Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 10.05.2011, Az.: S 45 AS 124/11 ER

Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft liegt nicht vor bei Besuchen und sporadischen Übernachtungen des Exfreundes einer Hilfebedürftigen zur Versorgung der gemeinsamen Tochter; Vorliegen einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft bei Besuchen und sporadischen Übernachtungen des Exfreundes einer Hilfebedürftigen zur Versorgung der gemeinsamen Tochter; Geltendmachung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II durch eine alleinerziehende Hilfebedürftige bei nur gelegentlicher Betreuung des Kindes durch den Vater

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
10.05.2011
Aktenzeichen
S 45 AS 124/11 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 24146
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2011:0510.S45AS124.11ER.0A

Tenor:

  1. I.

    Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen in der Hauptsache für den Zeitraum ab 4. April 2011, längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten, Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe, einschließlich eines Mehrbedarfs der Antragstellerin zu 1. für Alleinerziehende und ohne die Berücksichtigung des Einkommens von Herrn E., zu gewähren, d.h. Leistungen in Gesamthöhe von 875,94 EUR monatlich. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen zu ersetzen.

  2. II.

    Den Antragstellerinnen wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt F., G., beigeordnet.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerinnen begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihnen Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn H. zu bewilligen.

2

Die Antragstellerinnen bewohnen gemeinsam eine Drei-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von ca. 60 m2 in der I. in J ... Die monatliche Kaltmiete beträgt 346,53 EUR, die Nebenkostenvorauszahlung beläuft sich auf 105,81 EUR monatlich und die Heizkostenvorauszahlung auf 90,- EUR monatlich. Laut Nebenkostenabrechnung vom 17. Dezember 2010 wird das Gebäude, in dem sich die Wohnung befindet, zentral mit Fernwärme beheizt. Die Antragstellerin zu 2. erhält Kindergeld- und Wohngeldzahlungen in Gesamthöhe von 366,- EUR monatlich.

3

Die Antragstellerinnen stehen im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 23. Juli 2010 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen für die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragstellerinnen für den Zeitraum bis 31. Januar 2011 in Höhe von 614,65 EUR monatlich. Im Zuge eines Hausbesuches am 1. und 2. September 2010, für dessen Verlauf und Ergebnis auf Blatt 450 ff. der Leistungsakte verwiesen wird, ergaben sich Anhaltspunkte für ein Zusammenleben der Antragstellerin zu 1. mit Herrn E ... Daraufhin bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11. Februar 2011 für den Zeitraum 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 Leistungen zugunsten der Antragstellerinnen und des Herrn H. als Bedarfsgemeinschaft, also unter Anrechnung des Einkommens von Herrn K., in Höhe von 377,73 EUR monatlich.

4

Gegen diesen Bescheid vom 11. Februar 2011 haben die Antragstellerinnen am 16. März 2011 Widerspruch eingelegt und - hilfsweise für den Fall der Verfristung - einen Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X gestellt. Zur Begründung trugen sie vor, bei Herrn H. handele es sich um den Ex-Freund der Antragstellerin zu 1., der sich in der Wohnung der Antragstellerinnen lediglich zu Besuchen aufhalte, insbesondere um das Umgangsrecht mit der gemeinsamen Tochter, der Antragstellerin zu 2., auszuüben.

5

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2011 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch unter Verweis auf den Hausbesuch vom September 2010 als unbegründet zurück. Zudem verwies die Antragsgegnerin auf den Umstand, dass Herr H. nach dem testamentarischen Willen der Antragstellerin zu 1. das alleinige Sorgerecht für die Antragstellerin zu 2. erhalten sollte und dass die gemeinsame Tochter den Namen des Vaters trage.

6

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 21. März 2011 haben die Antragstellerinnen am 24. März 2011 Klage erhoben (Az. 27 AS 383/11). Am 4. April 2011 haben sie die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

7

Die Antragstellerinnen machen geltend, Herr L. wohne in M. im Hause seines Vaters. Er halte sich lediglich zu Besuchen bei ihnen auf, um seine Tochter, die Antragstellerin zu 2., zu sehen und den Umgang mit ihr wahrzunehmen. Herr L. habe bis Anfang des Jahres 2011 auch deshalb gelegentlich in der Wohnung der Antragstellerinnen übernachtet, weil er nach seiner Nachtschicht nicht die Fahrt nach M. habe antreten wollen. Herr L. befinde sich auch derzeit regelmäßig in der Wohnung, um seine Tochter zu sehen. Er könne sie nicht mitnehmen, da die Tochter auf die Antragstellerin zu 1. fixiert sei. Herr L. komme ca. dreimal wöchentlich zu Besuch. Wann und in welchem Umfang er komme, hänge auch von seinem Schichtdienst ab. In der Regel komme er aber nachmittags zu Besuch. Er spiele dann mit seiner Tochter, manchmal wickle er sie auch. An Wochenenden besuchten die Antragstellerinnen gemeinsam mit Herrn L. auch immer wieder dessen Familie in N ... Der einzige Verbindungspunkt der Antragstellerin zu 1. zu der Familie von Herrn L. sei die gemeinsame Tochter. Das Verhältnis zu den Eltern der Antragstellerin zu 1., das lange Zeit nicht oder nur sehr eingeschränkt vorhanden gewesen sei, bessere sich gerade wieder. Nach einem Besuch habe man sich ausgesprochen. Die Antragstellerin zu 1. beabsichtige nunmehr, auch das Testament dahingehend zu ändern, dass die Eltern der Antragstellerin zu 1. das Sorgerecht für die Antragstellerin zu 2. erhalten sollten. Es treffe zwar zu, dass die Antragstellerin zu 1. im September 2010 noch ein Bild von Herrn L. auf ihrem Nachttisch gehabt habe. Das ändere aber nichts daran, dass die Beziehung der Antragstellerin zu 1. mit Herrn L. seit Monaten beendet sei. Inzwischen habe die Antragstellerin zu 1. einen anderen Mann kennengelernt, mit dem sie eine Beziehung eingehen wolle. Da Herr H. sich nur über sehr kurze Zeitabschnitte um seine Tochter, die Antragstellerin zu 2., kümmere und alle wesentlichen Erziehungs- und Betreuungsleistungen der Antragstellerin zu 1. überlasse, sei der Antragstellerin zu 1. ein Mehraufwand für Alleinerziehende zu gewähren.

8

Die Antragstellerinnen beantragen,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragstellerinnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab Antragstellung, vorläufig, längstens für den Zeitraum von sechs Monaten, ohne die Berücksichtigung von Einkommen von Herrn E. im Rahmen einer Einstandsgemeinschaft in Höhe von 919,34 EUR monatlich zu gewähren.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

10

Die Antragsgegnerin trägt vor, nach dem Ergebnis des Hausbesuches vom 1. und 2. September 2010 und der weiteren Indizien stehe fest, dass die Antragstellerinnen und Herr H. nach wie vor zusammen lebten. Dafür sprächen insbesondere die Umstände, dass Herr L. bei dem Hausbesuch am 1. September 2010 in der Wohnung der Antragstellerinnen angetroffen worden sei, dass sich auf dem Nachttisch ein Foto von Herrn L. befunden habe, dass die Antragstellerin zu 1. testamentarisch das Sorgerecht für die Antragstellerin zu 2. auf Herrn L. übertragen habe, dass die Antragstellerinnen und Herr L. regelmäßig an Wochenenden gemeinsam die Familie von Herrn L. besuchten, dass die gemeinsame Tochter den Namen "K." trage und dass Herr L. bei dem Hausbesuch im Hause seines Vaters am 2. September 2010 über keinen eigenen Haustürschlüssel verfügt habe. Auch von einem gemeinsamen Wirtschaften der Antragstellerin zu 1. und des Herrn L. sei auszugehen. Dies belegten die gemeinsamen Einkäufe. Jedenfalls stünde der Antragstellerin zu 1. Herr L. in der Erziehung der gemeinsamen Tochter so zur Seite, dass ein Mehrbedarf für Alleinerziehende zugunsten der Antragstellerin zu 1. nicht anzuerkennen sei. Bei den Kosten der Unterkunft sei zudem Herr L. aufgrund seiner regelmäßigen Besuche mit in die Bedarfsberechnung einzubeziehen, so dass den Antragstellerinnen lediglich 2/3 der tatsächlichen Kosten zustünden.

11

Die Kammer hat am 28. April 2011 einen Erörterungstermin durchgeführt und im Wege der Zeugenvernehmung Beweis zu der Frage erhoben, ob die Antragstellerin zu 1. mit Herrn H. zusammen wohnt und mit ihm eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft bildet. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Erörterungstermins verwiesen.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

13

II.

Der Antrag hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg.

14

I.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges.

15

Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG, mit der er die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache abzustellen ist, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -). Die einstweilige Anordnung des Gerichts darf wegen des nur vorläufigen Charakters des Eilverfahrens grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, weil sonst der auf einer umfassenden Sachaufklärung beruhenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorgegriffen und die dort für einen Klageerfolg zu erfüllenden Beweisanforderungen umgangen würden. Eine die Hauptsache vorwegnehmende Entscheidung ist nur dann zu treffen, wenn ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1998 - 2 BvR 745/88 -). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen auf die reduzierte Prüfungsdichte und die lediglich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (vgl. LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 05.11.2005 - L 9 AS 1207/10 B ER -).

16

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen in einem funktionalen Zusammenhang. Die rechtlichen Anforderungen an die Sicherheit, mit welcher das Bestehen eines Anordnungsanspruchs festgestellt oder ausgeschlossen werden kann, sind davon abhängig, wie schwer die dem Antragsteller drohenden Nachteile wiegen und mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit sie sich ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung einstellen werden. Ist etwa die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, wobei wegen des Vorrangs der Rechtsverwirklichung im Klageverfahren und des hieraus folgenden Ausnahmecharakters des Eilverfahrens nicht gänzlich auf sein Vorliegen verzichtet werden kann.

17

Ist demgegenüber, wie es insbesondere bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose in Betracht kommt, im Einzelfall damit zu rechnen, dass ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare und irreparable Nachteile entstehen, erfordert die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) eine besondere Ausgestaltung des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Zweifel am Bestehen eines Anordnungsanspruchs führen in diesem Fall lediglich dann zu einer Antragsablehnung, wenn bereits im Anordnungsverfahren abschließend festgestellt werden kann, dass ein Anordnungsanspruch nicht besteht. Ist hingegen ein Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht bereits auszuschließen, weil insbesondere eine abschließende Sachaufklärung im Eilverfahren nicht möglich ist, bedarf es einer Folgenabwägung, in welche die Sozialgerichte die grundrechtlichen Belange des Antragstellers, namentlich die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines die Menschenwürde wahrenden Existenzminimums, umfassend einzustellen haben. Dabei haben sie sich schützend und fördernd vor die Wahrung der Menschenwürde zu stellen und eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint, zu verhindern.

18

Nach diesen Maßstäben sind hier die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfüllt.

19

1.

Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

20

a)

Voraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ist die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers im Sinne des § 9 SGB II. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und dem Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderlich Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Gem. § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen unter anderem auch eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Gem. § 7 Abs. 3 a SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner (1.) länger als ein Jahr zusammen leben, (2.) mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, (3.) Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder (4.) befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

21

Mit der Regelung über die Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft knüpft der Gesetzgeber an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, wonach für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft die Bindungen der Partner so eng sein müssen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Das setzt voraus, dass sie sich füreinander verantwortlich fühlen, zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherzustellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse einsetzen (BVerfG, Urt. v. 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 -). Die Beweislast für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II bzw. das Vorliegen der Voraussetzungen einer der Vermutungsregelung nach § 7 Abs. 3 a SGB II trägt im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der jeweilige Leistungsträger, der auch darlegungs- und glaubhaftmachungspflichtig ist (LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 04.12.2008 - L 9 AS 467/08 ER -. Die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs. 3 a SGB II führt zu einer Umkehr der Beweislast (LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 16.01.2007 - L 13 AS 15/06 ER -). Sie kann aber widerlegt werden. Zu Umfang und Reichweite der Vermutungsregel des § 7 Abs. 3 a SGB II hat das LSG Niedersachsen-Bremen jüngst wie folgt ausgeführt (Beschl. v. 27.01.2011 - L 15 AS 311/10 B ER -):

"Mit der zum 1. August 2006 in Kraft getretenen Novelle wird ihm indessen die Beweisführung durch die Einführung der Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a SGB II erleichtert, von denen vorliegend namentlich die Nr. 1 in Betracht zu ziehen ist. Danach wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben. Nach richtiger Auffassung bedeutet die Einführung dieser Vermutungsregel allerdings keine Verminderung der materiellen Anforderungen an das Bestehen einer (Lebens-)Partnerschaft. Entscheidend bleibt insoweit der innere Wille, füreinander einzustehen. Soweit es aber für die Beurteilung einer solchen inneren Haltung durch Dritte zwangsläufig äußerer Anknüpfungstatsachen bedarf (vgl. dazu bereits BVerfG, a.a.O.), die neben der Erziehung gemeinsamer Kinder namentlich in der Dauer der Verbindung und der Einräumung der Befugnis zur Verfügung über Vermögensgegenstände des Partners liegen können, begründet das mehr als ein Jahr währende Zusammenleben nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II als äußere Anknüpfungstatsache den - widerleglichen - Schluss auf eine den materiellen Anforderungen des § 7 Abs. 3 Lit. c) genügenden Willen. In den Fällen des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II beschränkt sich demzufolge die materielle Darlegungs- und Beweislast des zuständigen Trägers auf die tatsächlichen Voraussetzungen der Vermutungsregel (so auch Spellbrink, a.a.O., § 7 Rdnr. 50 u.H.a. LSG Baden-Württemberg; vgl. im Übrigen die amtliche Begründung zu dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende, BT-Drucks. 16/1410, S. 19, zu Nr. 7, Buchst. b), wonach die neu eingeführten Vermutungsregeln des § 7 Abs. 3 a SGB II im Sinne einer "Umkehr" der beim Träger liegenden Beweislast verstanden werden). Der Umstand, dass aus den in § 7 Abs. 3a SGB II geregelten Vermutungstatbeständen auf den weiterhin verfassungsrechtlich maßgeblichen Willen zu gegenseitiger Verantwortungsübernahme und Fürsorge lediglich geschlossen werden soll, gebietet es indessen, die Anwendung der Vermutungsregeln auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen ein solcher Rückschluss von den Umständen tatsächlich nahegelegt und gerechtfertigt wird. Für die Anwendung von § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II reicht es daher nicht aus, wenn der Arbeitsuchende länger als ein Jahr mit einer anderen Person in derselben Wohnung wohnt. Wie bereits der Gesetzgeber durch die Verwendung der Begriffe "Partner" und "Zusammenleben" hinreichend deutlich gekennzeichnet hat, ist § 7 Abs. 3a Nr. 1 auf bloße Wohngemeinschaften nicht anwendbar, sondern erfordert das Vorliegen eines darüber hinausgehenden, qualifizierten Zusammenlebens wenigstens in der Form einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. LSG Niedersachsen - Bremen, Beschl. 10. September 2007, Az. L 9 AS 439/07 ER und Beschl. v. 16.10.2009, Az. L 9 AS 717/09 B ER; Spellbrink in Eicher / Spellbrink, a.a.O., § 7 Rdnr. 45; Brühl / Schoch in Münder, LPK-SGB II, a.a.O., § 7 Rdnr. 85; zum Erfordernis des Wirtschaftens "aus einem Topf", vgl. BSG, Urt. v. 13.11.2008, Az. B 14 AS 2/08 R, zugleich auch zur Zulässigkeit einer hierauf gründenden, typisierenden Bewertung des gegenseitigen Einstandswillens)."

22

Diese Ausführungen macht sich die Kammer nach eigener Prüfung zu Eigen und legt sie der eigenen Prüfung zugrunde.

23

b)

Gemessen an den vorstehenden rechtlichen Maßstäben können Leistungen zugunsten der Antragstellerinnen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es liege eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin zu 1. und Herrn H. vor. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass bereits von einem "Zusammenwohnen" der Antragstellerinnen mit Herrn H. nicht ausgegangen werden kann. Der Antragsgegnerin ist zwar zuzugeben, dass insofern widersprüchliche Angaben der Antragstellerin zu 1. und des Zeugen H. zu verzeichnen sind, als die Antragstellerin zu 1. für die Zeit seit April 2011 nur noch sporadische Übernachtungen des Herrn L. in ihrer Wohnung eingeräumt hat, während dieser selbst nach wie von etwa zwei bis drei Übernachtungen pro Woche ausging. Jedenfalls steht aber zur Überzeugung der Kammer, insbesondere aufgrund der Angaben des Zeugen O. fest, dass Herr E. zumindest drei bis vier Nächte pro Woche im Hause seines Vaters übernachtet und dort seinen Lebensmittelpunkt hat. Dies wird insbesondere durch den Umstand der regelmäßigen Mietzahlungen des Herrn H. an seinen Vater in Höhe von 400,- EUR monatlich belegt. Insofern haben sowohl Herr H. als auch sein Vater O. glaubhaft und übereinstimmend ausgesagt, dass zunächst seit Herbst vergangenen Jahres Barzahlungen in dieser Höhe erfolgt sind und dass ab dem Monat Mai 2011 diese Zahlungen im Wege der Überweisung erfolgen sollen. Der Zeuge O. hat an dieser Aussage auch festgehalten, nachdem er - was ihm erkennbar unangenehm war - einräumen musste, dass diese Mietzahlungen bislang nicht bei der Steuer angegeben wurden. Es ist aber für die Kammer nicht ersichtlich, welchen Vorteil der Zeuge H. davon haben sollte, an seinen Vater eine monatliche Miete abzuführen, wenn er - wovon die Antragsgegnerin ausgeht - sein Zimmer im Hause des Vaters nur zum Schein aufrecht erhielte.

24

Um die Feststellung zu treffen, Herr H. halte sich überwiegend bei den Antragstellerinnen auf und habe in deren Wohnung seinen Lebensmittelpunkt, reichen demgegenüber die von der Antragsgegnerin genannten Indizien nicht aus. Der Hausbesuch im September 2010 ist insofern schon deshalb nicht aussagekräftig, weil vorliegend ausschließlich Leistungsansprüche ab Antragstellung bei Gericht, also seit dem 4. April 2011 in Frage stehen. Das Antreffen von Herrn H. in der Wohnung der Antragstellerinnen lässt sich ebenso gut damit erklären, dass Herr L. unbestritten regelmäßig bei den Antragstellerinnen zu Besuch war und ist und auch bei ihnen übernachtet. Der Umstand, dass sich im Badezimmer der Antragstellerinnen ein Kulturbeutel mit Utensilien von Herrn L. fand, spricht eher für die Annahme, dass er in der Wohnung nicht dauerhaft und schwerpunktmäßig wohnte und wohnt, sondern sich lediglich zu Besuch aufhielt und aufhält. Gegen ein Zusammenwohnen der Antragstellerinnen und des Herrn L. spricht auch der Umstand, dass bei dem Hausbesuch am 1. September 2010 in der Wohnung der Antragstellerinnen offenbar nur Damenbekleidung im Kleiderregal zu finden war. Der Hausbesuch im Hause der Familie L. in M. am 2. September 2010 hat ebenfalls die Vermutung der Antragsgegnerin, Herr E., wohne in Wirklichkeit nicht in dem dortigen Kellerzimmer, nicht bestätigen können. Vielmehr wurde in M. ein komplett eingerichtetes Zimmer im Keller vorgefunden. Dass Herr L. nach wie vor in seinem Jugendzimmer wohnt und bislang nicht in die frei gewordene Dachgeschosswohnung gezogen ist, mag verschiedene Gründe haben. Im Erörterungstermin hat Herr L. den glaubwürdigen Eindruck erweckt, für einen Umzug innerhalb des Hauses und die damit verbundene Aufgabe seines Jugendzimmers schlicht nicht die nötige Motivation aufzubringen. Ohne dass es darauf im Rahmen der hier maßgeblichen Frage des Zusammenwohnens der Antragstellerinnen mit Herrn H. maßgeblich ankäme, hat sich schließlich auch der Austausch des Schlosses im Wohnhaus der Familie L. in M. durch die im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der beiden Zeugen bestätigt. Danach steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass Herr O. am Vormittag des 1. September 20010 das Haustürschloss ausgewechselt hat, nachdem die Ende August 2010 ausgezogenen Mieter der Dachgeschosswohnung ihren Hausschlüssel nicht rechtzeitig abgegeben hatten. Dass Herr H. das Telefonat mit seinem Vater am Vormittag des 1. September 2010 anders in Erinnerung hatte als dies von seinem Vater geschildert wurde, ist angesichts dieser feststehenden Tatsache nicht entscheidend. Die übrigen von der Antragsgegnerin angeführten Indizien - insbesondere die testamentarische Verfügung hinsichtlich des Sorgerechts für die Antragstellerin zu 2. - vermögen ein Zusammenwohnen der Antragstellerinnen mit Herrn H. nicht zu belegen.

25

Selbst wenn man mit der Antragsgegnerin davon ausginge, Herr L. habe aufgrund der Übernachtungen seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung der Antragstellerinnen, wäre eine von wesentlichen Zweifeln freie Überzeugungsbildung dahingehend, dass die eine Vermutung nach § 7 Abs. 3 a SGB II begründenden Tatsachen positiv vorliegen, nicht möglich. Denn jedenfalls fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für die Annahme, dass die Antragstellerinnen und Herr L. "aus einem Topf" wirtschaften. Es bestehen nach übereinstimmenden Angaben der Antragstellerin zu 1. und des Zeugen H. keine gemeinsamen Konten. Auch gemeinsame Anschaffungen wurden und werden nicht getätigt. An den Mietzahlungen für die Wohnung der Antragstellerinnen beteiligt sich Herrn L. nicht. Auch wenn gemeinsame Einkäufe mitunter unternommen werden, bleiben auch insofern die Kassen getrennt, als die Antragstellerin zu 1. ihre Einkäufe im Wesentlichen selbst bezahlt und Herr L. allenfalls gelegentlich Aufmerksamkeiten für seine Tochter beisteuert. Für ein Wirtschaften aus einem Topf reicht das nicht aus. Da existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.2005 - 1 BvR 169/05 -), waren hier Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Für die Antragstellerinnen geht es um die Befriedigung existenzieller, vom Grundgesetz anerkannter Bedürfnisse.

26

c)

Zur Sicherung des Existenzminimums der Antragstellerinnen hat der Antragsgegner vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Bei der Bemessung der Anspruchshöhe geht die Kammer von Regelbedarfs- und Sozialgeldansprüchen der Antragstellerinnen in Höhe von 364,- EUR für die Antragstellerin zu 1. (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II) und in Höhe von 215,- EUR für die Antragstellerin zu 2. aus (§ 23 Ziffer 1 SGB II i.V.m. § 77 Abs. 4 SGB II).

27

d)

Die Antragstellerin zu 1. kann zudem einen Mehrbedarf als Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Ziffer 1 SGB II in Höhe von 131,04 (36% von 364,- EUR) geltend machen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin zu 1. diesen Mehrbedarfsanspruch glaubhaft gemacht. § 21 Absatz 3 SGB II setzt voraus, dass "eine Person mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammen lebt und allein für deren Pflege und Erziehung sorgt". Bezüglich der alleinigen Sorge ist ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände abzustellen und nicht auf das Personensorgerecht im Sinne der §§ 1626 ff. BGB (vgl. BSG, Urt. v. 03.03.2009 - B 4 AS 50/07 R -). Alleinige Sorge liegt nur vor, wenn bei der Pflege und Erziehung keine andere Person in erheblichem Umfang mitwirkt, insbesondere, wenn der hilfebedürftige Elternteil nicht von dem anderen Elternteil oder Partner nachhaltig unterstützt wird (vgl. BSG, Urt. v. 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R -). Die Begriffe "Pflege" und "Erziehung" umschreiben die umfassende Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes. Pflege konkretisiert die Sorge für das körperliche Wohl, Erziehung die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung, die Bildung und Ausbildung der minderjährige Kinder. Es geht um die gesamte Sorge für das Kind, mithin die Ernährung, Bekleidung, Gestaltung des Tagesablaufs und emotionale Zuwendung (BSG, Urt. v. 03.03.2009 - B 4 AS 50/07 R -). Ein Alleinerziehender sorgt nur dann nicht allein für die Pflege und Erziehung eines Kindes, wenn ihn eine andere Person so nachhaltig bei der Pflege und Erziehung des Kindes unterstützt wie dies sonst der andere Elternteil zu tun pflegt (BSG, a.a.O.). Entscheidend für die Auslegung des Begriffs der "alleinigen Sorge" ist der Zweck des § 21 Abs. 3 SGB II, der nach dem Willen des Gesetzgebers inhaltlich an die entsprechende Vorschrift im Bundessozialhilfegesetz anknüpft (vgl. LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 27.07.2007 - L 13 AS 50/07 ER -). Der Mehrbedarfszuschlag ergibt sich aus der Erwägung, dass allein Erziehende wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen sowie zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen. Der Zweck des Mehrbedarfes liegt darin, den höheren Aufwand des Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege beziehungsweise Erziehung der Kinder, etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlichen Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter, in pauschalierter Form auszugleichen. Entscheidend ist es daher, ob der hilfebedürftige Elternteil von einer anderen Person (beispielsweise dem anderen Elternteil) in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch bei Ehegatten, die gemeinsam mit ihren Kindern in einem Haushalt leben, häufig nicht der einzelne Elternteil rund um die Uhr, sondern in der Regel nur zeitweise zur Pflege und Erziehung eines Kindes zur Verfügung steht (LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 27.07.2007 - L 13 AS 50/07 ER -). Insbesondere der zuletzt genannte Aspekt ist unter Beachtung des Artikels 6 Abs. 1 GG von herausragender Bedeutung. Art. 6 Abs. 1 GG stellt die Ehe und Familie unter den besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Daraus folgt ein spezielles Diskriminierungsverbot von Ehe und/oder Familie. Dieses Verbot wird verletzt, wenn eine Ungleichbehandlung von Ehegatten gegenüber Ledigen oder gegenüber eheähnlichen Gemeinschaften bzw. von Familien(angehörigen) gegenüber Nichtfamilienmitgliedern erfolgt. Der Benachteiligung steht eine entsprechende Begünstigung gleich. Bei der Auslegung des § 21 Absatz 3 SGB II ist daher das Diskriminierungsverbot des Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz zu beachten und die Norm entsprechend grundrechtskonform auszulegen.

28

Die Antragstellerin zu 1. hat unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe einen Anspruch auf Gewährung eines Zuschlags wegen Alleinerziehung glaubhaft gemacht. Sie kann zwar an einigen Wochenenden und während der Besuche von Herrn H. in ihrer Wohnung auf die Hilfe und Unterstützung des Vaters ihrer Tochter zurückgreifen. Nach den übereinstimmenden und damit glaubhaften Angaben der Antragstellerin zu 1. und des als Zeuge vernommenen Vaters der Antragstellerin zu 2., des Herrn E., kümmert sich dieser jedoch lediglich an zwei bis drei Tagen in der Woche für einige Stunden in der Gestalt um die Antragstellerin zu 2., dass er mit der Tochter spielt, sie gelegentlich auch wickelt oder auch füttert. Hinzu kommen gelegentliche gemeinsame Besuche bei der Familie des Zeugen H. am Wochenende. Die wesentlichen erzieherischen und pflegerischen Leistungen, sowohl was den zeitlichen Umfang als auch was die Intensität der Einwirkung auf das Kind anbelangt, liegen ausschließlich bei der Antragstellerin zu 1. Die Beschäftigung des Vaters beschränkt sich im Wesentlichen auf die angenehmeren Aspekte des "Spielens" und "Schmusens". Am Beispiel der Körperpflege, an die sich der Vater des Kindes in der Sorge, etwas falsch zu machen, nicht herantraut, konnte bestätigt werden, dass Herr L. seine Vaterrolle auf die angenehmeren und unproblematischen Aspekte beschränkt. Sowohl die Antragstellerin zu 1. als auch der Zeuge H. haben zudem bestätigt, dass die gemeinsame Tochter regelmäßig "zum Schreikind" wird, wenn sich die Antragstellerin zu 1. räumlich entfernt, so dass der Vater mit dem Kind nahezu niemals alleine gelassen werden kann. Eine echte Entlastung der Antragstellerin zu 1. durch den Vater der Antragstellerin zu 2. ist damit nicht zu verzeichnen. Die Antragstellerin zu 1. ist vielmehr die diejenige, die - in der Regel alleine - die gemeinsame Tochter betreut und erzieht. Diese Situation unterscheidet sich damit grundsätzlich von derjenigen von Familien, in denen einer der Partner erwerbstätig ist und lediglich tagsüber nicht zur Beratung in Erziehungsfragen und zu eigenen erzieherischen und pflegerischen Maßnahmen zur Verfügung steht.

29

e)

Bezüglich der weiteren Bestimmung der Leistungen der Antragstellerinnen geht die Kammer davon aus, dass sich die Kosten der Unterkunft und Heizung auf insgesamt 531,90 EUR belaufen und in dieser Höhe nach § 22 Abs. 1 SGB II zu gewähren sind.

30

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin haben die Aufenthalte des Herrn E. in der Wohnung der Antragstellerinnen nicht zur Folge, dass die den Antragstellerinnen zuzusprechenden Kosten der Unterkunft auf 2/3 der tatsächlichen Kosten reduziert werden. Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Bei Nutzung einer Unterkunft durch mehrere Personen ist für die individuelle Zuordnung eine Aufteilung der Unterkunftskosten insbesondere dann vorzunehmen, wenn auch nicht hilfebedürftige Personen die Unterkunft nutzen. Dazu ist allerdings ein besuchsweiser Aufenthalt nicht ausreichend. Erst wenn Hilfebedürftige mit anderen Personen in Bedarfsgemeinschaft oder auch mit anderen Personen, die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören, in Haushaltsgemeinschaft leben, sind die Kosten für Unterkunft und Heizung der Gemeinschaft anteilig pro Kopf zu berücksichtigen (vgl. LSG Nds.-Bremen, Urt. v. 23.03.2008 - L 8 AS 307/05 -). Auch eine Haushaltsgemeinschaft in diesem Sinne setzt aber neben einer Wohngemeinschaft im Sinne eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts eine Wirtschaftsgemeinschaft, mithin ein Wirtschaften "aus einem Topf" voraus. Diese Voraussetzungen sind hier nach den vorstehenden Ausführungen nicht erfüllt.

31

Die Kosten der Miete inklusive Nebenkosten in Höhe von 452,34 EUR sind angemessen. Die Angemessenheit von Unterkunftskosten ist in mehreren Schritten zu prüfen: Bei der abstrakten Angemessenheitsprüfung ist zunächst die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen. Anschließend ist der nach den örtlichen Verhältnissen angemessene Mietzins je Quadratmeter zu ermitteln. Die Prüfung der abstrakten Angemessenheit muss die örtlichen Verhältnisse erfassen und beurteilen, damit auf dieser tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne für die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten festgesetzt werden kann. Die Darlegung dieser Entscheidungsgrundlage im Prozess obliegt allein den Behörden und nicht den Hilfebedürftigen. Liegen für die örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt kein Mietspiegel bzw. keine validen Mietdatenbanken vor, so ist der Grundsicherungsträger gehalten, für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene - grundsicherungsrelevante - Tabellen bzw. ein schlüssiges Konzept zu erstellen (BSG, Urt. v. 19.03.2008 - B 11b AS 41/06 R - ; Urt. v. 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - und - B 4 AS 27/09 R -, [...]). In einer zweiten "konkreten Angemessenheitsprüfung" ist dann zu prüfen, ob dem Hilfebedürftigen eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist. Auf dieser zweiten Ebene ist der Hilfebedürftige auch verpflichtet, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er trotz intensiver Bemühungen keine preisgünstigere Wohnung gefunden hat. Besteht im Einzelfall eine solche konkrete günstigere Unterkunftsalternative nicht, sind die tatsächlichen Aufwendungen für die gemietete Wohnung als angemessen anzusehen. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ergibt sich sodann als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter ("Produkttheorie"). Das bedeutet, dass nicht jeder einzelne Faktor wie Wohnungsgröße, Ausstattungsstandard oder Quadratmeterpreis für sich isoliert angemessen sein muss, weil es im Ergebnis allein auf die Kostenbelastung des Grundsicherungsträgers ankommt. Entscheidend ist daher das Ergebnis aus der Quadratmeterzahl und der Miete je Quadratmeter, sodass der Hilfebedürftige sich bei einem besonders günstigen Mietzins auch eine größere Wohnung leisten oder Ausstattungsmerkmale mit gehobenem Wohnstandard durch andere Elemente ausgleichen kann, wenn die Unterkunftskosten im Ergebnis noch angemessen sind (LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 24.04.2007 - L 7 AS 494/05 -). Mangels hinreichender Datengrundlagen kann hier zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten auf die Werte der Tabelle zu § 12 WoGG zurückgegriffen werden (zu § 8 WoGG a.F. s. BSG, Urt. v. 07.11.2006 - B 11b AS 18/06 R -). Zwar sind die Tabellenwerte kein von vornherein geeigneter Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft, weil für das Wohngeld rechtlich ohne Bedeutung ist, inwieweit die Wohnung als solche im Sinne eines notwendigen Bedarfs angemessen ist. Die Tabelle des WoGG stellt aber mangels anderer Erkenntnismöglichkeiten und -mitteln den einzig normativen Ansatzpunkt dar, an den die Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angelehnt werden kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 11.03.2008 - L 7 AS 332/07-, Beschl. v. 13.07.2010 a.a.O.).

32

Für P. gilt die Mietenstufe IV. Nach § 12 WoGG ergibt sich für einen 2-Personen-Haushalt dieser Mietenstufe ein Miethöchstbetrag von 435,- EUR. Die von den Antragstellerinnen zu tragende Miete i.H.v. 452,34 EUR liegt über diesem Betrag. Allerdings ist der Wert nach § 12 WoGG um einen Zuschlag in Höhe von 10% zu erhöhen (vgl. u.a.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 13.07.2010 - L 7 AS 1258/09 B ER). Insoweit folgt die Kammer nicht der Auffassung, der Zuschlag auf die Werte der Wohngeldtabelle habe für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 zu unterbleiben, weil dieser Zuschlag nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R -) ausschließlich im Hinblick auf die bis zum 31. Dezember 2008 nicht erfolgte Anpassung der Tabelle an Preissteigerungen der vorhergehenden Jahre anzusetzen sei. Vielmehr hat das BSG in der genannten Entscheidung ausgeführt, der Zuschlag zum jeweiligen Tabellenwert stelle einen "Sicherheitszuschlag" dar, der im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes erforderlich sei, weil beim Fehlen eines schlüssigen Konzept nicht mit Sicherheit beurteilt werden könne, wie hoch die angemessene Referenzmiete tatsächlich sei. Der Zuschlag beruht damit nicht auf fehlenden Anpassungen an Preissteigerungen, sondern auf Unwägbarkeiten bei Fehlen eines schlüssigen Konzepts (so auch LSG Hessen, Beschl. v. 25.11.2010 - L 6 AS 423/10 B ER -). Diese Unwägbarkeiten haften aber der neuen Wohngeldtabelle in gleicher Weise an wie die der alten Tabelle. Es bleibt der Antragsgegnerin unbenommen, durch die Vorlage eines der Rechtsprechung des BSG genügenden Wohnungsmarktgutachtens die angemessenen Unterkunftskosten nachzuweisen, soweit den Zuschlag zur Wohngeldtabelle für nicht sachgerecht erachtet.

33

f)

Die Heizkosten für die Wohnung, die laut der bei der Akte befindlichen Nebenkostenabrechnung vom 17. Dezember 2010 zentral mit Fernwärme beheizt wird, sind in der tatsächlichen Höhe von 90,- EUR monatlich abzüglich einer Warmwasserpauschale in Höhe von 10,44 EUR (6,56 EUR für die Antragstellerin zu 1. und 3,88 EUR für die Antragstellerin zu 2.), d.h. in einer Höhe von 79,56 EUR zu berücksichtigen. Zur Bestimmung der Angemessenheit der Heizkosten kann mangels anderweitiger Erkenntnismittel grundsätzlich auf den Heizspiegel 2010 zurückgegriffen werden. Ein Heizspiegel 2011 liegt noch nicht vor. Nach der äußersten rechten Spalte des Heizspiegels sind Kosten bei der mit Fernwärme beheizten Wohnung unabhängig von der Gebäudegröße jedenfalls bis zu einem Betrag von 17,90 EUR je m2 und Jahr angemessen, d.h. bis zu einem Betrag von 89,50 EUR monatlich bei einer angemessenen Wohnfläche von 60 m2. Die Heizkosten der Antragstellerinnen liegen mit 90,- EUR nur ganz geringfügig über diesem Wert. Überdies sind unabhängig von dem Wert des Heizspiegels nach der Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen Heizkosten in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, soweit der Grundsicherungsträger ein unwirtschaftliches Heizverhalten nicht nachweist. Der Vorwurf eines unwirtschaftlichen Heizens setzt aber zumindest voraus, dass die Behörde sich vor Ort ein Bild über die konkreten Verhältnisse gemacht hat (vgl. LSG, Beschl. v. 24.02.2010 - L 7 AS 1446/09 B ER -). Dies ist hier jedoch von der Antragsgegnerin nicht dargelegt worden. Der Abzug der Warmwasserpauschale in Höhe von 1,8029% der beiden Regelleistungen ist erforderlich, da das Warmwasser ausweislich der Nebenkostenabrechnung vom 17. Dezember 2010 über die zentrale Heizungsanlage erzeugt wird und die dazu anfallenden Kosten bereits im Regelsatz enthalten sind und daher nicht zusätzlich bei den Heizkosten berücksichtigt werden können (vgl. dazu BSG, Urt. v. 27.02.2008 - B 14/11b AS 15/07 R -).

34

g)

Vom Bedarf der Antragstellerin zu 2. waren Kindergeld und Wohngeld in Gesamthöhe von 366,- EUR in Abzug zu bringen. Ein Anspruch auf Abzug der Versicherungspauschale in Höhe von 30,- EUR besteht demgegenüber nicht. Als Pauschbeträge sind gemäß § 6 Abs. 1 Alg II-VO abzusetzen (1.) von dem Einkommen volljähriger Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind, (2.) von dem Einkommen Minderjähriger ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind, wenn der oder die Minderjährige eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hat. Aus Ziffer 2. ergibt sich, dass im Falle der Antragstellerin zu 2. Ein Pauschbetrag nur abgesetzt werden könnte, wenn eine entsprechende Versicherung tatsächlich abgeschlossen worden wäre. Dass dem so ist, wurde bislang nicht vorgetragen oder glaubhaft gemacht.

35

2.

Der erforderliche Anordnungsgrund ergibt sich bereits aus der Erwägung, dass den Antragstellerinnen die ihnen zustehenden existenzsichernden Leistungen nicht länger, d.h. bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens, vorenthalten werden können. Das gilt auch mit Blick auf die Kosten der Unterkunft. Der Zweck des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegt darin, die existenziell notwendigen Bedarfe der Unterkunft und Heizung sicherzustellen. Den Antragstellerinnen, insbesondere der minderjährigen Antragstellerin zu 2. kann nicht zugemutet werden, zunächst das Hauptsacheverfahren abzuwarten, in der Zwischenzeit keine Mietzahlungen zu leisten und damit die Kündigung des Mietverhältnisses sowie die Räumung der Wohnung zu riskieren. Da es um die Gewährleistung des grundrechtlich verbürgten Existenzminimums geht, kann dessen Verletzung nicht durch eine nachträgliche Leistungsgewährung im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren beseitigt werden. Die Kammer folgt daher nicht der in der Rechtsprechung vereinzelt vertretenen Auffassung, hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung könne ein Anordnungsgrund nur dann bejaht werden, wenn der Hilfesuchende glaubhaft macht, dass ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung unmittelbar mit einer Kündigung oder Räumungsklage zu rechnen ist (so auch LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 23.02.1011 - L 9 AS 1287/10 B ER -).

36

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

37

II.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg (§ 73 a Abs. 1 Satz SGG i.V.m. § 114 ZPO).