Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.06.2022, Az.: 14 LB 2/22

Fleisch; Gabelbeinfleisch; Hähnchen; Irreführungsverbot; Kennzeichnung; Kennzeichnung von Lebensmitteln; Separatorenfleisch

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.06.2022
Aktenzeichen
14 LB 2/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59626
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 05.09.2017 - AZ: 3 A 109/16
nachfolgend
BVerwG - 15.02.2024 - AZ: BVerwG 3 C 14.22

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei dem unter Verwendung einer Baader-Maschine gewonnenen Hähnchen-Gabelbeinfleisch handelt es sich um Separatorenfleisch i.S.d. Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004, d.h. um ein Erzeugnis, das durch Ablösung des an fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen bzw. an den Geflügelschlachtkörpern haftenden Fleisches auf maschinelle Weise so gewonnen wird, dass die Struktur der Muskelfasern sich auflöst oder verändert wird. Das ausgestanzte Gabelbein stellt einen fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen in diesem Sinne dar.

2. Es verstößt daher gegen das in § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 LMIV normierte Irreführungsverbot, als Verantwortliche nach Art. 8 Abs. 8 LMIV gebaadertes Hähnchen-Gabelbeinfleisch als "Hähnchen-Verarbeitungsfleisch" zu bezeichnen.

3. Lebensmittelunternehmer, die anderen Lebensmittelunternehmern Lebensmittel liefern, trifft allerdings keine formelle Kennzeichnungspflicht, wie sie gegenüber Endverbrauchern besteht. Sie müssen gemäß Art. 8 Abs. 8 LMIV lediglich sicherstellen, dass die nachfolgenden Lebensmittelunternehmer ausreichende Informationen erhalten, um ihre Verpflichtung nach Art. 8 Abs. 2 LMIV erfüllen zu können. Die Bereitstellung der geforderten Informationen kann auf vielfältige Weise geschehen.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 3. Kammer - vom 5. September 2017 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2015, Az. 391-Bi-020215, wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Verpflichtung zur Kennzeichnung von Furcula-
fleisch (Gabelbeinfleisch) als Separatorenfleisch.

Die Klägerin betreibt einen Geflügelschlacht- und Zerlegebetrieb, im Rahmen dessen sie u.a. seit mehreren Jahren auf maschinelle Weise Furculafleisch gewinnt und in den Verkehr bringt. Dabei handelt es sich um Fleisch, das dem Gabelbein von Hähnchen anhaftet. Das Gabelbein seinerseits gehört - vergleichbar dem Schlüsselbein bei Säugetieren - zu den Knochen des Schultergürtels des Hähnchens und bildet einen in der Mitte zusammengewachsenen V-förmigen Knochen. Das Furculafleisch wird in der im Betrieb der Klägerin vorhandenen vollautomatischen Zerlegelinie in zwei Schritten gewonnen. Im ersten Schritt wird das Gabelbein mit anhaftender Muskulatur als Ganzes maschinell mit V-förmigen Messern aus dem Geflügelschlachtkörper bzw. der das Gabelbein umgebenden Brustmuskulatur herausgeschnitten bzw. ausgestanzt. Das auf diese Weise herausgetrennte Gabelbeinstück wird sodann in einem zweiten Schritt zu einer Passier- bzw. Entsehnungsmaschine (sog. Baader-Maschine) weiterbefördert und dort durch eine 3 mm-Lochtrommel gepresst, um es von Sehnen und Knochen- oder Knorpelteilen zu befreien. Das aufgrund der Pressung eine körnige Struktur aufweisende Gewebe besteht im Wesentlichen aus Fleisch und Fett.

Die Klägerin liefert das so gewonnene Furculafleisch an Lebensmittelunternehmen, die es zur Weiterverarbeitung in Geflügelfleischerzeugnissen verwenden. Dabei bezeichnet sie das Produkt als „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ („Hä.-Verarbeitungsfleisch“).

Mit Bescheid vom 2. Februar 2015 gab der Beklagte der Klägerin auf, Furculafleisch (Gabelbeinfleisch) unverzüglich vor dem Inverkehrbringen als Separatorenfleisch zu kennzeichnen. Gleiches gelte für Erzeugnisse, die Furculafleisch als Bestandteil enthielten; insoweit sei der jeweilige Anteil an Separatorenfleisch „entsprechend der rechtlichen Vorgaben“ zu kennzeichnen (vgl. Ziff. 1.). Der Beklagte ordnete zudem die sofortige Vollziehung an (Ziff. 2) und legte der Klägerin die Kosten des Verwaltungsverfahrens auf (Ziff. 3). Bei dem Furculafleisch handele es sich um Separatorenfleisch. Die weitere Bezeichnung des Furculafleisches als „frisches Geflügelfleisch“ sei als irreführend zu bewerten und daher zu unterbinden.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 5. Februar 2015 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz ersucht. Die Klägerin hat geltend gemacht, dass es sich bei dem von ihr produzierten Furculafleisch nicht um Separatorenfleisch im Sinne von Anhang I (Begriffsbestimmungen) Nr. 1.14 der Verordnung (EG) 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 226, S. 22) mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs handele. Voraussetzung für die rechtliche Qualifizierung eines Erzeugnisses als Separatorenfleisch sei danach, dass dieses durch Ablösen des an fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen bzw. an den Geflügelschlachtkörpern haftenden Fleisches auf maschinelle Weise so gewonnen werde, dass die Struktur der Muskelfasern sich auflöse oder verändert werde. Diese drei Tatbestandsvoraussetzungen müssten während des gesamten Gewinnungsprozesses stets kumulativ vorliegen. Dies sei nicht der Fall. Der erste Produktionsschritt, das Ausschneiden bzw. Ausstanzen des Gabelbeinstücks vom Schlachtkörper stelle keine relevante Auflösung oder Veränderung der Muskelfaserstruktur dar. Beim zweiten Produktionsschritt, dem Ablösen des Furculafleisches vom Gabelbein, sei die erste Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllt, weil es sich bei den ausgeschnittenen bzw. ausgestanzten Gabelbeinstücken, von denen anschließend das Furculafleisch abgelöst werde, weder um Geflügelschlachtkörper noch um fleischtragende Knochen nach dem Entbeinen im Sinne der Separatorenfleischdefinition handele. Zwar sei das Gabelbein ein fleischtragender Knochen, jedoch kein Knochen „nach dem Entbeinen“. Denn zum Zeitpunkt des Ausschneidens bzw. Ausstanzens hafte das gesamte Furculafleisch noch am Gabelbein, so dass dieses noch nicht entbeint sei. Eine „Primär-Entbeinung“ sei jedoch Voraussetzung dafür, das anschließend maschinell abgelöste Restfleisch als Separatorenfleisch zu bezeichnen.

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2015 (13 ME 115/15 -, juris) hat das erkennende Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin treffe bereits keine Verpflichtung zur formellen Kennzeichnung des Furculafleisches als Separatorenfleisch, da sie das Produkt ausschließlich an gewerbliche Verarbeitungsbetriebe und nicht an den Endverbraucher abgebe. Sie treffe lediglich die sich aus Art. 8 Abs. 8 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (Lebensmittelinformationsverordnung - LMIV) vom 25. Oktober 2011 (ABl. L 304, S. 18) ergebende Verpflichtung zur Information der belieferten Verarbeitungsbetriebe. Unabhängig davon handele es sich bei dem gewonnenen Gabelbeinfleisch voraussichtlich nicht um Separatorenfleisch, da es an der erforderlichen Primärentbeinung fehle.

Daraufhin hat der Beklagte mit Schreiben vom 16. November 2015 zunächst Ziff. 2 des Bescheids vom 2. Februar 2015, also die Anordnung der sofortigen Vollziehung, aufgehoben. Mit Schreiben vom 2. Februar 2016 hat der Beklagte gegenüber der Klägerin des Weiteren die Ziff. 1 und 3 des Bescheids aufgehoben. Dem Verwaltungsgericht gegenüber hat der Beklagte dazu erklärt, damit sei der Rechtsstreit erledigt, er sei bereit, die Kosten zu tragen. Die Klägerin hat daraufhin mitgeteilt, dass der Rechtsstreit von ihrer Seite nicht für erledigt erklärt werde.

Mit Schreiben vom 10. März 2016 hat der Beklagte der Klägerin gegenüber erklärt, er hebe seine Verfügung vom 2. Februar 2016 wieder auf. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag hat der Beklagte zudem das Verwaltungsgericht informiert, dass er die mit Bescheid vom 2. Februar 2016 gegenüber der Klägerin verfügte Aufhebung der Ziff. 1 und 3 seiner streitigen Verfügung vom 2. Februar 2015 zurücknehme. Er hat beantragt, das Verfahren streitig fortzusetzen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 2. Februar 2015, Az. 391-Bi-020215, zugestellt am 5. Februar 2015, aufzuheben,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 2. Februar 2015, Az. 391-Bi-020215, zugestellt am 5. Februar 2015, rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist insbesondere der Auffassung der Klägerin entgegengetreten, dass die Tatbestandsvoraussetzungen, die nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Einstufung eines Produkts als Separatorenfleisch erfüllt sein müssten, während des gesamten Herstellungsprozesses stets kumulativ vorliegen müssten. Die Kennzeichnungspflicht treffe zudem die Klägerin, auch wenn diese nicht unmittelbar an den Endverbraucher liefere. Dies folge bereits aus Art. 8 Abs. 8 LMIV.

Mit Urteil vom 5. September 2017 hat das Verwaltungsgericht Osnabrück die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die mit dem Hauptantrag verfolgte Anfechtungsklage sei bereits unzulässig. Der angegriffene Verwaltungsakt sei mittlerweile erledigt, weil der Beklagte ihn mit Verfügung vom 2. Februar 2016 aufgehoben habe. Daran könne auch das Schreiben vom 10. März 2016 nichts ändern. Eine Aufhebung der Aufhebung sei hier nicht möglich. Die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage sei zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2015 sei rechtmäßig gewesen und habe die Klägerin somit nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Die Rechtsgrundlage für die der Klägerin auferlegte Kennzeichnungspflicht ergebe sich aus Art. 54 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004, § 39 Abs. 2 Satz 1, § 11 Abs. 2 Nr. 2b LFGB (a.F.), Art. 7 Abs. 1 lit. a, Art. 9 Abs. 1 lit. a und b sowie Art. 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 LMIV i.V.m. dem Anhang VII der Verordnung, Teil B Nr. 18.

Art. 6 LMIV lege fest, dass jedem Lebensmittel, das für die Lieferung an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sei, Informationen nach Maßgabe dieser Verordnung beizufügen seien. Da das Furculafleisch, wenn auch lediglich mittelbar, für die Lieferung an Endverbraucher bestimmt sei, seien diesem Informationen nach Maßgabe der Verordnung beizufügen.

Als Teil der Lebensmittelkette treffe die Klägerin die Verantwortlichkeit aus Art. 8 Abs. 8 LMIV. Sie müsse sicherstellen, dass die von ihr belieferten Lebensmittelunternehmer, welche das Lebensmittel vermarkteten, ausreichende Informationen erhielten, um ihre Kennzeichnungsverpflichtung nach Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 LMIV gegenüber dem Endverbraucher erfüllen zu können. Die sich aus Art. 8 Abs. 8 LMIV ergebende Verpflichtung verlange, dass die Klägerin den vermarktenden Lebensmittelunternehmern mitteile, ob es sich bei dem gelieferten Fleisch um Separatorenfleisch im Sinne der Definition in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) 853/2004 handele. Mit der Verpflichtung zu einer entsprechenden Mitteilung gegenüber dem Weiterverarbeitungsbetrieb gehe die Verpflichtung zur (formellen) Kennzeichnung des Fleisches als Separatorenfleisch zwingend einher. Nur durch eine lückenlose Übermittlungskette der erforderlichen Informationen könne der Zweck der Kennzeichnungspflicht, der Schutz des Verbrauchers auf der letzten Stufe der Lebensmittelkette, erreicht werden.

Das von der Klägerin hergestellte Gabelbeinfleisch stelle auch Separatorenfleisch im Sinne der Definition des Anhangs I Nr. 1.14 der VO (EG) 853/2004 dar. Zwei der drei vom Europäischen Gerichtshof aus dieser Definition herausgearbeiteten Kriterien - der Einsatz maschineller Verfahren zur Gewinnung des Fleisches und die Auflösung oder Veränderung der Muskelfaserstruktur - lägen unstreitig vor. Aber auch das weitere Kriterium, die Verwendung von Knochen nach Abtrennung der ganzen Muskeln bzw. der ganzen Geflügelschlachtkörper, an denen jeweils noch Fleisch hafte, erfülle das Gabelbeinfleisch. Die von der Klägerin praktizierte Verfahrensweise, zunächst das Gabelbein mit der anhaftenden Muskulatur aus dem Geflügel herauszuschneiden und dann das Gabelbeinfleisch mittels Baadermaschine vom Gabelbein zu lösen, sei entgegen der Auffassung der Klägerin als einheitlicher Produktionsvorgang zu werten und unter das Tatbestandsmerkmal „Ablösung des an Geflügelschlachtkörpern haftenden Fleisches“ zu fassen.

Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass gemäß dem Erwägungsgrund 20 der Verordnung (EG) 853/2004 die Definition von Separatorenfleisch so allgemein gefasst worden sei, dass sie alle Verfahren des maschinellen Ablösens abdecke.

Schließlich sei die Qualität des Gabelbeinfleisches für die Einordnung als Separatorenfleisch unerheblich. In der Verordnung (EG) 853/2004 werde in Anhang III Abschnitt V Kapitel III Nr. 3 und 4 zwischen zwei Qualitätskategorien von Separatorenfleisch unterschieden. Die unterschiedlichen Qualitäten änderten jedoch nichts an der Einordnung als Separatorenfleisch.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer vom erkennenden Gericht mit Beschluss vom 7. August 2019 zugelassenen Berufung im Wesentlichen vor, der Lebensmittelinformationsverordnung könne entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Osnabrück bereits dem Grunde nach keine Verpflichtung entnommen werden, wonach sie das an gewerbliche Weiterverarbeiter abzugebende Gabelbeinfleisch als Separatorenfleisch kennzeichnen müsse. Nach Art. 6 LMIV seien jedem Lebensmittel, das für die Lieferung an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sei, Informationen nach Maßgabe der Verordnung beizufügen. Bei der Abgabe an industrielle Verarbeitungsbetriebe liege weder eine Abgabe an Endverbraucher noch an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung vor.

Zudem ergebe sich aus den vom Beklagten in Bezug genommenen Art. 9 Abs. 1 und Art. 18 i.V.m. Anhang VII Teil B Nr. 18 LMIV keine Verpflichtung, Gabelbeinfleisch als Separatorenfleisch zu kennzeichnen. Die Anwendung der Bestimmungen in Anhang VII Teil B LMIV sei nicht verpflichtend, vielmehr könne danach lediglich die spezielle Bezeichnung durch die Bezeichnung einer Klasse ersetzt werden. Gabelbeinfleisch müsse daher nicht als Separatorenfleisch bezeichnet werden, sondern könne stattdessen auch mit seiner konkreten Bezeichnung benannt werden. Davon abgesehen gehe es nur um die Bezeichnung der Zutaten eines Lebensmittels, die Klägerin bringe jedoch Gabelbeinfleisch als solches in den Verkehr, dieses sei nicht Bestandteil eines anderen Lebensmittels.

Bei dem Begriff des Separatorenfleisches handele es sich auch nicht um eine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung i.S.d. Art. 17 Abs. 1 LMIV. Die Regelung des Anhangs I Ziffer 1.14 der VO (EG) Nr. 853/2004 enthalte keine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung von Separatorenfleisch.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts regele Art. 8 Abs. 8 LMIV keine formelle Kennzeichnungspflicht, wie sie gegenüber dem Endverbraucher bestehe. Lediglich zur Einhaltung der sich aus Art. 8 Abs. 8 LMIV ergebenden Verpflichtung zur Information der belieferten Verarbeitungsbetriebe über die Einordnung des gewonnenen Gabelbeinfleisches als Separatorenfleisch hätte die Klägerin im Falle der Richtigkeit dieser Anordnung durch Ordnungsverfügung nach Art. 54 der VO (EG) Nr. 882/2004 angehalten werden dürfen.

Davon abgesehen handele es sich bei Furculafleisch nicht um Separatorenfleisch i.S.v. Anhang I Ziffer 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004.

Das Verwaltungsgericht gehe bereits unzutreffend von einem einheitlichen Produktionsvorgang zur Gewinnung des Furculafleisches durch die Klägerin aus. Tatsächlich seien es zwei voneinander getrennte Produktionsschritte, zwischen denen kein innerer Zusammenhang bestehe.

Weder auf Ebene des ersten Produktionsschrittes der Klägerin zur Gewinnung des Gabelbeinfleisches, dem Ausschneiden/Ausstanzen des Gabelbeins mit anhaftender Brustmuskulatur, noch auf Ebene des zweiten Produktionsschritts, dem maschinellen Ablösen des Gabelbeinfleisches vom Gabelbein, lägen alle drei Tatbestandsvoraussetzungen der Separatorenfleischdefinition vor.

Im Rahmen des ersten Produktionsschritts fehle es unter Beachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an einer relevanten Veränderung der Muskelfaserstruktur (dritte Tatbestandsvoraussetzung der Separatorenfleischdefinition), da die Veränderung der Muskelfaserstruktur im Wege des Ausschneidens/Ausstanzens nicht über einen bloßen Schnitt hinausgehe. Auf der Ebene des zweiten Produktionsschritts werde durch das Ablösen des Furculafleisches zwar eine relevante Veränderung der Muskelfaserstruktur herbeigeführt. Allerdings handele es sich bei den ausgestanzten, knochenhaltigen Gabelbeinstücken, von denen das Gabelbeinfleisch abgelöst werde, weder um einen fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen noch um einen Geflügelschlachtkörper. Ein Vorgang des Entbeinens habe nicht stattgefunden, insbesondere stelle das Ausschneiden/Ausstanzen des Gabelbeinstücks kein Entbeinen dar, sondern ein Zerlegen des Schlachtkörpers.

Dieses Ergebnis entspreche auch dem Sinn und Zweck der Kennzeichnungsverpflichtung für Separatorenfleisch, der sich daraus ergebe, dass es sich rein sachlich betrachtet bei Separatorenfleisch um Restfleisch, d.h. um ein Erzeugnis minderer Qualität handele. Bei dem gewonnenen Gabelbeinfleisch handele es sich jedoch um ein hochwertiges Produkt, wie auch die vorgelegten Gutachten belegten. Da Gabelbeinfleisch somit kein Restfleisch, also kein Fleisch minderer Qualität darstelle, sei es nur konsequent, dieses nicht als Separatorenfleisch einzuordnen. Um Restfleisch würde es sich nur dann handeln, wenn nach dem Entfernen des Gabelbeinfleisches von den Gabelbeinknochen noch das verbliebene Fleisch maschinell entfernt würde.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2015, Az. 391-Bi-020215, aufzuheben,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2015, Az. 391-Bi-020215, rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, die zwei Produktionsschritte der Klägerin seien als einheitlicher Produktionsvorgang zu werten. Andernfalls wäre es jedem Betrieb durch die Gestaltung seiner Produktion überlassen, ob es sich bei dem verarbeiteten Fleisch um Separatorenfleisch handele. Zudem seien beide Produktionsschritte der Klägerin erforderlich, um das Fleisch an die weiterverarbeitenden Betriebe weiterzugeben. Nach den Schilderungen des Produktionsvorgangs durch die Klägerin werde das Gabelbeinfleisch nach Herauslösen des (höherwertigen) Muskelfleisches maschinell vom Gabelbeinknochen getrennt. Dem Gabelbeinknochen hafteten demzufolge nach dem Herausschneiden der Brustmuskulatur noch Fleischreste an, welche sodann maschinell vom Knochen gelöst würden.

Die Kennzeichnungspflicht treffe auch die Klägerin. Zwar liefere sie das Gabelbeinfleisch nicht unmittelbar an den Endverbraucher, dennoch müsse sie die Ware entsprechend kennzeichnen, andernfalls bestehe die Gefahr, dass auch der nachfolgende Verarbeitungsbetrieb die Ware nicht entsprechend kennzeichne. Nur durch eine förmliche Weitergabe aller Informationen von Stufe zu Stufe der Lebensmittelkette könne sichergestellt werden, dass Zutaten im Zutatenverzeichnis des Produktes, welches der Verbraucher erwerbe, auch zutreffend deklariert werden könnten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen.

Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2015 ist mit ihrem Hauptantrag zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Anfechtungsklage, gerichtet auf die mit dem Hauptantrag begehrte Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 2. Februar 2015, statthaft.

Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2015 ist nicht unwirksam.

Zwar hat der Beklagte den Bescheid mit Verfügung vom 2. Februar 2016 zunächst aufgehoben. Mit der Bekanntgabe dieser Aufhebungsentscheidung des Beklagten gegenüber der Klägerin ist die Wirksamkeit des Bescheides vom 2. Februar 2015 gemäß § 1 NdsVwVfG i.V.m. § 43 Abs. 2 VwVfG (ex tunc) entfallen (vgl. Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 51 Rn. 90).

Mit Verfügung vom 10. März 2016 hat der Beklagte jedoch seine Aufhebungsverfügung vom 2. Februar 2016, die ebenfalls einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG darstellt, wieder aufgehoben bzw. zurückgenommen mit dem erkennbaren Ziel, den ursprünglichen Verwaltungsakt wieder in Geltung zu setzen. Damit hat wiederum die Aufhebungsverfügung vom 2. Februar 2016 (ex tunc) ihre Wirksamkeit verloren. Dies hat zur Folge, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt vom 2. Februar 2015 wieder wirksam ist bzw. von vornherein als nicht zurückgenommen anzusehen und durch die von Anfang an rechtsunwirksame Aufhebungsverfügung vom 2. Februar 2016 unberührt geblieben ist (vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 48 Rn. 15 a.E. m.w.N.; Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl. 2019, § 48 Rn. 53 a.E. m.w.N.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 11 Rn. 20; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 51 Rn. 94; HessVGH, Urt. v. 23.8.1995 - 1 UE 2433/91 -, juris Rn. 37; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.10.1990 - 6 S 1513/90 -, NVwZ 1992, 184 [VGH Baden-Württemberg 17.10.1990 - 6 S 1513/90] (185 m.w.N.); BSG, Urt. v. 21.2.1985 - 11 RA 2/84 -, juris Rn. 16).

Unerheblich ist, ob die am 10. März 2016 erfolgte Aufhebung der Aufhebungsverfügung vom 2. Februar 2016 rechtmäßig ist. Auch eine rechtswidrige Rücknahme ist grundsätzlich wirksam und führt die Aufhebung des betroffenen Verwaltungsakts herbei (vgl. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 11 Rn. 20). Gründe, die für eine gemäß § 43 Abs. 3 VwVfG zur Unwirksamkeit führende Nichtigkeit (vgl. § 44 VwVfG) der Verfügung vom 10. März 2016 sprechen könnten, werden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Die Aufhebung der Aufhebung durch die Verfügung vom 10. März 2016 ist darüber hinaus mittlerweile auch bestandskräftig, da sie nicht innerhalb der mangels Rechtsbehelfsbelehrung geltenden Jahresfrist (vgl. § 58 Abs. 2 VwGO) angefochten worden ist.

Soweit das Bundesverwaltungsgericht für die Rechtsfolgen der rückwirkenden Aufhebung eines zur Erledigung führenden Verwaltungsakts auf das jeweils einschlägige materielle Recht abstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.4.2011 - 1 C 2/10 -, juris Rn. 17 und Urt. v. 21.6.2007 - 3 C 11.06 -, juris Rn. 18) führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Die Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall bereits nicht übertragbar, da den zuvor genannten Entscheidungen andere, nicht vergleichbare Sachverhalte zu Grunde lagen. Der Beklagte hat als Reaktion auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Eilverfahren zunächst den ursprünglichen Verwaltungsakt aufgehoben. Diese Aufhebungsverfügung hat er sodann wieder aufgehoben, mit dem erkennbaren alleinigen Ziel, den ursprünglichen Verwaltungsakt wieder zur Geltung zu bringen. In einem solchen Fall richten sich die Rechtsfolgen allein nach den Regelungen der maßgeblichen Verwaltungsakte, die selbst dann wirksam sind und bestandskräftig werden können, wenn sie im Widerspruch zur materiellen Rechtslage stünden und somit rechtswidrig wären.

Davon abgesehen schließt hier auch das maßgebliche Fachrecht, das Lebensmittelrecht, ein Wiederaufleben der ursprünglichen Ordnungsverfügung vom 2. Februar 2015 nicht aus.

2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2015 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des als Rechtsgrundlage allein in Betracht kommenden Art. 138 Abs. 2 lit. c der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und Rates vom 15. März 2017 (ABl. L 95, S. 1) über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel (EU-Kontroll-Verordnung; dazu unter a)) vor, weil die Klägerin mit der Bezeichnung des Gabelbeinfleisches als „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ gegen Vorschriften i.S.d. Artikel 1 Absatz 2 der VO (EU) 2017/625 verstößt (dazu unter b)). Allerdings durfte der Beklagte der Klägerin zur Beseitigung dieses Verstoßes nicht aufgeben, das von ihr produzierte Furculafleisch als Separatorenfleisch zu kennzeichnen (dazu unter c)).

a) Als Ermächtigungsgrundlage für die angefochtene Ordnungsverfügung ist (nunmehr) Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 heranzuziehen. Gemäß Art. 138 Abs. 1 lit b) der Verordnung (EU) 2017/625 ergreifen die zuständigen Behörden, wenn sie einen Verstoß gegen das Lebensmittelrecht festgestellt haben, geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert. Wenn die zuständigen Behörden hiernach tätig werden, ergreifen sie alle gemäß Art. 138 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/625 ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen, um die Einhaltung der Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/625 zu gewährleisten; dazu gehören nach Art. 138 Abs. 2 lit. c der Verordnung (EU) 2017/625, jedoch nicht ausschließlich, die Anordnungen, die Kennzeichnung von Waren zu ändern oder den Verbrauchern berichtigte Informationen bereitzustellen.

Die vom Beklagten bzw. vom Verwaltungsgericht noch herangezogene Rechtsgrundlage des § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB a.F. ist durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Juli 2021 (BGBl. S. 3274) zum 10. August 2021 maßgeblich geändert worden. Zudem wurde der vom Verwaltungsgericht genannte Art. 54 Abs. 1 der Verordnung (EG) 2004/882 mit Wirkung vom 14. Dezember 2019 (vgl. Art. 146 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/625) durch Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 ersetzt. Bei dem angefochtenen Bescheid handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt; für seine Rechtmäßigkeit ist somit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen, jedenfalls wenn es dem jeweiligen Kläger - wie hier - ersichtlich um die Aufhebung des Verwaltungsaktes im gegenwärtigen Zeitpunkt (und für die weitere Zukunft) geht (vgl. bereits NdsOVG, Beschl. v. 10.8.2006 - 11 ME 74/05 -, juris Rn. 6 m.w.N.; vgl. auch: BVerwG, Urt. v. 10.12.2015 - 3 C 7.14 -, juris Rn. 10 m.w.N.; Urt. v. 19.9.2013 - 3 C 15.12 -, juris Rn. 9 m.w.N.; Beschl. v. 5.1.2012 - 8 B 62.11 -, juris Rn. 13 f.). Als unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes EU-Recht hat Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 in seinem Anwendungsbereich Vorrang vor nationalem Recht (vgl. Art. 288 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Im Anwendungsbereich der Norm ist daher § 39 LFGB als Eingriffsgrundlage des nationalen Rechts unanwendbar (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2015 - 3 C 7.14 -, juris Rn. 12 für das Verhältnis zwischen § 39 LFGB und der Vorgängernorm des Art. 54 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004; Holle, in Streinz/Meisterernst, LFGB, 1. Aufl. 2021, § 39 Rn. 3, 40).

Dass die angegriffene Verfügung auf die nationale Bestimmung des § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB a.F. gestützt war, führt nicht zu ihrer Rechtswidrigkeit. Erweist sich die in einem Bescheid getroffene Regelung aus anderen Gründen als den angegebenen Rechtsvorschriften und Gründen als rechtmäßig, ohne dass sie durch den Austausch der Begründung in ihrem Wesen geändert wird, ist der Verwaltungsakt nicht im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtswidrig (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.3.2010 - 8 C 12.09 -, juris Rn. 16 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Der Wechsel der Ermächtigungsgrundlage lässt den Regelungsgehalt der Verfügung vom 2. Februar 2015 unberührt. Insbesondere ergeben sich wegen der inhaltlichen und strukturellen Parallelen der Vorschriften auch in Bezug auf die Ermessensbetätigung keine wesentlichen Änderungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2015 - 3 C 7.14 -, juris Rn. 15). Sowohl Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EU) 2017/625 als auch § 39 LFGB verpflichten die zuständigen Behörden zum Einschreiten, wenn lebensmittelrechtliche Bestimmungen nicht eingehalten werden; lediglich die Auswahl der geeigneten Maßnahmen steht nach beiden Normen im Ermessen der Behörde.

b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 2 lit. c der Verordnung (EU) 2017/625 liegen vor. Mit der Bezeichnung des Furculafleisches als „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ gegenüber den von ihr belieferten Lebensmittelunternehmen verletzt die Klägerin lebensmittelrechtliche Vorschriften i.S.d. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/625.

Die Klägerin verstößt gegen das in § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB normierte Verbot, als Verantwortliche nach Art. 8 Abs. 8 LMIV Lebensmittel mit Informationen über Lebensmittel, die den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 LMIV nicht entsprechen, an andere Lebensmittelunternehmer zu liefern, indem sie das von ihr produzierte Gabelbeinfleisch gegenüber den von ihr belieferten Lebensmittelunternehmern als „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ bezeichnet. Gemäß Art. 7 Abs. 1 LMIV dürfen bereitgestellte Informationen über Lebensmittel, die dem Endverbraucher zur Verfügung gestellt werden (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. a LMIV), nicht irreführend sein, nach Art. 7 Abs. 1 lit. a LMIV „insbesondere (…) in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung“. Gemäß Art. 36 Abs. 2 lit. a LMIV gilt das Irreführungsverbot auch für freiwillig bereitgestellte Informationen über Lebensmittel.

aa) Bei § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB und Art. 7 Abs. 1 LMIV handelt es sich um Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. a der VO (EU) 2017/625, die auf Unionsebene bzw. von einem Mitgliedstaat zur Anwendung des Unionsrechts im Bereich der Lebensmittel und Lebensmittelsicherheit, der Lauterkeit und der gesundheitlichen Unbedenklichkeit auf allen Stufen der Produktion, der Verarbeitung und des Vertriebs von Lebensmitteln erlassen wurden. § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB weitet das Verbot des Lieferns von Lebensmitteln mit irreführenden Informationen gegenüber Art. 7 LMIV auch auf den Lieferanten von Vorprodukten oder Zutaten aus, die nicht selbst an den Endverbraucher oder an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung abgegeben werden (vgl. BT-Drs. 19/25319 S. 50). Damit soll den Anforderungen des Art. 8 Abs. 8 LMIV Rechnung getragen werden, nach dem der Lebensmittelunternehmer, der anderen Lebensmittelunternehmern Lebensmittel liefert, die nicht für die Abgabe an den Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, sicherzustellen hat, dass der andere Lebensmittelunternehmer ausreichende Informationen erhält, um seine Verpflichtungen nach Art. 8 Abs. 2 LMIV erfüllen zu können.

bb) Die Klägerin ist auch Verantwortliche nach Art. 8 Abs. 8 LMIV. Sie ist eine Lebensunternehmerin, die mit dem Gabelbeinfleisch anderen Lebensmittelunternehmern Lebensmittel liefert, die nicht für die Abgabe an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, sondern zur Weiterverarbeitung. Entgegen ihrer Auffassung ist sie nicht vom gesamten Anwendungsbereich der Lebensmittelinformationsverordnung ausgenommen. Die Verordnung gilt nach Art. 1 Abs. 3 Satz 1 für Lebensmittelunternehmer auf allen Stufen der Lebensmittelkette, sofern deren Tätigkeiten die Bereitstellung von Information über Lebensmittel an die Verbraucher betreffen. Von der Vorschrift des Art. 1 Abs. 3 Satz 1 LMIV wird, wie sich aus Art. 8 Abs. 6 bis 8 LMIV ergibt, nicht nur das unmittelbare Bereitstellen von Informationen an den Endverbraucher erfasst, sondern auch das mittelbare Mitwirken in der Lebensmittelkette, um eine ordnungsgemäße Information an die Verbraucher zu gewährleisten. Denn diese Vorschriften ordnen Informationspflichten zwischen Lebensmittelunternehmen an, obwohl - in den Fällen des Art. 8 Abs. 7 und 8 LMIV - die abgegebenen Lebensmittel nicht unmittelbar zur Abgabe an die Verbraucher bestimmt sind (vgl. Meisterernst, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: 181. EL November 2021, LMIV, Art. 1 Rn. 15). Unerheblich für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Lebensmittelinformationsverordnung ist, dass das von der Klägerin produzierte Gabelbeinfleisch kein Lebensmittel im Sinne des Art. 1 Abs. 3 Satz 2 LMIV sein dürfte. Die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 3 LMIV müssen nicht kumulativ vorliegen, um den Anwendungsbereich der Lebensmittelinformationsverordnung zu eröffnen, sondern lediglich alternativ (vgl. Meisterernst, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: 181. EL November 2021, LMIV, Art. 1 Rn. 18).

cc) Die von der Klägerin an die von ihr belieferten Lebensmittelunternehmen weitergegebenen Informationen entsprechen nicht den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 LMIV.

Die gegenüber den weiterverarbeitenden Betrieben verwendete Bezeichnung „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ für das von der Klägerin produzierte Gabelbeinfleisch ist in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels Gabelbeinfleisch irreführend. Irreführend sind Bezeichnungen, Angaben oder Aufmachungen, die geeignet sind, bei dem in Frage kommenden Abnehmerkreis eine falsche Vorstellung über die tatsächlichen Verhältnisse hervorzurufen. Grundsätzlich ist für die Frage, ob Lebensmittel unter irreführenden Bezeichnungen, Angaben oder Aufmachungen in den Verkehr gebracht werden, auf die allgemeine Verkehrsauffassung abzustellen. Die Berücksichtigung der Verkehrsauffassung ist aber unzulässig, wenn die inhaltliche Bedeutung einer Kennzeichnung, Angabe oder Aufmachung oder die Beschaffenheit eines Lebensmittels gesetzlich normiert ist. Gesetzliche Vorschriften einschließlich der auf Gesetz beruhenden Vorschriften in Rechtsverordnungen haben Vorrang. Denn Normierungen in Rechtssätzen sind allgemeinverbindlich, was zur Folge hat, dass ein etwa abweichender Handelsbrauch oder eine entgegenstehende Verkehrsauffassung rechtlich unbeachtlich ist (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 10.8.2006 - 11 ME 74/05, juris Rn. 7 m.w.N.).

Die von der Klägerin verwendete Bezeichnung „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ lässt für die weiterverarbeitenden Betriebe nicht erkennen, dass es sich bei dem Gabelbeinfleisch tatsächlich um Separatorenfleisch im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. f LMIV i.V.m. Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 vom 29. April 2004 (ABl. L 139 S. 55) mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs handelt. Separatorenfleisch unterliegt jedoch nach der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 anderen Hygiene- und Verarbeitungsregeln als frisches Fleisch, Hackfleisch oder Fleischzubereitungen. Zudem ist Separatorenfleisch gemäß Anhang VII Teil B Nummer 17 LMIV von der kennzeichnungsrechtlichen Definition von Fleisch ausgenommen. Durch die Bezeichnung des Furculafleisches als „Hähnchen-Verarbeitungsfleisch“ wird jedoch der Eindruck erweckt, dass das Produkt unter die Klassenbezeichnung „Hähnchenfleisch“ i.S.d. Anhangs VII Teil B Nummer 16 LMIV fällt.

Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 definiert Separatorenfleisch als „ein Erzeugnis, das durch Ablösung des an fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen bzw. an den Geflügelschlachtkörpern haftenden Fleisches auf maschinelle Weise so gewonnen wird, dass die Struktur der Muskelfasern sich auflöst oder verändert wird“.

Unter Berücksichtigung dieser Definition handelt es sich bei dem von der Klägerin gewonnenen Furculafleisch um Separatorenfleisch. Unstreitig liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der maschinellen Gewinnung und der Auflösung bzw. Veränderung der Muskelfaserstruktur des so gewonnenen Fleisches vor. Die Klägerin gewinnt das Furculafleisch, indem sie das Gabelbein mit den anhaftenden Muskeln der Behandlung durch eine Baadermaschine unterzieht. Durch diese maschinelle Verfahrensweise wird die Muskelfaserstruktur des gewonnenen Fleisches aufgelöst bzw. weitgehend verändert.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist bei der Gewinnung des Furculafleisches auch die erste Tatbestandsvoraussetzung, die Verwendung von fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen bzw. von Geflügelschlachtkörpern, erfüllt. Bei den herausgestanzten Gabelbeinstücken handelt es um fleischtragende Knochen nach dem Entbeinen.

Das der maschinellen Gewinnung des Furculafleisches vorgeschaltete Herausstanzen des Gabelbeinstücks stellt ein Entbeinen im Sinne der ersten Tatbestandsvoraussetzung für Separatorenfleisch dar. Der Begriff des Entbeinens bezeichnet nach seinem Wortsinn und dem allgemeinen Sprachgebrauch das Entfernen von Knochen aus etwas, z.B. aus einem Tier oder aus einem Stück Fleisch. Für die nach der Definition in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 erforderliche (Primär-)Entbeinung reicht es daher aus, dass mit dem Ausstanzen des Gabelbeins ein Knochen aus dem Geflügelschlachtkörper bzw. konkret aus dem Brustmuskelfleisch des Hähnchens entfernt worden ist und damit der Schlachtkörper bzw. das Brustmuskelfleisch vom Gabelbein „entbeint“ worden ist. Nicht erforderlich ist nach dem Wortsinn der Definition in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004, dass auch das herausgeschnittene Teilstück entbeint, also hier das Gabelbein aus dem nach dem Ausstanzen noch anhaftenden Muskelfleisch gelöst wird. Voraussetzung für ein Entbeinen ist, dass ein Knochen aus zusammenhängend und fest verkörpertem Fleisch - das heißt aus einem ganzen Tierkörper, aus dem Teil eines Tierkörpers oder aber zumindest aus einem zusammenhängenden Fleischstück, das nach dem Entbeinen als Ganzes zurückbleibt - entfernt wird. Exakt das ist der Fall, wenn das Gabelbeinstück aus dem Brustmuskel getrennt wird; darauf, wie genau diese Trennung vollzogen wird, anders ausgedrückt, wieviel Restfleisch sich noch an dem herausgetrennten Knochen befindet, kommt es dabei nicht an. Das an den Gabelbeinknochen noch anhaftende Fleisch erfüllt - anders als das Brustmuskelfleisch - nicht die vorgenannten Voraussetzungen eines zusammenhängenden und fest verkörperten Fleischstücks, das seinerseits (nochmals) entbeint werden könnte. Die Klägerin geht nach Einschätzung des Senats von einer unzutreffenden Interpretation des Begriffs des Entbeinens aus, wenn sie annimmt, der Gabelbeinknochen müsse nunmehr seinerseits primärentbeint werden. Entbeinen bedeutet - wie dargelegt - schon nach seinem Wortsinn nicht, dass ein Knochen vom Fleisch befreit wird, sondern dass Fleisch von Knochen befreit wird.

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht unter Berücksichtigung der Begriffsbestimmung in Art. 2 Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 798/ 2008, wonach Separatorenfleisch „aus vom Geflügelschlachtkörper oder nach dem Entfleischen fleischtragender Knochen von diesen maschinell gelösten Fleischresten, deren Muskelfaser zerstört oder verändert wurde“, besteht. Ausgehend von dieser Formulierung könnte zwar zumindest zweifelhaft erscheinen, ob das Gabelbein vor der Gewinnung des Gabelbeinfleisches bereits als hinreichend „entfleischt“ in diesem Sinne bezeichnet werden kann und ob die Klägerin daher tatsächlich Separatorenfleisch gewinnt. Die verwendete Formulierung findet sich jedoch weder in der französischen noch in der englischen Sprachfassung der Verordnung (EG) Nr. 798/2008 wieder. In diesen Sprachfassungen wird Separatorenfleisch vielmehr jeweils übereinstimmend mit Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 definiert als „le produit obtenu par l’enlèvement de la viande des os charnus après le désossage ou des carsasses de volailles, à l’aide de moyens mécaniques entraînant la destruction ou la modification de la structure fibreuse des muscles“ bzw. „the product obtained by removing meat from flesh-bearing bones after boning or from poultry carcases, using machanical means resualting in the loss or modification oft he muscle fibre structure“. Daher kann der deutschen Fassung keine durchgreifende Bedeutung beigemessen werden.

Für die Einordnung des von der Klägerin gewonnenen Gabelbeinfleisches als Separatorenfleisch spricht auch der Erwägungsgrund 20 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004. Nach diesem Erwägungsgrund soll die Definition des Separatorenfleisches so allgemein gefasst sein, dass sie alle Verfahren des mechanischen Ablösens abdeckt. Zwar können Erwägungsgründe eine Vorschrift selbst nicht verschärfen. Sie stellen jedoch eine maßgebliche Grundlage für die Auslegung dar (BVerfG, Beschl. v. 7.6.2011 - 1 BvR 2109/09 -, juris Rn. 26; NdsOVG, Beschl. v. 23.7.2009 - 13 LA 150/08 -, juris Rn. 10). Damit ergibt sich, das von dem Begriff des Separatorenfleisches sämtliche Produkte umfasst werden sollten, die durch maschinelles Ablösen des Restfleisches vom Knochen gewonnen werden, soweit dabei auch die Muskelfaserstruktur des Fleisches verändert wird. Dafür streitet im Übrigen auch das frühere Begriffsverständnis von „Separatorenfleisch“. Vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 853/2004 waren die gesundheitlichen Aspekte der Gewinnung von Separatorenfleisch durch die Richtlinie 64/433/EWG des Rates über die gesundheitlichen Bedingungen für die Gewinnung und das Inverkehrbringen von frischem Fleisch (ABl. 1964, Nr. 121, 2012) in der zuletzt durch die Richtlinie 95/23/EG des Rates vom 22. Juni 1995 (ABl. L 243, S. 7) geänderten Fassung geregelt. Separatorenfleisch war nach Art. 2 Buchst. c und Art. 6 Abs. 1 lit. c dieser Richtlinie definiert als „mechanisch von fleischtragenden Knochen, ausgenommen Kopfknochen, Röhrenknochen, Gliedmaßenenden unterhalb Karpal- bzw. Tarsalgelenk sowie Schweineschwänzen, gewonnenes und für die gemäß Art. 6 der Richtlinie 77/99/EWG [des Rates vom 21. Dezember 1976 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen (ABl. 1977, L 26, S. 85) in ihrer durch die Richtlinie 92/5/EWG des Rates vom 10. Februar 1992 (ABl. L 57, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung] zugelassenen Betriebe bestimmtes Fleisch“, das einer Hitzebehandlung gemäß der Richtlinie 77/99 zu unterziehen war (zitiert nach EuGH, Urt. v. 16.10.2014 - C-453/13 -, juris Rn. 7)

Soweit die Klägerin auf die ihrer Ansicht nach hohe Qualität, insbesondere auch auf den geringen Kalziumgehalt des von ihr gewonnenen Gabelbeinfleisches verweist, vermag dies nichts an der rechtlichen Einordnung des Produktes als Separatorenfleisch zu ändern. Die Definition von Separatorenfleisch knüpft nicht an die Qualität des Endproduktes, sondern allein an die Herstellungsweise an. Die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 in Anhang III Abschnitt V Kapitel III Nr. 3 und 4 unterscheidet zwar zwischen zwei Qualitätskategorien von Separatorenfleisch: Solchem, das nach Verfahren hergestellt wurde, die die Struktur der Knochen nicht ändern und bei dem der Kalziumgehalt dem von Hackfleisch ähnelt und solchem, bei dem diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Beide Kategorien unterfallen jedoch der Definition des Separatorenfleisches. Die unterschiedliche Qualität von Separatorenfleisch führt lediglich zu Veränderungen der Hygienebedingungen und der Verwendungsmöglichkeiten dieses Fleisches.

Für die Einordnung des von der Klägerin produzierten Gabelbeinfleisches als Separatorenfleisch spricht schließlich auch, dass nach der Definition in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 bei der Verwendung des gesamten Geflügelschlachtkörpers (vgl. Anhang I Ziffer 1.19 der VO (EG) Nr. 853/2004: „Körper eines Tieres nach dem Schlachten und Zurichten (‚dressing‘)“) für die maschinelle Ablösung des Fleisches unter Auflösung der Muskelfaserstruktur von Separatorenfleisch auszugehen ist. Es wäre widersprüchlich und sachlich nicht erkennbar gerechtfertigt, wenn dies bei Teilstücken des Schlachtkörpers nicht der Fall wäre.

Anders als die Klägerin meint, stehen auch die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in seinem Urteil vom 16. Oktober 2014 (C-453/13 -, juris) der Einordnung des ausgestanzten Gabelbeinstücks als „fleischtragender Knochen nach dem Entbeinen“ nicht entgegen. Soweit der Europäische Gerichtshof für die Erfüllung des ersten Kriteriums - Verwendung von fleischtragenden Knochen nach dem Entbeinen - fordert, dass „Knochen nach Abtrennung der ganzen Muskeln, die ihnen ursprünglich anhafteten“, verwendet werden (vgl. Rn. 41 und 45), ist diese Voraussetzung bei den herausgestanzten Gabelbeinstück erfüllt. Durch das Herausstanzen sind die Brustmuskeln vom Gabelbein getrennt worden. Bei den Brustmuskelstücken handelt es sich auch um „ganze Muskeln“, die selbstständig verkaufsfähig sind. Unerheblich ist, dass nach dem Ausstanzen noch Muskelfleisch an den Gabelbeinen anhaftet. Zur Gewinnung von Separatorenfleisch ist vielmehr gerade erforderlich, dass noch Fleisch an dem verwendeten Knochen haftet. Dabei kommt es für die Einordnung des gewonnenen Produktes als Separatorenfleisch weder nach der Definition in Anhang I Nr. 1.14 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 noch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof darauf an, welche Menge Fleisch noch an dem verwendeten Knochen haftet oder wie das Gewichtsverhältnis der verwendeten Knochen zu dem noch anhaftenden Fleisch ist.

Auch soweit der Europäische Gerichtshof ausführt, dass in den Erwägungsgründen 1 und 7 der Richtlinie 2001/101 zum Ausdruck komme, „dass Separatorenfleisch […] ein Erzeugnis von minderer Qualität darstellt, weil es aus Fleischresten, Fett und Bindegewebe besteht, die, nachdem das Fleisch im Wesentlichen abgetrennt worden ist, noch an den Knochen haften“ (vgl. Rn. 63) ergibt sich nichts anderes. Es gibt vielmehr keine Anhaltspunkte dafür, dass der vom Europäischen Gerichtshof verwendete Begriff der „Fleischreste“ quantitativ zu bestimmen wäre. Andernfalls hätten auch entsprechende Grenzwerte normiert werden müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bei „Fleischresten“ handelt es sich vielmehr um dasjenige Fleisch, das einem aus dem Schlachtkörper herausgelösten („entbeinten“) Knochen noch anhaftet, bevor dieser - in der Regel mangels eigenständiger Vermarktungsfähigkeit - durch die Baader-Maschine gepresst wird.

c) Allerdings durfte die Klägerin von der Beklagten nicht zur förmlichen Kennzeichnung des von ihr produzierten Gabelbeinfleisches als Separatorenfleisch verpflichtet werden. Gemäß Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 hat die zuständige Behörde „geeignete Maßnahmen“ zu ergreifen, wenn sie - wie hier - einen Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften feststellt. Dies bedeutet, dass dem Beklagten bei der Feststellung von Verstößen grundsätzlich kein Entschließungsermessen hinsichtlich der Frage des „Ob“ des Einschreitens zusteht. Er ist gehalten, zu handeln. Lediglich bei der Frage des „Wie“ des Einschreitens steht ihm ein Ermessen zu, wobei er insoweit die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens zu beachten hat (vgl. § 40 VwVfG; § 114 VwGO).

Mit der streitgegenständlichen Anordnung der formellen Kennzeichnungspflicht des Furculafleisches als Separatorenfleisch hat der Beklagte die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten. Eine Kennzeichnungspflicht nach Art. 6 LMIV i.V.m. Art. 8 Abs. 2 und 1 LMIV trifft die Klägerin nicht. Gemäß Art. 6 LMIV sind jedem Lebensmittel, das für die Lieferung an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt ist, Informationen nach Maßgabe dieser Verordnung beizufügen. Nach Art. 8 Abs. 2 LMIV gewährleistet der für die die Information über das Lebensmittel verantwortliche Lebensmittelunternehmer gemäß dem anwendbaren Lebensmittelinformationsrecht und den Anforderungen der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften das Vorhandensein und die Richtigkeit der Informationen über das (vorverpackte, vgl. Art. 12 Abs. 2 LMIV) Lebensmittel. Nach Abs. 1 der Vorschrift ist verantwortlich für die Information über ein Lebensmittel der Lebensmittelunternehmer, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird, oder, wenn dieser Unternehmer nicht in der Union niedergelassen ist, der Importeur, der das Lebensmittel in die Union einführt. Der Anwendungsbereich des Art. 6 LMIV ist hier jedoch bereits nicht eröffnet, da es sich bei dem Furculafleisch nicht um ein Lebensmittel handelt, das für die Lieferung an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt ist. Die Klägerin liefert das Produkt vielmehr an andere Lebensmittelunternehmer, die das Produkt zunächst noch weiterverarbeiten.

Zwar sieht die LMIV ergänzend personen- oder unternehmensbezogene Kooperationspflichten auch derjenigen Stufen der Lebensmittelkette vor, die - wie die Klägerin - selbst noch keine informationspflichtigen Produkte (da nicht zur Abgabe an Endverbraucher oder Gemeinschaftsverpfleger bestimmt) herstellen oder vertreiben. Wie bereits erwähnt, haben nach Art. 8 Abs. 8 LMIV Lebensmittelunternehmer, die anderen Lebensmittelunternehmern Lebensmittel liefern, die nicht für die Abgabe an Endverbraucher oder Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung bestimmt sind, sicherzustellen, dass diese anderen Lebensmittelunternehmer ausreichende Informationen erhalten, um ihre Verpflichtung nach Art. 8 Abs. 2 LMIV erfüllen zu können. Eine formelle Kennzeichnungspflicht, wie sie gemäß Art. 6, 8 Abs. 1 LMIV gegenüber dem Endverbraucher besteht, ergibt sich daraus jedoch nicht. Vielmehr statuiert die LMIV insoweit eine bloße „Erhältlichkeit“ der Informationen auf den vorgelagerten, rein gewerblichen Stufen der Lebensmittelkette und zwar ohne die Form der Bereitstellung allgemein näher vorzugeben (vgl. Grube, in: Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016, Art. 1 Rn. 32 f.). Die Information kann beispielsweise durch Warenbegleitpapiere, Bereitstellung der Daten auf einer Informationsplattform oder sonstige Angaben und Auskünfte bereitgestellt werden. Dies ist sachgerecht, da für den Lieferanten nicht vorverpackter Lebensmittel oftmals nicht erkennbar ist, ob die betreffenden Lebensmittel an den Endverbraucher oder an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung abgegeben werden sollen (vgl. Meisterernst, in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, LMIV Art. 8 Rn. 52 ff.). Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelungen der Lebensmittelinformationsverordnung. Die Verordnung dient ausdrücklich den Verbraucherinteressen (vgl. insbesondere die Erwägungsgründe 3, 10 und 17). Insofern zielen die Kennzeichnungspflichten auf die Lebensmittel ab, die ohne weitere Veränderung zur Abgabe an die Verbraucher bestimmt sind. Eine Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln, die vor der Abgabe an den Verbraucher von Lebensmittelunternehmen zunächst noch weiterverarbeitet werden, die also am Ende nur die Zutat eines anderen Lebensmittels darstellen, ist dafür nicht erforderlich und daher von der Verordnung auch nicht vorgesehen. Für diese Lebensmittel stellt die Verordnung lediglich sicher, dass der Lebensmittelunternehmer, der am Ende zur Kennzeichnung rechtlich verpflichtet ist, die nötigen Informationen erhalten kann. Dies wird auch dadurch gestützt, dass Art. 7 LMIV sich ausdrücklich nur auf Informationen bezieht, die dem Endverbraucher zur Verfügung gestellt werden (vgl. die Definition in Art. 2 Abs. 2 a) „Information über Lebensmittel“).

Um zu verhindern, dass die Klägerin das von ihr produzierte Furculafleisch mit einer irreführenden Bezeichnung versieht, kann ihr daher keine formelle Kennzeichnungspflicht, wie sie gegenüber dem Endverbraucher besteht, aufgegeben werden. Die angegriffene Verfügung regelt eine unzulässige Maßnahme und ist somit rechtswidrig. Der Klägerin kann lediglich aufgegeben werden, die irreführende Bezeichnung zu unterlassen und (ggf.) ihre sich aus Art. 8 Abs. 8 LMIV ergebende Verpflichtung zur Information der belieferten Verarbeitungsbetriebe über die Einordnung des gewonnenen Furculafleisches als Separatorenfleisch einzuhalten.

d) Einer Vorlage an den Europäische Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 2 AEUV bedarf es nicht. Die Beantwortung der allein entscheidungstragenden Frage, ob der Klägerin in Anwendung des maßgeblichen Unionsrechts eine förmliche Kennzeichnungspflicht des von ihr gewonnenen Gabelbeinfleisches als Separatorenfleisch auferlegt werden kann, ist im Sinne der acte-clair-Doktrin (vgl. EuGH, Urt. v. 6.10.1982 - C-283/81 -, juris) derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel an der Beantwortung der gestellten Frage keinerlei Raum verbleibt. Ungeachtet dessen besteht eine Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nur für das letztinstanzliche Gericht. Dazu zählt im vorliegenden Verfahren das Oberverwaltungsgericht nicht. Ein Gericht fungiert nur dann nach Art. 267 Abs. 3 AEUV als letztinstanzliches Gericht, wenn die von ihm getroffene Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann (vgl. EuGH, Urt. v. 4.6.2002 - C-99/00 -, juris Rn. 15). Jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Revision zugelassen wird, können Urteile von Oberverwaltungsgerichten in diesem Sinne mit Rechtsmitteln angefochten werden.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711, § 709 Satz 2 ZPO.

III. Die Revision ist zuzulassen, da die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob Lebensmittelunternehmen, die anderen Lebensmittelunternehmen Lebensmittel liefern, eine förmliche Kennzeichnungspflicht hinsichtlich dieser Lebensmittel auferlegt werden kann, noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und von einer über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Bedeutung ist.