Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.06.2022, Az.: 1 LA 173/21
Außenbereich; Pensionspferdehaltung; Streitwert; Streitwert im Rechtsmittelverfahren; Streitwerterhöhung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.06.2022
- Aktenzeichen
- 1 LA 173/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59610
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 02.11.2021 - AZ: 4 A 6311/17
Rechtsgrundlagen
- § 35 Abs 1 Nr 1 BauGB
- § 47 Abs 2 S 1 GKG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
§ 47 Abs. 2 Satz 1 GKG steht der Berücksichtigung eines neuen Streitwertkatalogs für die Streitwertfestsetzung im Rechtsmittelverfahren nicht entgegen, wenn dieser pauschalierend eine Werterhöhung des Streitgegenstands abbildet.
Zur (verneinten) landwirtschaftlichen Privilegierung einer Pensionspferdehaltung im
Nebenerwerb
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 2. November 2021 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 9.180,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Baugenehmigung für einen Pferdestall im Außenbereich; die Beteiligten streiten insbesondere darum, ob dieser einem privilegierten landwirtschaftlichen Betrieb dient.
Der 1953 geborene Kläger ist Eigentümer eines mit einem selbstgenutzten Wohnhaus (ehemaliger Gulfhof) bebauten Grundstücks im Außenbereich der Beigeladenen zu 1. Im Osten dieses Grundstücks begann er - zunächst ohne Bauantrag - mit der Errichtung eines Stallgebäudes. Nachdem der Beklagte die Einstellung der Bauarbeiten angeordnet hatte, beantragte der Kläger im Dezember 2016 die Erteilung einer Baugenehmigung für das Nebengebäude als Stallgebäude mit acht Boxen zum Betrieb einer Pferdepension. Die Landwirtschaftskammer (Beigeladene zu 2.) kam in einer Stellungnahme vom 17. Januar 2017 zu dem Ergebnis, dass der vorgesehene Betrieb die Anforderungen an eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB erfülle. Unter Annahme eines Investitionsbedarfs von netto etwa 71.500 EUR kam sie auf einen Gewinn von rd. 4.700 EUR vor Steuern und Entlohnung der eigenen Arbeitskraft, was 392 EUR monatlich oder - unter Annahme einer jährlichen Arbeitszeit von ca. 420 Stunden - 11,20 EUR pro Stunde entspreche. Die Futtergrundlage sei mit 3,5 ha landwirtschaftlich nutzbarer Eigentumsfläche ausreichend. Der Beklagte lehnte den Bauantrag unter Berufung auf eine abweichende eigene Beurteilung der Privilegierung und straßenrechtliche Genehmigungshindernisse ab. Ein fristgerecht dagegen erhobener Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat die darauf erhobene Klage mit der Begründung abgewiesen, das Vorhaben sei im Außenbereich nicht privilegiert; es diene nicht einem landwirtschaftlichen Betrieb. Bei Nebenerwerbsbetrieben auf kleiner Fläche und zumal solchen der Pferdehaltung, bei denen der Übergang zur Hobbytierhaltung fließend sei, komme der Wirtschaftlichkeit für die Beurteilung der Dauerhaftigkeit des Betriebes eine besondere Bedeutung zu. Dabei sei auch die Notwendigkeit einer Eigenkapitalbildung für Ersatzinvestitionen zu berücksichtigen. Weiteres Indiz sei die persönliche Eignung des Betreibers. Eine Gesamtbetrachtung nach diesen Maßstäben gehe zu Lasten des Klägers aus. Die Vorlage eines tragfähigen Betriebskonzepts obliege dem Bauherrn. Der erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegte, der Stellungnahme der Landwirtschaftskammer zugrundeliegende Investitionsplan sei nicht schlüssig. Die Investitionssumme von netto 71.500 EUR bzw. brutto 85.000 EUR widerspreche den im Bauantrag veranschlagten Herstellungskosten von 112.680 EUR. Der Arbeitsaufwand von durchschnittlich nur 1 h 10 min täglich begegne nicht unerheblichen Bedenken. Bereits bei einem Arbeitsaufwand von 1,5 Stunden täglich sinke der Gewinn unter den gesetzlichen Mindestlohn. Selbst unter Zugrundelegung der Zahlen der Landwirtschaftskammer fehle in der Gesamtschau die erforderliche Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit des Betriebes. Die Nutzfläche mit 3,5 ha (bzw. den in der Betriebsbeschreibung genannten 3,87 ha) und der Tierbestand von 8 Pferden seien vergleichsweise klein. Unter Berücksichtigung einer Rente von monatlich 450 EUR für den Kläger und eines Gehalts der Ehefrau als Richterin trage der Betrieb nur knapp 8,6 % zum Familieneinkommen bei und könne damit nicht als zusätzliche Sicherung der Existenz betrachtet werden. Es sei auch nicht erkennbar, dass ein vernünftig denkender Landwirt bei einem derartigen Kapitaleinsatz einen Betrieb für einen Gewinn von ca. 4.700 EUR jährlich realisieren würde, zumal dieser durch das erhebliche Betriebsrisiko bei Ernteausfall und Nichtauslastung der Pferdepension geschmälert werde und deshalb zusätzlich Rücklagen zu bilden seien. Ergänzend - wenn auch nicht allein entscheidend - sei zu berücksichtigen, dass hinsichtlich einer möglichen Betriebsnachfolge für den Kläger nur vage Absichtsbekundungen vorlägen. Eine besondere Sachkunde besitze der Kläger nicht. Dass nicht zu befürchten sei, dass der Kläger das Vorhaben nur als Vorwand nutze, um im Außenbereich wohnen zu dürfen, genüge als Indiz für eine dauerhafte Überlebensfähigkeit des Betriebes nicht. Als nicht privilegiertes Vorhaben sei der Neubau unzulässig, da er die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lasse und die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtige.
II.
Der dagegen gerichtete, auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich, es genügt, wenn sich diese als offen erweisen. Ist das Urteil selbständig tragend auf mehrere Erwägungen gestützt, so muss jede von diesen mit durchgreifenden Zulassungsgründen angegriffen sein. Daran fehlt es hier.
1.
Ohne Erfolg greift der Kläger den Schluss des Verwaltungsgerichts an, ihm sei es nicht gelungen, die dauerhafte Lebensfähigkeit seines Betriebes nachzuweisen. Der Senat kann dabei offenlassen, ob die Argumentation des Verwaltungsgerichts ein tragfähiges Betriebskonzept sei nicht vorgelegt worden, weil der der Stellungnahme der Landwirtschaftskammer zugrundeliegende Investitionsplan sowohl hinsichtlich des Investitionsbedarfs als auch hinsichtlich des veranschlagten Zeitaufwandes unschlüssig sei, den vom Kläger geltend gemachten Zweifeln unterliegt. Denn jedenfalls die zweite, selbständig tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, selbst unter Berücksichtigung der genannten Gewinnkalkulation sei in einer Gesamtschau der für und gegen diese sprechenden Indizien die erforderliche Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit des geplanten Nebenerwerbes zu verneinen, ist keinen ergebnisrelevanten Zweifeln ausgesetzt.
Der Kläger hält dieser Erwägung zum einen entgegen, es komme nicht darauf an, dass der Betrieb einen bestimmten Quotienten am Familieneinkommen überschreite, zudem sei der zugrunde gelegte Anteil von knapp 8,6 % falsch errechnet und auch im Falle seiner Richtigkeit substantiell. Zum anderen meint er, dass nicht jede Investitionsunsicherheit, die jeder Neugründung eines Betriebes eigen sei, bereits zum Zeitpunkt der Erteilung einer Baugenehmigung ausgeschlossen sein müsse.
An dieser Argumentation ist zutreffend, dass der Umstand, dass der Betrieb „nur“ 8,6 % zum Familieneinkommen beiträgt - diesen Wert hat das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Klägers durch Bezugnahme auf den Vortrag des Beklagten (Schriftsatz vom 2.2.2018 S. 4, GA Bl. 73) allerdings begründet -, für sich genommen die Annahme eines Nebenerwerbs nicht ausschlösse. Irrelevant ist dieser Umstand indes nicht. Je geringer der Anteil des Betriebs am Gesamteinkommen der Familie, desto weniger ist diese auf dessen Fortführung angewiesen und desto wahrscheinlicher ist die Aufgabe im Falle einer altersbedingt reduzierten Leistungsfähigkeit oder wenn sich die Rentabilität anders darstellt, als ursprünglich erwartet. Vor diesem Hintergrund ist die vom Verwaltungsgericht berechnete Relation durchaus ein Indiz für die Fortführungsperspektive des Betriebes; und mehr als ein Indiz hat das Verwaltungsgericht in ihr auch nicht gesehen. Dass das Verwaltungsgericht insoweit auch das Einkommen der Ehefrau des Klägers berücksichtigt hat, ist nachvollziehbar; denn dass die Ehepartner getrennt wirtschaften, der Kläger also bei Aufgabe des Betriebes „auf sich gestellt“ und deshalb auf das Nebeneinkommen angewiesen wäre, ist nicht dargelegt und bei lebensnaher Betrachtung auch fernliegend.
Der Einwand des Klägers, die Annahme eines auf Dauer lebensfähigen Betriebes setze nicht voraus, dass jede Investitionsunsicherheit bereits zum Zeitpunkt der Erteilung einer Baugenehmigung ausgeschlossen werden könne, verkennt ebenfalls, dass das Verwaltungsgericht eine Gesamtschau verschiedener gegen die Dauerhaftigkeitsperspektive sprechender Indizien vorgenommen hat. In diesem Zusammenhang hat es legitimerweise mit gewürdigt, dass das Vorhaben angesichts seiner geringen Rentabilität - bei deren Bewertung das Verwaltungsgericht noch nicht einmal berücksichtigt hat, dass der zugrunde gelegte Gewinn nicht nur den fiktiven Arbeitslohn des Klägers, sondern zusätzlich die Bodenrendite aus 3,5 bis 3,78 ha Grünland (Bodenrichtwert für Grünland zum 1.1.2022 auf dem Klägergrundstück: 2,80 EUR/m², vgl. https://immobilienmarkt.niedersachsen.de) beinhaltet - für einen wirtschaftlich denkenden Landwirt auch deshalb wenig attraktiv wäre, weil das Risiko von Ernteausfällen oder einer Nachfrageflaute diese noch weiter schmälern würden.
Dass gegen die Ernsthaftigkeit des Betriebskonzepts des Klägers hier kein Verdacht spricht, es solle nur unter dem Deckmantel einer landwirtschaftlichen Betätigung ein Wohnen im Außenbereich ermöglicht werden, hat das Verwaltungsgericht gesehen. Dass es gleichwohl keine Privilegierung des Vorhabens angenommen hat, ist nicht zu beanstanden. Denn der Begriff des landwirtschaftlichen Betriebes erschöpft sich nicht im Fehlen einer Missbrauchsabsicht.
2.
Die Einwände des Klägers gegen die weitere Erwägung des Verwaltungsgerichts, als nicht privilegiertes Vorhaben beeinträchtige der Stallbau öffentliche Belange, rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung. Ob das Vorhaben zur Erweiterung oder Verfestigung einer Splittersiedlung beiträgt, kann dabei dahinstehen; denn jedenfalls beeinträchtigt das Vorhaben die natürliche Eigenart der Landschaft. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die sich insbesondere auch mit dem Zulassungsvorbringen, das Vorhaben unterscheide sich allenfalls durch seine fehlende Rentabilität von einem landwirtschaftlichen Vorhaben, auseinandersetzen, Bezug.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 3 i, 2. Spiegelstrich der Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzrecht befassten Senate für ab dem 1. Juni 2021 eingegangene Verfahren. § 47 Abs. 2 GKG steht der Festsetzung ungeachtet der Tatsache nicht entgegen, dass das Verwaltungsgericht den Streitwert lediglich auf 4.590 EUR festgesetzt hat. Diese Festsetzung beruht auf Nr. 3 e der für vor dem 1. Juni 2021 eingegangene Verfahren maßgeblichen früheren Streitwertannahmen der Bausenate des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Nds. VBl. 2002, 192 = NordÖR 2002, 197). Die neuen Streitwertannahmen tragen den in den letzten Jahren massiv gestiegenen Grundstückspreisen und Baukosten Rechnung und unterstellen pauschalierend, dass diese Steigerungen zum Stichtag erfolgt sind. Eine Erhöhung des Wertes des Streitgegenstands zwischen dem für das Ausgangs- und dem für das Rechtsmittelverfahren maßgeblichen Zeitpunkt wird von § 47 Abs. 2 GKG jedoch nicht erfasst (BGH, Beschl. v. 13.2.2013 - II ZR 46/13 - NJW-RR 2013, 1022 = juris Rn. 4 m.w.N.). Auf die Richtigkeit der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung hat dies keine Auswirkungen, so dass deren Änderung nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG nicht angezeigt ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).