Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 03.05.2011, Az.: S 11 VE 3/10
Hörbehinderter Soldat hat einen Anspruch auf das Maß des Notwendigen nicht überschreitende Versorgung mit Hörgeräten; Anspruch eines hörbehinderten Soldaten auf das Maß des Notwendigen nicht überschreitende Versorgung mit Hörgeräten
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 03.05.2011
- Aktenzeichen
- S 11 VE 3/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 24154
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2011:0503.S11VE3.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 82 Abs. 1 SVG
- § 10 Abs. 1 BVG
- § 10 Abs. 3 BVG
- § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 BVG
- § 17 Abs. 1 OrthV
- § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V
Tenor:
- 1.
Der Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2009 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2010 werden aufgehoben.
- 2.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Versorgung mit neuen Hörgeräten des Modells "KIND saphir C HS" zu gewähren.
- 3.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Hörgeräteversorgung des Klägers.
Der Kläger ist ehemaliger Soldat der Bundeswehr. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. Juli 1989 erkannte das Versorgungsamt G. eine "Hörminderung beiderseits" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) an.
Mit über seinen Hörgeräteakustiker gestellten Antrag vom 18.08.2009, der am 21.08.2009 beim Beklagten einging, beantragte der Kläger die Kostenübernahme für die Anschaffung von zwei neuen Hörgeräten.
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 27. Oktober 2009 ab. Nach der Verordnung über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Ersatzleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (Orthopädieverordnung - OrthV) könnten neue Hörgeräte nur dann bewilligt werden, wenn die bisherigen Geräte unbrauchbar geworden seien und sich durch die Versorgung mit neuen Hörgeräten eine wesentliche Verbesserung des Sprachverständnisses um mindestens zwanzig Prozent ergäbe. Der Kläger würde jedoch mit seinen bisherigen Hörgeräten ein Sprachverständnis von 85 Prozent erzielen. Mit den neu angepassten Hörgeräten des Typs "KIND saphir HS" verbessere sich das Sprachverständnis lediglich um zehn Prozent, so dass mangels hinreichender Verbesserung desselben die Voraussetzungen für die Bewilligung neuer Hörgeräte nicht erfüllt seien.
Mit Schriftsatz vom 02. November 2009, beim Beklagten fristgerecht eingegangen am 05. November 2009, legte der Kläger gegen den ablehnenden Bescheid Widerspruch ein. Er trug vor, dass sein behandelnder Hals-Nasen-Ohrenarzt die bisherige Hörgeräteversorgung für nicht mehr ausreichend erachtet habe. Er habe die vom ihm verlangten neuen Hörgeräte zur Probe tragen dürfen und bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass bei der Nutzung der neuen Geräte eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität eintrete. Der Kläger sei wieder in der Lage, mehrstimmigen Chorgesang zu hören und problemlos Ferngespräche zu führen. Seine bisherigen, ca. zehn Jahre alten Geräte entsprächen nicht mehr dem modernen Stand der Technik.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2010 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Beklagte wies nochmals darauf hin, dass mit den begehrten neuen Geräten eine wesentliche Verbesserung des Sprachverständnisses bei 65 dB im Freifeld nicht erzielt werde. Im Übrigen habe der Kläger lediglich einen Anspruch auf die Versorgung mit Festbetragsgeräten, mit denen er ein schlechteres Hörverständnis gehabt hätte als mit dem bisherigen Hörsystem. Eine Neuversorgung sei daher nicht erforderlich.
Der Kläger erhob daraufhin mit Schriftsatz vom 26. Januar 2010, der am 8. Februar 2010 beim Sozialgericht Lüneburg einging, fristgerecht Klage. In der Klagebegründung führte er ergänzend aus, dass ihm nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil in dem Rechtsstreit B 3 KR 20/08 vom 17. Dezember 2009) ein Anspruch auf die bestmögliche Versorgung zustehe. Die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel dürfe nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht sei. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bzgl. der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen sei auf Empfänger von Leistungen der Soldatenversorgung übertragbar.
Beim Kläger liege eine außergewöhnlich hohe Schwerhörigkeit vor. Diese könne mit normalen Festbetragshörgeräten nicht ausreichend versorgt werden, so dass die beantrage Hörgeräteversorgung notwendig und sinnvoll sei und die einzig angemessene Versorgung darstelle, um das Sprachverständnis und Hörvermögen in der notwendigen Weise zu sichern. Der Kläger habe beim Hörgerätehersteller zwei Hörgeräte des vom ihm favorisierten Typs "KIND saphir" zurücklegen lassen. Sofern dieses Modell aufgrund der weiteren Dauer des Rechtsstreits nicht mehr verfügbar sein sollte, habe der Beklagte die Kosten für die Anschaffung des teureren Nachfolgemodells zu übernehmen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Hörgeräteversorgung in der Weise zu gewähren, dass die Anschaffung der Hörgeräte des Modells "KIND saphir C HS" als notwendige Geräte anerkannt wird,
hilfsweise
den Beklagten unter Aufhebung der vorgenannten Bescheide zu verurteilen, die notwendigen Kosten für vergleichbare Geräte im erforderlichen Umfang zu übernehmen,
darüber hinaus hilfsweise,
den Kläger unter Aufhebung der vorgenannten Bescheide zu verurteilen, die Kosten für Hörgeräte des aktuellen Modells "KIND gala HS" zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte vertritt unverändert die Auffassung, dass dem Kläger ein Anspruch auf Versorgung mit neuen Hörgeräten nicht zustehe. Nach Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), an die der Beklagte gebunden sei, sei für die Bewilligung neuer Hörgeräte Voraussetzung, dass mit diesen eine um mindestens zwanzig Prozent verbesserte Verständlichkeit bei 65 dB im Freifeld erzielt werde. Das von der Klägerseite zitierte Urteil des Bundessozialgerichts sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil dieses einen Kläger betroffen habe, der seit seiner Geburt an hochgradiger Schwerhörigkeit gelitten habe und fast ertaubt sei. Die Hörminderung des Klägers weise keine vergleichbare Ausprägung auf.
Der Anspruch auf einen möglichst vollständigen Behinderungsausgleich sei überdies durch das Wirtschaftlichkeitsgebot begrenzt. Ausgeschlossen seien demnach teurere Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell gleichfalls geeignet sei. Insoweit sei auf die Regularien des BMAS zurückzugreifen. Erst ab einer Verbesserung der Hörfähigkeit um zwanzig Prozent werde sichergestellt, dass die erreichte Verbesserung außerhalb der Fehlertoleranz von zehn Prozent liege. Die Grenzen der Leistungspflicht seien dann erreicht, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenüberstehe. Im vorliegenden Fall erreiche der Kläger mit den von ihm verlangten neuen Hörgeräten keine hinreichenden funktionellen Nutzungsvorteile, welche die Übernahme des hohen Anschaffungspreises von knapp 3.000,00 EUR durch die Allgemeinheit rechtfertigen würden. Der Kläger könne mit seinen bisherigen Hörgeräten trotz veralterter Technik ein ausreichendes Sprachverständnis erzielen.
Zur Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger mit der Anschaffung neuer Hörgeräte eine Verbesserung des Sprachverständnisses erreichen kann, hat das Gericht ein Gutachten der Sachverständigen für Hörgeräte im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg, H., eingeholt.
Die Sachverständige gelangte nach Untersuchung des Klägers und Durchführung von Versuchen mit mehreren Hörgerätemodellen zu dem Ergebnis, dass der Kläger mit dem von ihm begehrten Hörgerät "Kind saphir" in Ruhe ein um 15 Prozent besseres Sprachverstehen als mit den alten Geräten, bei Störgeräuschen sogar ein solches um 35 Prozent erziele. Es läge ein Unterschied vor, der sich für den Kläger im Alltag bemerkbar machen dürfte. Die Vergleichsmessung habe eine deutliche Verbesserung des Sprachverständnisses ergeben. Vor allem sei zu berücksichtigen, dass im Alltag das Hören bzw. Verstehen nicht der Testsituation in ruhiger Umgebung entspreche, sondern häufig Umgebungsgeräusche vorhanden seien bzw. mehrere Menschen sich gleichzeitig unterhielten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der Beklagtenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Das Gericht konnte den Rechtsstreit aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Versorgung mit den im Hauptantrag genannten Hörgeräten zu. Die angefochtenen ablehnenden Bescheide sind rechtswidrig ergangen und verletzten den Kläger in dessen Rechten.
Der Umfang der Gewährung von Heilbehandlung für ehemalige Soldaten, die eine Wehrdienstbeschädigung erlitten haben, richtet sich nach § 82 Abs. 1 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) i.V.m. den §§ 10 Abs. 1 und 3, 11 ff. Bundesversorgungsgesetz (BVG). Nach § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 BVG umfasst der Anspruch auf Heilbehandlung auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Die Ausstattung mit Hilfsmitteln ist in der auf Grundlage des § 24 a Buchstabe a BVG erlassenen Orthopädieverordnung (OrthV) geregelt. Nach § 17 Abs. 1 OrthV hat der hörbehinderte Soldat einen Anspruch auf Lieferung von Hörgeräten. Der Umfang dieses Anspruchs wird durch die allgemeine Regelung des § 1 Nr. 1 OrthV begrenzt. Nach dieser Vorschrift muss die Ausstattung mit Hilfsmitteln und Zubehör ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 BVG gelten die Vorschriften für die Leistungen, zu denen die gesetzliche Krankenkasse ihren Mitgliedern verpflichtet ist, für die Soldatenversorgung nach § 11 Abs. 1 S. 1 BVG entsprechend.
Die genannten Vorschriften begründen einen Anspruch des Klägers auf Lieferung der mit dem Hauptantrag begehrten Hörgeräte. Nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V, der durch den gesetzlichen Verweis in § 11 Abs. 1 S. 2 BVG auf die Versorgung nach dem sozialen Entschädigungsrecht gleichfalls Anwendung findet, haben Soldaten mit einer anerkannten Wehrdienstbeschädigung Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, wenn diese erstens nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V aus der Versorgungsleistung der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen und zweitens im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.
Dient das begehrte Hilfsmittel - wie im Fall des Hörgeräts - dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, d.h. soll dieses die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglichen, ersetzen oder erleichtern, gilt nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dieses dient der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne vom § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche ein Grundbedürfnis im Sinne jener Vorschrift darstellt. Deshalb kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig i.S.d. Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (s. Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2009, Az.: B 3 KR 20/10 R, Rdn. 15 mit weiteren Nachweisen). Da die Versorgung mit Hörgeräten dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient, ist demzufolge das begehrte Hörgerät grundsätzlich erforderlich (s. BSG a.a.O., Rdn. 19).
Begrenzt wird der vorgenannte Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Hiernach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Daher verpflichtet § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht dazu, dem Versicherten jede gewünschte, vom ihm für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind damit Ansprüche auf teurere Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist. Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag ist eine kostenaufwendige Versorgung hingegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt wird, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber der kostengünstigeren Alternative bietet (BSG a.a.O., Rdn. 21).
Letzteres ist im Fall des Klägers der Fall. Im Auftrag des Gerichts wurde der Kläger durch eine Sachverständige für Hörgeräte untersucht, die an diesem das Sprachverständnis bei Verwendung verschiedener Hörgeräte, darunter des mit dem Hauptantrag verlangten Geräts, testete. Die Sachverständige stellte fest, dass das Sprachverstehen mit dem begehrten Gerät in Ruhe um 15 Prozent besser als mit dessen alten Geräten, bei Störgeräuschen sogar um 35 Prozent besser ist. Sie konstatierte einen Unterschied im Sprachverständnis, der sich für den Kläger im fast immer geräuschvollen Alltag deutlich bemerkbar machen wird, und hielt eine neue Hörgeräteversorgung für angezeigt. Geräte, die zum Festbetrag der gesetzlichen Krankenkassen angeboten würden, würden die aufgeführten technischen Anforderungen bestenfalls teilweise erfüllen. Diese seien daher nicht vergleichbar gut geeignet, um die Defizite des Gehörs des Klägers auszugleichen.
Da die Sachverständige keine preiswertere Alternative benennen konnte, die dem Kläger im gleichen Umfang einen Ausgleich der vorhandenen Hörbehinderung ermöglichen würde, stellt allein das begehrte Hörgerät "KIND saphir" die einzige feststellbare Möglichkeit dar, um dem Kläger eine möglichst gleichwertige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen wie diese einer nicht hörgeschädigten Person möglich ist.
Unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war der Beklagte nicht befugt, dem Kläger die Lieferung der neuen, dem aktuellen medizinischen und technischen Fortschritt entsprechenden Hörgeräte nur deshalb zu versagen, weil mit dessen alten, inzwischen mehr als zehn Jahre alten Modellen noch eine akzeptable Hörleistung zu erzielen sei. Die Sachverständige für Hörgeräte, auf deren Gutachten das Gericht insoweit Bezug nimmt, hat nämlich bei einem Vergleich der alten und der neuen Geräte festgestellt, dass mit den neuen Geräten das Sprachverstehen beim Kläger deutlich verbessert werden kann.
Soweit der Beklagte darauf hingewiesen hat, dass das o. g. Urteil des Bundessozialgerichts schon deshalb für das vorliegende Verfahren nicht einschlägig sei, weil es im Fall eines hochgradig schwerhörigen und fast ertaubten Klägers ergangen wäre, der hiesige Kläger jedoch ohne Hörgeräte noch eine Verständlichkeit von 70 Prozent erreiche und zudem aufgrund der Weisungslage des BMAS eine Hörgeräteversorgung nach dem Recht der sozialen Entschädigung nur in Betracht komme, wenn gegenüber dem bestgeeigneten Festbetragesgerät bei 65 dB im Freifeld eine um 20 Prozent bessere Verständlichkeit ermöglicht werde, teilt das Gericht diese Bedenken am Anspruch des Klägers nicht.
Zwar lassen sich die Hörbehinderung der Klägers im vorliegenden Rechtsstreit einerseits und desjenigen Klägers, in dessen Fall das oben zitierte Urteil des Bundessozialgerichts ergangen ist, bzgl. der Schwere und des Ausmaßes nicht vergleichen. Dennoch hat das Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung die tragenden Urteilsgründe allgemein gehalten abgefasst und nicht auf fast ertaubte Personen beschränkt. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass dieses ausschließlich auf bestimmte Fälle im besonderen Maße hörgeschädigter Personen Anwendung finden sollte. Es ist vielmehr als Grundsatzentscheidung betreffend den Anspruch hörbehinderter Menschen auf Versorgung mit Hörgeräten zu verstehen.
Die Weisung des BMAS, die Lieferung neuer Hörgeräte nur dann vorzunehmen, wenn eine Verbesserung des Sprachverstehens bei 65 dB im Freifeld um mindestens zwanzig Prozent gegenüber der bisherigen Versorgung erreicht werden könne, steht dem Anspruch des Klägers auf Versorgung mit den begehrten Hörgeräten nicht entgegen. Bei dieser Weisung handelt es sich um eine verwaltungsninterne Anordnung, die zwar den Beklagten zu einer bestimmten Entscheidung verpflichten mag, an die das Gericht jedoch nicht gebunden ist. Weder das SVG, das BVG, das SGB V noch die OrthV enthalten eine ausdrückliche Regelung, welche die Versorgung mit neuen Hörgeräten von der Erfüllung der genannten Vorgaben abhängig macht. Der Anspruch hierauf ist vielmehr allein anhand der Gesetzeslage sowie der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu beurteilen. Da das Bundessozialgericht in seinem für die Entscheidung des Gericht maßgeblichen, o.g. Urteil keine Ausführungen zur Messung bestimmter Grenzwerte getroffen hat, sondern den Anspruch auf Versorgung mit neuen Hörgeräten allein davon abhängig macht, ob die neuen Geräte einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizits ermöglichen, rechtfertigen es die Vorgaben des BMAS nicht, dem Kläger die verlangte Hörgeräteversorgung zu versagen. Dies gilt umso mehr, als dass - worauf die Sachverständige für Hörgeräte in ihrem Gutachten ausdrücklich hingewiesen hat - die Heranziehung in ruhiger Umgebung ermittelter Vergleichswerte zur Feststellung einer Verbesserung des Sprachverstehens erheblichen Bedenken begegnet. Das Gericht teilt insoweit die Auffassung der Sachverständigen, dass das Hören bzw. Verstehen im alltäglichen Leben nicht der Testsituation in einem geräuscharmen Umfeld entspricht, sondern häufig Umgebungsgeräusche vorhanden sind, die sich auf das Sprachverstehen auswirken. Diese Bedenken wurden, wie das dem Schriftsatz des Beklagten vom 31.03.2011 als Anlage beigefügte Rundschreiben des BMAS vom 9.3.2011 erkennen lässt, zwischenzeitlich auch von der Ministerialverwaltung erkannt, wenngleich sich diese mangels geeigneter Sprachtests im Störschall bisher nicht zu einer Änderung ihrer Vorgaben durchringen konnte.
Das Gericht schließt sich insoweit der Auffassung der Sachverständigen an, dass für die Frage, ob ein neues Hilfsmittel einen deutlich besseren Ausgleich des Funktionsdefizits ermöglicht als das vorhandene, vorrangig auf die Verbesserung des praktischen Nutzens und nicht auf unter Laborbedingungen ermittelte Messergebnisse abgestellt werden muss. Da der Kläger nach den Feststellungen der Sachverständigen bei Störgeräuschen mit den verlangten neuen Hörgeräten ein um 35 Prozent verbessertes Sprachverstehen erreichen kann, bestehen keine Zweifel, dass die Versorgung mit diesen Geräten notwendig ist, um unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der Hörgeräteakustik einen möglichst weitgehenden Ausgleich des Hörschadens zu erzielen.
Da der Kläger mit dem im Schriftsatz vom 31. März 2011 gestellten Hauptantrag Erfolg hatte, war eine Entscheidung über die hilfsweise gestellten Klageanträge entbehrlich. Von der Benennung eines konkreten Anschaffungspreises der neuen Hörgeräte im Tenor hat das Gericht Abstand genommen, weil derartige Preisangaben üblicherweise Schwankungen unterliegen können, der Anspruch des Klägers auf Versorgung mit den begehrten Hörgeräten hingegen unabhängig von geringfügigen, vom Hersteller veranlassten Preisänderungen besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.