbers und dauernde vorzeitige Dienstunfähigkeit mit einem überwiegenden Grad an Wahrscheinlichkeit, also mit mehr als 50 vom Hundert, ausschließen lassen.
2. Eine weitere Modifikation im Sinne eines verkürzten Prognosezeitraums oder allgemein niedrigerer Anforderungen ist nicht angezeigt.
Der Einwand der Klägerin, ihr werde durch eine Prognose über die gesamte Dienstzeit mehr abverlangt als nicht behinderten Beamten, weil die vorzeitige Dienstunfähigkeit im Schuldienst auch unter Nichtbehinderten weit verbreitet sei, greift nicht durch.
Soweit die Klägerin geltend macht, dass nur etwa 90 v. H. der heute 25-jährigen Frauen und nur 82 v. H. der heute 25-jährigen Männer das 67. Lebensjahr und damit die Regelaltersgrenze überhaupt erreichten und die Wahrscheinlichkeit einer krankheitsbedingten dauernden Dienstunfähigkeit wohl sogar noch höher liege als die Mortalitätsrate, rechtfertigt dies nicht den Schluss, angesichts dessen könne eine Gesundheitswahrscheinlichkeit von mehr 75 v. H. nicht mehr sinnvoll gefordert werden und das bisherige Verständnis der gesundheitlichen Eignung werde der verfassungsrechtlichen Wertung des Art. 33 Abs. 2 GG („jeder Deutsche“) nicht mehr gerecht, weil der Zugang zu öffentlichen Ämtern auf eine „kleine gesundheitliche Elite“ beschränkt würde (vgl. Hillebrecht, ZBR 2011, 84 ff.). Die dieser These zugrunde liegende Annahme und ihr Umkehrschluss, dass eine Wahrscheinlichkeit schwerer Erkrankungen von 25 v. H. als allgemeines Risiko anerkannt werden müsste, mögen statistisch naheliegen, sind aber für den Prognosemaßstab irrelevant.
Der Wahrscheinlichkeitsgrad einer dauerhaften krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit wird im Rahmen der Eignungsprognose nicht absolut, sondern nur anhand konkreter, personenbezogener Risikofaktoren bestimmt. Die statistische Lebenserwartung im allgemeinen und die niedrigere Lebenserwartung von Männern im Besonderen sind dagegen nicht dem konkreten Bewerber oder seiner Behinderung zuzuordnen, sondern einem allgemeinen Lebensrisiko. Gleiches gilt für nicht absehbare Risikofaktoren oder Dienstunfähigkeitsgründe, die nicht in der Person, sondern in der Art des Dienstes begründet liegen. Sie betreffen Behinderte und Nichtbehinderte gleichermaßen. Dass sie bei der Prognoseentscheidung für behinderte Bewerber nicht berücksichtigt werden, stellt keinen Nachteil dar, weil sie auch bei nichtbehinderten Bewerbern nicht berücksichtigt werden.
Die Klägerin kann infolge ihrer Behinderung nicht beanspruchen, durch die Berücksichtigung dieser weiteren Risiken besser gestellt zu werden als nichtbehinderte Einstellungsbewerber. Das folgt aus der konkreten Ausgestaltung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG als Benachteiligungsverbot. Den Behinderten bevorzugende Regelungen sind danach zwar ohne besondere Rechtfertigung zulässig, auf sie besteht aber kein Anspruch. Einen solchen Anspruch hat die Klägerin auch nicht aufgrund von § 81 oder § 82 SGB IX, weil diese an die Eigenschaft als Schwerbehinderter oder Gleichgestellter anknüpfen, die die Klägerin nicht aufweist.
Auch § 10 SGB I verleiht der Klägerin insofern keinen Anspruch. Nach seiner Ausgestaltung als soziales Recht ist § 10 SGB I zwar bei der Rechtsanwendung und -auslegung zu berücksichtigen; das dort kodifizierte Recht auf Hilfe „um Benachteiligungen aufgrund der Behinderung entgegenzuwirken“ geht aber schon inhaltlich nicht über das konkrete Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG hinaus.
3. Auch das europäische Recht gebietet keine weitere Modifikation des Prognosemaßstabs. Soweit die Klägerin ein besonderes Benachteiligungsverbot unmittelbar aus der Richtlinie 2000/78/EG ableitet und dieses - anders als das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG - nicht durch Art. 33 Abs. 5 GG eingeschränkt sieht, fehlt es schon an einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie. Voraussetzung einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinie ist - neben deren hinreichender Bestimmtheit - ein Umsetzungsdefizit des Mitgliedstaats.
Die Richtlinie 2000/78/EG wurde in Deutschland mit Wirkung vom 18. August 2006 durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (Gesetz vom 14.8.2006, BGBl. I S. 1897, - AGG -) umgesetzt. Dass nach § 24 Nr. 1 AGG das Gesetz für Beamte nur unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung gilt und damit durch Art. 33 Abs. 5 GG und die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums eingeschränkt wird, begründet kein die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie begründendes Umsetzungsdefizit.
Nach Art. 4 der Richtlinie 2000/78/EG können die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Art. 1 der Richtlinie genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Welche gesetzliche Konstruktion der Mitgliedstaat hierzu vorsieht, bleibt dabei ihm überlassen. Art. 4 der Richtlinie erfordert deshalb nicht, dass ein Mitgliedstaat eine Vorschrift wie § 8 AGG textlich der Richtlinie nachbildet, sondern erlaubt auch, diese Vorschrift in einen Regelungskontext mit weiteren gleich- oder höherrangigen Normen - hier § 24 AGG und Art. 33 Abs. 5 GG - zu stellen.
Der Senat sieht in der Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses eine Bedingung der Ausübung einer Tätigkeit im Sinne von Art. 4 der Richtlinie. Der Einwand der Klägerin, das Merkmal der „Bedingungen der Ausübung“ sei ausschließlich auf konkret tätigkeitsbezogene Ausübungsbedingungen zu beziehen, findet in der Richtlinie keine Stütze. Ein solches Verständnis lässt keinen Raum für die von der Richtlinie selbst vorgesehene Differenzierung zwischen Art und Ausübungsbedingungen einer Tätigkeit, sondern setzt beide Merkmale gleich.
Das dem Erfordernis der gesundheitlichen Eignung zugrundeliegende Lebenszeitprinzip stellt auch einen rechtmäßigen Zweck dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.2.2012 - BVerwG 2 C 76.10 -, juris Rn. 17).
Soweit an die gesundheitliche Eignung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden, sind diese auch angemessen im Sinne des Art. 4 der Richtlinie 2000/78/EG, um die Balance zwischen der Dienstleistung des Beamten und den Versorgungsverpflichtungen des Dienstherrn zu erhalten und Überlastungen dieses Systems zu vermeiden. Diese Voraussetzungen sieht der Senat mit dem zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG entwickelten modifizierten Maßstab der gesundheitlichen Eignung als erfüllt an.
4. Der Senat hat Zweifel, ob die gesundheitliche Eignung der Klägerin nach diesem Maßstab schon aufgrund der vorhandenen ärztlichen Gutachten beurteilt werden kann, weil diese Gutachten von einem anderen - dem allgemeinen - Maßstab der gesundheitlichen Eignung ausgegangen sind und deshalb die Frage beantworten, ob die vorzeitige dauerhafte Dienstunfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Das orthopädische Fachgutachten stellt insoweit fest, dass der Eintritt vorzeitiger Dienstunfähigkeit „als wahrscheinlich angenommen werden“ müsse. Ob eine vorzeitige Dienstunfähigkeit aber auch überwiegend wahrscheinlich ist oder nicht doch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, lässt sich dem nicht entnehmen.
III. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen (Satz 1), was aber nicht gilt, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (Satz 2).
Selbst wenn der Senat nach den vorstehenden Ausführungen eine Behinderung der Klägerin im Sinne des § 1 AGG bejaht und danach die Anwendung des allgemeinen Maßstabes für die gesundheitliche Eignung eine Verletzung des in § 7 Abs. 1 Satz 1 AGG normierten Benachteiligungsverbots und mithin eine Pflichtverletzung seitens der Beklagten darstellt, fehlt es hier an dem für den Schadensersatzanspruch erforderlichen Verschulden der Beklagten.
1. Das Verschuldenserfordernis begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs haben die Mitgliedstaaten darauf zu achten, dass Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie gleichartige Verstöße gegen nationales Recht (vgl. EuGH, Urteil vom 21.9.1989 - Rs. 68/88 -, juris). Nach diesem Maßstab erweist sich das Verschuldenserfordernis als europarechtskonform, weil Schadensersatzansprüche - mit Ausnahme bestimmter Fälle einer Gefährdungshaftung - im deutschen Recht grundsätzlich ein Verschulden des Schädigers voraussetzen (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2007, § 15 Rn. 15) und die Vorschrift des § 15 Abs. 1 AGG der Regelung des § 280 BGB nachgebildet ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780, S. 38).
Nichts anderes ergibt sich aus der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. In den Entscheidungen vom 10. April 1984 (Rs. 14/83 und 79/83) hat sich der Europäische Gerichtshof zur Frage des Verschuldens nicht geäußert, sondern nur festgestellt, dass Sanktionen wirksam und abschreckend sein müssen. Dass dies nur für verschuldensunabhängige Ansprüche gälte, ist nicht ersichtlich. In einem weiteren Urteil vom 22. April 1997 - C-180/95 Draehmpaehl - hatte der Europäische Gerichtshof zwar ein Verschuldenserfordernis als unionsrechtswidrig gerügt, dieses betraf jedoch § 611a BGB a. F. und damit Ersatz für immaterielle Beeinträchtigungen. Dieser Rechtsprechung folgend setzt der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz in § 15 Abs. 2 AGG kein Verschulden voraus, was aber keine Rückschlüsse auf den Ersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG zulässt.
Auch die Europäische Kommission, die zunächst Bedenken gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG erhoben hatte, hat das gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren (vgl. Vertragsverletzungsverfahren 2007/2362, Schreiben vom 30.1.2008 an den Bundesminister des Auswärtigen, K(2008)0103) unter Bezugnahme auf zwischenzeitlich erfolgte Änderungen des AGG am 28. Oktober 2010 eingestellt und mitgeteilt, dass die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2000/78/EG ordnungsgemäß umgesetzt habe. Angesichts dessen geht der Senat davon aus, dass die Kommission an den zunächst geäußerten Bedenken gegen die - seither unveränderte - Verschuldensregelung in § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG nicht mehr festhält.
2. Zu vertreten hat der Arbeitgeber beziehungsweise der Dienstherr Vorsatz und Fahrlässigkeit insbesondere nach Maßgabe der §§ 276 bis 278 BGB (vgl. dazu BT-Drucks. 16/1780, S. 38; Bauer/Göpfert/Krieger, a. a. O., Rn. 15 zu § 15).
Der Beklagten ist hier weder der Vorwurf vorsätzlichen noch fahrlässigen Handelns zu machen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei der Prüfung der gesundheitlichen Eignung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat.
Weder aus dem amtsärztlichen Gutachten noch aus der fachorthopädischen Stellungnahme ergeben sich Befunde, anhand derer eine Behinderung für den medizinisch nicht geschulten Sachbearbeiter offenkundig war. Sie drängte sich auch nicht angesichts der Einwände der Klägerin auf. Eine Feststellung nach § 69 Abs. 1 SGB IX lag im Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten noch nicht vor. Auch diese Feststellung ist im Übrigen anhand der ärztlichen Unterlagen zunächst abgelehnt worden und erst auf den Widerspruch der Klägerin ergangen.
Auch wenn sich anhand der ärztlichen Stellungnahmen letztlich eine Behinderung bejahen lässt, ist die Beklagte von einem etwaigen Verschulden schließlich dadurch entlastet, dass der Senat erstmals mit Urteil vom 25. Januar 2011 - a. a. O. - für die Gruppe behinderter Menschen eine Modifizierung des Begriffs der gesundheitlichen Eignung vorgenommen hat. Diese Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung war der Beklagten zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht bekannt und konnte demzufolge von ihr nicht in Erwägung gezogen werden (vgl. zur Möglichkeit der Entlastung bei Rechtsprechungsänderungen Schmidt-Kessel, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 5. Aufl. 2010, Rn. 11 zu § 276 unter Hinweis auf BGHZ 145, 265).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO.
Zur Klärung der Frage, ob der Maßstab der gesundheitlichen Eignung bei nicht schwer Behinderten modifiziert werden muss, hat der Senat die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil über die Revision gegen das Urteil vom 25. Januar 2011 (a. a. O.), das die gleiche Frage zum Gegenstand hatte, noch nicht entschieden ist.