Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 28.04.2011, Az.: S 36 AS 1428/09

Ausbildungsgeld für die Teilnahme am Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen wird nicht als Einkommen bei der Hilfe zum Lebensunterhalt berücksichtigt; Berücksichtigung von Ausbildungsgeld für die Teilnahme am Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen als Einkommen bei der Hilfe zum Lebensunterhalt

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
28.04.2011
Aktenzeichen
S 36 AS 1428/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 24180
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2011:0428.S36AS1428.09.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 08. Juli 2009, abgeändert durch Bescheid vom 21. Juli 2009, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2009 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01. August 2009 bis zum 31. Januar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung des Ausbildungsgeldes als Einkommen zu gewähren.

  2. 2.

    Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

  3. 3.

    Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende - für die Zeit vom 01. August 2009 bis zum 31. Januar 2010 ohne Berücksichtigung von Ausbildungsgeld als Einkommen.

2

Der 1992 geborene Kläger bezieht mit seiner 1968 geborene Mutter und der 1991 geborenen Schwester seit dem Jahre 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Auf ihren Fortzahlungsantrag bewilligte die Beklagte der Bedarfsgemeinschaft vorläufig mit Bescheid vom 08. Juli 2009 Leistungen für die Zeit vom 01. August 2009 bis zum 31. Januar 2010, und zwar für August von 555,- Euro und für September bis Januar monatlich 402,- Euro. Auf die Mutter des Klägers entfielen jeweils 402,- Euro und auf deren Tochter 153,- Euro.

3

Mit Bescheid vom 17. Juli 2009 bewilligte die Agentur für Arbeit Celle dem Sohn F. für die Zeit vom 08. August 2009 bis zum 07. Juli 2010 Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 102,- Euro für die Teilnahme im Bildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen.

4

Gegen den Bescheid vom 08. Juli 2009 legte der Kläger am 21. Juli 2009 Widerspruch ein, den er damit begründete, dass zu Unrecht Einkommen in der genannten Höhe angerechnet worden sei.

5

Mit Bescheid vom 21. Juli 2009 änderte die Beklagte die Bewilligung ab und gewährte für August 2009 einen Betrag von 596,40 Euro und für die übrige Zeit von monatlich 423,- Euro. Im Monat August entfielen auf die Mutter 402,- Euro, die Tochter G. 153,- Euro und den Kläger 41,40 Euro. Für die übrige Zeit entfielen auf die Klägerin 402,- Euro und auf den Kläger 21,- Euro.

6

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2009 zurück und führte zur Begründung an, dass beim Sohn F. das Kindergeld mit 164,- Euro und das Ausbildungsgeld anzurechnen sei.

7

Dagegen hat der Kläger am 22. September 2009 Klage erhoben.

8

Er trägt vor:

9

Das Ausbildungsgeld sei eine zweckgebundene Leistung, die nicht als Einkommen berücksichtigt werden dürfe. Das Bundessozialgericht (BSG) habe die Anrechnung auf Leis-tungen nach dem SGB XII verneint.

10

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08. Juli 2009, abgeändert durch Bescheid vom 21. Juli 2009, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2009 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01. August 2009 bis zum 31. Januar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung des Ausbildungsgeldes als Einkommen zu gewähren.

11

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.

13

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

14

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst beigezogener Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage hat Erfolg.

16

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verzichtet haben.

17

Der Bescheid der Beklagten vom 08. Juli 2009, abgeändert durch Bescheid vom 21. Juli 2009, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2009 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.

18

Streitgegenständlich ist der Zeitraum vom 01. August 2009 bis 31. Januar 2010, welcher in den angegriffenen Bescheiden geregelt wurde. Die Entscheidungen der Behörde von Folgezeiträumen sind nicht im Rahmen von § 96 SGG berücksichtigungsfähig (vgl. Urteile des BSG vom 07. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - und 25. Juni 2008 - B 11b AS 35/06 R -).

19

Der Kläger hat einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Anrechnung des Ausbildungsgeldes als Einkommen.

20

Nach §§ 19 Satz 1, 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die

  1. 1.

    das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,

  2. 2.

    erwerbsfähig sind,

  3. 3.

    hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).

21

Gemäß § 9 Absatz 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht

  1. 1.

    durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit,

  2. 2.

    aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen

    sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

22

Nach § 9 Absatz 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus ihrem Einkommen oder Vermögen beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen (Satz 2). Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (Satz 3).

23

Als Einkommen zu berücksichtigen sind nach § 11 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Dies gilt auch für das Kindergeld für minderjährige Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird.

24

Unter Einkommen versteht man nach der modifizierten Zuflusstheorie in Abgrenzung zum Vermögen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, welche der erwerbsfähige Hilfebedürftige während des Bedarfszeitraums hinzu erhält, wohin gegen Vermögen diejenigen Mittel sind, welche zu Beginn dieses Zeitraums bereits vorhanden sind (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 30. Juli 2008 - B 14/7b AS 12/07 R -, - B 14/7b AS 17/07 R -, - B 14/7b AS 26/07 R -, - B 14/7b AS 43/07 R -, 30. September 2008 - B 4 AS 29/09 R -, - B 4 AS 57/07 R - und 21. Dezember 2009 - B 14 AS 42/08 R -).

25

Gemäß § 11 Absatz 3 Nr. 1a SGB II sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

26

Bei dem Ausbildungsgeld nach §§ 97, 104 Absatz 1 Nr. 2, 107 SGB III, welches der Kläger für die Teilnahme am Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen erhält, handelt es sich zwar nicht um eine zweckbestimmte Einnahme, weil den Normen keine Zweckbestimmung zu entnehmen ist (so aber: Urteil des Landessozialgerichtes (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 26. Februar 2009 - L 8/13 SO 7/07 - und Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21. Februar 2008 - L 23 SO 269/06 -).

27

Jedoch bleibt das Einkommen nach dem Urteil des BSG vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R - anrechnungsfrei, um eine Ungleichbehandlung mit Beschäftigten im Arbeitsbereich der Werkstatt zu vermeiden. Die Kammer folgt diesem zum SGB XII ergangenen Urteil des BSG, da die Rechtslage übertragbar ist und kein Anhalt dafür besteht, die Einkommensanrechnung im Rahmen des SGB II anders zu handhaben. Denn die Privilegierung von Sozialhilfebeziehern mit den von § 82 Absatz 3 SGB XII eingeräumten Freibeträgen wäre auch vorliegend gegenüber dem Kläger gegeben und nach Ansicht des BSG gerade nicht gerechtfertigt. § 82 Absatz 3 Satz 3 SGB XII kommt beim Bezug von Ausbildungsgeld zur Anwendung, weil dies dem Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung nahe komme.

28

Daraus folgt, dass neben dem Erwerbseinkommen und dem Kindergeld kein weiteres Einkommen beim Kläger angerechnet werden darf, so dass sich ein höherer Leistungsanspruch ohne Anrechnung des Ausbildungsgeldes im streitigen Zeitraum ergibt.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 193 Absatz 1 SGG.

30

Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer der Beklagten mit 612,- Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe abweicht.