Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.07.2012, Az.: 5 ME 103/12
Verpflichtung zur Wiederaufnahme in das Eignungsauswahlverfahren für die Einstellung in den Polizeidienst
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.07.2012
- Aktenzeichen
- 5 ME 103/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 19680
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0710.5ME103.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 9 BeamtStG
- Art. 33 Abs. 2 GG
- Art. 33 Abs. 5 GG
Fundstelle
- ZBR 2012, 413-414
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die im Rahmen der Entscheidung über einen Einstellungsantrag erforderliche Eignungsbeurteilung trifft der Dienstherr als Akt wertender Erkenntnis in Wahrnehmung eines Beurteilungsspielraums, dessen Ausübung von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Der gesetzliche Rahmen bestimmt sich unter anderem nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i.S.d. Art. 33 Abs. 5 GG und umfasst mithin die Forderung, dass das Handeln der Verwaltung sachgemäß, unparteiisch und unvoreingenommen ist.
- 2.
Bestehen aufgrund früherer Bewerbungsversuche oder eigener Erkenntnisse des Dienstherrn Zweifel an der persönlichen oder charakterlichen Eignung zum Polizeibeamten, folgt aus dem Gebot der Neutralität, dass der Dienstherr dem Bewerber Gelegenheit geben muss, solche Zweifel auszuräumen. Weder gebietet es das Neutralitätsgebot, noch erlaubt es das Eignungsprinzip, dass der Dienstherr angesichts fortbestehender Eignungszweifel Umstände, aufgrund derer er die Eignung eines Bewerbers bereits einmal verneint hat, in einem neuerlichen Bewerbungsverfahren unberücksichtigt lässt oder an den Grad seiner Überzeugung von der Eignung des Bewerbers nunmehr geringere Anforderungen stellt.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 19. April 2012, mit dem dieses seinen Antrag abgelehnt hat, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn wieder in das Eignungsauswahlverfahren für die Einstellung in den Polizeidienst (Laufbahngruppe 2, 1. Einstiegsamt) aufzunehmen.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO nicht glaubhaft gemacht hat. Die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin verletzt nicht den aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 9 BeamtStG folgenden Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers.
Die im Rahmen der Entscheidung über einen Einstellungsantrag erforderliche Eignungsbeurteilung trifft der Dienstherr als Akt wertender Erkenntnis in Wahrnehmung eines Beurteilungsspielraums, dessen Ausübung von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt daraufhin überprüft werden kann, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.1.2003 - BVerwG 2 A 1.02 -, Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 55 = [...], Rn. 11).
Der gesetzliche Rahmen bestimmt sich unter anderem nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i.S.d. Art. 33 Abs. 5 GG und umfasst mithin die selbstverständliche Forderung, dass das Handeln der Verwaltung sachgemäß, unparteiisch und unvoreingenommen ist.
Der Antragsteller irrt indes, wenn er meint, dass hinter dem Gebot der Unvoreingenommenheit das ebenfalls als hergebrachter Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG geltende und für den Bewerbungsverfahrensanspruch in Art. 33 Abs. 2 GG ausdrücklich erwähnte Eignungsprinzip zurücktreten müsse.
Bestehen aufgrund früherer Bewerbungsversuche oder eigener Erkenntnisse des Dienstherrn Zweifel an der persönlichen oder charakterlichen Eignung zum Polizeibeamten, folgt aus dem Gebot der Neutralität nur, dass der Dienstherr dem Bewerber Gelegenheit geben muss, solche Zweifel auszuräumen.
Insofern teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragsgegnerin durch die Zulassung des Antragstellers zum strukturierten Auswahlgespräch dem Neutralitätsgebot Rechnung getragen habe. Die dagegen erhobenen Einwände der Beschwerde greifen nicht durch. Insbesondere folgt aus den Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht (und ist auch sonst nicht ersichtlich), dass die Antragsgegnerin das Verhalten des Antragstellers in einem früheren Bewerbungsverfahren nicht berücksichtigen dürfte.
Weder gebietet es das Neutralitätsgebot, noch erlaubt es das Eignungsprinzip, dass der Dienstherr angesichts fortbestehender Eignungszweifel Umstände, aufgrund derer er die Eignung eines Bewerbers bereits einmal verneint hat, in einem neuerlichen Bewerbungsverfahren unberücksichtigt lässt oder an den Grad seiner Überzeugung von der Eignung des Bewerbers nunmehr geringere Anforderungen stellt.
Für die Durchführung des strukturierten Auswahlgesprächs am 26. Januar 2012 folgt daraus, dass die Antragsgegnerin keineswegs gehalten war, ihre fortbestehenden Zweifel an der Eignung des Antragstellers von vornherein zurückzustellen oder unangesprochen zu lassen. Die im "freien" Gesprächsabschnitt gestellten Fragen
"Warum haben Sie bei Ihrer ersten Bewerbung nicht alle Verfahren angegeben?",
"Warum sind Sie damals der Vorladung nicht gefolgt?" und
"Warum haben Sie heute bei der Selbstvorstellung nichts von Ihren Verfahren erwähnt?"
sind vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Das Gegenteil ist der Fall: Entkräftet ein Bewerber bestehende Eignungszweifel nicht schon selbst, indem er etwa die ihnen zugrunde liegenden Sachverhalte im Auswahlgespräch anspricht, ist der Dienstherr aus dem Neutralitätsgebot nachgerade verpflichtet, fortbestehende Zweifel von sich aus anzusprechen und dem Bewerber Gelegenheit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen.
Die Fragen halten sich im Übrigen im Rahmen der Kompetenzen des von der Antragsgegnerin aufgestellten Anforderungsprofils, nämlich der Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstreflexion und der Verantwortung für eigenes Tun.
Der wiederholte Einwand des Antragstellers, es sei strafprozessual zulässig und im Bewerbungsverfahren nicht vorwerfbar, zu einer polizeilichen Vorladung nicht zu erscheinen, geht an der Sache vorbei. Nicht nur das Nichterscheinen des Antragstellers auf die polizeiliche Vorladung wirft erhebliche Zweifel an seiner Eignung auf, sondern insbesondere die Nichtangabe mehrerer gegen ihn geführter Ermittlungsverfahren im ersten Bewerbungsverfahren trotz ausdrücklicher Nachfrage. An die Integrität und Wahrhaftigkeit eines angehenden Polizeibeamten sind im Übrigen ungleich höhere Anforderungen zu stellen als an die Wahrhaftigkeit eines Beschuldigten in einem Strafverfahren. Der strafprozessualen Unschuldsvermutung steht auch keine beamtenrechtliche Eignungsvermutung gegenüber.
Gelingt es dem Antragsteller letztlich nicht, die Zweifel der Auswahlkommission an seiner Eignung auszuräumen, begründet dies nicht schon für sich deren Voreingenommenheit.
Auch sonst sieht der Senat dafür keine Anzeichen. Aus dem Bewertungsbogen der Prüfung ergibt sich, dass der Antragsteller bereits im strukturierten Teil des Auswahlgesprächs mit landesweit einheitlichen Fragen nicht die erforderliche Punktzahl erreicht hat. Einwände gegen die konkrete Bewertung, die das Gericht unter Wahrung des jeweiligen Beurteilungsspielraums prüfen könnte, hat der Antragsteller nicht erhoben. Die Fragen im freien Teil des Auswahlgesprächs, die nach Nr. 7 des Kurzleitfadens für das Auswahlgespräch zur Korrektur der Punktnoten aus dem strukturierten Teil herangezogen werden können, haben in der Gesamtbewertung ersichtlich keinen Niederschlag zulasten des Antragstellers gefunden.
Auch das übrige Beschwerdevorbringen verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.
Im Hinblick auf den erforderlichen Dokumentationsumfang des Auswahlgesprächs nimmt der Senat Bezug auf seinen Beschluss vom2. Juli 2008 - 5 ME 49/08 - und die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 6 der Beschlussausfertigung) und macht sich letztere zueigen (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO). Die seitens des Antragstellers erhobenen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der dienstlichen Äußerungen des PD B. und der EKHK'in C. erachtet der Senat spätestens angesichts der nunmehr vorgelegten Prüfungsnotizen der Kommissionsmitglieder, die der Antragsteller nicht mehr substantiiert angegriffen hat, als ausgeräumt.