Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.07.2012, Az.: 4 LA 138/12
Eingangsstempel auf der Klageschrift als voller Beweis für den Eingang der Klageschrift an dem betreffenden Tag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.07.2012
- Aktenzeichen
- 4 LA 138/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 22029
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0711.4LA138.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 17.04.2012 - AZ: 4 A 3866/10
Rechtsgrundlagen
- § 98 VwGO
- § 418 Abs. 1 ZPO
- § 418 Abs. 2 ZPO
Fundstelle
- DÖV 2012, 860
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Eingangsstempel auf der Klageschrift erbringt als öffentliche Urkunde nach § 98 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO den .
- 2.
Der nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis ist grundsätzlich nur dann erbracht, wenn durch ihn der Eingang der Klageschrift an einem anderen Tag zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen ist. Der Gegenbeweis muss also jede Möglichkeit der Richtigkeit des durch den Eingangsstempel beurkundeten Tags des Eingangs der Klageschrift vernünftigerweise ausschließen.
Gründe
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die naturschutzrechtliche Anordnung der Beklagten vom 11. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2010 wegen Verfristung abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Klage ausweislich des Eingangsstempels erst am 7. September 2010 und damit nach Ablauf der am Vortag endenden Klagefrist bei Gericht eingegangen sei. Der Kläger habe zwar behauptet, dass die Klageschrift bereits am Abend des 6. September 2010 von seiner Ehefrau in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen worden sei. Dem stehe aber die Beweiskraft des Eingangsstempels entgegen. Der Eingangsstempel eines Gerichts erbringe nach§ 98 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO als öffentliche Urkunde den vollen Beweis für den Eingang der Klage an diesem Tag. Gemäß § 418 Abs. 2 ZPO sei zwar ein Gegenbeweis zulässig. Die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Klageschrift müsse aber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Der Gegenbeweis sei durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen noch nicht erbracht. Nach diesen Maßstäben sehe das Gericht den Gegenbeweis nicht als geführt an, weil die Aussagen der Ehefrau und des Sohnes des Klägers, die das Gericht als Zeugen vernommen habe, allenfalls geeignet seien, Zweifel an der Richtigkeit des Eingangsstempels zu begründen. Aus der Aussage des Sohnes des Klägers habe das Gericht nicht die volle Überzeugung gewinnen können, dass sich der geschilderte Vorgang tatsächlich am 6. September 2010 und nicht am 7. September 2010 zugetragen habe. Der Zeuge habe zwar behauptet, sich an das Datum genau erinnern zu können, aber auf Nachfrage eingeräumt, sich dieses nicht etwa notiert, sondern das Datum zurückgerechnet zu haben. Weiter habe er angegeben, dass es sich nach seiner Erinnerung um einen Dienstag oder einen Mittwoch gehandelt habe. Der 6. September 2010 sei aber auf einen Montag gefallen. Das Gericht sehe dadurch die Glaubwürdigkeit des Zeugen insoweit als erschüttert an, als er behauptet habe, sicher zu wissen, dass sich der Vorfall am 6. September 2010 zugetragen habe. In diesem Punkt halte das Gericht einen Irrtum für nicht ausgeschlossen. Hinsichtlich der Aussage der Ehefrau des Klägers erscheine dem Gericht zumindest ungewöhnlich, dass auf den Hinweis des Gerichts in der Eingangsverfügung, dass die Klage erst am 7. September 2010 und damit verspätet bei Gericht eingegangen sei, eine Reaktion nicht unverzüglich, sondern erst mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 12. November 2010 erfolgt sei. Nach dem Hinweis des Gerichts auf Zweifel an der Zulässigkeit der Klage hätte bei der von der Zeugin geschilderten Vorgeschichte eine unmittelbare zeitliche Reaktion auf die Verfügung des Gerichts nahe gelegen. Das Gericht habe schließlich auch aus der Aussage des als Zeugen vernommenen EJHW C. keine Anhaltspunkte für die Annahme gewonnen, dass es im konkreten Fall zumindest wahrscheinlich sei, dass die Klageschrift mit einem falschen Stempel versehen worden sei.
Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieses erstinstanzlichen Urteils. Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht vielmehr darin überein, dass die Klage verfristet und deshalb unzulässig ist, weil der Eingangsstempel auf der Klageschrift als öffentliche Urkunde nach § 98 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis für den Eingang der Klageschrift nach Ablauf der Klagefrist erbringt und der nach§ 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis im vorliegenden Fall nicht erbracht worden ist.
Ein Gegenbeweis ist grundsätzlich nur dann erbracht, wenn durch ihn die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Klageschrift zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.2.1992 - 2 BvR 1179/91 -, NJW 1993, 255; BFH, Beschl. v. 14.3.2011 - 6 R 81/10 - m.w.N.). Der Gegenbeweis muss also jede Möglichkeit der Richtigkeit des durch den Eingangstempel beurkundeten Tags des Eingangs der Klageschrift vernünftigerweise ausschließen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 70. Aufl., § 418 Rn. 9 m.w.N.). Bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen reichen zur Führung des Gegenbeweises mithin nicht aus (BFH, Beschl. v. 14.3.2011 - 6 R 81/10 - m.w.N.).
Ausgehend davon hat der Kläger den Gegenbeweis dafür, dass der Eingangsstempel des Verwaltungsgerichts den Eingang der Klageschrift nicht zutreffend beurkundet, nicht erbracht.
Die Zeugenaussage der Ehefrau des Klägers, der zufolge die Klageschrift am Abend des 6. September 2010 von ihr persönlich in den Nachtbriefkasten des Verwaltungsgerichts eingeworfen worden sein soll, weist zwar keine Widersprüche auf und erscheint auch in den Details als plausibel. An der Richtigkeit der Aussage der Zeugin bestehen aber gleichwohl gewisse Zweifel, weil die Zeugin als Ehefrau des Klägers einerseits ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben dürfte und weil andererseits ausgehend von ihrer Aussage nicht verständlich ist, dass der Kläger auf den Hinweis des Gerichts in der Eingangsverfügung vom 7. September 2010, dass Zweifel an der Zulässigkeit der Klage bestehen, weil die Klagefrist am 6. September 2010 abgelaufen sein dürfte, die Klage aber erst am darauffolgenden Tag beim Gericht eingegangen ist, nicht unverzüglich oder zumindest zeitnah, sondern erst nach mehr als zwei Monaten mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12. November 2010 reagiert hat. Denn das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine unverzügliche oder zumindest zeitnahe Reaktion nahegelegen hätte, wenn die Klageschrift tatsächlich unter den von der Zeugin geschilderten Umständen am letzten Tag der Klagefrist in den Nachtbriefkasten des Verwaltungsgerichts eingeworfen worden sein sollte. Bei lebensnaher Betrachtung dürfte eine zeitnahe Reaktion in diesem Fall sogar zu erwarten gewesen sein. Das gilt umso mehr, als der Kläger selbst erklärt hat, dass sich seine Ehefrau für ihn um die Angelegenheit gekümmert habe, dass ihr als gelernter Rechtsanwaltsfachangestellter, die 35 Jahre lang bei einem Anwalt tätig gewesen sei, die Bedeutung von Fristen im "Justizbereich" bekannt sei und dass sie sich daher auch ganz sicher gewesen sei, die Klageschrift rechtzeitig in den richtigen Briefkasten des Verwaltungsgerichts eingeworfen zu haben. Die Erklärung des Klägers für die verspätete Reaktion auf die gerichtliche Verfügung, seine Ehefrau habe keine Notwendigkeit gesehen, auf die Eingangsverfügung des Gerichts unverzüglich zu reagieren, weil das Gericht keine Frist gesetzt habe, überzeugt nicht. Auch die Argumentation des Klägers, dass es durchaus naheliegend sei, dass ein bislang anwaltlich nicht vertretener Kläger erst anwaltlichen Rat suche, um auf den Hinweis des Gerichts sachgerecht reagieren zu können, ist wenig überzeugend, weil der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf den Tag des Eingangs der Klageschrift eindeutig gewesen ist und der Kläger keines anwaltlichen Beistandes bedurfte, um dem Gericht zu schildern, dass die Klageschrift von seiner Ehefrau schon am Abend des 6. September 2010 in den Nachtbriefkasten des Verwaltungsgericht geworfen worden ist.
Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht ferner darin überein, dass auch die Glaubhaftigkeit der Angaben des als Zeugen vernommenen Sohnes des Klägers erschüttert ist, weil der Zeuge einerseits behauptet hat, zu wissen, "dass es sich (bei dem fraglichen Abend) um den 06.09.2010 gehandelt" habe, andererseits aber angegeben hat, nach seiner Erinnerung sei es ein Dienstag, "eventuell auch ein Mittwoch" gewesen, obwohl der 6. September 2010 auf einen Montag fiel. Dass der Sohn des Klägers später ausgesagt hat, er wisse es nicht mehr "ganz genau", "meine" aber, dass es sich bei dem fraglichen Abend "eher" um den zweiten Abend (Montag) oder den dritten Abend (Dienstag) gehandelt habe, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Daher reicht auch diese Zeugenaussage zur Führung des Gegenbeweises nicht aus.
Des Weiteren ergeben sich aus der Aussage des Zeugen C. keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klageschrift mit einem falschen Datum abgestempelt worden ist. Die gegenteilige Auffassung des Klägers, dass nach der Darstellung des Zeugen über die übliche Verfahrensweise bei der Leerung des Nachtbriefkastens sehr wohl konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass es zu einer fehlerhaften Abstempelung der Klageschrift gekommen sei, ist unzutreffend. Ein menschliches Fehlverhalten ist bei der geschilderten Verfahrensweise zwar nicht völlig ausgeschlossen. Daraus ergibt sich aber weder, dass die Klageschrift im vorliegenden Fall falsch abgestempelt worden ist, noch dass dies wahrscheinlich ist. Dass das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen hat, dass durch andere Verfahrensweise bei der Leerung des Nachtbriefkastens ein mögliches Fehlverhalten ausgeschlossen oder jedenfalls reduziert werden könnte, ändert daran nichts.
Schließlich zeigen auch die vom Kläger vorgelegten "Screenshots" des von der Ehefrau benutzten Computers lediglich, dass die Klageschrift am 6. September 2010 um 22.12 Uhr zuletzt gedruckt worden ist; daraus ergibt sich aber nicht zwangsläufig, dass die Klageschrift auch am selben Tag beim Verwaltungsgericht eingegangen ist.
Nach alledem kann keine Rede davon sein, dass durch die Zeugenaussagen oder auf andere Weise die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Klageschrift und damit die Unrichtigkeit des Eingangsstempels zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen worden ist. Folglich hat der Kläger den zum Beweis der Unrichtigkeit des Eingangsstempels erforderlichen Gegenbeweis nicht erbracht. Daher kommt eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht.
Da der vorliegende Fall keine Frage aufwirft, die sich nur unter besonderen, d.h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten beantworten lässt, kann die Berufung auch nicht wegen besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden.