Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.06.2022, Az.: 1 ME 64/22
Hängebeschluss; Hängebeschluss, Kostenentscheidung; Hängebeschluss, Streitwert; Prozessleitende Verfügung; Schiebebeschluss; Zwischenentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.06.2022
- Aktenzeichen
- 1 ME 64/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59583
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 16.05.2022 - AZ: 3 B 98/22
Rechtsgrundlagen
- § 146 Abs 1 VwGO
- § 146 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts über den Erlass eines Hängebeschlusses ist die Beschwerde möglich.
Das Beschwerdeverfahren ist, anders als das erstinstanzliche Verfahren zum Erlass einer Zwischenverfügung selbständig, so dass es sowohl einer Kostenentscheidung, als auch der Festsetzung eines Streitwertes bedarf.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 16. Mai 2022, mit dem dieses den Erlass einer Zwischenverfügung zur Aussetzung der Vollziehung einer denkmalrechtlichen Anordnung der Antragsgegnerin abgelehnt hat, ist zulässig, insbesondere statthaft. Nach § 146 Abs. 1 VwGO ist die Beschwerde gegen sämtliche Entscheidungen des Verwaltungsgerichts statthaft, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, soweit nicht die VwGO etwas anderes bestimmt. Nach Auffassung des Senats greift hier der allein in Betracht kommende Ausnahmetatbestand des § 146 Abs. 2, Var. 1 VwGO (Unanfechtbarkeit prozessleitender Verfügungen) nicht (wie hier: Nds. OVG, Beschl. v. 5.8.2021 - 11 ME 222/21 -, RdL 2022, 16 = juris Rn. 5; v. 5.3.2020 - 4 ME 34/20 -, DVBl. 2020, 826 = juris Rn. 2. OVG NRW, Beschl. v. 13.1.2022 - 6 B 1999/21 -, juris Rn. 2 ff.; VGH BW, Beschl. v. 14.10.2021 - 5 S 2503/21 -, juris Rn. 4; a.A. Nds. OVG, Beschl. v. 7.7.2017 - 13 ME 170/17 -, juris Rn. 2; VGH BW, Beschl. v. 15.3.2018 - 11 S 2094/17 -, juris Rn. 2 ff., alle m.w.N.). Prozessleitende Verfügungen im Sinne dieser Vorschrift sind gerichtliche Vorgaben, die sich auf die Regelung des weiteren Ablaufs des gerichtlichen Verfahrens beschränken. Gerichtliche Zwischenverfügungen beschränken sich demgegenüber nicht auf diese verfahrensinterne Wirkung, sondern entfalten „Außenwirkung“ mit Blick auf den Streitgegenstand; nicht eine „richtige“ gerichtliche Entscheidung, sondern ihre Umsetzbarkeit im Sinne effektiven Rechtsschutzes wird gesichert. Auch eine entsprechende Anwendung des § 146 Abs. 2 VwGO auf die - in der VwGO insgesamt und daher naturgemäß auch hinsichtlich ihrer Beschwerdefähigkeit nicht geregelten - Zwischenentscheidungen verbietet sich. Die Unanfechtbarkeit der in § 146 Abs. 2 VwGO genannten Entscheidungen findet ihre Rechtfertigung darin, dass sie regelmäßig nur mittelbar eine Beschwer begründen können, nämlich insoweit, als sie die Endentscheidung beeinflussen; insoweit genügt inzidenter Rechtsschutz. Bei Zwischenverfügungen, die sich von regulären Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz auf der Rechtsfolgenseite lediglich durch ihre regelmäßig nochmals kürzere Geltungsdauer, im Übrigen nur auf der Tatbestandsseite unterscheiden, greift dieser Gedanke nicht.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Erlass einer Zwischenverfügung bzw. eines sog. „Schiebe- oder Hängebeschlusses“ setzt neben fehlender Entscheidungsreife der Sache voraus, dass die beantragte Regelung zur Sicherung der Effektivität des Rechtsschutzes zwingend geboten ist. Mit Blick darauf, dass derartige Verfügungen in der VwGO nicht vorgesehen sind und die Berechtigung der Gerichte, sie zu erlassen, unmittelbar aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) abgeleitet werden muss, sind insoweit strenge Anforderungen zu stellen. Diesen genügen die Darlegungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, nicht.
Die Antragstellerin macht geltend, die ihr unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und mit Zwangsgeldandrohung aufgegebene Vornahme von Sicherungsmaßnahmen an einem baufälligen, denkmalgeschützten Speichergebäude sei zum einen mit einer Lebensgefahr für sie bzw. die von ihr Beauftragten verbunden und zwinge sie zum anderen, einem von der Gemeinde D. im Wege der Allgemeinverfügung nach Polizeirecht verhängten Betretungsverbot für das Gebäude entgegenzuhandeln. Hinreichende Anhaltspunkte für die Behauptung, der angegriffenen denkmalrechtlichen Anordnung könne schlechthin nicht entsprochen werden, ohne das Leben der damit betrauten Handwerker zu gefährden, bestehen jedoch nicht. In der Regel ist auch die Sicherung eines baufälligen Gebäudes, wenn auch ggf. mit zusätzlichem Aufwand, möglich. Dass dies hier anders sein könnte, belegen die vorgelegten Unterlagen nicht. Das von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren eingereichte Baustellenprotokoll des Ingenieurbüros für Baustellenwesen Dr. E. weist zwar darauf hin, dass die Standsicherheit des Gebäudes nicht bescheinigt werden könne, dass ein Wiederaufbau der Dachkonstruktion ohne vorherige Instandsetzung des verbleibenden Tonnengewölbes sowie eine Überprüfung der verbliebenen Holzbalkendecke nicht zulässig sei und dass bis zur weiteren Klärung das Betreten des Gebäudes untersagt werden müsse. Gerade dies zeigt aber, dass auch der Sachverständige Arbeiten am Gebäude unter Durchführung geeigneter Sicherheitsvorkehrungen nicht für schlechthin unmöglich hält, denn anderenfalls könnte auch das Tonnengewölbe nicht instandgesetzt werden. Dass eine einzelne Handwerkerfirma die Vornahme weiterer Arbeiten am Gebäude aufgrund von Sicherheitsbedenken abgelehnt hat, besagt ebenfalls nicht, dass dies schlechthin nicht möglich wäre. Dass das derzeit von der - hierfür im Übrigen unzuständigen, da die Bekämpfung von Gefahren, die vom Zustand eines Bauwerks ausgehen, den Bauaufsichts-, nicht den allgemeinen Polizeibehörden obliegt (Senatsbeschl. v. 19.5.2021 - 1 ME 55/21 -, NdsVBl 2022, 20 = juris Rn. 10) - Gemeinde D. verhängte Betretensverbot der Umsetzung der denkmalrechtlichen Anordnung entgegenstehen müsste, ist ebenfalls nicht erkennbar. Es ist schon fraglich, ob die Allgemeinverfügung ihrem auf Bekämpfung der vom Gebäudezustand ausgehenden Gefahren gerichteten Sinn und Zweck nach überhaupt auf ein Betreten durch Fachfirmen zum Zweck der Gebäudesicherung anwendbar ist; jedenfalls wäre die Gemeinde gehalten, ihre Allgemeinverfügung auf Ersuchen der Antragstellerin hin einzuschränken, sofern diese oder ihre Beauftragten die Wahrung nötiger Sicherheitsvorkehrungen glaubhaft machen.
Das Beschwerdeverfahren ist, anders als das erstinstanzliche Verfahren zum Erlass einer Zwischenverfügung selbständig, so dass es sowohl einer Kostenentscheidung, als auch der Festsetzung eines Streitwertes bedarf (Nds. OVG, Beschl. v. 17.1.2018 - 12 ME 3/18 -, juris Rn. 7 f.). Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die mit Blick auf den vorläufigen Charakter der begehrten Regelung zu halbierenden Kosten der zu ergreifenden Maßnahmen schätzt der Senat auf 20.000 EUR.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).