Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.09.2011, Az.: 5 ME 241/11

Erforderlichkeit der Erstellung einer Anlassbeurteilung bei Teilnahme an einer Personalentwicklungsmaßnahme nach dem Beurteilungsstichtag der aktuellen Regelbeurteilung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.09.2011
Aktenzeichen
5 ME 241/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 25543
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0921.5ME241.11.0A

Fundstelle

  • NordÖR 2012, 52-53

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Teilnahme an einer Personalentwicklungsmaßnahme nach dem Beurteilungsstichtag der aktuellen Regelbeurteilung macht nicht zwingend die Erstellung einer Anlassbeurteilung erforderlich.

  2. 2.

    Sind Bewerber um einen so genannten Sockeldienstposten in ihren aktuellen Regelbeurteilungen im Wesentlichen gleich beurteilt worden, ist die zuständige Polizeibehörde angesichts des weiten Ermessensspielraums, der ihr bei dem Rückgriff auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Auswahlkritierien zusteht, nicht verpflichtet, Beförderungsrichtlinien anzuwenden.

Gründe

1

Die Beschwerden des Antragsgegners und des Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts haben Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist deshalb zu ändern und der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

2

1.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht allerdings festgestellt, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.

3

Der Senat teilt nicht die Ansicht des Beigeladenen, es liege ein Fall der reinen Dienstpostenkonkurrenz vor und deshalb sei kein Anordnungsgrund zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs gegeben. Wie sich aus einem Schreiben des Antragsgegners an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 18. April 2011 ergibt, handelt es sich bei dem erstrebten Dienstposten zwar lediglich um einen von 42 so genannten Sockeldienstposten. Ein über die mit der Dienstpostenübertragung verbundene Beeinträchtigung hinausgehender Nachteil folgt für den Antragsteller jedoch daraus, dass er diesen Sockeldienstposten benötigt, um seine Chancen auf eine Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 11 zu wahren. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Ernennung in die Statusämter A 11, A 12 und A 13 nach den Richtlinien für die Ernennung und Beförderung im gehobenen Polizeivollzugsdienst vom 13. Januar 2001 die Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens voraussetzt und der Antragsteller aus dem Kreis der für eine Beförderung in ein Amt der Besoldungsgruppe A 11 in Betracht kommenden Beamten von vornherein ausscheiden würde, wenn es ihm nicht gelänge, seinen geltend gemachten Anspruch auf Übertragung des Sockeldienstpostens zu sichern.

4

2.

Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Denn die streitige Auswahlentscheidung des Antragsgegners ist nicht rechtsfehlerhaft.

5

Auswahlentscheidungen unterliegen als Akt wertender Erkenntnis lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2003 - BVerwG 2 C 16.02 -, [...]; Nds. OVG, Beschl. v. 15.11.2010 - 5 ME 244/10 -, [...]; Beschluss vom 10.2.2011 - 5 ME 292/10 -).

6

Ausgehend von diesen Grundsätzen begegnet die von dem Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung keinen rechtlichen Bedenken.

7

a)

Der Antragsgegner hat zu Recht bei der Auswahlentscheidung zunächst auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen der Bewerber abgestellt.

8

Dem nicht nur bei einer Beförderung, sondern auch bei der Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens zu beachtenden Grundsatz der Bestenauslese (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.2.2003, a.a.O.), der sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 BeamtStG ergibt, entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellen dienstlichen Beurteilungen, weil für die zu treffende Entscheidung hinsichtlich von Leistung, Befähigung und Eignung auf den aktuellen Stand abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2003, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 13.4.2010 - 5 ME 328/09 -, [...]; Beschluss vom 8.4.2010 - 5 ME 277/09 -, [...]; OVG Münster, Beschluss vom 1.8.2011 - 1 B 186/11 -, [...]).

9

Der Senat teilt nicht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die bei der Auswahlentscheidung maßgeblichen aktuellen dienstlichen Beurteilungen zum Stichtag 1. September 2008 für die Auswahlentscheidung im März 2011 nicht mehr hinreichend aktuell gewesen seien und keinen aktuellen Leistungsvergleich des Antragstellers mit dem Beigeladenen ermöglichten.

10

Unter welchen Voraussetzungen zurückliegende Beurteilungen noch eine hinreichend verlässliche Grundlage für eine Auswahlentscheidung darstellen, lässt sich nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles beantworten (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.12.2008 - 5 ME 353/08 -; Beschl. v. 24.7.2008 - 5 ME 70/08 -; Beschl. v. 27.5.2005 - 5 ME 57/05 -, [...], Rn. 22 des Langtextes m.w.N.). Dabei können diese Umstände eine Anlassbeurteilung sogar dann gebieten, wenn die einschlägigen Beurteilungsrichtlinien eine solche Beurteilung grundsätzlich nicht vorsehen. Zu den Umständen, die eine Anlassbeurteilung erforderlich machen, gehören namentlich einschneidende Veränderungen, die seit der letzten Regelbeurteilung in Bezug auf die Verwendung eines Beamten eingetreten sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.9.2005 - BVerwG 1 WB 4.05 -, [...], Rn. 25 des Langtextes).

11

Nach Auffassung des Senats stellt die Teilnahme des Antragstellers an einer Personalentwicklungsmaßnahme in einem so genannten Förderpool vom 12. Juli 2010 bis zum 11. Juli 2011 noch keine derartig einschneidende Veränderung dar, die eine Anlassbeurteilung im Hinblick auf die hier streitige Auswahlentscheidung erforderlich gemacht hätte. Bei dieser Personalentwicklungsmaßnahme handelte es sich nach dem Schreiben des Antragsgegners an den Antragsteller vom 5. Juli 2010 um eine befristete Umsetzung des Antragstellers für die Zeit vom 12. Juli 2010 bis zum 11. Juli 2011 unter Beibehaltung seines Dienstpostens im Dezernat zum Dezernat - Zentrale Aufgaben -, wo er als Sachbearbeiter eingesetzt worden ist. Zwar hat sich damit vorübergehend das Aufgabenfeld des Antragstellers geändert. Die Personalentwicklungsmaßnahme soll es nach dem Vortrag des Antragsgegners dem Mitarbeiter ermöglichen, sein dienstliches Handwerkszeug insbesondere durch Wahrnehmung von Führungsfunktionen und Ausübung von Stabstätigkeiten zu erweitern. Der an einer Personalentwicklungsmaßnahme teilnehmende Mitarbeiter übernimmt aber nicht auf Dauer Aufgaben eines höherwertigen Dienstpostens, sondern er wird nach Ziffer II. 2. des Personalentwicklungskonzeptes des Antragsgegners durch Rotation, Hospitation, Aufgabenanreicherung, Aufgabenerweiterung, Sonderaufgaben und Projektarbeit auf seine Person individuell zugeschnitten für einen bestimmten Zeitraum gefördert, um seine Verwendungsbreite zu erhöhen. Dass sich die Qualifikation des Antragstellers durch diese Personalentwicklungsmaßnahme so erheblich geändert hätte, dass sie z.B. einer mit einer Beförderung verbundenen gravierenden Veränderung gleichkäme, ist nicht ersichtlich, zumal der Antragsteller nach dieser Maßnahme wieder seinen alten Dienstposten im Dezernat wahrnimmt. Das Aufnahmeverfahren für den Förderpool führt zu keiner anderen Einschätzung.

12

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der Tätigkeit des Antragstellers als Leiter der Einsatzgruppe "Sale & Lease" vom 28. Mai 2008 bis zum 30. Juni 2009. Mit der Leitung dieser Gruppe ist er bereits während des Beurteilungszeitraums der aktuellen Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2008 betraut worden, so dass diese Tätigkeit bereits teilweise in diese Beurteilung eingeflossen ist (vgl. Ziff. 4.3 der Beurteilung des Antragstellers zum Stichtag 1. September 2008). Zudem ist nicht ersichtlich, dass es sich um eine derart herausragende Tätigkeit gehandelt hätte, die eine Anlassbeurteilung gerechtfertigt hätte. Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat eine erheblich verbesserte Qualifikation des Antragstellers nicht aufgrund der Belobigung der Staatsanwaltschaft C. festzustellen. Diese Belobigung ist zwar bemerkenswert und - wie sich aus den handschriftlichen Randbemerkungen im Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 11. Mai 2009 ergibt - von den Vorgesetzten des Antragstellers als beachtlich gewürdigt worden. Jedoch beruht diese Belobigung nicht auf den Beurteilungsgrundsätzen der Beurteilungsrichtlinien für die Polizei des Landes Niedersachsen (BRLPol) vom 11. Juli 2008 (Nds. MBl. S. 782 ff.).

13

b)

Das Auswahlverfahren ist auch nicht rechtsfehlerhaft, weil der Antragsgegner - nachdem er die aktuellen Regelbeurteilungen der Bewerber verglichen und festgestellt hat, dass diese im Wesentlichen gleich beurteilt worden sind - seine Auswahlentscheidung nicht auf die Bewertungen in den vorletzten Beurteilungen (Altbeurteilungen) der Bewerber gestützt hat, sondern Auswahlgespräche geführt und aufgrund des Ergebnisses dieser Auswahlgespräche seine Auswahl getroffen hat.

14

Sofern - wie hier - von einer im Wesentlichen gleichen Beurteilung der Bewerber auszugehen ist, ist für die Auswahlentscheidung auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen, wobei der zuständigen Behörde bei der Auswahl der unmittelbar leistungsbezogenen Kriterien ein weiter Ermessensspielraum zusteht und sie insbesondere nicht gehalten ist, bei der Heranziehung der weiteren unmittelbar leistungsbezogenen Kriterien eine bestimmte Rangfolge einzuhalten (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2003, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 10.2.2011 - 5 ME 292/10 -; Beschl. v. 11.3.2011 - 5 ME 6/11 -). Leistungsbezogene Auswahlkriterien können sich aus älteren dienstlichen Beurteilungen ergeben, deren zusätzliche Berücksichtigung geboten ist, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Beamten zu treffen ist. Als unmittelbar leistungsbezogenes Kriterium kann der Dienstherr auch die Ergebnisse von strukturierten Auswahlgesprächen heranziehen (vgl. zu Auswahlgesprächen Nds. OVG, Beschl. v. 2.7.2008 - 5 ME 49/08 -; Beschl. v. 27.10.2008 - 5 ME 394/08 -). Ebenso können sich leistungsbezogene Auswahlkriterien zum Beispiel auch aus den aktuellen dienstlichen Beurteilungen ergeben, wenn sich aus der Bewertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung insbesondere auch im Hinblick auf das mit dem zu besetzenden Dienstposten verbundene Anforderungsprofil ein Leistungsunterschied ergibt (so genannte ausschärfende Betrachtungsweise; vgl. BVerwG, Urteil vom 21.8.2003 - BVerwG 2 C 14.02 -, [...]; Nds. OVG, Beschl. v. 18.8.2011 - 5 ME 212/11 -, [...]).

15

Hiernach ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner seine Auswahlentscheidung auf der Grundlage von Auswahlgesprächen getroffen hat, nachdem drei Bewerber nach den Gesamturteilen einschließlich der Binnendifferenzierungen in ihrer aktuellen Regelbeurteilung gleich beurteilt worden sind. Der Antragsgegner war im Rahmen seines weiten Auswahlermessens nicht gebunden, die Rahmenrichtlinien für Beförderungsentscheidungen für die Polizei des Landes Niedersachsen (BefRiLiPol) vom 11. Mai 2009 (Nds. MBl. 2009, 501 ff.) und die Richtlinien für die Ernennung und Beförderung im gehobenen Polizeivollzugsdienst vom 13. Januar 2011 anzuwenden. Diese Richtlinien sehen zwar als nächstes Kriterium nach der Gesamtnote und der Binnendifferenzierung in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen der im Wesentlichen gleich beurteilten Bewerber zwingend die Berücksichtigung der Vorbeurteilungen vor. Diese Richtlinien gelten aber ausdrücklich nur für Beförderungsentscheidungen. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um ein Auswahlverfahren um die Besetzung eines Beförderungsdienstpostens, sondern eines so genannten Sockeldienstpostens. Dieses Besetzungsverfahren ist zwar - wie bereits oben unter Ziffer 1. ausgeführt - ein vor die Besetzung der Beförderungsdienstposten geschaltetes Auswahlverfahren. Es hat für die Bewerber eine erhebliche Bedeutung, weil ihnen durch das Auswahlverfahren über Sockeldienstposten erst eine Chance auf eine Beförderung eröffnet wird. Gleichwohl vermag der Senat eine Ermessensbindung des Antragsgegners dahingehend, dass dieser auch in Verfahren um die Besetzung von Sockeldienstposten die Beförderungsrichtlinien anwenden muss, nicht zu erkennen, auch wenn die Anwendung dieser Richtlinien eine größere Transparenz der Auswahlscheidungen um Sockeldienstposten ermöglichen würde. Denn - wie bereits oben ausgeführt - steht der zuständigen Behörde bei der Auswahl der unmittelbar leistungsbezogenen Kriterien ein weiter Ermessensspielraum zu. Das Verfahren um die Besetzung von Sockeldienstposten ist ein von dem Beförderungsverfahren gesondert zu betrachtendes Auswahlverfahren. Es führt nicht unmittelbar zur Beförderung des Ausgewählten; die Beförderung kann vielmehr erst nach einem weiteren Auswahlverfahren erfolgen. Hat der Antragsgegner für das Verfahren um die Besetzung von Sockeldienstposten keine Richtlinien getroffen, kann er deshalb die Reihenfolge der Berücksichtigung der leistungsbezogenen Kriterien nach einem Vergleich der aktuellen Beurteilungen nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmen. Dabei stünde es im Übrigen auch in seinem Ermessen, die oben genannten Rahmenrichtlinien für Beförderungsentscheidungen entsprechend in Besetzungsverfahren um Sockeldienstposten anzuwenden. Dem Senat ist bekannt, dass z.B. die Zentrale Polizeidirektion des Landes Niedersachsen bei der Besetzung von Sockeldienstposten ihre Beförderungsrichtlinien anwendet (vgl. Beschluss des Senats vom 20.9.2011 - 5 ME 261/11 -). Entscheidet sich die zuständige Behörde aber - wie hier - die Beförderungsrichtlinien nicht anzuwenden, ist dies nicht ermessensfehlerhaft. Es ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner bei der Besetzung anderer Sockeldienstposten ansonsten ausnahmslos anders verfahren und die Beförderungsrichtlinien anwenden würde (vgl. dazu etwa das Auswahlverfahren, das dem Beschluss des Senats vom 18.8.2011, a.a.O., zugrunde lag).

16

Schließlich folgt der Senat den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass der Ablauf und die Dokumentation des Auswahlgesprächs keinen rechtlichen Bedenken begegnen. Er macht sich die zutreffende Begründung im dritten Absatz auf Seite 6 des angefochtenen Beschlusses zu Eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).