Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.07.2012, Az.: 2 LC 617/10

Berücksichtigung von Kann-Kinder bei dem i.R.d. Berechnung der Finanzhilfe für genehmigte Ersatzschulen gemäß § 150 Abs. 2 S. 2 NSchG in Ansatz zu bringenden Schülermittelwert

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.07.2012
Aktenzeichen
2 LC 617/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 21126
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0711.2LC617.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 30.11.2010 - AZ: 4 A 338/09

Fundstellen

  • DÖV 2012, 855
  • NdsVBl 2012, 335-336

Amtlicher Leitsatz

Kann-Kinder sind bei dem im Rahmen der Berechnung der Finanzhilfe für nach § 161 Abs. 3 NSchG anerkannte Ergänzungsschulen gemäß § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG in Ansatz zu bringenden Schülermittelwert auch dann zu berücksichtigen, wenn die Schulfähigkeit dieser Kinder zuvor nicht von einer öffentlichen Grundschule gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 NSchG festgestellt worden ist.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Finanzhilfe 2008/2009 für die von dem Kläger betriebene E. Schule F..

2

Der E. Schule F. wurde mit Bescheid vom 16. November 2004 die Eigenschaft einer anerkannten Ergänzungsschule gemäß § 161 Abs. 3 NSchG zuerkannt. Aufgrund des Bescheides der Bezirksregierung G. vom 24. August 2004 ruht gemäß § 160 Satz 1 NSchG die Schulpflicht für die diese Schule besuchenden Schülerinnen und Schüler. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2009 setzte die Beklagte eine Finanzhilfe für das Schuljahr 2008/2009 von insgesamt 341.481,68 EUR fest. Dabei ging die Beklagte von einer Durchschnittsschülerzahl im Primarbereich von 62,5 Schülern aus, berücksichtigte aber weitere zehn sogenannte Kann-Kinder zum 15. November 2008 und neun Kann-Kinder zum 15. März 2009 bei der Berechnung nicht.

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Gegen die Nichtberücksichtigung dieser Kann-Kinder hat der Kläger am 28. Dezember 2009 Klage erhoben mit dem Ziel, den Schülermittelwert entsprechend anzuheben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, die Kann-Kinder seien bei der Berechnung der Finanzhilfe zu berücksichtigen, sodass ihm ein weiterer Betrag in Höhe von 19.915,71 EUR (2.096,39 EUR x 9,5) als Finanzhilfe zustehe. Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 NSchG könne sogar von schulpflichtigen Kindern ausgegangen werden, weil bis zum 30. September 2008 das sechste Lebensjahr von diesen vollendet worden sei. Nach der Übergangsvorschrift des § 184 NSchG würden alle diese Kinder abweichend von § 64 Abs. 1 Satz 1 NSchG ebenfalls als schulpflichtig gelten. Es komme nicht darauf an, ob eine öffentliche Grundschule die Schulfähigkeit der Kann-Kinder festgestellt habe. Es reiche aus, dass die Ergänzungsschule die Schulfähigkeit festgestellt und die Kinder mit jeweils privatrechtlichem Beschulungsvertrag aufgenommen habe. Damit seien sie Schüler geworden, die nach §§ 161 Abs. 3 Satz 4, 150 Abs. 2 NSchG zu fördern seien. Gemäß Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der §§ 64 Abs. 1 Satz 2 und 3, 161 NSchG seien die anerkannten Ergänzungsschulen berechtigt, die Schulfähigkeit als Voraussetzung der Aufnahme festzustellen. Der Gesetzgeber binde die Ergänzungsschule mit der Entscheidung über das Ruhen der Schulpflicht rechtlich untrennbar an die Bildungsinhalte der ihr entsprechenden Schulform. Anerkannte Ergänzungsschule und öffentliche Schulen hätten nach gleichen Kriterien über die Aufnahme und als deren Voraussetzung über die Schulfähigkeit von Kann-Kindern zu entscheiden. Dies werde bei der E. Schule F. gewährleistet. Hinzu komme, dass die Beklagte im Finanzhilfebescheid für das Schuljahr 2007/2008 die Kann-Kinder mit einbezogen und sich damit nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG selbst gebunden habe. Davon dürfe sie im Folgejahr ohne sachlichen Grund nicht abweichen.

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Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, eine weitere Finanzhilfe für das Schuljahr 2008/2009 für die E. Schule F. in Höhe von 19.915,71 EUR festzusetzen und den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2009 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

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Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

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und zur Begründung vorgetragen, dass nach der geltenden Rechtslage nur die an sich örtlich zuständige öffentliche Grundschule die Schulfähigkeit von Kann-Kindern wirksam feststellen könne. Erst wenn diese Grundschule positiv entschieden habe, könne das Kann-Kind an einer Ergänzungsschule aufgenommen werden und werde mit der Aufnahme schulpflichtig. In Ziffer 3.4 Abs. 3 des Grundsatzerlasses über die Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft vom 1. August 2007 sei diese Rechtslage erstmals im Rahmen der Finanzhilfe klargestellt worden. Auf die Frage, ob die Schule in freier Trägerschaft bei Aufnahme des Kann-Kindes ein eigenes umfangreiches Aufnahmeverfahren durchgeführt habe und fachlich ebenso kompetent wie eine öffentliche Grundschule die Schulfähigkeit eines Kindes beurteilen könne, komme es nicht an. Bei der Veröffentlichung des Runderlasses seien die Aufnahmeverfahren für den ersten Schuljahrgang im Jahr 2007 bereits abgeschlossen gewesen. Auf eine Prüfung, ob für alle in den ersten Schuljahrgang im Schuljahr 2007/2008 aufgenommenen Kann-Kinder die erforderliche Feststellung der zuständigen öffentlichen Grundschule vorgelegen habe, sei daher zu Gunsten der Schulen in freier Trägerschaft verzichtet worden. Am 23. August 2007 seien alle Schulträger über die Neuregelungen informiert worden. Mit Rundschreiben vom 3. Juli 2008 seien noch einmal alle Schulen in freier Trägerschaft mit Primarbereich auf das Verfahren zur Aufnahme von Kindern im ersten Schuljahrgang und die Konsequenzen bei der Gewährung von Finanzhilfe hingewiesen worden. Ab dem Schuljahr 2008/2009 seien im Rahmen der Finanzhilfe Kann-Kinder, für die eine Feststellung der öffentlichen Grundschule nicht vorliege, aus den genannten sachlichen Gründen nicht berücksichtigt worden. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG sei damit nicht ersichtlich.

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Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat die Klage mit Urteil vom 30. November 2010 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf eine weitere Finanzhilfe für das Schuljahr 2008/2009 für die E. Schule F. in der geltend gemachten Höhe nicht zu. Die für die Berechnung des Grundbetrages als ein Element der Finanzhilfe maßgebliche Durchschnittszahl sei gemäß § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG der Mittelwert der Zahlen der Schülerinnen und Schüler am 15. November und 15. März des Schuljahres. Ein Anspruch auf weitere Förderung der E. Schule F. für die zum Schuljahr 2008/2009 aufgenommenen Kann-Kinder ergebe sich nicht bereits daraus, dass die bislang nicht berücksichtigten Kinder vor dem 30. September 2008 sechs Jahre alt geworden seien, ihre Schulfähigkeit durch die besuchte Schule festgestellt worden oder die Beklagte wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 GG zur Förderung verpflichtet sei. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers seien die nach dem 30. Juni geborenen und im Schuljahr 2008/2009 an der E. Schule F. eingeschulten Kinder nicht schon deshalb zu berücksichtigten, weil sie vor dem 30. September 2008 sechs Jahre alt geworden seien. Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 NSchG würden mit Beginn eines Schuljahres die Kinder schulpflichtig, die das sechste Lebensjahr bis zum folgenden 30. September vollenden würden. Nach der Übergangsregelung des § 184 NSchG würden abweichend von § 64 Abs. 1 Satz 1 NSchG bis zum Schuljahr 2009/2010 alle Kinder schulpflichtig, die bis zum 30. Juni 2009 das sechste Lebensjahr vollendet haben. Die Überprüfung der Schulfähigkeit der Kann-Kinder durch die E. Schule F. führe nicht dazu, dass diese Kinder schulpflichtig geworden seien und deshalb bei der Finanzhilfe zu berücksichtigen wären. Nach § 160 Satz 1 NSchG könne die Schulbehörde für eine Ergänzungsschule, die einen Unterricht von mindestens 24 Wochenstunden erteile, die Feststellung treffen, dass während des Besuchs der Ergänzungsschule die Schulpflicht ruhe. Eine solche Feststellung habe die Bezirksregierung G. mit Bescheid vom 24. August 2004 für die vom Kläger betriebene Schule getroffen. Auf Antrag der Erziehungsberechtigten könnten Kinder, die zu Beginn des Schuljahres noch nicht schulpflichtig seien, in die Schule aufgenommen werden, wenn sie die für den Schulbesuch erforderliche körperliche und geistige Schulfähigkeit besäßen und in ihrem sozialen Verhalten ausreichend entwickelt seien. Diese Kinder würden mit der Aufnahme schulpflichtig. Zutreffend gehe die Beklagte davon aus, dass die zuständige Schule nur die öffentliche Grundschule sein könne, die das Kind gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 NSchG zu besuchen hätte, wenn es keine Schule in freier Trägerschaft besuchen würde. Soweit in der Kommentarliteratur hinsichtlich der E. Schulen in Niedersachsen eine gegenteilige Auffassung vertreten werde, folge die Kammer dem nicht. Es ergebe sich aus Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Regelungen des Niedersächsischen Schulgesetzes schon nicht, dass Ersatzschulen, an denen die Schulpflicht erfüllt werden könne, berechtigt seien, die Schulfähigkeit im Sinne des § 64 Abs. 1 Satz 2 NSchG festzustellen. Ein Grund, warum Ergänzungsschulen, bei denen die Schulpflicht lediglich ruhe, weitergehende Befugnisse haben sollten, erschließe sich nicht. Eine solche Differenzierung wäre auch nicht sachgerecht. Ausdrückliche Regelungen enthalte das Niedersächsische Schulgesetz dazu nicht. Da die Entscheidung über die Schulfähigkeit eine hoheitliche Maßnahme sei, die im Falle der Ablehnung begründet werden müsse und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen sei, könnte diese Maßnahme nur durch Schulen in freier Trägerschaft durchgeführt werden, wenn sie als Beliehene zum Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts ermächtigt worden wären. Dies sei im Niedersächsischen Schulgesetz nicht der Fall, sodass die Entscheidung über die Schulfähigkeit nach § 64 Abs. 1 Satz 2 NSchG nur durch eine Behörde - hier die öffentliche Grundschule - getroffen werden könne. Soweit der Kläger darauf verweise, Ergänzungsschulen unterlägen der Verpflichtung des § 143 Abs. 3 NSchG nicht und dürften deshalb auch nicht schulpflichtige Schüler aufnehmen, rechtfertige dies keine andere Beurteilung. Denn eine Verpflichtung zur Förderung nicht schulpflichtiger Schüler bestehe für die Beklagte nicht. Die Tatsache, dass die Beklagte im Schuljahr 2007/2008 Finanzhilfe unter Einbeziehung von Kann-Kindern geleistet habe, ohne dass eine Schulfähigkeitsfeststellung durch die öffentliche Grundschule vorgelegen hätte, begründe auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Förderung für das hier streitige Schuljahr. Zunächst liege ein sachlicher Grund für die Differenzierung der verschiedenen Schuljahre vor, denn bei Veröffentlichung des Runderlasses über die Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft seien die Aufnahmeverfahren für das Schuljahr 2007/2008 bereits abgeschlossen gewesen und eine Berücksichtigung der in Ziffer 3.4 Abs. 3 genannten Anforderungen für die Finanzhilfe habe nicht mehr erfolgen können. Für das Schuljahr 2008/2009 sei den Schulen in freier Trägerschaft aufgrund des Runderlasses und der Hinweise der Beklagten die an die Gewährung der Finanzhilfe gestellten Anforderungen bekannt gewesen. Hinzu komme, dass aus einer unrechtmäßigen Bewilligung der Finanzhilfe für Kann-Kinder im Schuljahr 2007/2008 kein Anspruch auf Weiterbewilligung auch im Jahr 2008/2009 hergeleitet werden könne, da der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Fehlerwiederholung durch die Behörde begründe.

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Zur Begründung seiner - von dem Verwaltungsgericht zugelassenen - Berufung vertieft der Kläger seinen bisherigen Vortrag. Schülerinnen und Schüler im Sinne des § 150 Abs. 2 NSchG seien entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Beklagten auch die zehn bzw. neun Kann-Kinder. Dies folge aus einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 161 Abs. 3 Satz 4, 149 Abs. 1, 150, 64 Abs. 1 Sätze 2 und 3, 143 Abs. 3 NSchG im Lichte der aus Art. 7 Abs. 4 GG und Art. 4 Abs. 3 NV folgenden Privatschulfreiheit. Letztere erstrecke sich auch auf den Betrieb einer Privatschule und umfasse das Recht der freien Gestaltung der Schule und der freien Schülerwahl. Dieses Recht auf freie Schülerwahl beinhalte, dass die Privatschule in Abweichung von den Auslesegrundsätzen der öffentlichen Schule Schülerinnen und Schüler aufnehmen dürfe, soweit sie es erzieherisch verantworten könne, den Grundsatz der Gleichwertigkeit gemäß Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG beachte und die Lehr- und Erziehungsziele öffentlicher Schulen verfolge. Es genüge ein gleichwertiges Aufnahmeverfahren, das dem staatlichen Aufnahmeverfahren nicht gleichartig sein müsse. Denn die Feststellung der Schulfähigkeit sei untrennbar mit dem pädagogischen Konzept der privaten Ergänzungsschule verbunden. Die durch die E. Schule F. erfolgte Feststellung der Schulfähigkeit von Kann-Kindern entspreche im Übrigen unstreitig dem qualitativen Standard des § 64 Abs. 1 Satz 2 NSchG und werde von geeigneten Lehrkräften vorgenommen. Die staatliche Schulaufsicht habe ihr Verfahren der Schulfähigkeitsfeststellung bisher nicht beanstandet. Überdies ruhe an einer anerkannten Ergänzungsschule die Schulpflicht, sodass die Aufnahme nicht an die Schulpflicht anknüpfe und bereits deshalb die Bindung der Finanzhilfe bei Kann-Kindern an die Schulfähigkeitsfeststellung einer öffentlichen Grundschule ausscheide. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf § 143 Abs. 3 NSchG gehe fehl. Denn zum einen verweise § 161 Abs. 3 NSchG auf diese Norm gerade nicht und zum anderen stünde diese Norm selbst bei einer entsprechenden Anwendbarkeit der begehrten Finanzhilfe nicht entgegen. Anerkannte Ergänzungsschulen seien auch nicht wie anerkannte Ersatzschulen verpflichtet, gemäß § 148 Abs. 2 Satz 1 NSchG die für entsprechende öffentliche Schulen geltenden Aufnahmebestimmungen zu beachten. Jedenfalls sei er als Träger einer anerkannten Ergänzungsschule aufgrund Gesetzes durch seine Anerkennung berechtigt, die Schulfähigkeit nach § 64 Abs. 1 Satz 2 NSchG durch Verwaltungsakt festzustellen.

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Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine weitere Finanzhilfe für das Schuljahr 2008/2009 für die E. Schule F. in Höhe von 19.915,71 EUR zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2009 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

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und verteidigt das angefochtene Urteil. Die Entscheidung über die Schulfähigkeit eines noch nicht schulpflichtigen Kindes sei nach dem Niedersächsischen Schulgesetz allein durch die zuständige öffentliche Grundschule als Behörde durch Verwaltungsakt zu treffen. Erst nach einer derartigen Feststellung könne ein Kann-Kind von einer privaten Ergänzungsschule aufgenommen und nach § 150 Abs. 2 NSchG im Rahmen der Finanzhilfe berücksichtigt werden. Dies stehe entgegen der Ansicht des Beklagten auch mit verfassungsrechtlichen Vorschriften in Einklang. Die Rechte zur freien Gestaltung und Verwirklichung der Eigenart der Schulen in freier Trägerschaft seien nicht betroffen. Zwar unterliege eine Ergänzungsschule nicht den Einschränkungen des § 143 Abs. 3 NSchG, sodass die Aufnahme von noch nicht schulpflichtigen Kindern an eine anerkannte Ergänzungsschule in schulrechtlicher Hinsicht grundsätzlich zulässig sei. Diese Berechtigung bedinge jedoch noch keinen Finanzhilfeanspruch für die noch nicht schulpflichtigen Kinder. Denn der Landesgesetzgeber habe bei der Ausgestaltung der Förderung von Privatschulen eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, die erst dann eingeschränkt werde, wenn der Bestand des Ersatzschulwesens evident gefährdet wäre. Durch die Verweisung in § 161 Abs. 3 NSchG auf § 150 Abs. 1 bis 6 NSchG sei der Schülerbegriff nach § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG Grundlage für die Gewährung der Finanzhilfe, sodass auch hier die Feststellung der Schulfähigkeit durch die allein zuständige öffentliche Grundschule Voraussetzung für die Schülereigenschaft eines Kann-Kindes sei. Der Hinweis des Klägers auf mögliche Einnahmeverluste lasse darauf schließen, dass die tatsächlich bei der Feststellung der Schulfähigkeit durch die Ergänzungsschulen angewandten Kriterien in qualitativer Hinsicht von denen der öffentlichen Grundschulen abwichen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung des Klägers ist begründet.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf die begehrte weitergehende Finanzhilfe für das Schuljahr 2008/2009 zu.

15

Nach §§ 161 Abs. 3 Satz 4, 149 Abs. 1, 150 Abs. 1 bis 6 NSchG steht dem Kläger als Träger einer nach § 161 Abs. 3 Satz 1 NSchG anerkannten Ergänzungsschule auf Antrag Finanzhilfe als Zuschuss zu den laufenden Betriebskosten zu. Dieser Anspruch auf Finanzhilfe besteht aus einem Grundbetrag nach § 150 Abs. 2 NSchG. Der Grundbetrag ergibt sich nach § 150 Abs. 2 Satz 1 NSchG aus der Vervielfachung der Durchschnittszahl der Schülerinnen und Schüler der Ergänzungsschule (§ 150 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 NSchG) mit dem vom Kultusministerium festzusetzenden Schülerbetrag (§ 150 Abs. 3 bis 6 NSchG). Die - hier streitgegenständliche - Durchschnittszahl wiederum ist gemäß § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG in der seit dem 1. August 2007 lautenden Fassung der Mittelwert der Zahlen der Schülerinnen und Schüler am 15. November und am 15. März des abzurechnenden Schuljahres. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Beklagten sind bei der Berechnung dieses Mittelwerts der Schülerzahlen von anerkannten allgemein bildenden Ergänzungsschulen Kann-Kinder ohne Rücksicht darauf zu berücksichtigen, ob die Schulfähigkeit durch eine öffentliche Grundschule festgestellt worden ist.

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Die zehn bzw. neun Kann-Kinder sind an den maßgeblichen Stichtagen des 15. November 2008 und des 15. März 2009 unstreitig in der von dem Kläger betriebenen E. Schule F. tatsächlich beschult worden (vgl. zu diesem Erfordernis Senat, Urteile v. 4.7.2012 - 2 LB 239/11 -, [...], und - 2 LB 240/11 -) und es bestand zwischen dem Kläger als Schulträger und diesen Schülerinnen und Schülern ein Schulverhältnis aufgrund wirksamer Schulverträge zwischen den Erziehungsberechtigten dieser Schülerinnen und Schüler und dem Kläger (vgl. hierzu Brockmann, in: Brockmann/ Littmann/ Schippmann, NSchG, Kommentar, Stand: April 2012, § 150 Anm. 3.1). Sie sind bei der Berechnung der Finanzhilfe weiter deshalb zu berücksichtigen, weil ihre Aufnahme in die Schule nach der Rechtslage nach dem Niedersächsischen Schulgesetz nicht an die Schulpflicht anknüpft und es daher auf ihre Schulfähigkeit nicht ankommt.

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Diese Annahme rechtfertigt sich aus dem Charakter der anerkannten Ergänzungsschule. Ob und durch wen eine Schulfähigkeitsprüfung von Kann-Kindern vorzunehmen ist, beurteilt sich nach dem Regelungszusammenhang und der Systematik der gesetzlichen Bestimmungen zu den privaten Schulen in freier Trägerschaft und der Schulpflicht. Diese Prüfung führt zu einem unterschiedlichen Ergebnis für genehmigte Ersatzschulen auf der einen und für anerkannte Ergänzungsschulen auf der anderen Seite.

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Nach § 143 Abs. 3 NSchG erhält eine Ersatzschule mit der staatlichen Genehmigung der Schulbehörde zur Errichtung und zum Betrieb (§ 143 Abs. 1 NSchG) das Recht, schulpflichtige Schülerinnen und Schüler in ihre Schule aufzunehmen. Die Aufnahme erfolgt durch einen privatrechtlichen Beschulungsvertrag in Form eines zivilrechtlichen Dienstvertrages und begründet das Schulverhältnis der aufgenommenen Kinder zur Ersatzschule. Die Schulpflichtigkeit aller Schülerinnen und Schüler und damit auch derjenigen, die eine Ersatzschule besuchen wollen, bestimmt sich hingegen allein nach den Bestimmungen der §§ 63 ff. NSchG. Diejenigen Kinder, die zum maßgeblichen Stichtag noch nicht schulpflichtig sind, nach dem Willen ihrer Erziehungsberechtigten aber gleichwohl eingeschult werden sollen, müssen gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2 NSchG schulfähig sein. Die Schulfähigkeit setzt voraus, dass sie die für den Schulbesuch erforderliche körperliche und geistige Schulfähigkeit besitzen und in ihrem sozialen Verhalten ausreichend entwickelt sind. Durch die Aufnahme in die Schule werden diese Kann-Kinder gemäß § 64 Abs. 1 Satz 3 NSchG schulpflichtig. Während die genehmigten Ersatzschulen ohne Weiteres das Recht haben, schulpflichtige (Muss-)Kinder aufzunehmen, ohne dass eine gesonderte Feststellung durch eine öffentliche Schule erfolgen muss, bedarf es bei Kann-Kindern einer dem öffentlichen Recht zugeordneten individuellen Entscheidung einer staatlichen Einrichtung. Eine derartige vorgelagerte Aufnahmeprüfung ist deshalb erforderlich, weil die genehmigten Ersatzschulen gemäß § 143 Abs. 3 NSchG auf die Aufnahme schulpflichtiger Kinder beschränkt und die Kann-Kinder (zunächst) nicht schulpflichtig sind, sondern dies erst mit der Aufnahme in die Ersatzschule werden. Die Aufnahme von Kindern in eine private Ersatzschule knüpft mithin grundsätzlich an die Schulpflicht an. Deshalb bedarf es einer dem öffentlichen Recht zugeordneten individuellen Entscheidung (Aufnahmetest). Diese Aufnahmeentscheidung ist eine hoheitliche Maßnahme, die bei einer Ablehnung auch belastend wirkt (vgl. zu dem Vorstehenden Senat, Urt. v. 11.7.2012 - 2 LC 616/10 -). Etwas anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass alle Schulen in freier Trägerschaft der niedersächsischen Schulaufsicht unterliegen und grundsätzlich schulgesetzliche Regelungen zu beachten sind (Brockmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, a.a.O., § 64 Anm. 2).

19

Bei den anzuzeigenden und auch den anerkannten Ergänzungsschulen wie hier der von dem Kläger betriebenen E. Schule F. versagt hingegen im Rahmen der Finanzhilfe das Anknüpfungsmerkmal der Schulpflicht. Während des Besuchs dieser Schule ruht gemäß § 160 NSchG die Schulpflicht. Die Vorschrift des für genehmigte Ersatzschulen geltenden § 143 Abs. 3 NSchG, wonach diese nur schulpflichtige Kinder aufnehmen dürfen, ist daher auf Ergänzungsschulen nicht anwendbar. Dies hat seinen Grund darin, dass die Aufnahme von Kindern in Ergänzungsschulen nach der Rechtslage in Niedersachsen gerade nicht an die Schulpflicht anknüpft. Dies hat zur Folge, dass Ergänzungsschulen Kann-Kinder ohne jedwede besondere Feststellung und Prüfung der Schulfähigkeit aufnehmen können (so auch Brockmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, a.a.O., § 64 Anm. 2). Diese Kinder werden mit der Aufnahme in die Ergänzungsschule gemäß § 64 Abs. 1 Satz 3 NSchG dauernd schulpflichtig (Brockmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, a.a.O., § 160 Anm. 5).

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Soweit das Verwaltungsgericht und die Beklagte dem entgegenhalten, eine unterschiedliche Behandlung von genehmigten Ersatzschulen und Ergänzungsschulen bei der Frage der Berechtigung zur Aufnahme von Kann-Kindern sei nicht sachgerecht, ist darauf hinzuweisen, dass diese Differenzierung nach der geltenden aus dem Niedersächsischen Schulgesetz folgenden Rechtslage vorgegeben ist. Die Entscheidung über die Frage, ob eine Regelung sinnvoll und sachgerecht ist, obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber. Auch die Beklagte räumt dem Kläger als Träger einer Ergänzungsschule ersichtlich das Recht ein, auch noch nicht schulpflichtige Kinder aufzunehmen und zwar, ohne dass zuvor eine öffentliche Grundschule die Schulfähigkeit festgestellt hat. Grund hierfür ist, dass Ergänzungsschulen nicht der Einschränkung des § 143 Abs. 3 NSchG unterliegen. Der Schülerbegriff in § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG, auf den § 161 Abs. 3 Satz 4 NSchG verweist, ist in dieser die Finanzhilfe betreffenden Norm nicht isoliert vorgegeben, sondern lässt sich - wie ausgeführt - nur aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik des Niedersächsischen Schulgesetzes erschließen. Daher stellt es eine verkürzte Wiedergabe und Vermischung der unterschiedlichen Typen von Schulen in freier Trägerschaft dar, wenn das Verwaltungsgericht meint, berücksichtigungsfähige Schüler im Sinne des § 150 Abs. 2 Satz 2 NSchG könnten generell und insbesondere auch für Ergänzungsschulen nur schulpflichtige Kinder sein.